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2 Ziel und Gegenstand der Hörgeschädigtenpädagogik

2.1 Pädagogische Kennzeichnung von Gehörlosigkeit, Schwerhörigkeit und Ertaubung

Schwerhörige, gehörlose oder ertaubte Personen sowie Personen nach der Versorgung mit einem Cochlea Implantat (CI) – von sich selbst auch als ‚CI-Träger’ bezeichnet – bilden die Gruppe der (peripher) Hörgeschädigten. Ihnen gemeinsam ist die Minderung oder (in selteneren Fällen) der Ausfall des Hörvermögens.

Zum Aufgabenbereich der Hörgeschädigtenpädagogik gehören seit Ende des letzten Jahrtausends auch Schüler mit Auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS), einer Höreinschränkung bei an sich normalem Hörvermögen. Es handelt sich um eine zentrale (Wahrnehmungs- und Verarbeitungs-)Störung, die vorzugsweise in schulischen Lernkontexten eine Rolle spielen. Eine periphere Schädigung des Gehörs liegt hier nicht vor.

Schwerhörigkeit Gehörlosigkeit Ertaubung

Begriffsbestimmungen von Schwerhörigkeit, Gehörlosigkeit und Ertaubung sind eine wichtige Grundlage für die pädagogische, therapeutische, medizinische und psychologische Versorgung der betroffenen Menschen und damit letztendlich auch für ihre soziale und menschliche Anerkennung in der Gesellschaft, für ihre Rehabilitation und Inklusion.

Die Auffassungen darüber, ob jemand beispielsweise „gehörlos“ oder „schwerhörig“ ist, sind aus der Sicht der Medizin, aus der Sicht der Pädagogik und aus der Sicht der Betroffenen oft abweichend: Aus der Sicht der Medizin wird jede Funktionsstörung des Hörorgans erfasst, während sich die Pädagogik auf solche beschränkt, die die Beziehung zwischen Individuum und Umwelt beeinträchtigen und damit soziale Auswirkungen auf den Betroffenen haben.

Aus der Sicht eines Teils der Betroffenen wird im Zusammenhang mit der seit den 1980er Jahren stattfindenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Gebärdensprache und der damit verbundenen Emanzipationsbewegung der Gehörlosen versucht, die Begriffe „Gehörlosigkeit“ und „gehörlos sein“ ebenfalls terminologisch zu bestimmen. Ein Mensch mit Hörschädigung kann sich, unabhängig vom Ausmaß der Hörschädigung, selbst als „gehörlos“ definieren, wenn er sich dieser kulturellen Minderheit zugehörig fühlt. Ihre Anknüpfungspunkte sind dabei, dass Gehörlose eine eigene Sprache (die Gebärdensprache) und eine eigene Kultur (in Fachkreisen Gehörlosenkultur genannt) haben. Aus der amerikanischen Literatur ist bekannt, dass „deaf“ bezogen auf das Individuum (also bzgl. der vorhandenen Sinnesschädigung) und „Deaf“ im Sinne der Gemeinschaft und der Minoritätenkultur gebraucht wird (s. auch Padden / Humphries 1991, 10). Die Interessen der Gehörlosen werden verbandsmäßig durch den Deutschen Gehörlosenbund (gegründet 1950 „als Rechtsnachfolger des Reichsverbandes der Gehörlosen Deutschlands [REGEDE]“) vertreten (Deutscher Gehörlosen-Bund e. V. o. J.).

Ebenso ist eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit der erwachsenen Personen, die mit einem Cochlea Implantat versorgt sind, zu beobachten. Sie versuchen, ihre Interessen und Bedürfnisse durch die bundesweite Deutsche Cochlea Implantat Gesellschaft e. V. (DCIG e. V.), der zeitlich nachfolgenden Gründungen von Regionalverbänden (z. B. in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Berlin-Brandenburg, Bayern und die Hannoversche Cochlea Implantat Gesellschaft e. V.), zahlreiche Selbsthilfegruppen und letztendlich durch die Gründung einer europäischen Vereinigung, der European Association of Cochlear Implant Users (EURO-CIU), zum Ausdruck zu bringen und entsprechende Unterstützung zu finden.

2000 gründete sich der Verein der Lautsprachlich Kommunizierenden Hörgeschädigten Deutschlands (LKHD) nach dem Schweizer Vorbild Lautsprachlich Kommunizierende Hörgeschädigte (LKH). Auch die Mitglieder dieser Gruppe definieren sich selbst – hier als „hörgeschädigt“ –, obwohl nahezu alle Gründungsmitglieder nach der klassischen Einteilung (Kap. 3.2) laut Audiogramm gehörlos, bestenfalls an Taubheit grenzend schwerhörig sind. Ihr Hauptanliegen war es, Menschen mit Hörschädigung eine Integration in die „hörende“ Gesellschaft zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Wesentliche Motivation zur Gründung des Vereins war, dass die Zahl von lautsprachlich kommunizierenden Hörgeschädigten kontinuierlich stieg, diese Tatsache aber in der Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt kaum wahrgenommen wurde. Sie wollten einen Verein, in dem sich die Betroffenen selbst für die Lautsprache und die Integration in die hörende Gesellschaft einsetzen. Mit der Einführung des universellen Neugeborenenhörscreenings und der deutlich verbesserten Versorgung mit Hörsystemen sahen die Mitglieder der LKHD wesentliche Teile ihrer Forderungen als erfüllt an und wurden (zumindest nach außen) nicht mehr aktiv.

Der DSB (Deutscher Schwerhörigenbund) sieht sich als „bundesweiter Selbsthilfeverband schwerhöriger und ertaubter Menschen“ (Deutscher Schwerhörigenbund o. J.). Er vertritt die Interessen der schwerhörigen Menschen, fühlt sich aber auch für ertaubte Menschen, CI-Träger oder Menschen mit Tinnitus zuständig. Der DSB wurde 1901 in Berlin gegründet und ist damit eine der ältesten Selbsthilfe-Organisationen Deutschlands (a. a. O.).

Außenstehende – gemeint sind hier Personen, die keinen oder nahezu keinen Kontakt zu Menschen mit Hörschädigung haben – verfügen oft über völlig falsche Vorstellungen über „Gehörlose“, „Schwerhörige“ und „Ertaubte“. So stellen sie sich Gehörlose zumeist als Personen vor, die überhaupt keine auditiven Empfindungen haben (also gar nicht hören). Schwerhörige sehen sie oft als Personen, mit denen man sehr laut und überdeutlich sprechen muss. Dass Schwerhörige, bei denen lautes und deutliches Sprechen hilfreich ist, nur eine geringe Anzahl aller Schwerhörigen ausmachen, ist kaum bekannt. Falsch ist auch die Vorstellung, dass ein Hörgerät einen Hörverlust ausgleichen kann. Ein Hörgerät vermag Qualität und Quantität der auditiven Eindrücke wesentlich zu verbessern, es bleibt aber auch bei optimaler Hörgeräteanpassung und -versorgung ein verändertes Hören. Darüber, welche Personen zu den Ertaubten zählen, haben die meisten eine klare Vorstellung, nicht jedoch von den Problemen, die eine Ertaubung für die Betroffenen mit sich bringt.

Tab. 1: Bestimmung des Grades der Behinderung (GdB) aus den prozentualen Hörverlusten beider Ohren (aus: Feldmann 2006,124). Die Eckwerte für die Einstufung sind:

20 % GdB für einseitige Taubheit
80 % GdB für beidseitige Taubheit
von 20 bis 40 % GdB für beidseitige mittelgradige Schwerhörigkeit
von 40 bis 60 % GdB für beidseitige hochgradige Schwerhörigkeit
von 80 bis 100 % GdB für angeborene oder in der Kindheit erworbene Taubheit

Die Auswirkungen einer Hörschädigung können in verschiedenen Bereichen sehr unterschiedlich sein. Folglich ergeben sich unterschiedliche Sichtweisen, ob eine Hörschädigung beispielsweise für Zwecke der Sozialleistung, aus pädagogischen Gründen oder aus medizinischer Sicht zu werten ist. So gibt es für die einzelnen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens unterschiedliche Definitionen, Bezeichnungen und Abgrenzungen, die zudem vom jeweiligen Stand der gesellschaftlichen Entwicklung (z. B. entsprechend dem Niveau fürsorgerechtlicher Leistungen) abhängig sind. Die Problematik wird auch deutlich durch die wiederkehrenden Diskussionen um den Grad der Behinderung (GdB). Die Bewertung der tatsächlichen Auswirkungen der Hörbehinderung ist schwierig, da es ein objektives Maß nicht gibt. Die Feststellung des GdB aufgrund einer Hörschädigung erfolgt anhand der Ergebnisse audiometrischer Untersuchungen. Nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) wird das Ausmaß einer Behinderung in Prozentwerten ausgedrückt, die angeben, in welchem Umfang die individuelle Integrität eines Menschen durch die Behinderung(en) beeinträchtigt wird.

Grad der Behinderung Dieses abstrakte Maß wird als Grad der Behinderung (GdB) bezeichnet. Für Schwerhörigkeit wird der GdB nach der sog. Feldmann-Tabelle ermittelt (Tab. 1). Diese geht auf Vorschläge von Feldmann aus den 1960er Jahren zurück und wurde kontinuierlich weiterentwickelt. Mit ihrer Hilfe lässt sich der prozentuale Hörverlust aus der Hörweitenprüfung bestimmen.

Die Problematik der Einstufung zeigt sich auch darin, dass bei Vorliegen mehrerer Behinderungen rein rechnerisch die Summe der einzelnen GdB größer sein kann als 100 %, anerkannt werden aber immer nur maximal 100 %.

Ein internationaler Vergleich zeigt Ähnliches. Hinzu kommt, dass auch heute noch in verschiedenen Ländern unterschiedliche Begriffsbestimmungen existieren.

Die Schwierigkeiten beim Gebrauch von Behinderungsbegriffen und die damit verbundenen sprachlichen Wertungen zeigen sich auch in der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD; International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems). Diese wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben (kurz auch als Internationale Klassifikation der Krankheiten bezeichnet). 2018 ist die ICD-11 erschienen. Die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) (deutsch: Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) ist ebenfalls eine Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dient fach- und länderübergreifend als einheitliche und standardisierte Sprache zur Beschreibung des funktionalen Gesundheitszustandes, der Behinderung, der sozialen Beeinträchtigung und der relevanten Umgebungsfaktoren eines Menschen. Mit ihr sollen die bio-psycho-sozialen Aspekte von Krankheitsfolgen unter Berücksichtigung der Kontextfaktoren erfasst werden. Die ICF besteht aus vier eigenständigen parallelen Klassifikationen, den vier Komponenten: Körperfunktionen (bodyfunctions), Körperstrukturen (bodystructures), Aktivitäten und Partizipation (daily activities) sowie Umweltfaktoren (environmental factors).

Die ausschlaggebende Zieldimension der Rehabilitation der Menschen mit Behinderung und Krankheit sowie von Behinderung bedrohten Menschen ist die Verbesserung der Partizipation, d. h. die Teilnahme am normalen Leben in Familie, Beruf und Gesellschaft. Damit steht – im Kern – der soziale Aspekt von Behinderung im Vordergrund.

Eine gutachterliche Bewertung kindlicher Hörschädigungen ist Ptok (2009) zu entnehmen (Tab. 2).

Tab. 2: Gutachterliche Bewertung kindlicher Schwerhörigkeiten (Ptok 2009, 17)GdE (MdE)
1Taubheit beiderseits (Hörreste für Lauterkennung nicht verwertbar, mittlerer Hörverlust für Töne nach Röser durch Schallempfindungsstörung über 90 dB)
a) seit Geburt oder nach Frühertaubung (vor dem 9. Lebensjahr)100 %
b) nach Ertaubung vor voll gefestigtem Sprachbesitz und vor Abschluss der Schulbildung (9. – 18. Lebensjahr)90 %
c) bei sprachlichen Spätfolgen einer Spätertaubung (nach dem 18. Lebensjahr) mit schlechter Sprachverständlichkeit80 %
2Hörrestigkeit auf dem besseren Ohr (entspricht etwa der Möglichkeit zur Erkennung von Vokalen, mittlerer Hörverlust für Töne durch Schallempfindungsstörung 90 – 80 db)
a) bei Eintritt der Hörrestigkeit vor dem 9. Lebensjahr90 %
b) bei Eintritt der Hörrestigkeit im 9. – 18. Lebensjahr80 %
c) bei sprachlichen Spätfolgen einer nach dem 18. Lebensjahr eingetretenen Hörrestigkeit mit schlechter Sprachverständlichkeit80 %
3An Taubheit grenzende Schwerhörigkeit auf dem besseren Ohr (Satzverständnis ohne Absehen der Sprache möglich zwischen laut am Ohr und 0,25 m, mittlerer Hörverlust für Töne durch Schallempfindungsschwerhörigkeit 80 – 60 dB, bei Schallleitungskomponente ggf. auch über 80 dB)
a) bei Eintritt des Schwerhörigkeitsgrades vor dem 9. Lebensjahr mit eingeschränktem Wortschatz80 %
b) bei normalem Wortschatz bzw. Eintritt des Schwerhörigkeitsgrades nach dem 18. Lebensjahr und schlechter Sprachverständlichkeit durch gehörbedingte Artikulationsstörung70 %
4Hochgradige Schwerhörigkeit auf dem besseren Ohr (sicheres Satzverständnis bei Umgangssprache zwischen 0,25 m und 1 m, mittlerer Hörverlust für Töne ohne Berücksichtigung der Art der Schwerhörigkeit 60 – 50 dB), bei eingeschränkter Sprachverständlichkeit durch gehörbedingte Artikulationsstörung je nach Schwerhörigkeitsgrad auf dem schlechteren Ohr55 – 60 %
5Mittelgradige Schwerhörigkeit auf dem besseren Ohr (Satzverständnis bei Umgangssprache zwischen 1 und 4 m, mittlerer Hörverlust für Töne 50 – 40 dB), bei eingeschränkter Sprachverständlichkeit durch gehörbedingte Artikulationsstörung je nach Grad der Schwerhörigkeit auf dem schlechteren Ohr40 – 50 %

(Anmerkungen: Das Schwerbehindertengesetz verwendet den „Grad der Behinderung“ [GdB] an Stelle von „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ [MdE]. Der reine Zahlenwert ist jedoch identisch. Der Unterschied ist formal: Die Minderung der Erwerbsfähigkeit wird in einem Prozentsatz angegeben, der Grad der Behinderung ohne [z. B.: MdE=5 %, GdB=50]).

Die Aussage „nach Röser“ (Spalte 2, 2. Zeile quer) meint die Ermittlung des prozentualen Hörverlustes aus dem Tonaudiogramm. Röser hat dafür drei Tabellen erarbeitet: für den regelmäßigen und unregelmäßigen Hörschwellenverlauf sowie für die Lärmschwerhörigkeit. Die ersten beiden kommen bei Kindern zur Anwendung.)

Aus pädagogischer Sicht sind Abgrenzungen besonders problematisch, weil die Anforderungen des pädagogischen Prozesses von sehr komplexer Natur sind. Dennoch kann auf eine Begriffsbestimmung von Gehörlosigkeit, Schwerhörigkeit und Ertaubung nicht verzichtet werden, u. a. deshalb, weil die Erziehung, Bildung und Förderung im Kindes- und Jugendalter die Entwicklung der Persönlichkeit entscheidend, letztendlich maßgeblich, beeinflussen.

Hörschädigung

Eine Hörschädigung im pädagogischen Sinne besteht also dann, wenn der Ausprägungsgrad des Hörverlustes bzw. die Auswirkungen des Hörschadens derart sind, dass das Kind sich nicht ungehindert entwickeln und entfalten kann. Es besteht sozusagen eine Widerspruchslage zwischen Kind und Umwelt, die es entwicklungs- und persönlichkeitsfördernd zu beeinflussen gilt.

Differenzierung der Schüler mit dem Förderschwerpunkt Hören Historisch gesehen begann man etwa zur Jahrhundertwende (19./20.Jh.), gehörlose und schwerhörige Schüler zu trennen und sie in entsprechenden (getrennten) Einrichtungen zu beschulen. Bis dahin galten sie als taubstumm (Kap. 15.4). (Der Begriff „taubstumm“ konnte sich bis in die 1950er/1960er Jahre für Gehörlose halten; in den letzten Jahren wird vereinzelt auch wieder „taub“ – besonders von den Betroffenen selbst – benutzt. In der Medizin wird er seit jeher verwendet.) Die aus heutiger Sicht als „schwerhörig“ bezeichneten Schüler befanden sich zur damaligen Zeit in den Taubstummenanstalten oder (oft als Schulversager) in den Volksschulen (Kap. 15.3). Eine hörgerätetechnische Versorgung, wie wir sie heute kennen, gab es zur damaligen Zeit nicht. Mit der Wende zum 20. Jahrhundert waren die diagnostischen Möglichkeiten und der Erkenntnisstand dann so weit fortgeschritten, dass eine Differenzierung der Hörschäden möglich wurde. (Das erste Audiometer wurde 1878 vorgestellt [Feldmann 2003; Böhme / Welzl-Müller 2005]; schrittweise begannen sich Verfahren zu entwickeln, mit denen Art und Ausmaß einer Hörschädigung erfasst werden konnten.) Es sei an dieser Stelle aber auch darauf verwiesen, dass eigentlich von Beginn der Bildungsversuche mit taubstummen Schülern an immer wieder bei einem Teil der Schüler Hörreste vermutet und diese auch vereinzelt genutzt wurden.

Die Aufteilung in gehörlose und schwerhörige Schüler erfolgte danach, ob die Teilnahme am Unterricht auf auditivem Weg (also über das Hören) möglich war oder nicht. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts forderte Bezold eine Trennung der gehörlosen und schwerhörigen Schüler (Kap. 15). Als wesentliche Begründung für die Notwendigkeit der Entwicklung von (eigenständigen) Schwerhörigenschulen gab er an, dass der künstliche Weg des Spracherwerbs im Gehörlosenunterricht nicht dem natürlichen Weg der Schwerhörigen entsprach.

Diese grundsätzlichen Überlegungen (nicht jedoch die Untergliederung in Schwerhörigen- und Gehörlosenschulen) haben sich bis in die Gegenwart hinein gehalten. Auch heute noch unterscheidet man danach, ob für das Kind mit Hörschädigung das Erlernen der Lautsprache auf natürlichem (also imitativem) Weg möglich ist (schwerhörige Kinder) oder nicht (gehörlose Kinder). Zum Erlernen der Lautsprache stehen den Kindern heute leistungsfähige Hörsysteme (digitale Hörgeräte / Cochlea Implantate) zur Verfügung. Bei korrektem Ablauf des Neugeborenenhörscreenings wird ein Kind mit angeborener Hörschädigung nun bei diesem erkannt und mit spätestens vier bis sechs Monaten mit Hörgeräten versorgt. Bei einer hochgradigen Hörschädigung kommt ggf. ein Cochlea Implantat (Kap. 7) in Frage. Letztendlich können die heutigen Schüler mit Hörschädigung nicht mit jenen, die um die Jahrhundertwende eine Schule für Hörgeschädigte besuchten, verglichen werden.

Die Auffassungen über Gehörlosigkeit, Schwerhörigkeit und Hörschädigung sind aufgrund gewonnener Erkenntnisse, veränderter Sichtweisen und zahlreicher Forschungsergebnisse neu zu beleuchten. Beeinflusst werden die aktuellen Erklärungen und Beschreibungen durch die sich seit den 1980er/90er Jahren entwickelten Diskussionen

– um die Selbstbestimmung der Gehörlosen, aus deren Sicht sich jeder als gehörlos definieren kann, der sich dieser Gruppe (i. S. einer kulturellen Minderheit) zugehörig fühlt, und

– durch das Wissen über die Reifung des zentralen Hörsystems (und auch durch die praktischen Erfahrungen), die belegen, dass Hören mehr als die Verarbeitung von Schallereignissen durch das Ohr ist. In erster Linie ist Hören die Auswertung dieser Schallereignisse durch das Gehirn. Dazu braucht das Kind mit Hörschädigung den frühzeitigen Zugang zum Hören, die bewusste Zuführung externer akustischer Reize und eine entsprechende pädagogische Begleitung und Förderung.

Aus diesen beiden Ansätzen heraus wird deutlich, dass klassische Einteilungen in „gehörlos“ und „schwerhörig“ zunehmend zu hinterfragen waren. Hinzu kommt, dass Entwicklungsverläufe nicht mit dem Hörstatus korrelieren: So können bei gleicher Art und annähernd gleichem Ausmaß eines Hörschadens völlig unterschiedliche Entwicklungsverläufe bei einzelnen Kindern zu beobachten sein.

Die „Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Hören“, die von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland am 10. Mai 1996 beschlossen wurden, haben die „Empfehlungen für den Unterricht in der Schule für Gehörlose (Sonderschule)“ vom 30. Mai 1980 und die „Empfehlungen für den Unterricht in der Schule für Schwerhörige (Sonderschule)“ vom 30. August 1981 aufgehoben. In den „Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Hören“ wird durchgängig von hörgeschädigten Kindern und Jugendlichen gesprochen. Zur sonderpädagogischen Förderung in Sonder-/Förderschulen wird ausgeführt:

„Kinder und Jugendliche mit den Förderschwerpunkten im Bereich des Hörens, der auditiven Wahrnehmung, des Spracherwerbs, der Kommunikation sowie des Umgehen-Könnens mit einer Hörbeeinträchtigung, deren Förderung in allgemeinen Schulen nicht ausreichend gewährleistet werden kann, werden in Schulen für hörgeschädigte Kinder und Jugendliche in entsprechenden Bildungsgängen unterrichtet … Von besonderer Bedeutung ist im Blick auf die Lernerfolge der förderbedürftigen Schüler und Schülerinnen das verantwortungsvolle Zusammenwirken einer Schule für Gehörlose und einer Schule für Schwerhörige im gleichen Einzugsbereich“ (1996, 377).

Einleitend wurde vorangestellt, dass die schulische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit den Förderschwerpunkten in den genannten Bereichen alle Schulstufen und Schularten einbezieht. Sie habe zu einer Vielfalt von Förderformen und Förderarten geführt. Bereits zu diesem Zeitpunkt (Mitte der 1990er Jahre) wurde dem gemeinsamen Lernen von Schülern mit und ohne Behinderung ein größerer Stellenwert als je zuvor eingeräumt, ebenso den vorbeugenden Maßnahmen, die Entwicklungsverzögerungen und Fehlentwicklungen verhindern, mindern oder weitergehende Auswirkungen einer Hörschädigung vermeiden sollen. Dazu sollen sofort nach dem Erkennen der Hörschädigung Fördermaßnahmen einsetzen. Da dies außer bei erworbenen Hörschädigungen heute unmittelbar nach der Diagnose erfolgt (diese soll umgehend nach Auffälligkeiten beim Neugeborenenhörscreening eingeleitet werden), wird der Frühförderung ein expliziter Stellenwert zugewiesen (Kap. 11).

Die Ursachen für eine Hörschädigung sind unterschiedlicher Art (Kap. 3.3). Hörschädigungen können angeboren sein (genetisch bedingt bzw. prä- oder perinatal auftretend) oder im Laufe des Lebens eintreten.

Unabhängig davon, welche Ursache für eine Hörschädigung besteht oder in welchem Alter sie eintritt, sind stets Maßnahmen zu ergreifen, die zu einem mehr oder weniger großen Teil pädagogischer Natur sind. Ziele, Inhalte, Methoden und Organisationsformen dieser speziellen Maßnahmen sind Gegenstand der Hörgeschädigtenpädagogik (Kap. 2.3).

Zusammenfassung

Die Schwierigkeiten, Menschen mit Hörschädigung wirkungsvoll zu helfen und zu unterstützen, zeigen sich bereits in dem Versuch, Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit zu definieren. Diese definitorischen Klärungsversuche sind keine bloße Begriffsspielerei, sondern weisen die Richtung für Hilfen und Unterstützung, die den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Hörschädigung geboten oder angeboten werden müssen.

Vor allem die Pädagogen waren seit den 1990er Jahren bemüht, die allein an Beeinträchtigungen (Defiziten) und Förderbedarf orientierten Definitionen zu überwinden. So schließt man Auswirkungen mit ein, die „im pädagogischen Sinn wesentlich sind“ oder „die Teilhabe an der Gesellschaft (die zwangsläufig eine Gesellschaft der Hörenden ist) beeinträchtigen“ oder man betrachtet die „besonderen (individuellen und sozialen) Bedingungen, unter denen, z. B. in der Schule, gelernt werden muss“. Diese Begriffsbestimmungen schließen ein, dass die Beeinträchtigungen, die sich aus dem eingeschränkten oder (in Ausnahmefällen) vollständig ausgefallenen Hören ergeben, die geistige, emotionale und soziale Entwicklung und Stabilität der Betroffenen nachhaltig beeinflussen. Bezogen auf Kinder bedeutet das, dass ihre Förderung nicht auf den Ausgleich oder die Kompensation des eingeschränkten oder ausgefallenen Hörens beschränkt bleiben darf, sondern eine vielseitige und umfassende Persönlichkeitsentwicklung in den Mittelpunkt gestellt werden muss. Daraus ergibt sich für die Förderzentren, Förderschwerpunkt Hören eine im Vergleich zur allgemeinen Schule erweiterte Aufgabenstellung, die sich beispielsweise in einer größeren Variationsbreite im Fächerangebot, in der Ausdehnung der Grundschulzeit um ein Schuljahr, in den Curricula und in der Leistungsbeurteilung zeigen kann. Zugleich soll der Unterricht das soziale Lernen und die Entwicklung einer positiven Selbsteinschätzung unterstützen. Das Förderzentrum, Förderschwerpunkt Hören (einschließlich seiner Abteilungen für Frühförderung und Elementarerziehung, Pädagogisch-Audiologischer Beratungsstelle und Mobiler Sonderpädagogischer Dienst) ist vollumfänglich auch für alle Kinder und Jugendlichen mit Förderbedarf Hören in inklusiven Settings zuständig.

Trotz der aufgeworfenen Problematik sind Begriffsbestimmungen unumgänglich, da nur bei einer klar definierten Ausgangsbasis eine wissenschaftliche Verständigung und ein gezieltes praktisches Handeln möglich werden. Der einzelne Begriff muss so klar definiert sein, dass der Spielraum für subjektive Interpretation gering ist, wohl aber kann man unterschiedliche Definitionen entsprechend unterschiedlicher Sichtweisen oder unterschiedlicher Bezugssysteme einbringen.

2.2 Ziele der Hörgeschädigtenpädagogik

Es wird nicht möglich sein, im Rahmen der Ausbildung für pädagogische Berufe die Fähigkeit zu vermitteln, die richtige Handlungsanweisung aus vorgegebenen übergeordneten gesellschaftlichen Zielen abzuleiten. Das Studium der Pädagogik bietet jedoch Wissen über Voraussetzung und Folgen des pädagogischen Handelns (Lenzen 2004, 20ff). Betrachtet man im Gegensatz dazu aber konkrete Ziele (Absichten), so können diese die Effektivität pädagogischen Handelns erhöhen. In diesem Sinne ist nachfolgende Reflexion zu betrachten.

Bevor die Bestimmung des Begriffs Hörgeschädigtenpädagogik durch Kennzeichnung des Ziels (Kap. 2.2) und des Gegenstandes (Kap. 2.3) vorgenommen wird, sollen die Begriffe Pädagogik, Sonderpädagogik und Inklusive Pädagogik skizziert werden. Eine umfängliche Bestimmung dieser Begriffe ist der entsprechenden Fachliteratur zu entnehmen. Die hier vorgelegten Fassungen dienen dazu, eine gedankliche Diskussionsbasis zu schaffen. Die Voranstellung scheint sinnvoll, da die Hörgeschädigtenpädagogik als Teilgebiet der Sonderpädagogik gesehen wird, die sich wiederum als Teilgebiet der (Allgemeinen) Pädagogik versteht. Im gegenwärtigen Sprachgebrauch etabliert sich Inklusive Pädagogik als Transformation der Sonderpädagogik (Biewer 2017).

„Pädagogik“

„Pädagogik“ bezeichnet die Lehre, Theorie und die Wissenschaft von der Erziehung und Bildung der Kinder und der Erwachsenen in unterschiedlichen pädagogischen Feldern wie Familie, Kindergarten, Schule, Freizeit und Beruf.

Pädagogik hat sich ursprünglich auf das Kind (von griechisch pais agein, wörtich: Führung des Knaben bzw. Kindes vom Haus zur Übungsstätte) beschränkt. Seit dem Vordringen der Pädagogik in viele Bereiche der Gesellschaft wurde sie auf die Erwachsenen ausgedehnt (dort auch als Andragogik oder Geragogik bezeichnet).

Der Terminus „Pädagogik“ wird umgangssprachlich synonym mit „Erziehungswissenschaft“ verwendet. Die Einführung und Durchsetzung von „Erziehungswissenschaft“ war mit der Intention verknüpft, den Übergang einer vorwiegend geisteswissenschaftlich ausgerichteten „Pädagogik“ zu einer erfahrungswissenschaftlichen (empirisch-analytischen) und damit – so die Absicht der Vertreter dieser Richtung – zu einer exakteren Disziplin werden zu lassen.

Sonderpädagogik Heilpädagogik Behindertenpädagogik, Inklusive Pädagogik u. a.

„Sonderpädagogik“ (auch als Behindertenpädagogik, Förderpädagogik, Heilpädagogik, Rehabilitationspädagogik und ferner als Rehabilitation, Normalisierung, Integration und zunehmend als inklusive Pädagogik bezeichnet) ist die Theorie und Praxis sowie Wissenschaft einer speziellen Pädagogik.

Der älteste Begriff ist „Heilpädagogik“. Orientiert am allgemeinpädagogischen Gedanken einer „heilenden Erziehung“, entwickelte sie sich spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts zu einer eigenständigen Disziplin, wenn der Begriff „Heilpädagogik“ auch erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts auftauchte.

Die genannten Bezeichnungen werden oft synonym verwendet. Dennoch muss angemerkt werden, dass Abweichungen in den Grundintentionen zu erkennen sind. So setzt beispielsweise die Heilpädagogik ihren Akzent auf das sinnerfüllte Leben der Betroffenen, die Sonderpädagogik stellt die spezifischen Aufgaben der betreuenden Institutionen in den Mittelpunkt und die Behindertenpädagogik reflektiert die sozialpsychologische und gesellschaftstheoretische Entstehung und Funktion von Behinderung. Gemeinsam benennen sie jedoch den Tatbestand des pädagogischen Bemühens, Menschen mit Behinderungen bei ihrem Hineinwachsen und Leben in der Gesellschaft zu unterstützen.

Direkt durchgesetzt hat sich keine der Bezeichnungen, wenn auch Sonderpädagogik seit den 1960er Jahren die am häufigsten benutzte war. In dieser Zeit etablierte sich auf der Basis des Gutachtens des Schulausschusses der KMK zur Ordnung des Sonderschulwesens ein differenziertes Sondersystem für alle Behinderungsarten (vgl. Gutachten zur Ordnung des Schulwesens 1960). Während sich damals die Sicht vorzugsweise auf die (Sonder-)Schule richtete und die Sonderpädagogik vorzugsweise eine (Sonder-)Schulpädagogik war, haben sich die Aufgaben dieser „speziellen Pädagogik“ und die Anforderungen an sie mehr und mehr erweitert und damit auch ihre Aufgabenfelder. Sie umfasst heute bewusst alle Altersstufen und Lebensbereiche.

Gegenwärtig orientiert man sich verstärkt an Begriffen wie Prävention, Inklusion und Rehabilitation oder auch inklusive Pädagogik (vereinzelt Inklusionspädagogik), u. a. auch deshalb, weil man sich vom Gedanken einer „Sonder“- beschulung mehr und mehr gelöst hat und die Inklusion des Kindes und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in allgemeinen Einrichtungen in den Vordergrund stellt.

Inklusive Pädagogik

Biewer (2017, 204) definiert Inklusive Pädagogik als

„Theorien zur Bildung, Erziehung und Entwicklung, die Etikettierung und Klassifizierungen ablehnen, ihren Ausgang von den Rechten vulnerabler und marginalisierter Menschen nehmen, für deren Partizipation in allen Lebensbereichen plädieren und auf eine strukturelle Veränderung der regulären Institutionen zielen, um der Verschiedenheit der Voraussetzungen und Bedürfnisse aller Nutzer / innen gerecht zu werden“.

Nachfolgend wird zunächst noch mit dem Begriff „Sonderpädagogik“ weitergearbeitet, da mit ihm gegenwärtig noch die größte Allgemeinverständlichkeit gewährleistet ist. Es ist jedoch davon auszugehen, dass – wie schon wiederholt in der Geschichte der Pädagogik, die sich mit Kindern und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf befasst – es zu begrifflichen Neuerungen kommt. Sonderpädagogik wird, so von Stechow 2016, klassisch als „Pädagogik für besondere Schulen“ gesehen. Das traf jedoch für die Hörgeschädigtenpädagogik niemals zu. Sie hat sich seit ihren Anfängen stets für „über die Lebensspanne“ zuständig gefühlt und weicht damit von ihrem Grundverständnis von der Mehrheit der anderen sonderpädagogischen Fachrichtungen ab (Kap. 15).

Abbildung 1 stellt die einzelnen sonderpädagogischen Teildisziplinen in der Form vor, wie sie aktuell noch an den meisten sonderpädagogischen Ausbildungsstätten (i. S. einer „Fachrichtung“) – allerdings mit großen Unterschieden (s. Schwerpunktheft „Studium der Sonderpädagogik in Zeiten der Inklusion“ 2018) – gelehrt werden. Die Bezeichnung der Teildisziplinen (Fachrichtungen) stimmt nicht immer mit der Bezeichnung der Sonderschularten überein: So studiert man in Bayern das Lehramt für Sonderpädagogik mit der vertieft studierten Fachrichtung Geistigbehindertenpädagogik, arbeitet aber am Förderzentrum bzw. an der Förderschule, Förderschwerpunkt geistige Entwicklung oder ist für Schüler mit Förderbedarf geistige Entwicklung in inklusiven Settings tätig, ebenso wie man das Lehramt für Sonderpädagogik mit der vertieft studierten Fachrichtung Verhaltensgestörtenpädagogik studiert, der Schüler aber am Förderzentrum bzw. der Förderschule, Förderschwerpunkt soziale und emotionale Entwicklung, lernt oder in inklusiven Einrichtungen betreut wird.

Ausbildung der Hörgeschädigtenpädagogen Gehörlosen- oder Schwerhörigenpädagogik bzw. Hörgeschädigtenpädagogik kann man an den Universitäten in Berlin (als Gebärdensprach- und Audiopädagogik), Hamburg (Pädagogik bei Beeinträchtigung des Hörens / Gebärdensprache), Köln (Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation) und München (Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik) sowie an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg (Hörgeschädigtenpädagogik) studieren. Mitunter sind Schwerpunktsetzungen für den schulischen Bereich (also einem Studium des Lehramts) oder dem vor-, neben- bzw. außer- oder nachschulischen Bereich möglich (z. B. in München und Köln). Des Weiteren studiert man in Berlin, Hamburg, Köln und Heidelberg zusätzlich eine weitere sonderpädagogische Fachrichtung (was eine gewisse Breite mit sich bringt), während man in München (noch) eine Fachrichtung (diese dafür vertieft) studiert, was wiederum zu einer höheren Spezialisierung führt.

Weitere sonderpädagogische Teildisziplinen Abbildung 1 spiegelt nicht alle möglichen Teildisziplinen wider. So hat sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine Taubblindenpädagogik entwickelt, die sich Ende des 20. Jahrhunderts als Taubblinden-/Hörsehgeschädigtenpädagogik formierte. Einen eigenen Studiengang dafür gibt es in Deutschland nicht, allerdings ist ein Studienschwerpunkt Taubblindenpädagogik / Hörsehbehindertenpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg im Entstehen. In Einrichtungen für Taubblinde bzw. Hörsehgeschädigte tätige Lehrer studieren meist Gehörlosen- bzw. Schwerhörigen- oder Blinden- bzw. Sehgeschädigtenpädagogik oder beide Fachrichtungen, obwohl Taubblindheit bzw. Hörsehschädigung ein völlig eigenständiges Erscheinungsbild hat. Auch für eine Pädagogik bei Krankheit gibt es kein eigenständiges Studium.


Abb. 1: Einteilung der Sonderpädagogik in Teildisziplinen

Klauer nimmt in seiner Publikation noch die Schwerstbehindertenpädagogik mit auf, die von dem Verfasser des Kapitels (Anstötz) aber als Zweig der Geistigbehindertenpädagogik beschrieben wird (1992, 150).

Eine weitere Sichtweise ist die, dass auch die Hochbegabtenpädagogik als sonderpädagogische Fachrichtung anzusehen sei. Das basiert auf dem Grundgedanken, dass sich die Sonderpädagogik mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen befasst, die besondere Aufmerksamkeit, Förderung und Zuwendung benötigen. Dazu gehören (zweifelsfrei) auch die Hochbegabten. Die Zugehörigkeit der Hochbegabtenpädagogik zur Sonderpädagogik wird in Deutschland z. B. vertreten durch Hoyningen-Süess (1989) und Feger (1990), indirekt auch durch Klauer (1992), der in seinem Buch „Grundriß der Sonderpädagogik“ neben den (bekannten) sonderpädagogischen Fachrichtungen der Hochbegabtenpädagogik ein eigenständiges Kapitel (verfasst von Feger) einräumt. Damit schloss man sich grundsätzlichen Überlegungen aus den USA an. Dort ist die Hochbegabtenpädagogik Bestandteil der Sonderpädagogik („special education“, wörtlich übersetzt: Sondererziehung; in jüngster Zeit wird im englischsprachigen Raum statt „special education“ zunehmend von SEN „Special Education Needs” gesprochen) und fester Bestandteil der Lehreraus- und -weiterbildung.

Ziel der Hörgeschädigtenpädagogik Das Ziel der Hörgeschädigtenpädagogik ist es, Gehörlose, Schwerhörige, im Sprachbesitz Ertaubte, CI-Träger, aber auch Mehrfachbehinderte mit Hörschäden zu befähigen, sich durch eigenes aktives soziales Tätigsein zu verwirklichen, ihre Identität zu finden und sich sozial zu integrieren. Da Integration als wechselseitiger (hier: zweiseitiger) Prozess anzusehen ist, müssen die Hörenden zur Integration der Hörgeschädigten beitragen. Wenn das gesellschaftlich angestrebte Ziel der Inklusion erreicht ist, haben sich die Strukturen den individuellen Bedürfnissen angepasst. Das, was aktuell in den Schulen vorgefunden wird, ist (noch) Integration (Leonhardt 2011a), obwohl von Inklusion und inklusiven Schulen gesprochen wird. Als Teilziele der Hörgeschädigtenpädagogik werden – unter Beachtung der subjektiven Voraussetzungen – des Weiteren angesehen:

– das Erwerben einer umfassenden Bildung;

– die Entwicklung und Ausformung ihrer Persönlichkeitsqualitäten, um ihnen eine uneingeschränkte Teilnahme und Teilhabe am Leben der Gesellschaft zu ermöglichen;

– die Entscheidungskompetenz des Hörgeschädigten, in welcher der sozialen Gruppierungen er leben möchte (in der lautsprachlich geprägten Gemeinschaft Hörender, in der vorwiegend gebärdensprachlich kommunizierenden Gemeinschaft der Gehörlosen, inmitten der Gruppe von Schwerhörigen oder auch durch einen häufigeren Wechsel seiner Bezugssysteme in Abhängigkeit seines jeweils aktuellen Bedürfnisses oder Anliegens).

Hauptziel: Kommunikative Kompetenz Das Hauptziel der Hörgeschädigtenpädagogik ist, dem Hörgeschädigten (unabhängig von Art und Ausmaß des Hörschadens) den Erwerb kommunikativer Kompetenzen zu ermöglichen. Damit wird es ihm möglich, sprachliche Interaktionen durchzuführen und sich mit Gesprächspartnern dialogisch zu verständigen. Das Erwerben einer kommunikativen Kompetenz ist letztendlich Voraussetzung für das Erreichen und Verwirklichen aller anderen (bereits genannten) Zielaspekte. Ohne eine angemessene sprachliche, kommunikative und soziale Kompetenz ist weder das Aneignen kultureller Werte, noch die Ausformung seiner Persönlichkeit, noch die selbstständige, von äußerer Hilfe unabhängige Lebensführung (z. B. zur Absicherung der Existenz) möglich.

2.3 Gegenstand der Hörgeschädigtenpädagogik

Die Frage nach dem Gegenstand einer Wissenschaft läuft darauf hinaus zu kennzeichnen, womit sich diese Wissenschaft beschäftigt. Die Antwort sollte möglichst in Form einer Definition gegeben werden.

Der Kennzeichnung des Gegenstandes der Hörgeschädigtenpädagogik soll, in Anlehnung an das Vorgehen im letzten Kapitel, zunächst die Bestimmung des Gegenstandes der (Allgemeinen) Pädagogik, der Sonderpädagogik und dann der Inklusionspädagogik vorangestellt werden.

Eine Literaturanalyse hat ergeben, dass es offensichtlich im Rahmen der Pädagogik schwierig ist, eine Gegenstandsbestimmung zu formulieren, die eine weitgehende Zustimmung der Vertreter der oft sehr unterschiedlichen Richtungen und Strömungen innerhalb der Pädagogik findet. So belassen es Kron et al. (2013, 18ff) bei einer Aufzählung und teilweisen Beschreibung von 11 Gegenstandsbereichen der Pädagogik. Auch die recht umfängliche Bestimmung des Begriffs „Pädagogik“ im Band 2 des Nachschlagewerkes „Pädagogische Grundbegriffe“ (hrsg. von Lenzen 1989) lässt eine direkte Gegenstandsbestimmung aus. Eine konkrete Formulierung ist auch nicht bei Lassahn (2000) und Schröder (1992) zu finden.

Vermutlich beruhen die Schwierigkeiten einer Fassung des Gegenstandsbereiches darauf, dass die (Allgemeine) Pädagogik sich in zahlreiche, mehr oder weniger eigenständige, Subdisziplinen aufgegliedert hat, die wiederum für sich einen relativ abgrenzbaren Gegenstandsbereich reklamieren.

Im Gegensatz dazu herrscht jedoch beispielsweise in der Psychologie trotz ihrer unterschiedlichen Schulen und Teilgebiete ein weitgehender Konsens darüber, was der Gegenstand des Faches ist (Zimbardo / Gerrig 2004, 3).

Nachfolgend wird die Gegenstandsbestimmung für die Allgemeine Pädagogik von Keßler / Krätzschmar (1993, 3 und 5) vorgestellt, die für weitere Überlegungen geeignet erscheint:

Allgemeine Pädagogik

Die Allgemeine Pädagogik beschäftigt sich mit übergreifenden Fragestellungen, erforscht das Wesen pädagogischer Prozesse, und sie erfasst die historischen Dimensionen erziehungswissenschaftlicher Inhalte. Sie reflektiert gesellschaftliche, philosophische und anthropologische Ursprünge und Grundlagen in ihrem Gegenstandsbereich.

Die Gegenstandsbestimmung für Sonderpädagogik scheint ähnlich schwierig zu sein – vgl. Bleidick 1974, 192 – 207; Gerspach 1989, 73 – 88; Marx 2001, 1394 – 1396; Kobi 2004, 127 – 135; Bach 1995, 11 und Haeberlin 1998, 25 – 44. Bedingt scheint das durch den jeweiligen theoretischen Ansatz und die darauf aufbauenden Überlegungen. Nachfolgend sollen zwei der genannten vorgestellt werden:

Gegenstand der Behindertenpädagogik nach Bleidick Bleidick (er verwendet den Begriff Behindertenpädagogik) sieht das sonderpädagogische Gegenstandsgebiet in den drei Gegenstandsfeldern

■ Behinderung,

■ Behinderung der Erziehung,

■ Erziehung der Behinderten.

Die drei aufeinander bezogenen Inhalte des Gegenstandes werden wie folgt gefasst:

1. Bei der Bestimmung des Begriffs Behinderung wird von einer pädagogischen Systematik ausgegangen. Es wird sich also auf jene eingeschränkt, die pädagogisch relevant sind, „d. h. die sich als Behinderungen des Erziehungsgeschäfts erweisen und der besonderen Erziehung der von ihnen Betroffenen bedürfen“ (1974, 193).

2. Behinderung der Erziehung. Die Behinderung schlägt sich als eine intervenierende Variable der Erziehung nieder. Es liegt eine „Störung der Bildsamkeit“ (Bildungsbehinderung) vor.

3. Erziehung der Behinderten. Angesichts der Beeinträchtigungen des Bildungsprozesses ist es notwendig, auf diese Erschwerung der Erziehung „einzugehen“. Dies ist mit den üblichen Mitteln der Pädagogik nicht zu leisten. Die Erziehung der Behinderten ist „besondere Erziehung“, Sondererziehung (1974, 193).

In späterer Literatur von Bleidick (1998, 27 – 29) ist die Begrifflichkeit und damit die Formulierung entsprechend der allgemeinen Entwicklung aktualisiert. Der wissenschaftliche Grundgedanke bleibt aber erhalten.

Der Begriff der Behinderung ist für die Pädagogik der Behinderten zentrales Bestimmungsmoment. Bildlich gesprochen „unterbricht“ die Behinderung zunächst den Vorgang der Erziehung. Bleidick beschreibt das an Beispielen:

„Der blinde Schüler kann die Tafel nicht sehen, auf der der Lehrer für die übrigen Schüler der Klasse etwas anschreibt. Der Gehörlose ist im buchstäblichen Sinne nicht ,ansprechbar’. Der Geistigbehinderte besitzt nicht die Aufnahmefähigkeit, die für das Erlernen bestimmter Kulturfunktionen erforderlich erscheint“ (27).

Der Kerngedanke des Behinderungsbegriffs wird darin gesehen, dass Behinderung eine „intervenierende Variable des Erziehungsvorgangs“ ist.

„Gemeint ist damit, dass die Behinderung die Lernbedingungen in entscheidender Weise verändert. Aus diesem Sachverhalt bezieht die Sondererziehung ihren Auftrag. Mit der Erschwerung des Lerngeschehens soll nämlich nicht gesagt sein, dass ein Defekt, ein Mangel, eine funktionelle Störung die Ziele der Erziehung und des Unterrichts dauerhaft verstellen oder ihr Erreichen unmöglich machen. Man kann das so definieren: Ein pädagogischer Begriff von Behinderung liegt dann vor, wenn sich der Educandus aufgrund seiner Behinderung nicht mit den ,üblichen‘ Mitteln erziehen und unterrichten lässt und spezieller, ,besonderer‘ pädagogischer Verfahrensweisen bedarf“ (28).

Unterricht und Erziehung sind erschwert; sie unterliegen besonderen Bedingungen. Erziehung i. w. S. meint die Zusammenfassung aller beeinflussenden Maßnahmen, mit denen Ältere auf Jüngere als noch zu Erziehende einwirken. „Behinderung als intervenierende Variable des Erziehungsvorgangs bezeichnet … die Gesamtveränderung der pädagogischen Förderung“ (28). Erziehung i. e. S. ist gemeint, wenn Unterricht und Erziehung gegenübergestellt werden:

„Unterricht meint hier den Bildungsvorgang, der im engeren Sinne als Lernen umschrieben wird. Erziehung meint die Führung zur Mündigkeit, womit soziale Selbstständigkeit und soziale Eingliederung gemeint sind“ (28).

Bleidick kommt zu folgenden Bestimmungen: Definition der Behinderung im pädagogischen Sinne: Als behindert im pädagogischen Sinne gelten Kinder, Jugendliche und Erwachsene, deren Lernen und deren soziale Eingliederung erschwert sind (1998, 29). Als Gegenstand bestimmt er:

Gegenstand der Behindertenpädagogik ist das Lernen und die soziale Eingliederung angesichts erschwerten Lernens und erschwerter sozialer Eingliederung.

Gegenstand der Sonderpädagogik nach Bach Bach (er verwendet den Begriff Sonderpädagogik) sieht den Gegenstand der Sonderpädagogik folgendermaßen:

„Sonderpädagogik erstreckt sich

– auf alle Arten der Beeinträchtigungen (also nicht nur auf Behinderungen, sondern ebenso auf Störungen, Gefährdungen und Sozialrückständigkeiten),

– auf alle Formen von Beeinträchtigungen (und nicht nur auf intellektuelle, sondern ebenso auf sensorielle, motorische und anderen Formen),

– auf alle Altersstufen (und nicht nur auf die Kindheit, sondern ebenso auf das Säuglings- und das Erwachsenenalter) und

– auf das ganze Erziehungsfeld (und nicht nur auf die Schule, sondern ebenso auf das familiäre und auf andere Erziehungsfelder)“ (1995, 11) (Abb. 2).

Unter „Beeinträchtigung“ versteht Bach die Erschwerung der Personalisation und Sozialisation eines Menschen. Gekennzeichnet ist sie objektiv durch Unregelhaftigkeiten in den Bereichen des Erziehungsprozesses. Liegt diese objektive Feststellung noch nicht vor, spricht man von „Auffälligkeit“.

Gegenstand der Inklusionspädagogik nach Sander Sander (2003) baut seine Gegenstandsbestimmung von Inklusionspädagogik auf einer Gegenstandsbestimmung von Integrationspädagogik auf. Gegenstand der Integrationspädagogik ist nach ihm „die gemeinsame Erziehung und Unterrichtung nichtbehinderter und behinderter Kinder und Jugendlicher“ (313). Er plädiert für ein über Integration hinausgehendes Verständnis von Inklusion und definiert:

Gegenstand der Inklusionspädagogik ist … die gemeinsame Erziehung und Unterrichtung aller Kinder und Jugendlicher mit welchen pädagogischen Bedürfnissen auch immer (a.a.O).

Gegenstand der Hörgeschädigtenpädagogik Folgt man der gedanklichen Kette, dass die Hörgeschädigtenpädagogik ein Teilgebiet der Sonderpädagogik und der sich aus ihr entwickelnden Inklusionspädagogik ist und diese wiederum ein Teilgebiet der Pädagogik sind, so sind der Hörgeschädigtenpädagogik deren Gegenstandsbereiche immanent.

Es sei an dieser Stelle noch einmal betont, dass sich Pädagogik, und damit auch die Hörgeschädigtenpädagogik, auf alle Phasen des Lebensalters bezieht. Ein Hörschaden kann zu jedem Zeitpunkt des Lebens eintreten, so z. B. prä- oder perinatal oder als Folge eines Hörsturzes in der Lebensmitte oder auch als Folge des Alterns (Altersschwerhörigkeit). Entsprechend muss auch die Gegenstandsbestimmung der Hörgeschädigtenpädagogik vorgenommen werden.


Abb. 2: Gegenstandsbereich der Sonderpädagogik nach Bach 1995

In Anlehnung an die oben genannte Gegenstandsbestimmung von Bleidick könnte man die der Hörgeschädigtenpädagogik folgendermaßen formulieren:

Der Gegenstand der Hörgeschädigtenpädagogik sind die besonderen Bedingungen des Lernens und der sozialen Eingliederung und Inklusion von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Hörschädigung. Für die wissenschaftstheoretische Diskussion ist folgende Überlegung lohnenswert: Bei der Gegenstandsbestimmung der Hörgeschädigtenpädagogik ist die der allgemeinen Pädagogik um die Dimension, die sich aus dem dynamischen Charakter einer Hörbehinderung resp. Hörschädigung ergibt, zu erweitern (Pöhle 1994, 37).

Unter dem „dynamischen Charakter der Hörbehinderung wird verstanden, dass Auffälligkeiten (z. B. im Verwenden der Sprache oder im sozialen Verhalten) dem Hörgeschädigten nicht wesenseigen sind. Sie haben sich herausgebildet, weil die anatomisch-physiologischen Entwicklungsvoraussetzungen des Hörgeschädigten (z. B. des hörgeschädigten Kindes) und seine Entwicklungsbedingungen einander nicht bzw. nicht hinreichend entsprechen. Da sie jedoch Ergebnis eines Prozesses sind, lassen sie sich auch durch prozessuale, fördernde pädagogische Einwirkungen verändern“ (18).

Große (2001, 17f) teilt bei seiner Gegenstandsbestimmung die Hörgeschädigtenpädagogik (dort Hörbehindertenpädagogik) in Erkenntnisstufen ein. Die 1. Ebene (=Realbereich) bildet das spezifische erzieherische Handeln mit und für den hörgeschädigten Menschen (=Gegenstand). Auf der 2. Ebene bildet der Realbereich den Gegenstand der gedanklichen Reflexion. Der Mensch mit Hörschädigung ist als konstitutives Element des Bildungs- und Erziehungsprozesses eingeordnet und besitzt als solcher Relevanz. Auf der 3. Ebene ist die Hörgeschädigtenpädagogik als Wissenschaft Gegenstand.

Der bisher geführten Diskussion soll sich folgende Überlegung anschließen: Die Hörgeschädigtenpädagogik sieht nicht die eingeschränkte, veränderte oder im Extremfall ausgefallene auditive Perzeption als ihren Gegenstand, sondern die bestehenden Entwicklungspotenziale. Die folgende Gegenstandsdefinition für die Hörgeschädigtenpädagogik dürfte heute weitgehende Zustimmung finden:

Hörgeschädigten pädagogik

Gegenstand der Hörgeschädigtenpädagogik ist das Gewährleisten einer allumfassenden und uneingeschränkten Entwicklung Hörgeschädigter durch hörgeschädigtenspezifische Bildung, Erziehung, Förderung und (Re-)Habilitation.

Rehabilitation meint hier einen interdisziplinär angelegten Prozess, der die Auswirkungen der Hörschädigung auf das Leben der Betroffenen mindern will. Habilitation leitet sich vom Verb habilitare ab und bedeutet jemand befähigen, geschickt oder geeignet machen.

Die Hörgeschädigtenpädagogik will von ihrem Selbstverständnis her nicht nur beschreibend, sondern gegebenenfalls auch gestaltend tätig sein. Damit verfügt sie gleichermaßen über einen allgemeinen wie auch angewandten Wissenschaftszweig.

Forschung und Praxis der Hörgeschädigtenpädagogik akzentuierten in den vergangenen Jahren vor allem den hörgerichteten Spracherwerb und die bilinguale Erziehung, aktuell wenden sie sich eher Fragen der inklusiven Beschulung insbesondere unter den Aspekten der Beschulung lautsprachlich und gebärdenprachlich kommunizierender Schüler zu (Leonhardt 2018a).

Alle sonderpädagogischen Teildisziplinen sind auf interdisziplinäre Zusammenarbeit angewiesen, insbesondere aber die Pädagogiken der Sinnesbehinderten (also die Hörgeschädigtenpädagogik und die Sehgeschädigtenpädagogik). Gleichsam werden sie von „außen“ (also von anderen Wissenschaftsdisziplinen oder von allgemeinen bildungspolitischen Bestrebungen) beeinflusst und zu neuen Denkansätzen veranlasst. Beispielhaft seien für die vergangenen Jahre Forschungsergebnisse aus der Linguistik über die Gebärdensprache und Entwicklungen im Rahmen der HNO-Heilkunde im Zusammenhang mit den Cochlea Implantationen genannt. Für die aktuellen Entwicklungen sind vorrangig die bildungspolitischen Bemühungen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hervorzuheben.


Weiterführende Literatur zur Theoriebildung der Sonderpädagogik: – Biewer (2017): Grundlagen der Heilpädagogik – Bleidick (1974): Pädagogik der Behinderten – Bleidick (1998): Einführung in die Behindertenpädagogik, Band I. – Bleidick (1999): Behinderung als pädagogische Aufgabe – Dederich et al. (2016): Handlexikon der Behindertenpädagogik – Haeberlin (2005): Grundlagen der Heilpädagogik. – Hedderich et al. (2016): Handbuch der Inklusion und Sonderpädagogik. – Kobi (2004): Grundfragen der Heilpädagogik. – Moser / Sasse (2008): Theorien der Behindertenpädagogik. – Speck (2008): System Heilpädagogik. – Für einen allgemeinen Überblick über die Sonderpädagogik bietet sich an: Klauer (1992): Grundriß der Sonderpädagogik.

2.4 Übungsaufgaben zu Kapitel 2

Aufgabe 1

Warum sind möglichst exakte Begriffsbestimmungen (z. B. von Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit) unumgänglich?

Aufgabe 2

Aus der Sicht der Medizin und aus der Sicht der Pädagogik wird der Begriff „hörgeschädigt“ unterschiedlich bestimmt. Worin besteht der wesentliche Unterschied?

Aufgabe 3

Wann entwickelten sich eigenständige Schwerhörigenschulen? Wonach sollte die Trennung in gehörlose und schwerhörige Schüler erfolgen?

Aufgabe 4

Worin zeigt sich die erweiterte Aufgabenstellung des Förderzentrums, Förderschwerpunkt Hören im Vergleich zur allgemeinen Schule?

Aufgabe 5

Welche Teilgebiete der Sonderpädagogik sind Ihnen außer der Hörgeschädigtenpädagogik bekannt?

Aufgabe 6

Was ist als Hauptziel der Hörgeschädigtenpädagogik anzusehen?

Aufgabe 7

Was ist der Gegenstand der Hörgeschädigtenpädagogik?

Aufgabe 8

Erarbeiten Sie sich anhand der Ausführungen in Kapitel 2 und durch Zuhilfenahme weiterer Fachliteratur (z. B. Lenzen [2004], Bleidick u. a. [1998], Wisotzki [1994] und Claußen [1995]) folgende Übersicht:

Allgemeine PädagogikSonderpädagogikHörgeschädigtenpädagogik
Begriff (Was ist …?)
Aufgabe / Ziel (Wozu braucht man …?; Was beabsichtigt …?)
Gegenstand (Womit beschäftigt sich …?)
Grundwissen Hörgeschädigtenpädagogik

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