Читать книгу Fegoria - Dunkle Stunden - Annika Kastner - Страница 7
Crispin
ОглавлениеMeine Arme schließen sich fester um Alice‘ zierlichen Körper. Es fühlt sich befriedigend an, wie sie sich näher an mich drückt, während ich Triel nicht aus den Augen lasse. Diese mustert Alice eindringlich, ehe sie sich mir zuwendet. Sie leckt sich über die spitzen Zähne, mustert meinen Körper ungeniert von Kopf bis Fuß. Mich lässt dies zwar kalt, aber Alice verspannt sich merklich. »Oh, was für ein schöner Mann du bist. Nackt noch schöner als in Rüstung verhüllt. All diese harten Muskelstränge … Äußerst appetitlich und vielversprechend. Da hat sich das Warten gelohnt, du Leckerbissen. Dein Glück, dass deine Gefährtin dabei ist, denn wir Nixen können im Liebesspiel sehr überzeugend sein. Das vergisst kein Mann so schnell. Was müsste ich tun, damit ich den Rest von dir sehen darf? Die lästige Hose ist ohnehin nur noch ein Lumpen. Fort damit, Prinz, amüsiere mich. Mir steht der Sinn nach einer Unterhaltung der anderen Art.«
»Wie kann sie es wagen?«, murrt Alice leise, mehr zu sich selbst als zu mir. Was mich ebenfalls beruhigt: Sie widerspricht Triel nicht. Auch wenn in den letzten Stunden viele ihrer Erinnerungen zurückgekommen sind, weiß ich nicht genau, wo wir stehen oder was sie fühlt. Gib nie etwas vor den Nixen preis, sie würden es gegen dich verwenden, denke ich. Mir gefällt es, dass Alice bedacht handelt, dazugelernt hat – anders als vor Monaten. Sie schaut die Nixe vor sich so finster an, als würde sie mit dem Gedanken spielen, ihr für ihre Worte die Haut abzuziehen. Mittlerweile würde ich ihr dies sogar zutrauen. Diese Welt hat sie verändert. Das Wissen, dass sie eifersüchtig ist, imponiert mir, schmeichelt meinem Herzen und meinem Selbstwertgefühl. Dass Alice sich erinnert und aufgehört hat, gegen mich anzukämpfen, lindert den Schmerz in mir. Ich klammere mich an das Wissen, dass alles so wird wie vorher. Ich spüre, wie sie sich mir wieder öffnet, meine Nähe sucht und ihre Blicke voller Liebe, aber auch voller Trauer und Scham sind. Der Trank lässt nach. Ich vermute, die Verletzungen tragen ihren Teil dazu bei, der Blutverlust spült es fort – ihr Körper muss sich schneller regenerieren, dadurch wird zudem der Trank zügiger abgebaut.
»Sprich dich aus, Schwester des Meeres.« Durchaus interessiert hebt Triel die Augenbrauen. Sie ist gefährlich, man darf sie nicht unterschätzen. Mein ganzer Körper ist wachsam und angespannt.
»Lass deine Spielchen, Triel. Sie ist gerade nicht sie selbst und geschwächt. Sie ist durch einen Trank geblendet, ein fauler Zauber. Sie ist die meine, ich der ihre. Es besteht keine Hoffnung für dich, sich mit uns zu paaren. Heute nicht und an keinem anderen Tag.«
»Langweiliger Elb!« Sie schmollt, jedoch nicht lange. »Beschreibe den Trank!«
Ich schiebe Alice hinter mich, schütze sie mit meinem Körper. Auch wenn ich Triel kenne, Nixen sind nie harmlos und ihr neugieriger Blick behagt mir nicht. Ich bin vor geraumer Zeit dabei gewesen, als sie ihren Opfern die Haut vom Körper gerissen haben, mit ihren Zähnen bei lebendigem Leib. An ihren Fingern klebt mehr Blut als an meinem Schwert. Sie tötet aus purem Vergnügen, das unterscheidet uns. »Er blockierte Teile ihrer Erinnerung, lässt hingegen bereits nach. Wie du siehst, es gibt nichts für dich zu holen«, erläutere ich sachlich. »Was machst du hier, Triel, außer dich an unserem Leid zu laben?«
»So unfreundlich? Tsss … Spitzohrprinz … Lerne, dich zu beherrschen, oder ich lasse dich zurück und rette nur sie. Es wäre zwar eine Verschwendung, aber … Ich ziehe es in Erwägung.«
»Du willst uns retten? Zu welchem Preis?« Ich bin äußerst achtsam, Nixen leisten keine Gefälligkeiten. Niemals! Sie sind einzig auf ihr eigenes Wohl aus.
»Wir haben Alice ein Angebot zu machen, es würde selbst dich aus dieser misslichen Lage befreien.«
»Wie lautet das Angebot?« Ohne zu erfahren, wie hoch der Preis für diese Rettung ist, werden wir dem Handel nicht zustimmen. Ich beobachte mein Gegenüber genau, jede noch so kleine Regung ihres Gesichtes.
»Das, mein lieber Prinz, wird euch Jade erklären, denn sie wartet auf dich und deine kleine Halbnixe.« Wieder lächelt sie Alice an. Allerdings wirkt dieses Lächeln nicht echt, sondern aufgesetzt. Es verursacht mir eine Gänsehaut. Nein, Triel hat Pläne und hier läuft etwas im Hintergrund. Wir dürften diesem Handel nicht akzeptieren, das weiß ich ganz sicher. »Aber vorher will ich dir helfen, statt mich an deinem Leid zu erfreuen, Prinz der Elben. Ich habe heute einen großzügigen Tag.«
Alice greift nach meiner Hand, als Triel sich aus dem Wasser hebt, die lange Flosse wird dabei zu zwei langen schlanken Beinen. Das Wasser perlt an ihnen ab, tropft vor ihren Beinen auf den Stein. Ich stehe ebenfalls auf, überrage dabei die Nixe um mehr als einen guten Kopf, wie ich befriedigend feststelle und eisig auf sie hinabblicke. »Du kannst die Flossen einfach gegen Beine tauschen und laufen? Ich habe immer gedacht, es nimmt eine gewisse Zeit in Anspruch, um dies zu können.« Ich bin beileibe überrascht. Das zeigt abermals, wie listig sie sind.
Sie legt den Finger auf ihren Lippen. »Psst … Es gibt Dinge, über die sollte man nicht sprechen. Geheimnisse gibt man nicht preis. Tarnung, Täuschung – auch du kennst das, Hoheit. Also schweige, sonst muss ich dich töten. Es bietet uns Schutz. Wir werden oft unterschätzt, da man denkt, wir sind nur im Wasser gefährlich. Dabei können wir ohne Probleme des Nachts euch die Kehle durchschneiden, wenn uns danach beliebt. Vergiss das nie, wenn du an einem Gewässer rastest. Ich offenbare mich auch nicht dir, Prinz, sondern ihr, meiner Schwester. Sie ist ein Teil von uns. Ihr steht es zu, dies zu wissen, ehe sie eine Wahl trifft.« Eine Wahl? Wovon redet sie? Meine Augen verengen sich zu Schlitzen. Sie schreitet auf Alice zu, reicht ihr die Hand. »Stehe auf, Tochter des Meeres! Ich werde dir helfen.«
»Ich …«, zögert Alice, schaut mich an. Sie traut Triel ebenso wenig wie ich. Unsicherheit blitzt in ihren Augen auf.
»Was hast du vor Triel? Was wird es uns kosten?«, verlange ich nochmals, zu erfahren. Alice steht mit zittrigen Beinen auf, ich stütze sie achtsam. Sie muss sich ausruhen, heilen. Das alles ist zu viel für ihren geschwächten Körper.
»Schweig, Elb! Dies geht nur uns Schwestern etwas an.« Sie legt den Kopf schief. In ihren nassen Haaren klimpern Muscheln, die dort eingearbeitet sind.
»Hüte deine Zunge, Nixe«, mahne ich sie, woraufhin sie erbost in meine Richtung faucht, ehe sie den Blick zu Alice richtet. Alice streicht sich ihr Haar aus dem Gesicht, während ich mich hinter sie stelle und meine Hand auf ihr Kreuz lege, damit sie weiß, dass ich da bin. Und nicht nur das, ich bin bereit, jederzeit einzuschreiten.
»Ich werde ihren Körper reinigen. Sie muss bei vollem Verstand sein, wenn sie sich für uns entscheidet«, teilt Triel mir kryptisch mit, was mir nicht gefällt, daher runzle ich Stirn provokativ.
»Keine falschen Spielchen, mein Schwert funktioniert einwandfrei«, lasse ich Triel trocken wissen, was sie mit einem Zischen und gefletschten Zähnen kommentiert. Soll mir dies Angst machen? Wenn ja, hat sie keinen Erfolg. Ihr Kopf würde schneller auf dem Grund des Meeres landen, als sie bis drei zählen kann.
»Du wagst es, Elb?«, knurrt sie aufgebracht. Das hinterfragt sie noch? Ich wäre durchaus gewillt, weitaus mehr zu riskieren, um Alice zu schützen, daher umgreife ich mein Schwertknauf herausfordernd und weiche Alice nicht von der Seite.
»Es ist okay, Crispin«, haucht Alice, strafft dabei ihre Schultern. Sie hat eine Entscheidung getroffen, die mir vermutlich nicht gefallen wird. »Meine Mutter, sie ist wie du gewesen, oder? Eine Nixe. Jedenfalls habe ich das gehört.«
Triel nickt. »Lass mich die Reste des Giftes, welches dich verwirrt, entfernen, Schwester. Danach offenbare ich dir, weshalb ich hier bin. Öffne deinen Mund.«
»Was …«, setze ich an, um etwas zu fragen, doch Triel hält die Hand hoch und verlangt offensichtlich, dass ich schweige. Sie beugt sich vor, bis ihr Mund genau vor Alice‘ Lippen verweilt.
Triel mustert sie. »Mund auf!« Zögernd kommt Alice ihrer Aufforderung nach. Triel legt ihre schlanken Hände, mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern, an ihre Wangen an und schließt die Augen. Das Meer um uns herum scheint kurz still zu stehen, ehe die Nixe tief einatmet. Alice verkrampft sich, umgreift ihren Hals, während ich sie stütze.
»Aufhören!«, fahre ich Triel an, während das Meer um uns herum zu stürmen beginnt. Mit aller Kraft stemme ich mich gegen die wilde Gischt. Triel ignoriert mich, ihr Blick ist starr auf Alice gerichtet. Blaue Tropfen treten aus ihrem Mund hervor, wie kleine Perlen schweben sie um uns herum, vermehren sich zusehend. Ein beachtlicher Wirbel, der sich mit der Gischt vermischt und einen wilden Tanz aufführt, entsteht innerhalb weniger Sekunden. Als Triel den Mund schließt, fällt alles mit einem lauten Platsch zu Boden. Das Meer spült den Rest des Zaubers fort. Mein Herz pocht eigenartig schnell. Ich wage es kaum, Alice anzusehen. Ist sie wieder ganz die Alte? Erinnert sie sich an alles? Dies würde so vieles erleichtern.
»Der Zauber ist schon fast aus ihrem Körper heraus gewesen. Die Reste sind nun vollkommen fort. Gib mir dein Schwert, Prinz!« Triel hält die Hand auf, schaut mich fordernd an.
»Niemals.« Meine Knochen knacken, so fest umklammere ich den Griff. Auch wenn ich ihr dankbar bin, lebensmüde bin ich nicht.
»Prinz?« Sie schaut finster drein. Ihre geöffnete Hand verlangt weiterhin stumm mein Schwert.
Alles in mir kämpft dagegen an. Ich kenne Triel, aber vertraue ich ihr? Nein, die Antwort ist klar. Kann ich ihr einen kurzen Moment trauen? Womöglich. Wer sagt mir, dass sie das Schwert nicht gegen uns richten wird? Anderseits, bräuchte sie es? Sie kann uns hier so oder so verrotten lassen. Ich bin im Zwiespalt. Mir ist bewusst, dass unsere Chancen gerade schlecht stehen, doch ich werde einen Ausweg finden, den finde ich immer. Ich habe schon unter schlechteren Umständen überlebt, wenn auch nur um mein eigenes Leben und nicht das meiner Gefährtin.
Alice wendet sich mir zu, legt ihre schlanke Hand zärtlich auf meine Wange. Alles in mir zieht sich vor Sehnsucht zusammen. Zu lange sind wir getrennt gewesen. »Vielleicht müssen wir ihr vertrauen, Crispin. Ich fühle mich … besser. Wirklich. Es ist, als würde sich in meinem Kopf eine große Nebelwand lichten. Stück für Stück sehe ich mehr Bilder, die sich langsam zusammensetzten. Ich sehe … dich. Uns. Ich sehe und fühle so vieles …« Sie unterbricht sich selbst, schluckt hörbar. »Sie hat recht. Der restliche Zauber verflüchtigt sich. Ich erinnere mich an unsere ersten Treffen, glasklar. Vor einer Minute ist es noch verschwommen gewesen, schemenhaft.«
All das überfordert sie emotional. Das erkenne an ihrem unglücklichen Gesichtsausdruck. Und wenn ich ehrlich bin, mich auch. Ich drücke sie an mich, schließe eine Sekunde die Augen, ehe ich mein Wort an die Nixe richte. »Ich vertraue niemanden mehr«, teile ich ihr mit, wage es, auf mein Gefühl zu hören, welches mich zur Vorsicht ermahnt. »Sprich, was du von uns willst oder verschwinde.«
Triels Lächeln ist plötzlich kalt wie Eis. Wissend blitzen ihre Augen auf. »Du bist schlauer, als gut für dich ist, Prinz. Oder soll ich sagen: König, der sich erheben möchte? Oh ja, wir sind nicht unwissend. Auch uns kommt zu Ohren, dass du eine Armee versammelst und dich von deinem Vater losgesahnt hast. Nur warum? Was planst du?« Sie schaut von mir zu Alice. »Mein Blut, ist dein Blut, Schwester. Ich kann euch retten, wenn du mein Angebot annimmst. Du bist wie ich, eine Nixe. Du solltest nicht an Land bei einem Elben leben, das ist deiner unwürdig. Lass dein Erbe erwachen, mögest du eine Tochter des Meeres werden und die Götter dir deine Flossen schenken. Lass dich nicht durch etwas wie Liebe beherrschen, denn sie macht schwach. Entscheide dich für uns, für Macht. Jedes Wesen wird vor dir erzittern. Du brauchst diesen Mann nicht.« Ich presse die Zähne aufeinander, knurre leise. Es ist richtig gewesen, ihr das verfluchte Schwert zu verweigern. Vermutlich hätte sie es mir in den Leib gerammt. Triel beachtet mich nicht. Wie kann sie es wagen? Statt unser Band zu würdigen, versucht die halbe Welt, es zu zerstören. Sehen sie nicht, welche Chance sich uns auftut? Sind sie des Wahnsinns, es so mit Füßen zu treten? Was glauben sie, wie viele Chancen die Götter uns noch gewähren? »Gibt mir deine Hand!« Triels Augen funkeln, während die Wellen immer stärker peitschen, als würde das Meer sie anfeuern. Ich bereue keine Sekunde, auf mein Gefühl gehört zu haben. Hinterlistig. Bösartig. Ich habe es geahnt. Ich hebe den Blick, mustere Triel, die raubtierhaft lächelt. »Still, Spitzohr!« Sie legt ihren Finger auf die Lippen.« Ich werde mein Blut mit meiner Schwester teilen, somit den Teil des Meeres in ihr erwecken. Niemand lehnt dieses großartige Geschenk ab. Sie hat das Recht, zu wählen, und sich gegen dich und dieses verfluchte Band zu entscheiden. Wir Nixen wollen keine Gefährten, wir wollen Macht. Es liegt uns im Blut, wir lieben die Furcht und das Töten. Liebe? Lächerliche, widerwärtige Schwäche.«
Ich schütze Alice mit meinem Körper, trete entschlossen vor. »Niemals.«
»Nur so werde ich auch dich retten. Lass sie gehen, kehre in dein altes Leben zurück und gib mir, was uns gehört. Sie gehört zu meinem Volk, du zu deinem.«
»Sie gehört zu mir«, fauche ich.
Triel richtet ihren Blick auf Alice. »Das Wasser erkennt dich als seine Tochter an. Jede Nixe muss von einer anderen gesegnet werden, um in die Schwesternschaft aufgenommen zu werden. Du wirst dein Blut mit meinem vereinen. Unter Wasser wirst du nie wieder Angst haben müssen, zu ertrinken. Du wirst ewig leben, mächtig und stark sein. Allerdings ist die Entscheidung endgültig. Wählst du uns und deine Flosse, ist es dir untersagt, weiter an Land zu leben. Es ist dir auch untersagt, dich mit ihm abzugeben. Wir sind dann dein Leben. Du bist somit ein Teil von etwas Größerem. Wähle uns und verlasse dieses Spitzohr, der ohnehin unter deiner Würde ist.«
Plötzlich dämmert es in meinem Kopf. »Ihr Nixen wollt euch einen Trumpf sichern! Meine Gefährtin in euren Reihen würde euch mehr Sicherheit verschaffen als jedes Bündnis, welches ihr aushandeln könntet. Jade weiß, dass ich Alice nicht verletzen würde, es nie könnte.« Ich lache hart auf. Sie halten sich für so clever. Triel zischt erbost. Ich habe sie durchschaut. Es geht ihr nicht um Alice, nein, sie wollen einzig Schutz. Alice wirkt leicht panisch, gar verwirrt. Sie hat Angst vor den Konsequenzen dieses Erbes. Sie ist wie erstarrt, bringt kein Ton hervor, dabei sehe ich, wie es in ihr arbeitet.
»Es obliegt ihr alleine, ob sie sich uns anschließt, oder sich von uns abwendet. Lasst es mich so sagen: Die meisten von uns wählen weise oder sterben. Was soll sie an Land, an der Seite eines Prinzen ohne Heimat, wo sie eins der gefürchtetsten Wesen der Meere werden könnte und das mit mehr Liebhabern, als sie zählen kann?«
»Wage es nicht, uns zu drohen!«
»Ich will das nicht.« Alice unterbricht uns und wir beide schauen sie überrascht an.
»Sei nicht töricht, Mischling. Niemand von uns paart sich mit anderen Rassen. Schon gar nicht mit dem Ziel, ein Kind zu zeugen. Deine Mutter ist naiv und einfältig gewesen, geblendet durch dieses Geschwätz eines Gefährten. Du bist nur zur Hälfte eine Nixe. Statt dich zu töten, bieten wir dir Macht. Es ist eine Ehre, dass wir dir dieses Angebot unterbreiten. Hingegen eine Schandtat, sich mit einem Alb fortzupflanzen, denn es verwässert unser Erbe. Doch bist du hier, an der Seite eines Spitzohres, verwässerst unser Erbe noch mehr. Wir bleiben stets unter unseresgleichen. Wir wollen keine Gefährten. Sie sind hinderlich und schwächen uns. Es ist gut, dass dieses Band ausgelöscht worden ist. Wir verabscheuen Schwäche. Wir verabscheuen Gefährten. Unsere Männer sind uns unterlegen. Findet einer von uns einen Gefährten, so zögern wir nicht, ihn zu töten, mit Freude. Ich würde ihm die Kehle ausreißen und verspeisen.«
»Nun, das klingt … nicht besonders romantisch.« Alice rückt noch näher an mich heran. Ihr Zittern beschert selbst mir eine Gänsehaut. Besitzergreifend lege ich meine Hand auf ihren Bauch, spüre ihren nassen Körper an meiner nackten Brust. Sie wirkt entschlossen und strafft die Schultern.
Triel lacht auf. Offenbar amüsiert es sie. »Glaube mir, Wesen, die willig sind und sich mit uns vergnügen, an denen mangelt es uns nicht. Solltest du dich entscheiden, bei uns zu bleiben, wirst du es sehen. Du wirst viele fügsame Opfer finden, die sich dir bedingungslos hingeben. Du wirst frei wählen können. Horche in dich hinein. Spürst du die Sehnsucht nach Macht?«
Ich versteife mich augenblicklich. Alleine der Gedanke, dass jemand Hand an Alice legen könnte, lässt mich rotsehen. »Einen Trollmist wird sie, das weißt du, Triel. Sie ist nicht wie du, seelenlos. Hiermit darfst du unser Bündnis als beendet ansehen. Wie kannst du es wagen, mich so hintergehen zu wollen? Soll Castiell euch doch ausrotten, um keine von euch wäre es schade.« Ich spucke vor ihr auf die Erde.
Alice legt ihre Hand auf meine, dreht sich um und schaut zu mir auf. Ihr Blick ist fest, zielbewusst. Sie nickt mir zu, lächelt schwach. »Ich weiß, wer und was ich bin, Crispin, und wo mein Platz ist. Ich sehe so klar, wie lange nicht mehr. Vielleicht verstehe ich zum ersten Mal wirklich, was wir sind und was uns verbindet. Womöglich bin ich anfangs wie du gewesen, habe es nicht glauben wollen oder können, doch jetzt weiß ich es. Sie könnte nichts sagen, was meine Meinung oder Gefühle zu dir beeinflussen oder ändern würde.« Sanft legt sie ihre Hand auf meine Wange, mein Kiefer mahlt angespannt. »Es tut mir so leid, dass du wegen mir leiden musst. Verzeih mir! Ich habe dir so wehgetan … Verflucht, ich habe dich sogar umbringen wollen. Ehrlich, ich erinnere mich an die Wut, die ich auf dich gehabt habe, doch trotz allem bist du gekommen und hast mich gefunden. Du bist alles, was ich will. Ich würde immer wieder dich wählen.« Ehe ich antworten kann, oder meine Sprache wiederfinde, richtet sie ihr Wort an Triel. »Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen, meine Bestimmung ist Crispin. Ich wähle ihn. Jetzt, morgen und für alle Zeit. Immer. Dein Angebot beschämt mich, wo du unsere Geschichte zu kennen scheinst. Deine Überheblichkeit widert mich an. Ich weise dein Geschenk dankend zurück. Wenn ich so ein Leben wollen würde, hätte ich auch bei den Alben bleiben können. Du ahnst nicht, was dir entgeht, indem du dich gegen einen Gefährten wehrst.«
»Willst du mich beleidigen? Ich würde ihn auf der Stelle töten, wenn ich ihn finde«, zischt Triel aufgebracht. Ihre Augen funkeln voller Zorn. Sie kann offenbar nicht glauben, dass Alice mich statt ihrer wählt.
Ich hingegen atme erleichtert auf. Alice‘ Worte haben etwas in mir gelöst. Eine Last fällt mir von den Schultern, zentnerschwer. Ein kleiner Teil von mir hat die Furcht verspürt, sie könnte sich von mir abwenden, und nach allem, was sie an meiner Seite erlebt hat, einen anderen Weg einschlagen. Ich hätte es ihr nicht verdenken können. Der egoistische Teil in mir hätte nie aufgehört, um sie zu kämpfen. Zum ersten Mal hat sie sich vollends zu mir bekannt, zu unserer Verbindung. Das macht mit meinem Herz ganz verrückte Dinge … Es pocht wild und die animalische Seite in mir möchte sie an mich reißen und in die Welt hinausschreien, dass sie nur mir gehört. Alice stellt sich auf die Zehenspitzen, unsere Lippen treffen sich. Es fühlt sich an, als würde auch ich nach Hause kommen. Endlich. Oh, bei den Göttern, sie hat mir so sehr gefehlt. Sie hat mir nie geglaubt, dass diese Verbindung besteht, doch jetzt, nach all dem, begreift sie es, obwohl ich mir gewünscht hätte, dass sie dafür nicht solche Qualen erleben muss.
In mir pulsiert unsere Verbindung vor wilder Freude. Alice‘ warmen Lippen auf den meinen, weich und unnachgiebig. Ich weiß, dass sie nicht lügt, sie wieder die ist, die ich an diesem furchtbaren Tag, an dem man sie entführt hat, verlassen habe. Fegoria ist nicht sanft, das weiß ich. Fegoria ist eine Welt, in der nur die Stärksten überleben. Dies hat mich bisher nie gestört, da ich mich zu den Stärkeren zähle. Genau das ist der Punkt: Ich bin robust und werde mein Glück selbst suchen. Meine Gegner sollen sich fürchten, denn ab sofort wird mich nichts mehr aufhalten, mein Schicksal zu erfüllen – mit Alice an meiner Seite.
Jetzt verstehe ich, was das Rankenwesen damit gemeint hat, dass dies meine Mission wäre, Alice alleine zu befreien. Es ist meine Aufgabe, mein Test, mich würdig zu erweisen. Würdig, sie zu lieben, und qualifiziert, für all das zu kämpfen, was wir anstreben. Ich bin daran gewachsen und sehe vieles klarer als zuvor. Ich betrachte die Alben durch die Begegnung mit Elil vollkommen anders. Alice behält ebenfalls recht, ich habe das Ganze zu schwarz-weiß gesehen. Albe sind für mich mein Geburtsfeind. Zuvor habe ich nie mit einem gesprochen oder ihnen die Chance gegeben, sich mir zu erklären. Nicht, dass sie es gewollt hätten, doch mit Alice‘ Ankunft scheint ein Stein ins Rollen gebracht worden zu sein, der nicht mehr zu bremsen ist. Fegoria ist im Wandel. Mir ist eingetrichtert worden, dass Albe von Grund auf verdorben und böse sind, jenes habe ich geglaubt. Wie oft ist mir dieses Bild auf den Schlachtfeldern bestätigt worden … Es gibt nicht nur schwarz und weiß, auch Grautöne, wie Alice so schön sagt. Diese habe ich gesehen und verstehe ihre Denkweise nun. Ich habe meinen Stolz herunterschlucken, Hilfe annehmen und mein Wissen erweitern, meine Persönlichkeit entfalten und mich finden müssen. Der Mann, der ich sein will, nicht der, den mein Vater geformt hat. Ich denke, ich habe jetzt ein Bild davon, wer ich bin und wer ich sein möchte, nicht wer ich sein muss. Ja, ich bin der König, widerwillig, aber ich werde meinen Platz akzeptieren, weil es mein Schicksal ist. Fegoria hat eine Zeit des Friedens verdient. Alice hat ebenfalls eine weitreichende Entscheidung getroffen und das Erbe ihrer Mutter abgelehnt. Nun müssen wir in die Zukunft blicken, die die Götter für uns vorhergesehen haben – gemeinsam.