Читать книгу Hau ab, sagt Mathilda : eine Freundschaftsgeschichte - Annika Holm - Страница 9
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ОглавлениеMama ist sauer, ziemlich sauer sogar.
»Du haust ab, ohne zu sagen, wohin, du kommst nicht zum Essen, was ist eigentlich los?«
»Wie spät ist es?«, fragt Mathilda atemlos, ohne Mama anzugucken. Da sie keine Antwort kriegt, guckt sie auf die Küchenuhr. Viertel vor sieben. Haben sie sich so lange mit dem Kater beschäftigt? Sie hat gar nicht gemerkt, dass sie so lange weg war. Am besten, sie entschuldigt sich, damit Mama sich beruhigt. Aber Mama beruhigt sich nicht, sie redet weiter mit dieser Stimme, die gleichzeitig wütend und müde ist:
»Du bist mehr als eine Stunde zu spät gekommen. Wie willst du es zum Training schaffen? Wie denkst du dir das?«
Das Training? Was für ein Training? Na klar, das Fußballtraining! Das hat sie ganz vergessen. Wie konnte das passieren? Damit hat doch das Unglück angefangen. Wenn nicht die Sache mit dem Training gewesen wäre, hätte sie sich nicht mit Marie verkracht. Was soll sie eigentlich dort? Marie hat vollkommen Recht. Fußball! Ein albernes rundes Ding, hinter dem die Leute blöde herjagen.
»Ich pfeif auf Fußball.«
»Was hast du gesagt?«
Papas Stimme aus dem Badezimmer klingt total erstaunt.
»Nichts hab ich gesagt!«, ruft Mathilda zurück, und im Bad wird es still, nicht aber an der Spüle.
»Du hast sehr wohl etwas gesagt, und jetzt hab ich deine Zicken satt. Nimm dir ein Glas Milch und ein Butterbrot, wir reden über die Sache, wenn du wieder nach Hause kommst. So!«
Mama gießt Milch in ein Glas und gibt es Mathilda in die Hand, aber als Mama es loslässt, hat Mathilda noch nicht zugegriffen. Es zersplittert in winzige Teilchen zwischen ihren Füßen auf dem Fußboden. Ein weißer See breitet sich aus. Bevor noch jemand etwas sagen kann, klingelt es. Weil die Tür selten abgeschlossen ist und weil Monica das weiß, steht sie auch schon in der Diele, ungeduldig, den Rucksack über der Schulter.
»Warum kommst du nicht?«
»Sie ist schon unterwegs«, sagt Mama mit einer ganz anderen Stimme, einer ganz ruhigen und normalen und sogar freundlichen Stimme.
»Bin ich nicht«, sagt Mathilda und nimmt einen Wischlappen.
»Lass das!«, schreit Mama mit dieser wütenden Stimme. »Ich mach hier später sauber. Geh jetzt.«
»Was ist passiert?«, fragt Monica unsicher und guckt von den Glasscherben zu Mama und zu Mathilda.
»Ach«, Mama hat wieder ihre liebe Stimme, »ich hab nur ein Glas fallen lassen. Beeilt euch jetzt, damit ihr nicht zu spät kommt.«
»Okay.« Monica nickt und sieht Mathilda auffordernd an. »Komm!«
»Ich bin krank.«
Mama und Monica gucken ganz erstaunt, und Papa, der gerade aus dem Bad kommt, sieht völlig überrascht aus.
Manchmal ist es babyleicht, sich was auszudenken. »Nicht gerade krank«, korrigiert Mathilda sich, »aber ich bin auf dem Berg ausgerutscht und hab mir am Rücken wehgetan. Hier tut’s wahnsinnig weh, nein, da, genau da. Wenn ich das rechte Bein bewege. Aua, ich kann es kaum heben.«
Sonderbarerweise tut es wirklich ein bisschen weh, wenn sie das Bein anhebt. Monica sieht es, und Papa sieht es, aber Mama schaut nicht aufs Bein, sie sieht Mathilda in die Augen.
»Was ist denn nun eigentlich passiert?«
»Das hab ich doch gesagt. Ich bin so schnell gelaufen, wie ich konnte. Kaksi ging’s so schlecht, und Achim war ganz allein mit ihm, und da lag eine Flasche auf der Erde, eine Schnapsflasche –, und da bin ich draufgetreten und ausgerutscht, und da lag ein Ast, und auf den bin ich mit dem Rücken geknallt, genau hier.«
Jetzt sieht Monica sehr teilnahmsvoll aus, und Papa will die Stelle sofort fühlen. Doch Mathilda schreit Aua, bevor er sie überhaupt berührt hat, und er zieht seine Hand zurück.
»Das sieht nicht gut aus. Am besten, wir fahren sofort ins Krankenhaus.«
Warum müssen sie nur so übertreiben? Können sie sich nicht etwas zurückhalten? Können sie Mathilda nicht in Ruhe lassen?
»Jaja«, sagt Monica, »dann geh ich wohl lieber.«
»Sag dem Trainer bitte, dass Mathilda sich verletzt hat.« Papa erinnert sie überflüssigerweise daran, denn es ist doch selbstverständlich, dass Monica es sagt.
»Vielleicht kann ich in diesem Herbst überhaupt nicht mehr trainieren«, sagt Mathilda sicherheitshalber, aber da ist Monica schon draußen und hört es nicht mehr. Doch Papa hört es und Mama auch. Jetzt macht Papa sich ernsthaft Sorgen, Mama sieht wieder ärgerlich aus und sagt, irgendetwas ist seltsam an der Sache. »Sie hat kein bisschen verletzt gewirkt, als sie nach Hause kam.«
»Es könnte eine Muskelzerrung sein, aber vielleicht hat auch ein Wirbel was abgekriegt«, überlegt Papa laut. »Es ist besser, wenn ein Arzt sich das ansieht. Mit dem Rücken muss man sehr vorsichtig sein.«
Jetzt sitzt Mathilda in der Falle. Sie kann natürlich unmöglich sagen, sie habe sich das alles nur ausgedacht. Aber genauso unmöglich ist es, dass sie ins Krankenhaus fährt.
»Es tut zwar weh«, sagt sie deshalb schnell, »aber auch nicht sooo weh, jedenfalls nicht dauernd.«
Sie lässt Papa die Stelle abtasten und setzt eine angemessene Grimasse auf, sagt aber nicht Aua, als er die Stelle befühlt, die sie ihm gezeigt hat.
»Naja«, sagt Papa, »dann warten wir noch ab. Leg dich hin und ruh dich aus, wir werden ja sehen. Es ist gut, dass du nicht zum Training gegangen bist.«
Mama will Mathilda ins Bett helfen, aber Mathilda will keine Hilfe. Auch nichts mehr essen. Sie will nur eins, sie sollen endlich mit all den Fragen und dem Gerede aufhören. Sie knallt ihre Zimmertür so laut zu, dass sie hoffentlich kapieren, dass sie in Ruhe gelassen werden will.