Читать книгу Café oder Liebe - Annie Sattler - Страница 4

Wochenend‘ und Sonnenschein

Оглавление

Es war ungewöhnlich warm für Mitte Mai an diesem Samstagmorgen in Berlin und Charlotte hatte schlechte Laune. Sie stand kurz vor dem Auszug von ihrem Ex-Freund, mit dem sie über fünf Jahre zusammen war und obwohl beide die Wohnung in zwei Bereiche geteilt hatten, war es dennoch anstrengend, die letzten Wochen mit ihm zusammen zu wohnen. Zwar sahen sie sich nur noch zehn Minuten am Tag, aber stritten dann meistens miteinander, denn es lagen für beide eine Spannung und eine ungewisse Zukunft in der Luft.

Dennoch es gab einen Lichtblick: Lena und Clemens, Freunde von Charlotte aus der Pfalz, waren an diesem Wochenende in der Stadt. Charlotte kannte Lena schon fast zehn Jahre. Damals waren sie lange Zeit Arbeitskolleginnen in einer Medienagentur in Frankfurt gewesen, wo Charlotte als Marketingassistentin arbeitete und Lena die Grafikabteilung leitete. Clemens, ihr Mann, war Winzermeister und führte das familienbetriebenen Weingut an der Nahe in vierter Generation. Er war mit Frau, Kind und Wein nach Berlin gereist, um in einem Café am Wannsee ein ganzes Wochenende lang den Gästen eine Tisch-Weinprobe anzubieten. Charlotte war am späten Vormittag zunächst mit Lena und ihrem einjährigen Sohn Julius zum Shoppen verabredet, worauf sie sich sehr freute. Denn sie unternahm zu dieser Zeit alles liebend gerne, solange kein Mann dabei war. Sie trafen sich in der Wilmersdorfer Straße und ließen kein Geschäft aus. Die Einkaufsstraße war gewöhnlich und sah aus, wie die Fußgängerzone in jeder anderen deutschen Stadt. Gerade deshalb ging Charlotte bevorzugt dort einkaufen. Keine Touristen, keine Hipster und wenig Taschendiebe. Sie kaufte charmante Accessoires für ihre neue Wohnung und Lena erstand ein paar neue Sommerkleider sowie reichlich hübsche Sachen für Julius.

Sie bräuchte irgendwann auch ein Kind, dachte sich Charlotte. Da hat man gleich noch einen weiteren Grund shoppen zu gehen! Sie war immer wieder überrascht, was für schöne Kleidung es heutzutage für Kinder gab.

Nach der Shopping-Tour tranken sie noch einen Kaffee und plauderten endlos über die vergangenen Jahre und die gegenwärtigen Abenteuer, bevor sie mit dem Bus an den Wannsee in das Café fuhren. Die Zeit mit Lena zu verbringen, hatte Charlotte in ihrem derzeitigen Zustand unbeschreiblich gut getan und sie von ihrer Umbruchssituation ein wenig abgelenkt.

Nach einer dreiviertelstündigen Busfahrt kamen sie am Wannsee an. Die idyllische Lage empfand Charlotte als tief beeindruckend. Das Café, namens Café Depenbrock, befand sich in einer alten Villa mit einer großflächigen grünen Wiese, direkt am Seeufer gelegen, welche zur Landseite hin von einem weiten, blühenden Garten umgeben war. Das Anwesen war wahrhaftig schön, auch wenn man dem Gebäude die vergangenen zwei Jahrhunderte bereits ansah. Die Kulisse war gerade deswegen umso romantischer und traumhaft. Wie im Urlaub! Und so fühlte Charlotte sich auch. Über das grüne Wannseeufer blickte sie auf weites, tiefblaues Wasser, welches im strahlenden Sonnenschein glitzerte und auf dem unzählige weiße Segelboote durch den warmen Nachmittag trieben.

Clemens kam die prunkvolle kleine Treppe aus dem Café-Eingang runtergeeilt und begrüßte Charlotte. Gleich darauf kam der Inhaber des Cafés ihm hinterher und wurde Charlotte vorgestellt.

»Hallo, ich bin Daniel, es freut mich«, sagte er, blickte ihr fest in den Augen und grinste.

»Hi… Charlotte«, erwiderte sie und lächelte schüchtern zurück.

In diesem Moment war sie verlegen, aber auch gleichzeitig fasziniert. Fasziniert von seinen strahlenden Augen, seinem Lächeln und seiner dynamischen, aber freundlichen Art.

Er zündete sich eine Zigarette an und unterhielt sich eine Weile mit ihnen. Daniel erzählte, dass er später mit ein paar Mitarbeitern hier noch Fußball gucken würde, dass er anschließend noch eine Stunde lang nach Hause fahren müsse und erst um 1.00 Uhr ins Bett käme, aber morgen schon um 6.00 Uhr wieder aufstehen müsse. Charlotte schaute ihn verträumt an. Er tat ihr leid, weil er so einen langen Arbeitsweg hatte und gerade als sie sich fragte, wo genau er in Berlin wohl wohne, riss Lena sie aus ihren Gedanken und wollte wissen, was sie für morgen geplant habe.

»Eigentlich wollte ich nach Pankow ins Freibad.«

»Na, sonnen kannst du doch auch hier!«, meinte Lena. »Komm doch morgen wieder hier her, Herzchen! Dann können wir uns mit Julius an den See legen.«

Sie schämte sich kurz, dass Lena sie „Herzchen“ nannte, aber da sie nun mal Herz, also Charlotte Herz hieß, durfte sie das. Dennoch befürchtete sie, dass Daniel dies bestimmt kindisch fand. Ihre anderen Freundinnen nannten sie am liebsten Charlie, was Charlotte um vieles sympathischer fand.

»Etwas Sonne würde dir bei deiner Büroblässe sicher gut tun«, lachte Clemens.

»Entschuldige bitte, dass ich nicht auf einem Weinberg arbeite!«, hielt Charlotte scherzhaft dagegen.

»Ja, komm doch morgen wieder her und bringe deinen Bikini mit!«, fügte Daniel zwinkernd hinzu.

Oh nein, er würde sie sicherlich nicht im Bikini sehen, dachte Charlotte schüchtern. Das hätte er wohl gerne!

Am nächsten Tag fuhr sie schließlich mit dem Bus wieder an den Wannsee und freute sich, an diesem sonnigen Tag mit Lena und Julius auf der Wiese am Wannseeufer zu entspannen und etwas Sonne zu tanken. Daniel kam aus dem Grinsen und Strahlen gar nicht mehr raus, als sie wieder in seinem Café erschien. Er begrüßte sie mit: »Hey, meine Süße! Schön, dass du heute auch wieder da bist!«, und gab ihr einen Latte Macchiato aufs Haus aus. Dafür musste sie ihm nur versprechen bald wieder vorbeizukommen, da sie ja in Berlin lebe und es nicht so weit habe wie Lena und Clemens.

Nachdem Lena und Charlotte ihren Kaffee ausgetrunken hatten, gingen sie mit Julius zusammen über die große Wiese direkt an den See und machten es sich am Ufer gemütlich, während Clemens den Café-Gästen weiterhin seine Weine anbot. Charlotte genoss es sehr, den warmen, sonnigen Frühlingstag mit ihrer langjährigen Freundin in der Natur zu verbringen und merkte, dass sie viel öfters aus Berlin rausfahren sollte. Dieses Wochenende war wirklich ein Kurzurlaub für ihre aufgewühlte Seele. Sie spielten mit Julius, machten ein paar Fotos und Charlotte berichtete Lena ausführlich von ihrer kleinen neuen Wohnung am Tiergarten, die sie in zwei Wochen beziehen würde. Später machte Lena noch unzählige Bilder von Daniel und seinem Café für seine neue Website, die sie ihm gestalten wollte.

Den ganzen Tag über war Daniel sehr beschäftigt, aber am Abend, als alle zusammenpackten und aufräumten, beobachtete er Charlotte immer wieder, wie sie mit Julius, der auf ihrem Schoß saß, spielte.

»Du hast noch kein Kind, oder Charlotte?«, fragte er sie plötzlich aus dem nichts und überraschte sie sichtlich mit dieser direkten Frage.

»Nein«, antwortete Charlotte höflich. »Noch lange nicht.«

Fragt er das jede, oder was ging hier vor sich?

Er grinste und verschwand wieder in Richtung Küche.

Später, als sie sich verabschiedeten, erwähnte Daniel abermals, dass sie doch wieder vorbeikommen solle.

»Klar, wenn schönes Wetter ist, fahre ich gerne mal wieder hier her«, sagte sie freundlich und unverbindlich.

Und ob sie das tun würde! Charlotte freute sich, dass Daniel sie anscheinend mochte oder zumindest attraktiv fand – oder im besten Fall beides! Daniel hatte das Café erst Anfang des Jahres übernommen und die Renovierungsarbeiten waren noch nicht vollständig abgeschlossen. Im Juni war die offizielle Eröffnungsfeier geplant, eine großes Sommerfest mit Live-Musik. Als Charlotte am Abend mit Lena, Clemens und Julius in Charlottenburg noch Essen ging, erzählte ihr Clemens, dass er zu Daniels Sommerfest wieder mit seinem Weinstand vorbeikommen wolle und fragte sie, ob sie Lust hätte, ihm an der Theke beim Wein ausschenken zu helfen. Charlotte willigte sofort ein. Spätestens dann würde es also ein Wiedersehen mit Daniel geben! Außerdem hatte sie auch große Lust darauf, mal wieder hinter einer Bar zu arbeiten, denn sie hatte vor Jahren mehrfach auf dem Museumsuferfest in Frankfurt hinter der Theke gejobbt und Cocktails gemischt. Charlotte freute sich selbstverständlich auch, so bald auch Lena und Clemens wiederzusehen.

»Wirst du denn noch einmal hinfahren, zu Daniels Café?«, fragte Lena sie beim Abendessen.

»Ganz bestimmt! Es ist wunderschön dort!«

»Und Daniel ist ja schon ein Schnittchen!«

»Ja, er ist irgendwie nett«, bestätigte Charlotte sie.

Lena hatte Recht! Als sie diesen Satz aussprach, hatte sich in Charlottes Kopf ein Schalter umgelegt. Daniel war ein Schnittchen! Und sie war jetzt wieder Single. Charlotte musste erneut in sein Café kommen – und zwar bald!

»Mach‘ dir keine Sorgen«, sagte Charlotte zu ihrer Freundin Jenni in Frankfurt, als sie ihr am Telefon von ihrem Wochenende berichtete.

»Ich bin nicht verliebt in diesen Daniel, aber vielleicht ein bisschen verknallt. Jedenfalls ist es ein tolles Gefühl begehrt zu werden und nicht so angestänkert zu werden, wie mein toller Ex-Freund das ja immer gut konnte.«

»Du kennst ihn doch gar nicht. Du hast ihn doch bloß einmal gesehen!«

»Nein Jenni, zweimal. Am Samstag und am Sonntag!«, korrigierte Charlotte sie.

»Ich finde ihn nun mal irgendwie interessant und möchte ihn näher kennenlernen. Was auch sonst?«

»Ich gönne es dir ja, dass du bereit bist, dich für einen neuen Mann zu interessieren. Aber übertreibe es nicht!«

»Komm schon, wer hätte nach diesem doch etwas frustrierenden Frühling gedacht, dass der Sommer für mich noch so eine Wendung nimmt?«, flötete sie euphorisch.

»Pass einfach auf dich auf!«, waren Jennis mütterlichen Worte am Ende des Telefonats.

Die ganze Woche ging ihr Daniel nicht mehr aus dem Kopf. Charlotte saß an ihrem Arbeitsplatz, träumte von ihrem Wochenende am Wannsee und konnte sich kaum noch auf ihre aktuellen Tätigkeiten konzentrieren. Da der Mai so vollgespickt mit Feiertagen war, herrschte im ganzen Büro auch ein eher langsames Arbeitstempo, sodass ihre Tagträumerei nicht besonders auffiel. Als Lena ihr ein paar Bilder vom Wochenende per E-Mail schickte, auf denen auch Daniel abgelichtet war, war es endgültig um sie geschehen. Wenn man mit Tagträumen Geld verdienen könnte, dann wäre sie inzwischen Millionärin! Charlotte musste schnellstmöglich in Daniels Café, um ihn wiederzusehen und herauszufinden, was er für sie empfand – wenn er überhaupt etwas für sie empfand. Aber sie war sich unsicher, ob sie schon gleich am nächsten Wochenende wieder dort erscheinen sollte. Das wäre zu auffällig, folgerte Charlotte. Aber wer weiß, ob eine weitere Woche später das Wetter noch so schön sein würde? Außerdem konnte sie nicht noch eine endlose Woche rumsitzen und vor sich hin träumen.

Am Samstagnachmittag telefonierte Charlotte mit Selma, die neben Jenni, eine ihrer besten Freundinnen in Frankfurt war und als Psychologin arbeitete. Sie berichtete Selma kurz von ihrer Begegnung mit Daniel am vergangenen Wochenende und seinem Café.

»Also, morgen fahre ich wieder an den Wannsee und werde Daniel in seinem Café überraschen!«

»Willst du wirklich so schnell wieder dorthin, Charlie?«, fragte Selma vorsichtig.

»Ja, ich halte es nicht noch eine Woche aus, ihn nicht zu sehen! Außerdem weiß ich nicht, wie das Wetter am nächsten Wochenende sein wird! Und ich traue mich das bestimmt auch nicht mehr, wenn ich noch eine weitere Woche warte.«

»Ich freue mich ja, dass du wieder einen Mann gefunden hast, der dir so gut gefällt. Dann schaue ihn dir mal näher an. Ich wünsche dir viel Glück und melde dich danach mal, um zu berichten, wie es gelaufen ist!«

»Danke! Ich bin so aufgeregt, aber ich werde mein Bestes geben!«, sagte Charlotte und war erleichtert über Selmas Beistand.

»Wie heißt sein Café eigentlich?«

»Café Depenbrock. Das ist sein Nachname. Wieso?«

»Ich werde mal nach ihm googlen.«

»Nicht nötig, Selma, ich habe bereits die ganze Woche das Internet nach ihm durchforstet. Er ist „clean“, man findet nur etwas über seine bisherigen Tätigkeiten.«

»Ich werde mir mein eigenes digitales Bild von ihm machen!«

»Wie du es willst, Selma. Viel Spaß dabei!«

Charlotte konnte es ihr nicht verübeln. Es war gang und gäbe, das neue Typen von allen Freundinnen online durchleuchtet wurde.

Am nächsten Tag, am Pfingstsonntag, stand Charlotte früh auf und verbrachte drei Stunden im Badezimmer. Sie rasierte ihre Beine, lackierte ihre Nägel, trug sehr sorgfältig das Make-Up auf, zog ihr schönstes Maxi-Sommerkleid im Urban-Hippie-Style an und fuhr mit dem Bus wieder an den Wannsee, zum Café Depenbrock. Diesmal allein. Mutig, entschlossen und allein. Charlotte war beherzt, verliebt und wollte herausfinden, ob es sich lohnt, verliebt zu sein. Es war wieder sehr warm, sonnig und genauso traumhaft, wie an dem Wochenende zuvor. Während der Busfahrt hörte sie Musik auf ihrem iPod und versuchte, sich zu entspannen. Aber je näher sie kam, umso nervöser wurde sie. Sie nahm Bachblütentropfen, die sie sich direkt pur auf die Zunge träufelte, ein Antiallergikum gegen die Pollen und eine Pfefferminz-Pastille gegen den Bachblütengeschmack. Auf dem Weg durch den Garten kämmte sie sich die Haare und sprühte ihren Hals nochmals frisch mit Parisienne ein. Sie liebte Parfum und sie fand es schade, dass man jeden Tag nur einen Duft benutzen konnte – es sei denn, man mochte wie eine wilde Blumenwiese riechen. Charlottes Herz schlug heftig, aber sie versuchte ruhig zu atmen, gelassen weiterzugehen und sich zu konzentrieren. Es gab kein zurück. Wenn sie gekniffen hätte und wieder nach Hause gefahren wäre, wäre das zwar sicherer gewesen, aber sie hätte sich es ihr ganzes Leben lang nicht verziehen. Sie hätte niemals erfahren, was passiert wäre. Welch quälender Gedanke! Charlotte musste einfach in Daniels Café. Jetzt.

Sie blendete alle Gäste aus, die draußen an den Tischen in der Sonne saßen und ging direkt die Stufen zum Eingang hoch. Jens, ein Kollege von Daniel, war hinter der Theke. Sie bestellte bei ihm einen Milchkaffee zum Mitnehmen und fragte ihn, ob denn Daniel auch da sei.

»Ja, er ist hier.«

»Kannst du mal bitte nachsehen, wo er ist?«

Jens verschwand und kam kurz darauf wieder, um ihr mitzuteilen, dass er ihn gerade nicht findet.

»Dann gehe ihn suchen! Ich kann warten!«, blinzelte sie ihn hübsch lächelnd an.

Er ging erneut weg, kam wieder zurück und berichtete, dass Daniel gleich kommen würde. Jetzt war Charlotte richtig nervös. Sie betete, nicht ohnmächtig zu werden und wenigstens ein kleines bisschen Gelassenheit auszustrahlen. Was hatte Jens ihm wohl gesagt? Die Trulla vom letzten Wochenende ist wieder da und fragt nach dir? Da wartet vorne eine hübsche Braut auf dich, die von dir flachgelegt werden will? Dein neues Groupie ist da? Sie wusste es nicht. Breathe, relax, smile und think positive, kreiste es ihr mantra-artig durch den Kopf und sie befürchtete eine Blamage bei dem bevorstehenden Wiedersehen mit ihm.

Daniel kam wenige Sekunden später um die Ecke und strahlte, als er sie sah. Er wirkte aber auch überrascht, sie hier wiederzusehen.

»Das ist ja eine Überraschung! Dass du so schnell wiederkommst, hätte ich nicht gedacht!«

Okay, es ist peinlich, aber da musst du jetzt durch, ermahnte Charlotte sich. Bleib souverän und ganz cool!

»Tja, ich habe doch gesagt, dass ich wiederkomme, wenn das Wetter schön ist«, rechtfertigte sie sich und zwinkerte ihm zu. Sie lächelten sich an. Daniel nahm sich eine Tasse Kaffee und sagte ihr, dass er draußen auf der Treppe sei, um eine Zigarette zu rauchen, und sie gleich nachkommen solle. Jens machte Charlotte ihren Milchkaffee fertig, sie zahlte und ging zu Daniel raus. Sie war überzeugt davon, dass er sich freute, sie wiederzusehen. Er stand zwei Stufen tiefer vor ihr und sie unterhielten sich ganz entspannt. Er bewunderte ihren fliederfarbenen Nagellack und bemerkte, dass er gut zu ihrem violetten Lidschatten passte. Das war selbst ihr noch nicht mal aufgefallen! Normalerweise stimmte sie ihren Nagellack niemals mit ihrem Make-Up ab, sondern sie wählte die Farben immer intuitiv, nach Lust und Laune. Er griff nach den Bändern von ihrem Neckholder-Kleid, welche ihr vom Nacken weich über die Schulter hingen und fragte was das sei.

»Das ist mein Kleid. Guck, Neckholder-Verschluss.«

»Und du willst dich jetzt sonnen gehen?«, fragte er vage, als er ihre riesige Strandtasche sah.

»Ja, ich habe mir was zum Lesen mitgenommen und werde Musik hören. Ähm, hast du denn heute viel zu tun?«, fragte sie ihn verlegen und lächelte ihn zuckersüß an.

»Ich warte noch auf eine Aushilfe, die gleich ihre Schicht beginnt und dann komme ich gerne zu dir an den See nach!«, versprach er ihr und grinste.

Glücklich ging Charlotte in ihrem wunderschönen langen Sommerkleid den Weg zum Seeufer entlang, ohne sich auch nur einmal umzudrehen. Sie hoffte aber, dass er ihr hinterherschauen würde. Dieses Szene hätte Charlotte auch zu gerne aus der Vogelperspektive gesehen: Charlotte Herz läuft, gutaussehend und glücklich wie lange nicht mehr, zwischen den grünen Wiesen auf das blaue Wasser mit den weißen Segelboten zu.

Sie breitete ihre Decke aus, holte ein umfangreiches Buch aus ihrer Tasche, schlug es auf und machte es sich damit in der Sonne gemütlich. Aber sie konnte sich nicht wirklich auf den Text konzentrieren. Sie schaute immer wieder nach hinten zum Café hinauf, ob er kommen würde.

Nach einer halben Stunde kam Daniel endlich. Mit zwei eisgekühlten Flaschen Bio-Limonade. Kräuter und Litschi. Er fragte, ob denn noch Platz auf ihrer Decke sei.

»Na klar, komm‘ her!«

Er setzte sich zu Charlotte, wobei sie schon vorher ein Stückchen nach rechts gerückt war, weil links ihre Schokoladenseite ist. Daniel war auch leicht aufgeregt, aber sie waren so gut wie allein und ungestört.

»Erzähl mal was von dir, ich weiß ja gar nichts über dich!«, startete Daniel das Gespräch.

»Okay, womit soll ich anfangen?«

»Arbeitest du auch als Grafikerin, wie Lena?«

»Nein, ich komme eher aus dem Marketingbereich und arbeite hier in Berlin bei einem Kongressveranstalter. Ich bin einfach nur viel am Telefonieren und Organisieren. Eigentlich ein klassischer Bürojob und nicht so idyllisch, wie dein Arbeitsplatz hier.«

»Interessant!«

»Findest du wirklich?«, fragte sie und wunderte sich, woher nur wieder ihre Selbstzweifel kamen. Natürlich war ihr Job interessant!

»Ja, klar«, lachte Daniel. »Ich plane hier auch viele Veranstaltungen und kann bestimmt mal deine Unterstützung gebrauchen.«

»Wo wohnst du eigentlich genau?«, fragte sie ihn.

»In der Danziger Straße im Prenzlauer Berg. Und du?«

»Ich ziehe nächste Woche um, von Charlottenburg in die Nähe vom Tiergarten, ganz nah an die Spree.«

»Okay, und warum ziehst du um?«, fragte er neugierig nach.

»Ich ziehe bei meinem Ex-Freund aus«, gestand Charlotte ihm, spürte aber, dass er es nicht so prickelnd fand.

»Na ja, wir sind aber schon fast zwei Monate getrennt… Woher kennst du eigentlich Clemens?« wechselte sie schnell das Thema, denn über ihren Ex-Freund wollte sie jetzt wirklich nicht reden.

»Meine Eltern kaufen schon seit 20 Jahren Wein bei seiner Familie ein.«

Daniel schämte sich ein bisschen, weil er länger nicht mehr beim Friseur war und seine dunkelbraunen Haare etwas wild aussahen. Aber Charlotte fand das hübsch, in ihren Augen waren es weiche Wellen. Er trug eine graue, verwaschene Jeans und ein kurzärmliges Hemd, das locker über der Hose hing.

»Ich finde es wirklich schön, dass du mich hier wieder besuchen kommst«, sagte er schließlich. Charlotte war erleichtert.

»Gerne. Es ist auch wunderschön hier! Was soll ich bei dem tollen Wetter in der Stadt? Und dein Café ist auch so hübsch.«

»Danke, aber ich habe noch eine Menge dort zu tun. Es ist noch lange nicht soweit fertig, wie ich es mir vorgestellt habe. Gerade bauen wir die neue Theke zusammen. Zudem bin ich momentan fast rund um die Uhr hier und versuche bis zum Sommerfest fertig zu werden.«

»Was hast du eigentlich vorher gemacht?«

»Bis zum Winter habe ich noch als Koch für einen Catering-Service gearbeitet, aber ich wollte mich schon immer selbständig machen.«

»Das ist cool! Ich hätte nicht die Disziplin, mich mit irgendetwas selbständig zu machen.«

»Na ja, es war auch nicht leicht. Die Bank hat die Finanzierung noch nicht genehmigt und ich habe mir von meinen ganzen Freunden und Verwandten Geld geliehen, um in diesem Frühjahr noch mein eigenes Café eröffnen zu können.«

»Und? Wie läuft es? Wie sind deine Aussichten?«

»Wenn das Café zwei Jahre gut läuft, habe ich wieder alles drin. Und wenn ich es in den Sand setze, dann wandere ich nach Asien aus.«

»Ich mag es, wenn ein Mann hart arbeitet!«

»Hmm, wenn er dann am Abend auch dafür belohnt wird?«, grinste er sie an.

Charlotte lächelte verlegen.

»Wie alt bist du eigentlich?«, versuchte sie schnell wieder das Thema zu wechseln.

»Ich werde in fünf Tagen 32.«

»Wow, ich hätte dich älter eingeschätzt.« Was einfach an seiner schönen reifen Stimme lag. Charlotte liebte sie.

»Und wie alt bist du?«

»Ich bin 29.«

»Oh, ich hätte dich jünger eingeschätzt – auf 26 oder so.«

Er hatte also in ein paar Tagen Geburtstag! Aber sie traute sich nicht zu fragen, was er plante, denn sie wollte nicht zu aufdringlich wirken.

Während sie sich unterhielten, kamen sie sich auch langsam näher, ihre Hände berührten sich, fassten sich und ließen sich nicht mehr los. Daniel legte seinen Arm um sie, streichelte ihr über den Rücken und bewunderte ihre zarte Haut.

»Was ist mit dir?«, fragte er sie.

»Ich bin etwas nervös.«

»Und was kann man dagegen tun?«, fragte er grinsend.

Charlotte wusste, dass er sie küssen wollte, aber sie machte es ihm nicht zu leicht. Es würde noch einen Moment dauern. Sie lachten beide verlegen und Charlotte bemerkte, dass sie nicht perfekt vorbereitet war. Sie war so aufgeregt und hatte sich keine großartigen Fragen an ihn überlegt. Sie hatte es sich lockerer vorgestellt und gehofft, dass alle Gesprächsthemen intuitiv aus ihr heraussprudeln würden, weil er ja schließlich auf sie stand. Charlotte hörte auf nachzudenken, lächelte in sich hinein, rutschte enger zu ihm rüber, kam ihm mit ihrem Gesicht näher und schloss die Augen. Sie küssten sich zunächst nur ganz kurz, machten die klassische, schweigende Pause und küssten sich schließlich weiter. Es waren zarte Küsse. Sie war sofort verliebt in seine Lippen!

»Oh, so zurückhaltend?«, fragte er scherzhaft. Sie strahlte ihn wieder nur schüchtern an. Die nächsten Minuten verbrachten sie nur damit sich zu küssen und sich gegenseitig in die Augen zu lächeln.

Nach einer Stunde musste Daniel wieder zurück in sein Café. Charlotte blieb noch drei weitere Stunden regungslos in der Sonne liegen, schaute sich den Himmel mit den unendlichen Schäfchenwolken an, hörte Hotel California von den Eagles in Dauerschleife auf dem iPod und war einfach nur glücklich. Sehr, sehr glücklich.

Bevor sie wieder zurück in die Stadt fuhr, schaute sie noch einmal ins Café rein, um sich von Daniel zu verabschieden. Charlotte sah ihn, durch eine halb geöffnete Tür, in einem anderen Zimmer stehen, ging näher heran und sagte leise: »Daniel?«

Er kam sofort raus und schloss die Tür hinter sich. Kurz konnte sie noch erkennen, dass Isabelle, eine seiner Kellnerinnen, in dem Raum saß. Charlotte hatte sie am Wochenende zuvor mit Lena bereits kurz kennengelernt und wusste gar nicht, dass sie heute auch wieder da war. Aber warum lässt er sie einfach da sitzen und „versteckt“ sie hinter der Tür? Es war egal, denn Daniel strahlte nur sie an.

»Ich dachte, du bist schon weg. Ich habe immer mal geguckt, aber ich habe dich gar nicht mehr gesehen!«

»Ich lag aber die ganze Zeit an der gleichen Stelle«, versicherte sie ihm.

»Dann habe ich wohl falsch geguckt. Komm mal mit, ich zeige dir die neue Theke, die wir gerade zusammen bauen.«

Er führte sie in den kleinen Festsaal der alten Villa, welcher derzeit als Werkstatt diente, zog sie zu sich und küsste sie erneut. Er hielt die ganze Zeit den Arm um ihre Taille, zog sie immer wieder zu sich ran und lächelte sie dabei glücklich an. Er nahm ihre Hand und führte sie zu der kleinen Bühne. »Guck, die hat sogar einen Vorhang, den man schließen kann.«

Daniel war stolz auf sein Café. Und Charlotte war verliebt. Definitiv. Sie konnte ihm gar nicht mehr zuhören, sondern ihn nur noch ansehen und träumen.

»Willst du mir deine Telefonnummer geben?«, fragte er sie plötzlich und holte sie zurück in die Gegenwart.

»Hmm, wie? Äh ja, natürlich gerne! Stimmt, die hast du ja noch nicht!«

Daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. Charlotte war wie auf Drogen. Sie lag zu lange in der prallen Sonne und sie war verliebt. Daniel und Charlotte verabredeten sich für die kommende Woche. Montag oder Dienstag, wenn sein Café zu und er frei hat. Sie hatte an diesen beiden Tagen auch noch Urlaub, wegen ihres Umzugs in die neue Wohnung. Er war etwas traurig, dass sie sich erst in zehn Tagen, Anfang Juni, wiedersehen konnten, aber bedankte sich mehrfach für ihren Überraschungsbesuch.

Er gab ihr noch einen langen zärtlichen Abschiedskuss und dann schwebte Charlotte glücklich zur Bushaltestelle, um zurück nach Berlin zu fahren.

Das wird mein ganz persönlicher Rosamunde-Pilcher-Film, freute sie sich. Nur eben am Wannsee und nicht in Cornwall.


Café oder Liebe

Подняться наверх