Читать книгу Fegoria - Dunkle Stunden - Annika Kastner - Страница 8
Alice
ОглавлениеIch möchte nie aufhören, Crispin zu küssen. Niemals wieder. Gefühle drohen, mich zu überwältigen, und es fühlt sich an wie eine Erlösung. Sein Duft umfängt mich, er riecht nach Wald, gemischt mit rauer See und nach … ihm, nach Crispin, nach Heimat.
Wie habe ich jemals an ihm zweifeln können? Allein die Erinnerung an die Wut, die ich verspürt habe, als wir gekämpft haben, und der Wille, ihn zu verletzen … Ich schäme mich so fürchterlich, aber ich schwöre, ich werde es gutmachen. Ich möchte mich am liebsten tausendmal entschuldigen. Meine Hände liegen auf seiner warmen Brust, unter der sein Herz kräftig schlägt. Der Blick aus seinen eindringlichen Augen ist forschend und liebevoll, sein oft so störrischer Mund zu einem leichten Lächeln verzogen.
Triel muss verrückt sein, wenn sie denkt, ich würde dies aufgeben. Sie ahnt nicht mal, wie sich ein Gefährte anfühlt, sonst würde sie nicht so reden. Dieses Empfinden ist mit nichts vergleichbar, was ich bisher erlebt habe. Unmöglich. Crispin aufzugeben, würde bedeuten, dass ich einen Teil von mir selbst vernichte. Nein, hier gehöre ich hin, zu diesem Mann, und ab jetzt werde ich nicht mehr zurückbleiben oder warten. Nein, ich werde kämpfen und noch härter als zuvor trainieren!
»Schade, sehr schade. Ein Versuch ist es wert gewesen. Was bietet ihr mir stattdessen für eure Rettung an?« Triel wirkt ungeduldig, noch immer zornig. Sie ist nicht bereit, aufzugeben. Crispin hingegen lächelt in unseren Kuss hinein. Er scheint zufrieden zu sein.
»Kleiner Schmetterling, das hat mir gefehlt. Nichts gegen dein kriegerisches Geschick, aber so ist es mir lieber«, flüstert er leise, nur für mich hörbar. Wir lösen uns widerwillig voneinander. Triel macht einen Kopfsprung ins Wasser, taucht sogleich mit peitschender Flosse wieder auf und spritzt uns mit voller Absicht nass. Nun gut, damit kann ich leben. »Was? Sollen wir auf dir reiten?«, provoziert Crispin, was sie erbost zischen lässt.
»Bin ich ein Delfin? Wage es nicht, so respektlos mit mir zu reden, Prinz. Sonst werde ich dich ertränken, sobald sich mir die Chance bietet. Du treibst es bis an meine Grenzen, verfluchter Elb. Das schwöre ich bei den Göttern. Du überspannst den Bogen deutlich. Dass eine von uns lieber dich wählt als uns, grenzt an einen Frevel. Ich weiß nicht, wie Jade dies aufnehmen wird. Sie wählt dich, ein lumpiger Elb, statt uns! Für jeden anderen Mischling wäre dies das Todesurteil.«
»Oh, da ist jemand empfindlich. Man kann nicht immer gewinnen, Triel. Was kostet unsere Rettung? Sprich!« Crispin scheut nicht davor, sie weiter zu reizen. Ihre Drohung übergeht er, denn Triel würde es nicht wagen, mich in seiner Gegenwart anzugreifen. Egal, was sie sagt, sie kennt seinen Ruf. Jeder kennt ihn.
»Ich bringe euch einzeln. Erst Alice, dann …«, erklärt sie, doch mein Gefährte tritt vor, schiebt mich besitzergreifend hinter sich, strafft seine breiten Schultern.
»Niemals! Nicht in tausend Jahren lasse ich Alice allein mit dir gehen. Für wie närrisch hältst du mich? Einen Fehler macht man einmal, in meinem Fall ein zweites Mal, so töricht wie ich gewesen bin. Aber nein, kein drittes Mal. Es kostet mich stets tausende Jahre meines unsterblichen Lebens und wahrscheinlich werde ich sogar der erste Elb mit grauen Haaren sein. Wir werden uns nicht trennen. Dir traue ich nicht. Ich sehe nicht mal mehr unser Bündnis als solches an. Ihr habt mich betrügen wollen. Hinterhältiges Pack! Du drohst Alice und jetzt soll ich sie mit dir gehen lassen? Für wie dümmlich hältst du mich, Nixe?«
»Also, wenn ich ehrlich bin, stimme ich ihm ausnahmsweise zu. Das endet meist böse für mich, insofern ich mich von ihm trenne. Und … ich vertraue hier niemanden mehr außer ihm. Anscheinend haben sämtliche Völker komische Pläne mit mir, davon habe ich die Nase gestrichen voll. Wir gehen zusammen, oder du kannst ohne uns gehen. Wir finden einen Ausweg, den finden wir immer. Wir brauchen dich nicht.« Die Worte klingen mutiger, als ich mich fühle. Innerliche zittere ich wie Espenlaub. Er blickt mich verwundert an, doch ich schenke ihm ein Lächeln. »Was?« Bei diesem entgeisterten Blick steigt ein gurgelndes Kichern in mir auf.
»Du stimmst mir zu? Oh Gott, du bist du falsche Albin oder es passieren tatsächlich noch Wunder!«
»Oje, seid ihr immer so anstrengend?« Triel spritzt uns abermals nass. Sie wirkt mehr als ungeduldig. Vermutlich würde sie uns lieber fressen, als weiter zu verhandeln.
»Verliebte Wesen sind mir ein Graus. Es macht sie schwächlich, widerlich weich. Prinz, bei unserem ersten Treffen hast du mir besser gefallen. So rau und hart, unnachgiebig mit einem Hauch Verzweiflung. Das ist männlich gewesen, aber jetzt …«
Was bildet dieses Fischfilet sich eigentlich ein? »Wie gut, dass es nicht deine Sorge sein muss, wie erotisch mein Gefährte ist, denn du wirst nie das Vergnügen haben, ihn zu erforschen«, zische ich durchaus erbost.
»Man sollte den Tag nie vor dem Abend loben, Mischlingsverräterin.« Sie spielt mit mir, das wird mir umgehend klar. Und leider hat sie einen Punkt getroffen, auf den ich allergisch reagiere.
»Crispin steht nicht auf garstige Fischstäbchen.« Crispin hustet in seine Hand, doch seine Schultern zucken dabei verdächtig. Er amüsiert sich königlich, dieser Blödmann. Er mag es, wenn ich mich aufrege.
»Fischstäbchen? Hat sie mich gerade beleidigt, das Albenbastardkind auf den dünnen Beinchen?« Triel leckt sich die Zähne. »Sei froh, dass ich noch nicht beschlossen habe, dich zu töten. Ich könnte dich mit den Zähnen zerfleischen und ausweiden.«
»Willst du deinen Dreizack holen? Ich habe echt keinen Bock mehr darauf, dass mir ständig jeder sagt, was besser für mich ist und meint, mir drohen zu können. Verschwinde, wir brauchen deine Hilfe nicht. Auch wenn du denkst, dass du gefährlich bist, unterschätze mich nicht. Du wartest hier vergebens darauf, dass ich einwillige.« Wut brodelt in mir hoch. Ich habe genug von all dem. Dieser Welt werde ich ab jetzt meine Krallen zeigen.
»Es ist deine letzte Chance. Man lehnt dieses Angebot nicht achtlos ab. Diese Chance bietet sich dir nie wieder.«
Mein Blick huscht zum Strand und auch Crispin bemerkt, dass sich dort Albe sammeln, die uns suchen. Noch sind sie nicht auf die Idee gekommen, dass wir auf dem Meer verweilen. Die raue See und die Felsen bieten uns Schutz, zumindest für eine kurze Weile, denn die ersten Drachen steigen bereits in die Luft. Es ist nur eine Frage der Zeit, ehe sie uns finden. Crispin und ich wechseln einen eindringlichen Blick. Wir kommunizieren wortlos. Ich könnte, will ich sagen, doch er schüttelt den Kopf. Wir finden einen anderen Weg. Unsere stille Kommunikation dauert nur wenige Sekunden, aber die Entscheidung ist gefallen. Ich verlasse mich darauf, dass Crispin die Lage besser beurteilen kann als ich, denn ich habe mächtig Schiss, wenn ich ehrlich bin. Der Gedanke, Grimm wiederzusehen, ist furchteinflößend.
Triel setzt ein Muschelhorn an ihre Lippen und hält es unter Wasser. Kurze Zeit später taucht eine weitere Nixe neben ihr auf, ihre roten Augen mustern uns unmissverständlich, während ihr blaues langes Haar im Wasser hinter ihr treibt. Sie legt den Kopf schief, entblößt ihre Zähne. »Wir könnten dich einfach zwingen, das weißt du, oder?«, lächelt Triel.
»Versucht es nur.« Crispin hebt sein Schwert und schwingt es locker im Handgelenk. »Ich kann es kaum erwarten. Ich glaube, es wäre mir sogar eine Freude, dir den Kopf sauber von den Schultern zu schlagen.« Bewundernd schaue ihn an. Wie kann er so furchtlos sein? »Sieh zu und lerne, kleiner Schmetterling«, neckt er mich leise, kassiert dafür einen festen Boxer gegen seinen Oberarm. Er zuckt nicht mal mit der Wimper.
»Dein Ego ist ohnehin schon so riesig, da muss ich es nicht noch fördern.« Meine Antwort lässt ihn heiser auflachen. Ich weiß nicht, was ihn gerade so munter macht. Ist es die Nahtoderfahrung? Er ist nicht bereit, aufzugeben. Jemand hat einst gesagt, unsere größte Schwäche liegt genau darin, im Aufgeben.
Ohne die Nixen aus den Augen zu lassen, greift er meine Hand und zieht sie an seine Lippen. »Wir werden Schwimmen.« Er küsst jeden meiner Fingerknöchel, was meine Beine zittern lässt. Hitze schießt durch meine Adern. Ich weiß, dass sein Plan verrückt ist, aber nicke dennoch. Seine Miene wird wie auf Knopfdruck wieder hart, er blickt auf. Über uns vernehmen wir Flügelschläge, laut und kräftig, und ein schwarzer Schatten kommt schnell auf uns zugerast. Es fühlt sich an wie eine kalte Dusche. Wir haben zu lange gewartet – Grimm kommt uns holen. Crispin stößt mich zu Boden, bedeckt meinen Körper mit seinem, während die Nixen abtauchen, um dem Drachen zu entkommen, der sich auf uns stürzt. Panik breitet sich in mir aus. Das ist nicht fair. Warum?