Читать книгу Hau ab, sagt Mathilda : eine Freundschaftsgeschichte - Annika Holm - Страница 7

2.

Оглавление

Sie hat sich die Haare abschneiden lassen! Sie sind kurz, sehr kurz. Mitten auf dem Kopf ragt es in die Höhe. Die Ohren sind frei. In einem stecken zwei, drei Goldknöpfe.

»Hast du dir Löcher in die Ohren machen lassen?«

»Nur in das eine.«

Dann ist es still. Marie guckt Mathilda an, von unten nach oben und wieder nach unten.

»Hübsche Schuhe.«

Mathilda nickt. Sie ist auch sehr zufrieden mit ihren Stiefeln.

»Hab sie in der letzten Woche gekriegt.«

Was für ein Glück, dass sie die Stiefel tatsächlich vor einer Woche bekommen hat. Jetzt hat sie wenigstens etwas Neues, womit sie sich vor dieser total neuen Marie sehen lassen kann. Es sind nicht nur die Haare und die Ohrstecker. Es sind auch die Jeans. Kohlrabenschwarz, schmal, hauteng. So enge Jeans hat keiner in der Vierten, weder in der a noch in der b. Schick, wirklich schick. Auf dem schwarzen Pullover steht in schrill grünen geschwungenen Buchstaben I love you. Echt tough. Die ganze Marie tough.

Ohne dass sie es merken, sind sie in Richtung Schule gegangen. Marie geht links und Mathilda rechts, so, wie sie fast jeden Tag seit der ersten Klasse zur Schule gegangen sind. Mathilda wechselt mitten im Schritt den Fuß, und Marie macht es genauso. Alles ist, wie es immer gewesen ist.

Abgesehen davon, dass da eine ganz neue Marie geht. Eine, die Mathilda vielleicht nicht kennt. Sie schaudert, aber Marie kichert, und das klingt, wie es immer geklungen hat. Es gluckert in ihr auf und hinaus, rutscht, schlingert. Als sie den Spielplatz überqueren, gekrümmt vor Lachen, fragt Mathilda:

»Worüber lachen wir eigentlich so?«

Marie kichert eine Antwort hervor: »Ich weiß nicht mal, in welche Klasse ich soll.«

»Aber du weißt, wer unsere Lehrerin ist?«, fragt Mathilda kichernd.

»Neeein. Doch! Wenn es Frau Frid ist, dann weiß ich es.«

»Dann weißt du es also.«

Das Gefühl bleibt den ganzen Schultag. Alles macht Spaß. Alles ist leicht. Alle sind nett. Das Essen schmeckt. Gymnastik macht mehr Spaß als sonst. Die Matheaufgaben sind leichter als leicht. Maries Sonne scheint auf Mathilda und auf die ganze Klasse, wie sind sie nur so lange ohne sie zurechtgekommen?

»Alles ist viel schöner, jetzt, wo du wieder da bist«, sagt Mathilda mit einem Seufzer, als sie erneut den Spielplatz überqueren, diesmal in die andere Richtung.

»Ja«, sagt Marie, »es ist herrlich, dass ich wieder hier bin. England mag ich nicht besonders. Doch, schon, aber es ist eben nicht so wie hier.«

Sie hängt sich bei Mathilda ein. Das ist ungewohnt und ein bisschen aufregend. Arm in Arm zu gehen. Wie die Eltern es manchmal machen. Wie Erwachsene es machen. Nette Angewohnheit!

»Was hat dir am besten an England gefallen?«, fragt sie, und Marie überlegt eine Weile, ehe sie antwortet.

»Das Essen. Das fand Mama aber gar nicht. Im Gegenteil, sie fand es abscheulich.«

Mathilda versteht das nicht. Entscheidet nicht die Mutter darüber, was es zu essen gibt, weil sie das Essen kocht?

»Mama war den ganzen Tag bei ihrem Kurs und auch fast jeden Abend. Sie hat es nie geschafft, Essen zu kochen. Deshalb hat sie auf dem Heimweg was Fertiges gekauft. Fish and chips meistens.«

Mathilda versteht es immer noch nicht.

»Fertiges Essen? Konntet ihr euch das denn leisten?«

»Das ist nicht teuer. Manchmal hat sie nur eine Portion und ein Paket Chips extra gekauft. Und dann haben wir vorm Fernseher gesessen und gegessen. Das war toll.«

Wirklich beneidenswert, das findet Mathilda auch. Vor dem Fernseher zu sitzen und direkt aus der Verpackung zu essen. Wie beim Picknick.

Marie bleibt stehen und lässt Mathildas Arm los. »Weißt du was, das machen wir heute Abend!«

»Was?«

»Darf ich Sie heute Abend zu einem Picknick vorm Fernseher einladen? Um sieben Uhr? Bringen Sie bitte Ihre eigene Serviette mit und ziehen Sie möglichst keine saubere Kleidung an.«

Merkwürdig, wie das Leben sich plötzlich verändern kann.

Gestern um diese Zeit war noch alles wie immer, nicht mal besonders langweilig, aber auch nicht besonders lustig. Sie hat mit Mama Pilze geputzt und daran gedacht, dass Marie in einer Woche nach Hause kommen würde. Jetzt gehen sie hier nebeneinander her und heute Abend werden sie sogar gemeinsam ein Picknick machen.

»Ich komme.«

Nein. Sie kann nicht. Es ist Montag. Fußball. Training. Um halb sieben beim neuen Klubhaus.

»Es geht nicht!«

»Was geht nicht?«

»Das Fußballtraining.«

»Was für ein Fußballtraining?« Maries Stimme klingt ganz erstaunt, und natürlich kann sie das nicht verstehen. Das Training ist was ganz Neues, es hatte noch nicht angefangen im Mai, als Marie mit ihrer Mutter abgefahren ist.

»Es ist nämlich so, ich trainiere Fußball.«

»Du spielst Fußball?« Jetzt klingt Maries Stimme, als ob Mathilda gesagt hätte, sie wolle Weltraumpilotin werden.

»Montags und donnerstags. In einer Mannschaft mit Monica und Mirjam.«

»Davon hast du mir ja gar nichts geschrieben.«

»Hab ich wohl. Ich hab vom Fußballlager erzählt. Erinnerst du dich nicht?«

Aber das ist im Sommer gewesen. Jetzt ist Herbst. Und in den Briefen hat nichts über ein Fußballlager gestanden, behauptet Marie.

Es war nämlich so, dass Mathilda ganz leicht Fußball spielen lernte. Sie hat ein gutes Ballgefühl, haben die Trainer im Lager gesagt. Schnell ist sie auch, das haben sie auch gesagt. Und dann haben sie gesagt, wenn Mathilda ordentlich trainierte, könnte sie genauso gut wie Monica werden, und die ist die Beste in der Mannschaft.

Mathilda wird rot, als sie daran denkt, und dann errötet sie noch ein bisschen mehr, weil sie daran denkt, wie wunderbar Fußball spielen ist.

»Du musst auch mitmachen!«, sagt sie. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für einen Spaß das macht.«

»Aha«, sagt Marie langsam. »Du willst also in Zukunft mit einem albernen Ball zwischen den Füßen rumrennen und schwitzen.«

Warum sagt sie so was? Hat sie es überhaupt schon mal ausprobiert?

»Mädchenfußball«, fährt Marie fort und spuckt das Wort förmlich aus, »Mädchenfußball ist doch ätzend.«

»Ist es überhaupt nicht.«

»Es ist ätzend.«

»Mädchen können genauso gut Fußball spielen wie Jungen!«

»Na und? Es ist trotzdem dämlich.«

Was machen sie da? Sie zanken sich. Plötzlich zanken sie sich. Gleich am ersten Tag. Sie merken es gleichzeitig und sind beide verlegen. Marie reißt sich als Erste zusammen und zuckt mit den Schultern.

»Okay, vielleicht ist nichts am Fußball auszusetzen, auch wenn ich nicht kapiere, was daran so gut sein soll ... Aber ich hätte es schön gefunden, zusammen mit dir ein Picknick zu machen und zu feiern.«

»Ich auch.« Mathilda atmet heftig. »Vor dem Fernseher. Können wir nicht ...«

... morgen feiern, wollte sie sagen, aber sie kommt nicht dazu, denn Marie ist genauso eifrig und unterbricht sie:

»Es macht doch nichts, wenn du das Training einmal ausfallen lässt. Musst du denn jedes Mal hingehen?«

Muss sie das? Du darfst kein Training verpassen, wenn du im Herbst beim Turnier mitspielen willst, hat der Trainer gesagt. Bis jetzt hat sie noch kein Training verpasst. Aber vielleicht könnte sie heute ein bisschen krank sein?

»Ich weiß nicht«, beginnt sie, aber wieder kommt Marie ihr mit der Antwort zuvor.

»Okay, du weißt es also nicht. Dann pfeif drauf. So wichtig ist es ja nicht.«

Bevor Mathilda den Satz zu Ende angehört hat, ist Marie schon auf dem Weg über den Rasen, zu den Hochhäusern beim Zentrum hinauf. Bevor sie antworten kann, ist Marie schon so weit entfernt, dass sie rufen muss.

»Marie! Bleib stehen! Ich komme!«

Aber Marie bleibt nicht stehen. Oder sie hat es nicht gehört. Mathilda läuft hinter ihr her. Doch dann bleibt Marie plötzlich stehen und brüllt:

»Mach, was du willst! Mir doch egal, was du tust!«

Ja, genau das tut sie: Sie brüllt. Ihre Stimme hallt über den Rasen. Mathilda guckt sich um. In der Sandkiste graben zwei Kinder, auf der Bank sitzen zwei Mütter, auf dem Kiesweg bewegt sich eine alte Frau mit einem Gehwagen vorwärts. Komisch, niemand schaut auf, komisch, wahrscheinlich haben sie gar nichts bemerkt.

Wieso merken sie nichts? Wenn die ganze Welt zusammenbricht, wenn sich alles plötzlich ins Gegenteil kehrt und anders ist, als es sein sollte.

In einer einzigen Minute.

Hau ab, sagt Mathilda : eine Freundschaftsgeschichte

Подняться наверх