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Alice

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Ich möch­te nie auf­hö­ren, Cri­spin zu küs­sen. Nie­mals wie­der. Ge­füh­le dro­hen, mich zu über­wäl­ti­gen, und es fühlt sich an wie ei­ne Er­lö­sung. Sein Duft um­fängt mich, er riecht nach Wald, ge­mischt mit rau­er See und nach … ihm, nach Cri­spin, nach Heimat.

Wie ha­be ich je­mals an ihm zwei­feln kön­nen? Allein die Er­in­ne­rung an die Wut, die ich ver­spürt ha­be, als wir ge­kämpft ha­ben, und der Wil­le, ihn zu ver­let­zen … Ich schä­me mich so fürch­ter­lich, aber ich schwö­re, ich wer­de es gut­ma­chen. Ich möch­te mich am liebs­ten tausend­mal ent­schul­di­gen. Mei­ne Hän­de lie­gen auf sei­ner war­men Brust, un­ter der sein Herz kräf­tig schlägt. Der Blick aus sei­nen ein­dring­li­chen Augen ist for­schend und lie­be­voll, sein oft so stör­ri­scher Mund zu ei­nem leich­ten Lä­cheln ver­zo­gen.

Triel muss ver­rückt sein, wenn sie denkt, ich wür­de dies auf­ge­ben. Sie ahnt nicht mal, wie sich ein Ge­fähr­te an­fühlt, sonst wür­de sie nicht so re­den. Die­ses Emp­fin­den ist mit nichts ver­gleich­bar, was ich bis­her er­lebt ha­be. Un­mög­lich. Cri­spin auf­zu­ge­ben, wür­de be­deu­ten, dass ich ei­nen Teil von mir selbst ver­nich­te. Nein, hier ge­hö­re ich hin, zu die­sem Mann, und ab jetzt wer­de ich nicht mehr zurück­blei­ben oder war­ten. Nein, ich wer­de kämp­fen und noch här­ter als zu­vor trai­nie­ren!

»Scha­de, sehr scha­de. Ein Ver­such ist es wert ge­we­sen. Was bie­tet ihr mir statt­des­sen für eu­re Ret­tung an?« Triel wirkt un­ge­dul­dig, noch immer zor­nig. Sie ist nicht be­reit, auf­zu­ge­ben. Cri­spin hin­ge­gen lä­chelt in un­se­ren Kuss hin­ein. Er scheint zu­frie­den zu sein.

»Klei­ner Schmet­ter­ling, das hat mir ge­fehlt. Nichts ge­gen dein krie­ge­ri­sches Ge­schick, aber so ist es mir lie­ber«, flüs­tert er lei­se, nur für mich hör­bar. Wir lö­sen uns wi­der­wil­lig vo­nei­nan­der. Triel macht ei­nen Kopf­sprung ins Was­ser, taucht sog­leich mit peit­schen­der Flos­se wie­der auf und spritzt uns mit vol­ler Ab­sicht nass. Nun gut, da­mit kann ich le­ben. »Was? Sol­len wir auf dir rei­ten?«, pro­vo­ziert Cri­spin, was sie er­bost zi­schen lässt.

»Bin ich ein Del­fin? Wa­ge es nicht, so re­spekt­los mit mir zu re­den, Prinz. Sonst wer­de ich dich er­trän­ken, so­bald sich mir die Chan­ce bie­tet. Du treibst es bis an mei­ne Gren­zen, ver­fluch­ter Elb. Das schwö­re ich bei den Göt­tern. Du über­spannst den Bogen deut­lich. Dass ei­ne von uns lie­ber dich wählt als uns, grenzt an ei­nen Fre­vel. Ich weiß nicht, wie Ja­de dies auf­neh­men wird. Sie wählt dich, ein lum­pi­ger Elb, statt uns! Für je­den an­de­ren Misch­ling wä­re dies das To­des­ur­teil.«

»Oh, da ist je­mand emp­find­lich. Man kann nicht immer ge­win­nen, Triel. Was kos­tet un­se­re Ret­tung? Sprich!« Cri­spin scheut nicht da­vor, sie weiter zu rei­zen. Ih­re Dro­hung über­geht er, denn Triel wür­de es nicht wagen, mich in sei­ner Ge­gen­wart an­zu­grei­fen. Egal, was sie sagt, sie kennt sei­nen Ruf. Je­der kennt ihn.

»Ich brin­ge euch ein­zeln. Erst Ali­ce, dann …«, er­klärt sie, doch mein Ge­fähr­te tritt vor, schiebt mich be­sitz­ergrei­fend hin­ter sich, strafft sei­ne brei­ten Schul­tern.

»Nie­mals! Nicht in tausend Jah­ren las­se ich Ali­ce allein mit dir ge­hen. Für wie när­risch hältst du mich? Ei­nen Feh­ler macht man ein­mal, in mei­nem Fall ein zwei­tes Mal, so tö­richt wie ich ge­we­sen bin. Aber nein, kein drit­tes Mal. Es kos­tet mich stets tausen­de Jah­re mei­nes un­ster­bli­chen Lebens und wahr­schein­lich wer­de ich so­gar der er­ste Elb mit grau­en Haaren sein. Wir wer­den uns nicht tren­nen. Dir traue ich nicht. Ich se­he nicht mal mehr un­ser Bünd­nis als sol­ches an. Ihr habt mich be­trü­gen wol­len. Hin­ter­häl­ti­ges Pack! Du drohst Ali­ce und jetzt soll ich sie mit dir ge­hen las­sen? Für wie dümm­lich hältst du mich, Ni­xe?«

»Al­so, wenn ich ehr­lich bin, stim­me ich ihm aus­nahms­wei­se zu. Das en­det meist bö­se für mich, in­so­fern ich mich von ihm tren­ne. Und … ich ver­traue hier nie­man­den mehr außer ihm. An­schei­nend ha­ben sämt­li­che Völ­ker ko­mi­sche Plä­ne mit mir, da­von ha­be ich die Na­se gest­ri­chen voll. Wir ge­hen zu­sam­men, oder du kannst oh­ne uns ge­hen. Wir fin­den ei­nen Aus­weg, den fin­den wir immer. Wir brau­chen dich nicht.« Die Wor­te klin­gen mu­ti­ger, als ich mich füh­le. In­ner­li­che zit­te­re ich wie Espen­laub. Er blickt mich ver­wun­dert an, doch ich schen­ke ihm ein Lä­cheln. »Was?« Bei die­sem ent­geis­ter­ten Blick steigt ein gur­geln­des Ki­chern in mir auf.

»Du stimmst mir zu? Oh Gott, du bist du fal­sche Al­bin oder es pas­sie­ren tat­säch­lich noch Wun­der!«

»Oje, seid ihr immer so an­stren­gend?« Triel spritzt uns aber­mals nass. Sie wirkt mehr als un­ge­dul­dig. Ver­mut­lich wür­de sie uns lie­ber fres­sen, als weiter zu ver­han­deln.

»Ver­lieb­te We­sen sind mir ein Graus. Es macht sie schwäch­lich, wi­der­lich weich. Prinz, bei un­se­rem er­sten Tref­fen hast du mir bes­ser ge­fal­len. So rau und hart, un­nach­gie­big mit ei­nem Hauch Ver­zweif­lung. Das ist männ­lich ge­we­sen, aber jetzt …«

Was bil­det die­ses Fisch­fi­let sich eigent­lich ein? »Wie gut, dass es nicht dei­ne Sor­ge sein muss, wie er­otisch mein Ge­fähr­te ist, denn du wirst nie das Ver­gnü­gen ha­ben, ihn zu er­for­schen«, zi­sche ich durch­aus er­bost.

»Man soll­te den Tag nie vor dem Abend lo­ben, Misch­lings­ver­rä­te­rin.« Sie spielt mit mir, das wird mir um­ge­hend klar. Und lei­der hat sie ei­nen Punkt ge­trof­fen, auf den ich aller­gisch rea­gie­re.

»Cri­spin steht nicht auf gars­ti­ge Fisch­stäb­chen.« Cri­spin hus­tet in sei­ne Hand, doch sei­ne Schul­tern zu­cken da­bei ver­däch­tig. Er amü­siert sich kö­nig­lich, die­ser Blöd­mann. Er mag es, wenn ich mich auf­re­ge.

»Fisch­stäb­chen? Hat sie mich ge­ra­de be­lei­digt, das Al­ben­bas­tard­kind auf den dün­nen Bein­chen?« Triel leckt sich die Zäh­ne. »Sei froh, dass ich noch nicht be­schlos­sen ha­be, dich zu tö­ten. Ich könn­te dich mit den Zäh­nen zer­flei­schen und aus­wei­den.«

»Willst du dei­nen Drei­zack ho­len? Ich ha­be echt kei­nen Bock mehr da­rauf, dass mir stän­dig je­der sagt, was bes­ser für mich ist und meint, mir dro­hen zu kön­nen. Ver­schwin­de, wir brau­chen dei­ne Hil­fe nicht. Auch wenn du denkst, dass du ge­fähr­lich bist, un­ter­schät­ze mich nicht. Du war­test hier ver­ge­bens da­rauf, dass ich ein­wil­li­ge.« Wut bro­delt in mir hoch. Ich ha­be ge­nug von all dem. Die­ser Welt wer­de ich ab jetzt mei­ne Kral­len zei­gen.

»Es ist dei­ne letz­te Chan­ce. Man lehnt die­ses An­ge­bot nicht acht­los ab. Die­se Chan­ce bie­tet sich dir nie wie­der.«

Mein Blick huscht zum Strand und auch Cri­spin be­merkt, dass sich dort Al­be sam­meln, die uns su­chen. Noch sind sie nicht auf die Idee ge­kom­men, dass wir auf dem Meer ver­wei­len. Die raue See und die Fel­sen bie­ten uns Schutz, zu­min­dest für ei­ne kur­ze Wei­le, denn die er­sten Dra­chen stei­gen be­reits in die Luft. Es ist nur ei­ne Fra­ge der Zeit, ehe sie uns fin­den. Cri­spin und ich wech­seln ei­nen ein­dring­li­chen Blick. Wir kom­mu­ni­zie­ren wort­los. Ich könn­te, will ich sa­gen, doch er schüt­telt den Kopf. Wir fin­den ei­nen an­de­ren Weg. Un­se­re stil­le Kom­mu­ni­ka­tion dau­ert nur we­ni­ge Se­kun­den, aber die Ent­schei­dung ist ge­fal­len. Ich ver­las­se mich da­rauf, dass Cri­spin die La­ge bes­ser be­ur­tei­len kann als ich, denn ich ha­be mäch­tig Schiss, wenn ich ehr­lich bin. Der Ge­dan­ke, Grimm wie­der­zu­se­hen, ist furcht­ein­flö­ßend.

Triel setzt ein Mu­schel­horn an ih­re Lip­pen und hält es un­ter Was­ser. Kur­ze Zeit spä­ter taucht ei­ne weite­re Ni­xe ne­ben ihr auf, ih­re ro­ten Augen mus­tern uns un­miss­ver­ständ­lich, wäh­rend ihr blau­es lan­ges Haar im Was­ser hin­ter ihr treibt. Sie legt den Kopf schief, ent­blößt ih­re Zäh­ne. »Wir könn­ten dich ein­fach zwin­gen, das weißt du, oder?«, lä­chelt Triel.

»Ver­sucht es nur.« Cri­spin hebt sein Schwert und schwingt es lo­cker im Hand­ge­lenk. »Ich kann es kaum er­war­ten. Ich glau­be, es wä­re mir so­gar ei­ne Freu­de, dir den Kopf sau­ber von den Schul­tern zu schla­gen.« Be­wun­dernd schaue ihn an. Wie kann er so furcht­los sein? »Sieh zu und ler­ne, klei­ner Schmet­ter­ling«, neckt er mich lei­se, kas­siert da­für ei­nen fes­ten Boxer ge­gen sei­nen Ober­arm. Er zuckt nicht mal mit der Wim­per.

»Dein Ego ist oh­ne­hin schon so rie­sig, da muss ich es nicht noch för­dern.« Mei­ne Ant­wort lässt ihn hei­ser auf­la­chen. Ich weiß nicht, was ihn ge­ra­de so mun­ter macht. Ist es die Nah­tod­er­fah­rung? Er ist nicht be­reit, auf­zu­ge­ben. Je­mand hat einst ge­sagt, un­se­re größ­te Schwäche liegt ge­nau da­rin, im Auf­ge­ben.

Oh­ne die Ni­xen aus den Augen zu las­sen, greift er mei­ne Hand und zieht sie an sei­ne Lip­pen. »Wir wer­den Schwim­men.« Er küsst je­den mei­ner Fin­ger­knö­chel, was mei­ne Bei­ne zit­tern lässt. Hit­ze schießt durch mei­ne Adern. Ich weiß, dass sein Plan ver­rückt ist, aber ni­cke den­noch. Sei­ne Mie­ne wird wie auf Knopf­druck wie­der hart, er blickt auf. Über uns ver­neh­men wir Flü­gel­schlä­ge, laut und kräf­tig, und ein schwar­zer Schat­ten kommt schnell auf uns zu­ge­rast. Es fühlt sich an wie ei­ne kal­te Du­sche. Wir ha­ben zu lan­ge ge­war­tet – Grimm kommt uns ho­len. Cri­spin stößt mich zu Boden, be­deckt mei­nen Körper mit sei­nem, wäh­rend die Ni­xen ab­tau­chen, um dem Dra­chen zu ent­kom­men, der sich auf uns stürzt. Pa­nik brei­tet sich in mir aus. Das ist nicht fair. Wa­rum?

Fegoria - Dunkle Stunden

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