Читать книгу Café oder Liebe - Annie Sattler - Страница 7
Niemals die Deine
ОглавлениеCharlotte lief am nächsten Tag endlos die Spree entlang und fand nur einen Funken Trost in dem Song Never Yours von Tracy Chapman, den sie während des Spaziergangs auf ihrem iPod hörte.
Sie würde entscheiden, wann es vorbei ist und nicht ihre Freundinnen, denn nur sie konnte diese Sehnsucht fühlen! Das war ihr Mantra für diesen Tag und die ganze nächste unbestimmte Zeit. Charlotte fragte sich immer wieder, warum sie ihn eigentlich nicht begrüßt hatte. Sie konnte einfach nicht so tun, als sei nichts passiert. Denn es war etwas passiert! Erst flirtete Daniel sie an und wollte, dass sie wiederkam, dann kam sie wieder und sie küssten sich auf der Wiese am Wannsee. Er fragte sie nach ihrer Telefonnummer und dann hörte sie nichts mehr von ihm. Für Charlotte war das unbeschreiblich enttäuschend und bitter. Sie war erst einmal in ihrem Leben so übel versetzt worden. Damals war sie 19 und in Tommy verknallt, der sich auch kurz vor dem zweiten Wiedersehen plötzlich tot stellte. Aber jetzt war sie 29 und dachte, die dramatische Teenagerzeit sei vorbei und sie hätte es mit einem halbwegs erwachsenen Mann zu tun. Aber Daniel wollte sie nicht wiedersehen, was sie wiederum nicht wahrhaben wollte. Charlotte hatte ihm geschrieben, was sie fühlte, aber sie hatte auf seinem Sommerfest einfach keine Geduld mehr. Was wäre, wenn sie auf der Feier geblieben wäre? Was wäre passiert? Hätte es tatsächlich etwas geändert? Mit diesen quälenden Fragen im Kopf rief sie am Abend ihre Freundin Selma in Frankfurt an und berichtete ihr, was auf dem Sommerfest passiert war.
»Ich frage mich nur, warum er und ich so bescheuert sind, das mit uns zu vermasseln!«
»Er ist eben ein Idiot! Er weiß gar nicht was er verpasst!«, versuchte Selma sie zu trösten.
»Also, ich sehe die Schuld leider bei uns beiden, aber ich kann jetzt keinen Schritt mehr auf ihn zu gehen und das quält mich.«
»Charlie, du bist nicht schuld daran. Du hast dein Bestes gegeben!«
»Nein, ich schäme mich dafür, dass ich einfach zu ungeduldig war.«
Charlotte versuchte, Daniel irgendwie zu vergessen, sie wusste nur noch nicht wie das funktionieren sollte und irgendwie wollte sie ihn auch gar nicht vergessen. Sie wollte aber ebenso keinen Groll in sich entstehen lassen und war überzeugt davon, dass sie sich schon wieder begegnen werden, wenn das Schicksal es so wollte oder er würde auf die Idee kommen, sich doch noch bei ihr zu melden. Vielleicht traute er sich nach ihrem „Auftritt“ auf seinem Sommerfest nicht, grübelte Charlotte, oder er wollte sich einfach nicht bei ihr melden, weil sie ihm zu unwichtig war. Gut, es war ja auch doof von ihr, erst an ihm vorbei zu laufen und dann auch noch vor ihm wegzurennen.
Charlotte war in Panik geraten und ihr Körper konnte nicht anders reagieren. Zudem hatte sie auch sonst nichts, worüber sie jammern konnte, als über ihn. Charlotte hatte alles was sie wollte: Sie war ihren Ex-Freund losgeworden, sie hatte eine schöne eigene Altbauwohnung, sie hatte die Gehaltserhöhung bekommen – alles lief nach Plan! Und was die Liebe anging, musste sie einfach noch geduldig bleiben. Entweder würde Daniel irgendwann, irgendwie wieder in ihr Leben treten oder eben ein anderer Mann.
Später am Abend bekam sie einen Anruf von Lena.
»Hallo Lena! Ich hoffe, ihr seid heute gut nach Hause gekommen? Wie war es denn bei euch auf der Feier noch?«
»Es war wirklich nichts mehr los. Alle haben nur noch darauf gewartet, dass es dunkel wird und das Feuerwerk losgehen konnte.«
»Und Daniel?«
»Nach dem Abbau war ich noch kurz mit ihm allein, wegen der Abrechnung. Es lag eine deutliche Spannung in der Luft und ich glaube, er hätte gerne was von mir über dich gehört. Aber er hat sich auch nicht getraut, nach dir zu fragen. Also, dachte ich mir, dass er von mir auch nichts erfahren wird und mal schön im Unklaren gelassen werden soll!«
»Es tut mir echt leid, dass ich bei euch so einen Abgang hingelegt habe – deswegen habe ich ein wirklich schlechtes Gewissen. Das kommt auch nicht mehr vor! Seid ihr mir denn noch böse?«
»Du bist echt der Knaller! Daniel ist ein Vollidiot! Dass er sich dich entgehen lässt, ist unglaublich! Clemens wird drüber wegkommen. Er witzelt schon wieder, es würde eine Flasche Bacchus fehlen...«
»Danke, Lena! Und ja, Daniel ist ein Vollidiot, aber ein süßer Vollidiot! Aber hätte ich mich nicht ihm angeboten, wie saures Bier, hätte er mich vielleicht doch noch interessant gefunden! Ach ja, der Bacchus war irgendwann leer… War ich das allein? Ich dachte, ich hatte immer zum Riesling gegriffen. Sorry!«
»Ach, das macht nichts. Besondere Situationen erlauben besondere Mittel!«
»Ich war einfach nur so enttäuscht und traurig von Daniels Verhalten, dass ich gehen musste! Und es war auch das richtige Timing, denn er kam auch im perfekten Moment um die Ecke, als ich gerade am Gehen war und Jenni noch am Telefon hatte. Ich habe Daniel kurz und emotionslos angesehen und bin weitergegangen, immer schneller und dann noch ein Stück gerannt, bis ich außer Sichtweite war. Ich fand es trotzdem einen schönen Tag mit euch am Samstag und hoffe, dass ich euch wenigstens ein bisschen eine Hilfe war und das bald wieder gut machen kann.«
»Ja gerne! Im Oktober ist Clemens auf jeden Fall wieder mit seinem Weinstand in Berlin! Und kommst du jetzt wirklich zurecht? Es tut mir echt Leid, wie das mit Daniel für dich gelaufen ist!«
»Na klar! Ich habe ja auch wirklich sonst nichts, worüber ich mich ärgern kann, außer über Daniel. Das ist echt ein Luxus-Problem! Und das Leben geht weiter... auch ohne den Wannsee! So, ich chille auf meinem schicken Sofa, habe das Fenster offen und genieße noch den Sound der Fanmeile, auf die ich heute mal keine Lust habe.«
»Richtig so, mach dir noch einen schönen Abend!«
»Pfft! Ich mache mir eine schönes Leben!«, scherzte Charlotte.
Sie war aber dennoch wütend und sauer auf ihn, weil er sie im Unklaren ließ. Charlotte wusste nicht, wie sehr sie Daniel vertrauen konnte, ob er sie wirklich mochte und ob er überhaupt Interesse an ihr hatte. Sie dachte schon einmal, dass sie sich von ihm und ihren Gefühlen für ihn verabschieden musste – und zwei Tage später kam damals seine Nachricht.
Er wusste ja gar nicht, wie gut wir zusammenpassen würden, dachte Charlotte.
Aber würde es ihr besser gehen, wenn er ihr einfach höflich mitteile, dass es mit ihnen nichts wird oder dass er nicht genug für sie empfand? Er kannte sie ja nicht einmal! War es wirklich unklar oder bildete sie es sich nur ein, dass es unklar sei? War es nur der falsche Zeitpunkt für sie, zueinander zu finden? Würden sie in diesem Leben den richtigen Zeitpunkt finden? Und dann noch frei füreinander sein? Wie lange würde sie fähig sein, ihn zu lieben, ohne ihm nahe zu sein, ohne ihn zu sehen und ohne zu ihm zu gehören? Sechs Wochen waren vergangen, seit sie sich am Wannsee geküsst hatten und sich ihre Hände hielten, seit Daniel seinen Arm um ihren Rücken legte und sie zu sich heran zog – mit ihrer ganzen Seele. Er hatte sie berührt und ihr gesagt, dass sie weiche Haut habe. Toll, jeder Quadratzentimeter dieser weichen Haut könnte ihm gehören! Aber wo war er?
Manchmal wünschte sie sich, jemand würde ihm sagen, wie bescheuert er war, sie laufen zu lassen. Aber andererseits müsste er allein darauf kommen und dann auch den Elan haben, sie wieder „einzufangen“. Es brächte ja nichts, wenn jeder Mensch auf der Welt sie toll fand und liebte, nur er nicht. Daniel musste es wissen und handeln – oder eben nicht. Wie auch immer, sie tat nichts mehr! Er konnte es retten, aber nur wenn er es wollte und wenn es dann nicht schon zu spät war. Da sich Charlotte machtlos fühlte und nichts mehr tun konnte, versuchte sie Trost bei den Tarot-Karten im Internet zu finden.
Zuerst zog sie den „Turm“: Du spürst, dass der Boden nachgibt und alte Selbstverständlichkeiten ins Wanken geraten. Ach, tatsächlich? Sie zog eine weitere Karte, den „Eremit“: Das Orakel rät dir zu lernen, allein zu sein und heraus zu finden, was wirklich wichtig für dich ist! Erkenne, wer du wirklich bist und bleibe dir selbst treu!Was soll dieser esoterische Müll?Fasten und Schweigen Sie! Okay. Gut. Das war mal eine Richtung: Fasten und Schweigen. Sie fand sich zu fett und sie hatte Daniel zu viel geschrieben und gesagt. Endlich mal wahre Worte von den Tarot-Karten, dachte Charlotte und nahm es als ein neues Mantra an. Fasten und Schweigen. Damit könnte sie eine Weile überleben.