Читать книгу Hau ab, sagt Mathilda : eine Freundschaftsgeschichte - Annika Holm - Страница 8

3.

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Minzi will auf ihre vertraute Weise Guten Tag sagen. Aber Mathilda hockt sich nicht hin so wie sonst, krault Minzi nicht hinter den Ohren, drückt ihre Stirn nicht an Minzis Schnauze. Mathilda geht in die Wohnung, ohne die Stiefel auszuziehen, lässt die Tasche fallen, wo sie steht, tritt gegen den Futternapf, dass er über den Küchenfußboden rutscht, reißt die Kühlschranktür auf, guckt hinein, knallt sie wieder zu, tritt gegen einen Stuhl, dass er umfällt, greift sich einen Apfel, stellt das Radio an, wirft sich auf den Stuhl, der nicht umgefallen ist. Sie ist so wütend, dass sie nicht merkt, dass Mama zu Hause ist – so früh? –, und ihre Wut legt sich auch nicht, als Mama sie anstarrt, ohne ein Wort zu sagen.

»Lass das«, schreit Mathilda, »sag nichts!«

»Aber Schätzchen«, murmelt Mama und zieht sich zurück. Als sie am Telefon vorbeikommt, klingelt es. Sie meldet sich, lauscht, und ihre Stimme klingt zögernd.

»Doch, sie ist zu Hause, aber ich weiß nicht, ob ...«

Mama legt die Hand über die Sprechmuschel und schaut Mathilda fragend an.

»Kannst du mal ans Telefon kommen? Es ist Achim.«

Mathilda zieht eine Grimasse und macht wütende Gesten, aber Mama spielt nicht mit.

»Willst du mit Achim sprechen?«, ruft sie laut.

Nein, das will Mathilda wirklich nicht, aber so was sagt man nicht. Dumme Mama, sie hätte ja sagen können, Mathilda sei nicht zu Hause.

»Ich komme.«

Warum ruft Achim an? Wenn er was will, kann er es ihr ja in der Schule sagen. Morgen kann er es sagen, so eilig kann es doch nicht sein.

Aber genau das ist es, eilig. Mathilda hört es sofort, als Achim anfängt zu reden. Er spricht leise, flüstert fast, und manchmal klingt es, als ob er weine.

Kaksi, Minzis Bruder, ist etwas passiert. Etwas Furchtbares, meint Achim. Er weiß nicht, ob Kaksi noch lebt oder tot ist. Er liegt mit geschlossenen Augen unter einem Busch in einem Blumenbeet hinter dem Haus auf der Seite zum Berg hin, der Seite, wo fast nie jemand ist. Seit heute Morgen liegt Kaksi dort, und er hat sich nicht gerührt, seit Achim ihn entdeckt hat. Vielleicht hat er die ganze Nacht so gelegen, denn zum Schlafen war er nicht zu Hause.

»Du musst sofort kommen«, flüstert Achim zwischen Weinen und Aufregung. »Ich weiß nicht, was ich machen soll.«

Mathilda weiß es auch nicht, aber mitten in ihrer riesigen Wut spürt sie, dass Achim traurig ist, ganz ungewöhnlich traurig.

»Ich komme«, sagt sie und legt auf. »Ich gehe«, sagt sie zu Mama und schlägt die Haustür zu. Mama reißt sie sofort wieder auf und ruft, dass sie wissen will, was los ist.

»Die Katze.«

Das muss als Erklärung reichen. Etwas müssen sich Mütter auch selbst zusammenreimen können.

Mathilda nimmt die Abkürzung den Berg hinauf, der genau dort endet – oder beginnt –, wo Kaksi nach Achims Beschreibung liegen muss. Es geht steil bergauf, aber Mathilda rennt den ganzen Weg, ohne einmal stehen zu bleiben. Als sie oben angekommen ist, muss sie, die Hände gegen die Knie gestemmt, einen Augenblick nach Luft schnappen. Da entdeckt sie Kaksi. Sie schaut direkt in seine weit geöffneten Augen. Zum Glück ist er nicht tot.

»Dass du so schnell gekommen bist! Bist du gerannt?«

Achims Augen sind rot und seine Nase läuft. Wenn Mathilda nicht so wütend wäre, hätte sie wahrscheinlich versucht, ihm etwas Tröstliches zu sagen. Aber dafür hat sie keine Kraft. Stattdessen brüllt sie:

»Du hast doch gesagt, dass es eilig ist.«

Achim zuckt zusammen, als ob Mathilda ihn geschlagen hätte. Aber er sagt nichts mehr, sondern kriecht zu seiner Katze unter den Busch. Mathilda schluckt ihren Zorn runter und kriecht hinterher. Achim streicht Kaksi über den Bauch, murmelt etwas auf Finnisch, unterbricht sich und will, dass Mathilda Kaksi anguckt. Drei Beine sind ausgestreckt, wie es sich gehört, aber eins liegt so, wie es keineswegs liegen soll. Es ist irgendwie komisch verdreht, man muss nicht Tierarzt sein, um das zu sehen. Nicht nach unten, sondern gerade nach hinten zeigt es, und in der Mitte ist es verkehrt gebogen.

»In die falsche Richtung«, flüstert Mathilda erschrocken, und das hat Achim ja auch schon begriffen.

»Ich glaube, es ist gebrochen«, sagt er. »Armer Kaksi!«

Kaksi öffnet die Augen und guckt, guckt aber die beiden nicht an. Als Achim ihm vorsichtig über den Kopf streicht, schließt er die Augen und dreht das Mäulchen weg.

»Was willst du tun?«, fragt Mathilda.

»Das weiß ich nicht, deswegen hab ich dich doch angerufen. Was meinst du?«

»Ich weiß auch nicht. Warum soll ich das besser wissen als du? Schließlich haben wir unsere Katzen etwa zur gleichen Zeit bekommen.«

Es stellt sich heraus, dass Achim doch eine Menge weiß; in dem Katzenbuch, das er zu Weihnachten bekommen hat, steht, dass gebrochene Katzenbeine von allein heilen, dass man sie nicht schienen muss.

»Aber wenn es von allein heilt, so wie es jetzt liegt, kann Kaksi bestimmt nie mehr laufen. Oder was meinst du?«

Mathilda betrachtet das Bein, das in die falsche Richtung zeigt. Nein, das muss wohl erst mal richtig hingelegt werden, bevor es heilen kann.

»Du musst ihn zum Tierarzt bringen.«

»Das geht nicht«, sagt Achim, »weißt du, was das kostet?«

»Nein.«

»Ich auch nicht. Aber es kostet viel, das weiß ich. Sehr viel.«

»Hast du kein Geld?«, fragt Mathilda.

Achim schüttelt den Kopf.

»Und deine Mutter?«

»Die kann ich nicht fragen.«

»Warum nicht?«

»Darum nicht.«

Mathilda denkt nach. Wie viel Geld ist in ihrer Schublade? Das hat sie für den Zirkus gespart. Sie geht so gern in den Zirkus, aber dies hier scheint wichtiger zu sein.

»Wir können zusammenlegen«, schlägt sie vor. »Ich hab ungefähr siebzig, achtzig Kronen. Wie viel hast du?«

Achim schüttelt wieder den Kopf. »Es reicht nicht. Das kann doch tausend Kronen kosten, falls er operiert werden muss. Wenn nicht noch mehr.«

Tausend Kronen! Nur um das Bein einer klitzekleinen Katze zu schienen! Das will Mathilda nicht glauben. Doch, Achim ist sich ganz sicher. So viel kostet das, wenn man keine Katzenversicherung abgeschlossen hat, und das hat er nicht.

»Darum hab ich dich doch angerufen. Ich dachte, wir könnten das zusammen hinkriegen.«

»Du und ich?«

»Jaa.«

Marie kann so was gut. Marie ist praktisch veranlagt und kein bisschen ängstlich. Sie würde es vielleicht können. Nein, das würde sie nicht. Mit Marie ist nicht zu rechnen. Marie würde wahrscheinlich nur lachen. Hör jetzt auf, Mathilda, denk nicht an sie, denk lieber an Kaksi.

»Womit sollen wir es schienen?«, fragt sie, und dabei fällt es ihr ein. »Ich lauf eben nach Hause und hole eine Binde. Kümmre du dich um Stöckchen und Klebeband.«

Aber Achim will die Katze nicht allein lassen. Er sagt, ein Fuchs könnte kommen, und dann ist es bestimmt schrecklich, ganz allein mit einem gebrochenen Bein dazuliegen. Das kann Mathilda sich vorstellen, und sie verspricht, auch für Stöckchen und Klebeband zu sorgen. Sie rutscht den Hügel hinunter und geht durch die Waschküchentür ins Haus, damit Mama nichts merkt. Im Schrank steht der Verbandskasten, und im Blumenbeet bei der Garage steckt ein Stöckchen, das wird jetzt nicht mehr gebraucht, entscheidet Mathilda und nimmt es von der Rose weg, die es gestützt hat. Klebeband findet sie nicht, also nimmt sie stattdessen die Schere aus dem Verbandskasten mit. Sie erinnert sich, dass Mama das Ende einer Mullbinde immer aufschneidet und dann die beiden Zipfel zusammenbindet. Das ist bestimmt nicht schwer.

Am schwierigsten wird es, das Bein in die richtige Lage zu bringen.

»Wie sollen wir das bloß hinkriegen?«, sagt Mathilda.

Plötzlich ist Achim weder ängstlich noch unsicher. Er misst das Bein und bricht von dem Blumenstock zwei gleichlange Stücke ab. Er bittet Mathilda, Kaksis Kopf zu halten, und dann nimmt er das gebrochene Bein in beide Hände. Es geht so schnell, dass Kaksi nicht mal zucken kann. Bewundernd guckt Mathilda Achim an.

»Du solltest Tierarzt werden!«

Achim schüttelt den Kopf. »Es ist ja noch nicht klar, ob es auch richtig ist. Aber ich trau mich nicht, das noch einmal zu machen.«

Unendlich vorsichtig legt er an jede Seite des kleinen Beines ein Stöckchen, langsam und locker wickelt er die Binde um Stöckchen und Bein. Wie soll die Binde halten? Katzen haben eine erstaunliche Begabung, sich von Halsbändern, Geschirr und Bandagen zu befreien, das hat Mathilda bitter erfahren müssen. Aber Achim hat das schon bedacht. Er wickelt die Binde mehrmals um den Bauch der Katze und noch einmal um das Bein und befestigt sie mit einer Sicherheitsnadel, die er zufällig in seiner Hosentasche gefunden hat.

»Willst du ihn nicht mit nach Hause nehmen?«, fragt Mathilda und streichelt den Kater.

Aber als Achim versucht, ihn hochzuheben, knurrt Kaksi. Er zeigt sogar seine Zähne, und Achim seufzt.

»Das ging vorhin schon nicht. Er will nur immer hier sein.«

Eine Weile bleiben sie sitzen, Achim, weil er Kaksi nicht allein lassen will, und Mathilda, weil sie keine Lust hat, nach Hause zu gehen. Schließlich geht sie. Aber vorher sagt sie noch etwas zu Achim, worüber sie sich selber wundert:

»Komischer Tag. Deine Katze bricht sich das Bein, und meine beste Freundin will nicht mehr mit mir zusammen sein.«

Achim ist nicht erstaunt, er seufzt nur ein bisschen und sagt, dass er das überhaupt nicht komisch findet, Trauriges ist genauso normal wie Schönes, vielleicht sogar noch normaler.

Und dann seufzt er wieder und streichelt den Kater.

»Tschüss dann«, sagt Mathilda, »ich geh jetzt.«

Hau ab, sagt Mathilda : eine Freundschaftsgeschichte

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