Читать книгу Die große Reise - Annika Helbig / Mark Löschner - Страница 9

Party

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„Hallo schöne Frau! Können wir Sie irgendwo hinfahren?“

„Aber nur, wenn ihr es mir ordentlich besorgt!“

„Geht klar! Spring rein!“

Nele, die immer noch dieselbe Hotpants wie heute Mittag trug, warf ihre Tasche auf die Rückbank und sprang mit zwei Flaschen Bier in der Hand in das Auto. Eine Flasche reichte sie gleich Tom.

„Man gut, dass du kein Alkohol trinkst. Sonst müssten wir ja immer laufen“, sagte Nele an Paul gewandt und prostete sich mit Tom zu.

„Ja, auf die anonymen Antialkoholiker“, äffte Paul seine Freunde nach.

Ein Jahr Führerscheinentzug und der so genannte Idiotentest, auch bekannt als Medizinisch-Psychologische Untersuchung, hatten ihre Wirkung nicht verfehlt, jedenfalls was den Alkohol anging. Seitdem er bei einem Autounfall mit 3,14 Promille sein erstes Auto und einen Baum mit dazugehörigen Busch in den Himmel für künstliche und natürliche Gegenstände geschickt hatte, rührte er keinen Schluck Alkohol mehr an.

,Und so soll es auch bleiben‘, dachte Paul und streichelte in Gedanken seinen Joint, der in der Hosentasche auf ihn wartete.

15,45 Minuten und ein weiteres Bier für Nele und Paul später kamen sie in der Wohngemeinschaft, im Studentenjargon WG genannt, in Göttingen an. Schon bei der Parkplatzsuche im Quadrat um den Wohnblock hörten sie über den Balkon Musik und laute Stimmen. „Wenn nicht jetzt, wann dann…“ tönte Zeilen eines Schlagerliedes.

„Oh nein, vor `ner Flasche Korn keine Sportplatzmucke“ seufzte Nele und drückte auf den obersten Klingelknopf bei Hase/Fuchs/Rabe/Vogel - die Tier-Wohngemeinschaft, kurz die Tier-WG.

„Hallo?“ ertönte eine weibliche Stimme aus der Gegensprechanlage.

„Wir sind's…“ antwortete Nele und öffnete die laut summende Tür.

Langsam stiegen sie den Worten „Über den Wolken…“ in den vierten Stock entgegen. Paul streichelte nicht nur virtuell seinen Joint, sondern auch seinen MP3-Player, den er unverzüglich an die nächste Musikanlage anschließen musste.

Endlich, völlig außer Atem in der Tier-WG angekommen, begrüßten sie erst einmal ihre Freunde im Wohnzimmer und die restlichen Leute in der Küche, die gleich beim mit Getränken gefüllten Kühlschrank standen.

„Hey Nele, wie schaut‘s aus?“ rief eine Rothaarige.

Noch bevor Nele eine ruhige Atmung wieder erlangt hatte, war sie in ein Gespräch über die Klassiker der Soziologen im Vergleich zu den modernen Soziologen verwickelt und Paul um die Ecke ins Wohnzimmer gebogen. Erstens musste er die Anlage auf vernünftige Musik trimmen und zweitens schnell den Joint rauchen, bevor er merkte wie voll seine Freunde waren. Er war nicht der erste mit dieser Idee. Auf dem Balkon standen schon Oskar, Steffen und Torben und eine große Qualmwolke. Paul stellte sich hinzu und steckte seinen Joint an und schaute dem Qualm nach, der in den Himmel stieg.

„Paul, wir wollen los!“ hörte Paul eine Stimme.

„Was macht ihr denn für ‘n Stress?“ antwortete Paul langsam. „Wir sind grad mal ein paar Minütchen hier….“

„Hallo? Es ist jetzt schon Mitternacht vorbei!“

,Hm, die letzten drei Stunden sind aber schnell vergangen. Oder war ich einfach langsamer?‘ dachte Paul. ,Egal.‘

Wie in Zeitlupe setzte sich Paul in Bewegung und ging auf die Stimme zu, die sich Tom zuordnen ließ.

„Wo ist Nele?“ fragte Paul.

„Die ist noch in der Küche und bekämpft die letzte Pfütze aus der Kornflasche während sie versucht, sich Torben vom Hals zu halten. Irgendwie ist der ganz schön scharf auf Nele, aber Nele so gar nicht auf ihn“, kicherte Tom durch das Wohnzimmer gehend.

Als Paul und Tom vor der Küchentür ankamen, waren schon alle bereit, aufzubrechen. Was übersetzt bedeutet: Alle waren voll bis zum Kragen. Ein Teil der Gäste stand bereits im Hausflur. Ein anderer Teil zog sich gerade im viel zu engen Flur die Schuhe an. Feuchtfröhlich begaben sich die Freunde und die anderen Partygäste inklusive der Tier-WG das alte Treppenaus hinunter, um sich auf den Weg zur Sommerparty im Kellnerweg zu machen. Eine Party, die zweimal im Jahr an der Fakultät für Naturwissenschaften stattfindet und zwei große Vorteile hat: keinen Eintritt und Getränke können problemlos mitgebracht werden.

Zwölf Minuten und drei Nebenstraßen rechts-links-geradeaus-links-geradeaus auf dem Weg zur geilsten Studentenparty später war die Hauptstraße von sechs Polizisten abgesperrt. Paul, Tom und die anderen männlichen Feiernden waren gerade dabei, links in die Seitenstraße abzubiegen, während sie die Tatsache belächelten, dass es in Göttingen mittlerweile menschliche in Uniform verpackte Straßenabsperrungen gab. Der weibliche Anteil der Gruppe hatte offensichtlich anderes im Sinn. Die Frauen gingen ohne eine Tempoverlangsamung auf die Polizisten zu.

„Oh nee, jetzt fragen die wohl volltrunken die Bullen, warum sie die Straße absperren!“ seufzte Tom.

Paul lächelte nur: „Naja, vielleicht nehmen sie die Mädels mit und wir haben ‘nen entspannten Männerabend!“

Alle lachten. Jedoch verstummte das Lachen so schnell wie es anfing. Mit runzelnder Stirn und weit aufgerissen Augen sahen sie zu, wie die Frauen sich vor das Polizeiauto in Position stellten, während sich die Polizisten sich zwei Meter nach vorn von diesem entfernten.

„Das darf doch nicht wahr sein“, schrie Paul.

„Was machen die da? Wollen die das Auto entführen?“ wunderte sich Torben.

„Also nach dem Grund der Straßensperre scheinen die auch nicht zu fragen!“ fasste Oskar die Situation in Sekundenschnelle zusammen.

„Nee, ich fass es nicht. Die lassen sich von den Polizisten vor dem Auto fotografieren!“ stellte Tom schliesslich fest.

Der Rest der männlichen Gruppe schüttelte ungläubig den Kopf und konnte ein weiteres Stirnrunzeln nicht verkneifen, als die Frauen schon wieder auf dem Weg zu ihnen waren.

„So können wir weiter?“ fragte Nele lustig vergnügt mit einem Zwinkern des rechten Auges.

Nach weiteren vier Minuten Fußweg, der alle Zeit bot, um den Jungen zu erklären, was sie bei den Polizisten gemacht haben, kamen sie bei der Party an.

Obwohl es bereits fast ein Uhr war, als die Freunde geschlossen auf der Party ankamen, war das Uni-Gelände im und rund um den Partyraum überfüllt mit Menschen verschiedener Studienrichtungen oder auch Nicht-Studenten. Draußen standen die obligatorischen Bratwurst- und Bierstände, die man aufgrund der sich da herum befindlichen Menschentraube kam sehen konnte. Auf ein paar Bänken saßen ein paar Studenten, auf ein paar anderen tanzten ein paar Studentinnen. Die Musik durchdröhnte das gemixte Grundgeräusch aus Lachen, Grunzen, Reden und Schreien. Auf dem Weg geradeaus zum Partyraum mussten die Freunde durch eine Menge aus Menschen, die keineswegs mehr berechnend gerade stand, geschweige denn sich berechnend gerade aus bewegte. Und das taten die Freunde ja auch nicht mehr. Jedoch schafften sie es ohne großes Geschupse, eine Schlägerei und ohne Verluste von befreundetem Material an der Tür anzukommen. Jedenfalls dort, wo eigentlich eine Tür sein sollte. Denn diese war aufgrund einer erneuten Menschentraube nur zu erahnen.

„Oh Mann, ist das voll hier!“ stöhnte Nele, während sie eine Colaflasche, welche mit Korn verlängert wurde, aus ihrer Tasche holte.

Zeitgleich kam ein Mädchen auf Tom zu, blieb vor ihm stehen, küsste ihn lang und leidenschaftlich, drehte sich um und ging. Tom stand wie angewurzelt da. Nur ein fettes Grinsen signalisierte, dass auch er das Erlebte als real empfunden hat. Nach dem Grinsen folgte ein lockeres Schulterzucken und der Griff zur Colaflasche von Nele.

Paul fand als erster seine Worte wieder.

„Wow, was für ein Empfang. Schade dass die das nicht bei jedem macht.“

„Hey Nele willst du mich nicht auch begrüßen?“ rief Torben einmal quer durch die Gruppe.

Nele nippte an der Colaflasche und machte ein angewidertes Gesicht.

„Nee ich glaub so viel Alkohol gibt es nicht, um dich sexy zu saufen", sagte Nele und verschwand in der Menge, die zu „My girl, my girl don´t lie to me…“ tanzte.

„Nele, wir wollen los!“ hörte Nele Paul sagen.

„Oh nee…“ antworte Nele mit ihren Armen um sich werfend. „Ich will noch bleiben und tanzen, tanzen, tanzen…“

„Und wie willst du nach Hause kommen?“ fragte Paul besorgt.

„Ach Mensch Paul nerv nich. Ich biiin… schoooon grohoooß un kann allein aufpassen. Ich geeeh einfach übers Felheld nach Hause…wie früha. Dann… bin ich nach 20 Minuten auch zu Hause…un zwar dahann, wenn ICH Luust hab nach Haus zu gehn“, nuschelte Nele und torkelte dabei von einem auf das andere Bein.

„Okay, wir sehen uns morgen“ verabschiedete sich Paul.

Auch Tom versuchte sich ungeschickt auf seinen beiden Beinen haltend von Nele zu verabschieden: „Un deenk dran: Hintn dicht machen un vorne kein reinlassn!“ schrie Tom Nele hinter her.

„Mist, ich muss mal pinkeln”, hörte Nele schon wieder eine Stimme nuscheln und wurde mit dem Rücken an einem Baum angelegt. ´Ach warum stören mich ständig Menschen in meinem Leben…`dachte Nele schlaftrunkend wie aus einem Traum gerissen vor sich hin. Die Stimme wurde durch ein Rascheln in Feld weggetragen. Während Torben an einem Busch stand und erleichternd seine Blase entleerte, wollte Nele ihre Augen wieder schließen, als sie feststellte, dass sie gar nicht in ihrem Bett liegt und träumt. Krampfhaft überlegte sie, wie sie hier her gekommen ist. ´Ah die Party´fiel ihr wieder ein. ´Ich habe getanzt, getanzt und getanzt´ Erschreckend stellte Nele nun fest, dass sie nicht mehr auf der Party, sondern an einem Baum gelehnt im Feld saß. Und dass die Stimme, die sie gerade eben wahrgenommen hatte, zu Torben gehörte.

,Ach nee‘, dachte Nele. ,Torben find ich besoffen genauso geil wie nüchtern. Nämlich gar nicht.‘

Bei diesem Gedanken versuchte Nele aufzustehen, um ihren Weg allein fortzusetzen.

,Aber wieso ist da vorne schon ein Licht? Bis nach Hause sind es bestimmt noch knapp 13 Minuten Fußweg‘, dachte noch Nele, bevor sie ein Gefühl überkam, als ob sie über den Erdboden schwebte.

„Nie wieder Wodka mit Energybull als Absacker“ murmelte Nele vor sich hin, bevor sie wieder ihre Augen schloss.

Torben konnte es immer noch nicht glauben: ,Nele lässt sich von mir nach Hause bringen. Zum Glück sind es nur 20 Minuten quer Feld ein.‘

Obwohl er auch einiges getrunken hatte, malte er sich schon aus, wie sich Nele bei ihm bedanken wird. Vor seinem geistigen Auge sah er schon das Zimmer, das Bett und eine Nele, die sich lächelnd über ihn beugte und mit ihren Händen in seine Hose greift... Bei dem Gedanken musste er schmunzeln und öffnete langsam seine Augen.

,Mist, wie lange stehe ich hier mit meinen Händen in der Hose träumerisch 'rum?‘

Torben zog den Reisverschluss seiner Hose hoch und ging langsam Richtung Baum. Er traute seinen Augen nicht. Vorsichtshalber ging er einmal um den Baum. Und vorsichtshalber noch einmal mit der Beleuchtung seines Handys.

,Nicht schon wieder!‘ dachte Torben, während er sein Handy in die Hosentasche steckte und sich auf den Rückweg macht.

Die große Reise

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