Читать книгу Wirren um Liebe - Anny von Panhuys - Страница 6

3.

Оглавление

Frau Magda Lindner war eine feine schlanke Frau mit blondem krausem Haar, in das die Jahre schon viele Silberfäden eingesponnen hatten. Sie besaß die tiefblauen Augen, die sie auch ihrem jüngsten Sohn vererbt hatte, und war meist guter Laune.

Sie hatte den Sohn mit ängstlichem Gesichtsausdruck empfangen; es war noch nie vorgekommen, daß er die ganze Nacht von Hause fortgeblieben war. Aber dank der gründlichen Behandlung in der Ißbergschen Badestube sah er leidlich aus, und sie ward gleich ruhig, weil alle ihre Ängste, was mit dem Sohn geschehen sein könnte, sich als überflüssig herausstellten. Er hatte die Ausrede gebraucht, er habe mit Freunden zusammengesessen, und weil er seinen Hausschlüssel vergessen, wäre er erst gar nicht heimgekommen, sondern hätte bei einem der Freunde die Nacht verbracht.

Er wußte, seine Mutter haßte unmäßiges Trinken. Wozu nun noch die Wahrheit sagen und ihr wehe tun, wo doch alles in schönster Ordnung war?

In schönster Ordnung? Die verschminkte Frau Gerhard von oben hatte ihn aus der Ißbergschen Wohnung kommen sehen, und Regina Ißberg hatte seinetwegen gelogen, ihre Eltern wären schon da. Regina Ißberg! Ihm schien fast unglaublich, daß es ihr gelungen war, ihn vom Flur in die Wohnung zu schaffen. Eine Kleinigkeit war das bestimmt nicht.

Er lächelte die Mutter an: „Weißt du, ich möchte mich noch ein paar Stunden hinlegen, Mutter. Ich habe auf dem fremden Sofa nur schlechte Nachtruhe gefunden.“

Frau Lindner nickte: „Natürlich, tu das, mein Junge, und schlafe noch. Bis halb acht hast du ja Zeit.“

Sie war froh, daß ihr Sohn gesund vor ihr stand. Sie hatte sich heute früh mit allzuviel Angstgedanken herumschlagen müssen, als sie sein Bett unberührt fand.

Nach der reichlichen Stunde Schlaf aber und ein paar Tassen starken Kaffee ward Dieter Lindner erst das Peinliche des Geschehnisses vom frühen Morgen klar. Ob er sich nochmals bei Regina Ißberg bedanken mußte?

Ach, das hatte er ja getan, daran erinnerte er sich deutlich genug, und ihm wäre verdammt unangenehm gewesen, ihr wieder gegenüberzustehen. Er wollte Regina Ißberg fortan lieber in weitem Bogen aus dem Wege gehen. Allmählich kam er dann wohl über die dumme Geschichte weg.

Anständig hatte das Mädchen ja gehandelt, aber sie hätte sich nicht mit ihm zu befassen brauchen.

Warum hatte er sich denn eigentlich zum erstenmal in seinem Leben so sinnlos betrunken? Wegen eines Mädels, wegen Marlene Staufen, der Nichte vom Konditor Staufen, bei dem er zuweilen gern einen Kaffee getrunken hatte. Sie hatte ihm schöne Augen gemacht und sich sogar von ihm küssen lassen, sich aber plötzlich für einen vor kurzem in der Stadt aufgetauchten sehr eleganten Herrn entschieden.

Da war er in einem Zustand von Trotz und Verzweiflung in eine Kneipe gegangen, in die er zuvor noch nie einen Fuß hineingesetzt hatte. Dort hatte er dann getrunken, wußte nicht mehr, wie er aus der Kneipe bis in das Haus, in dem er wohnte, gekommen war.

Er wusch sich zum zweiten Male sehr ausgiebig und dachte an Marlene Staufen, die ihm verlorengegangen und die in seinen Augen auch jetzt noch das schönste und begehrenswerteste Mädchen weit und breit war. So bald würde er nicht über ihre Treulosigkeit hinwegkommen.

Und derweil sich seine Gedanken auch am Nachmittag noch mit einer Art grimmiger Sehnsucht mit Marlene Staufen beschäftigten, ging die, an die er dachte, durch den dichtgrünen Juniwald neben einem schlanken Herrn her, der vertraulich einen Arm unter den ihren geschoben hatte und ihr erzählte, wie bequem und sorglos sie bald in einem reichen Heim mit ihm leben sollte.

Er erzählte: „Ich muß, wie ich dir schon andeutete, um mein Erbe kämpfen, mein Lieb, aber ich werde den Prozeß gewinnen. Mein Anwalt ist seiner Sache völlig sicher. Zwar werden noch einige Monate vergehen, aber dafür lohnt es sich auch nachher.“ Seine dunklen Augen konnten so zärtlich blicken. „Denke doch, Marlene, ein Schloß am Rhein, in der Nähe von Bonn, wird unser werden, mit herrlichen alten Möbeln! Und ein Bankkonto bekommen wir noch dazu. Ich habe mir mein Brot als Künstler verdienen müssen. Was blieb mir weiter übrig? Ich ließ meine Stimme ausbilden. Aber es liegt uns Buttenheims nicht, auf solche Art unser Leben zu gewinnen. Ein Ahne von mir kämpfte im Dreißigjährigen Krieg unter Tilly als einer der tapfersten Generäle und erwarb riesige Landgüter. Er heiratete eine italienische Fürstin, von der wir die dunklen Augen erbten, und ich denke, ihr Bild, das in dem alten Schloß am Rhein hängt, wird dir gefallen. Sie war sehr schön, du aber bist viel, viel schöner als sie.“

Wie betäubt schaute Marlene Staufen den Mann an, der sie so sorgsam über die grasbewachsenen Waldwege geleitete. Sie dachte: Es gibt also wirklich noch Märchen.

Wie ein Märchen war nun das große Glück zu ihr gekommen.

Er küßte sie, und sie grübelte verwirrt: War da nicht einer gewesen, der sie inniger geküßt hatte? Einer, der ihr den Himmel auf Erden versprochen und dem sie kurz und ohne viele Umstände den Laufpaß gegeben hatte, weil sie geblendet worden war von der goldenen Zukunft, die an der Seite Malte Buttenheims ihrer wartete. Sie fand sein Äußeres und sein Auftreten so vornehm und begriff noch kaum, daß sie, gerade sie, von ihm auserwählt worden war unter so vielen Mädchen, die ihm sicher alle gern gefolgt wären, wohin er sie geführt hätte, auch ohne daß als Ziel ein Schloß am Rhein gewinkt hätte.

Seit Malte Buttenheim sie hier in der Konditorei entdeckt, kam er, wie er ihr erzählt hatte, alle paar Tage aus Stettin, um sie zu sehen und sprechen. Er hatte sie gebeten, ihrem Onkel, bei dem sie lebte, noch nichts von der heimlichen Verlobung zu erzählen. Sie müßten erst das günstige Ergebnis des Prozesses abwarten. Dann könne er sich ganz offen um sie bewerben und brauche nicht mit leeren Händen vor ihren Vater hinzutreten.

Sie hatte ein süßes Gesicht, so ein richtiges liebreizendes Oval, lange Wimpern, hellblaue Augen, eine kurze schmale Nase und dichte lichtblonde Haarwellen über einer sehr geraden Stirn. Zwei sanft angedeutete Grübchen in beiden Wangen vertieften sich reizvoll beim Sprechen und Lächeln.

Dieter Lindner schien plötzlich neben ihr her zu gehen und sie anzusehen mit zornigem Blick. Mit so zornigem Blick wie gestern, als sie ihm erklärte, sie liebe einen anderen Mann.

Sekundenlang schnürte ihr unbehagliches Erinnern die Brust zusammen, das Atmen wurde ihr schwer.

Ihr Begleiter fragte: „Was ist dir, Marlenelein? Du siehst mit einemmal so nachdenklich aus.“

Sie schüttelte den Bann ab und lächelte: „Mir ist gar nichts.“

Er küßte ihre Hand, und sie errötete. So ein Handkuß war etwas, woran man sich erst gewöhnen mußte.

Sie wanderten weiter in den sich schier endlos dehnenden grünen Wald hinein, der die Mark Brandenburg so wundersam verschönt. Der Mann malte herrliche Zukunftsbilder, das Mädel an seiner Seite vergaß darüber alles um sich her. Irgendeine Fremdheit war noch zwischen ihm und ihr, das spürte sie deutlich, eine Fremdheit, die sie bei Dieter Lindner nie empfunden hatte. Aber das mochte wohl daran liegen, daß er ein Graf war — ein richtiger Graf!

Er küßte sie und sagte: „Ich bin so glücklich, dich gefunden zu haben; ’s ist unser zweites Alleinsein. Es war ja so wenig, wenn ich dich bisher nur sprechen konnte beim Besuch in der Konditorei. Aber du warst mir gleich so vertraut, als gehörtest du schon lange zu mir.“

Sie lächelte ein wenig eitel. Schön war es, nun bald eine große Rolle im Leben spielen zu dürfen. Aber auch ohne Titel und Schloß gefiel er ihr, nahm sie seine Liebe beglückt entgegen.

Er faßte ihre Linke und küßte sie, dann holte er aus der Westentasche einen Ring, der von hellgrünen und weißen Steinen funkelte und wollte ihn ihr anstecken. Doch noch zauderte er.

„Du sollst meinen Ring tragen, den ich für dich kaufte, Marlenelein, aber du trägst schon einen. Gib ihn her! Du mußt ihn mir verpfänden bis zum Hochzeitstage!“

Ehe sie noch etwas erwidern konnte, hatte er ihr den Ring abgezogen, der sich schon seit Generationen in ihrer Familie vererbt hatte. Ein antiker eigenartiger Ring war es und der Stein darin sehr kostbar.

Er schob ihr den flimmernden schmalen Reif an den nun leeren Finger und die Steine funkelten in der Nachmittagssonne grün und weiß in farbigem Durcheinander.

Er sagte: „Jetzt stecke ich mir deinen Ring an, mein Lieb. Siehst du, er paßt an meinen kleinen Finger, und von diesem Augenblick an sind wir richtig verlobt, wenn auch noch nicht öffentlich.“

Er küßte sie: „Ich fordere Treue von dir, Marlene! Och du, wie habe ich dich lieb!“

Marlene schwebte es auf der Zunge, zu bitten: Laß mir meinen Ring! Ich darf ihn nicht fortgeben, auch nicht an dich. Onkel würde schelten, wenn er merkt, daß ich ihn nicht mehr habe. Er schilt schon oft, weil ich ihn fast täglich trage.

Aber sie wagte nicht, ihm das zu sagen, denn sie trug doch ein so kostbares Geschenk von Malte Buttenheim am Finger. Sie würde allerdings den neuen Ring zu Hause nicht sehen lassen dürfen. Malte wollte doch nicht, daß sie von ihrer Liebe zu ihm erzählte, ehe er den Prozeß gewonnen hatte. Es war auch gut so. Mit dem Onkel war in manchen Dingen keine Verständigung möglich. Er war so solide und gründlich. Dinge, die noch in der Schwebe waren, entsprachen nicht seinem Geschmack. Alles, was er nicht sah oder was ihm nicht schwarz auf weiß bewiesen wurde, zweifelte er an.

Malte Buttenheim lächelte. „Jetzt wollen wir aber kehrt machen, mein Mädelchen. Ich habe am Spätnachmittag eine Besprechung mit meinem Stettiner Anwalt verabredet.“

Sie nickte: „Ich muß auch nach Hause. Ich habe nämlich geschwindelt, ich müßte zum Zahnarzt.“

Er drückte ihren Arm fester an sich.

Als die ersten Häuser der Stadt in Sicht kamen, trennten sie sich mit einem Händedruck und verabredeten sich: In acht Tagen an derselben Stelle.

Marlene ging langsam weiter und sah oft der straffen, schlanken Männergestalt nach, die sich immer rascher von ihr entfernte. Jetzt bog sie um eine Straßenecke und Marlene empfand ein leichtes Mißbehagen, weil Malte Buttenheim sich nicht ein einziges Mal nach ihr zurückgewandt hatte.

Nicht ein einziges Mal —

Wirren um Liebe

Подняться наверх