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4.
ОглавлениеMarlene kam nach Hause. In der Konditorei waren alle Tische besetzt. Sie sah es, als sie durch den Laden ging. Im Hinterzimmer, der allgemeinen Wohnstube, saß Konditor Otto Staufen auf dem Sofa. Seine graugesprenkelten dicken Augenbrauen zuckten. Das bedeutete bei ihm schlechtes Wetter.
Er fuhr die Eintretende an: „Wo bist du eigentlich gewesen? Die Lüge mit dem Zahnarzt brauchst du mir gar nicht erst aufzubinden. Ich habe mich schon fernmündlich mit Doktor Zelle unterhalten. Bei ihm bist du bis vor fünf Minuten nicht gewesen.“
Marlene entschloß sich zur teilweisen Wahrheit.
„Ich hatte so große Lust, ein bißchen ins Freie zu kommen, in den Wald und da habe ich den Zahnarzt vorgeschoben.“
In ihrer Stimme war etwas wie Aufsässigkeit. Er lachte kurz und böse.
„Ich habe immer gedacht, das Töchterchen meines Bruders, das bei uns lebt, als wäre es hier geboren, sei wahr und aufrichtig. Aber leider erkenne ich, du bist nicht mehr wert als alle, die einem fremden Mann zuliebe zur Lügnerin werden. Mit solchen verdammten Heimlichkeiten fängt es bei euch Mädels immer an und mit Ach und Weh hört’s auf.“
Sie erglühte bis zu den Schläfen und ihr Blick irrte ab.
Otto Staufen ließ sie nicht lange im Ungewissen über das, was er wußte. Er raunzte:
„Bist gesehen worden vom alten Kessin, der alle Tage nach einem ausgiebigen Spaziergang seinen Kaffee hier trinkt. Er erzählte mir: Einen schneidigen Freund hat sich Ihre Nichte angeschafft; sie geht in der Oberheide mit ihm Arm in Arm! — Ich habe mich darüber geärgert, daß es mir die Stimme verschlagen hat, als mir der alte Mann die Neuigkeit versetzte.“
Er fragte barsch: „Wer ist der Kerl, mit dem du gesehen wurdest? Ich will den Namen wissen.“
Marlene dachte daran, daß Malte noch nicht wünschte, daß ihr Onkel von ihrer Liebe erfuhr. Sie erwiderte deshalb so ruhig, wie sie es fertigbrachte: „Es handelt sich um eine Sache, über die der Herr, nach dem du mich fragst, schon zur rechten Zeit mit dir reden wird.“
Oh, wie jetzt die buschigen Brauen zuckten! Solche Antworten liebte der gerade, aufrichtige Staufen nicht. Er fand die Antwort hinterhältig und erregte sich:
„Was für einen Ton schlägst du eigentlich an, Mädel? Du, sieh dich vor! Bei mir mußt du Farbe bekennen, wenn ich es von dir verlange. Und ich verlange es! Auf der Stelle will ich wissen, mit wem du im Wald gewesen bist!“
Er sprach etwas zu laut und sehr schroff. Wäre sein Ton etwas milder gewesen, hätte Marlene wohl jetzt von dem Grafen Buttenheim erzählt; aber die rauhe Art weckte ihren Trotz. Sie beharrte darauf:
„Du erfährst alles, sobald es an der Zeit ist, darüber zu reden.“
Frau Staufen trat ein. Klein und dick war sie und immer in Hast. Sie mahnte:
„Nehmt doch Rücksicht darauf, daß wir ein offenes Geschäft haben! Warum hast du denn so laut geschrien, Otto? Ich konnte es ja bis in den Laden hinein hören.“
Sie blickte starr auf Marlenes linke Hand: „Was für einen Ring hast du denn da? Das Ding sieht ja ganz auffallend aus.“
Jetzt gewahrte auch Otto Staufen den Ring mit den grün und weißen Steinen, den Marlene abzuziehen vergessen hatte, ehe sie das Wohnzimmer betrat.
Er sah Marlene zornig an: „Der Ring hängt natürlich mit dem Spaziergang in der Oberheide zusammen. Also raus mit einer Erklärung! Wer ist der Mensch, mit dem du da rumgebummelt bist, und von dem du sicher das Glitzerding erhalten hast?“
Er stellte gleich eine weitere Frage, die ihm eben eingefallen war und die ihm noch wichtiger schien als die andere. Er forschte: „Wo ist dein Ring? Heute mittag hattest du ihn anstecken, und ich ärgerte mich darüber wie gewöhnlich, weil in der Beziehung ja kein Verstand in dich reinzubringen ist, weil du nicht begreifen willst, daß man so ein seltenes Wertstück nicht alltags im Geschäft trägt.“
Marlene entschloß sich zu reden, denn etwas mußte sie jetzt wohl bekennen, und wenn’s nur ein Bruchteil ihres Erlebens wäre. Sie ärgerte sich. Hätte sie vor dem Eintreten in die Wohnstube doch den neuen Ring abgezogen, den Malte Buttenheim ihr gegeben, dann wäre jetzt alles gut, hätte der Onkel wohl kaum an ihren Ring gedacht.
„Na, wird’s bald?“ drängte Otto Staufen. „Aber, bitte, tische uns keine Lüge auf.“
Seine Frau bat: „Sei nicht so laut, Otto! Denke an die Gäste in der Konditorei.“
Marlene tat noch immer ruhig, aber ihr war gar nicht wohl zumute, als sie antwortete: „Der Ring, den ich trage, ist mein Verlobungsring, und ich gab meinen Ring dafür, wenigstens solange, bis er und ich glatte Verlobungsringe tragen können.“
Das Ehepaar wechselte erschrockene Blicke. Endlich sagte die Frau: „Und warum muß dein Onkel, der Vaterstelle an dir vertritt, das erst durch Anschnauzen aus dir herausholen? Sind er und ich in deinen Augen so fremde Menschen, daß wir nichts zu wissen brauchen davon?“
Die Stimme der Frau bebte vor Erregung, weil sie hatte feststellen müssen: Da nimmt man ein blutsverwandtes Kind ins Haus, betreut es wie eine eigene Tochter, die man durch und durch zu kennen glaubt, und plötzlich hat sie ein großes Geheimnis, von dem man ausgeschlossen bleibt.
Man glaubt, ihr Vertrauen zu besitzen und man besitzt es doch nicht. Sie verbirgt etwas und lügt uns an.
Sie fuhr fort: „Wenn du jemand gefunden hast, den du gern magst, dann kannst du es uns doch sagen. Und wenn’s ein anständiger Mann ist, der sein leidliches Brot hat, brauchst du kein Schloß vor deinen Mund zu legen. Dann kann er sich uns vorstellen, und wenn nichts an ihm auszusetzen ist — lieber Himmel, dein Onkel und ich, wir waren auch einmal ein Liebespaar! Wir sind doch keine Unmenschen.“ Sie schalt: „Du solltest dich schämen, hinter unserem Rücken Heimlichkeiten zu haben, die gar nicht nötig sind.“
Marlene erkannte die Richtigkeit des Vorwurfs an. Sie entschuldigte sich: „Ich hätte euch ja auch schon gern etwas gesagt, aber er will es nicht. Er hält für gut, damit zu warten, bis er seinen großen Prozeß gewonnen hat und seine Existenz gesichert ist.“
Sie hatte das nicht sagen wollen, es aber nun doch nicht für sich behalten können.
Otto Staufen fragte hastig: „Wer ist dieser er? Darauf kommt es vor allem an.“
Sie wehrte ab: „Laß das, bitte, Onkel, bis er dich besuchen kann, bis er seinen Prozeß gewonnen hat. Dann sollt ihr es sofort erfahren.“
Er wurde heftig: „Ein anständiger Mensch braucht nicht mit mir Versteck zu spielen, der kann ganz offen mit mir reden, auch ohne den Hintergrund von ’nem gewonnenen Prozeß. Ich müßte sonst annehmen, wenn er den Prozeß nicht gewinnt, läßt er dich sitzen und verschwindet.“
Er fragte etwas ruhiger als bisher: „Um was geht es denn in dem Prozeß?“
Wenn er den Prozeß nicht gewinnt, läßt er dich sitzen und verschwindet. Diese Worte trafen Marlene wie spitze Steinchen, die man ihr ins Gesicht geworfen. Ihre Wangen brannten davon.
Sie vergaß, daß Malte Verschwiegenheit von ihr gefordert hatte, und antwortete sehr überlegen: „Der Prozeß dreht sich um ein großes Schloß im Rheinland und um eine bedeutende Barsumme.“
Otto Staufen sah seine Frau an und sie ihn. Dann sagte er fast belustigt: „Marlene, ich mache mir nichts aus dem Wiedererzählen von Filmstücken. Damit komm mir nicht.“
Sie hatte angenommen, ihre Mitteilung würde einschlagen wie eine Bombe; aber Onkel und Tante lächelten nur ungläubig — sehr ungläubig sogar — so ungläubig, daß ihr jetzt alles gleich war.
Lächeln sollte man nicht über Malte Buttenheim und über sie. Das mußte sie verhüten, und deshalb sprudelte sie die volle Wahrheit heraus. Mochten die beiden alles wissen. Sie sah selbst nicht mehr ein, warum sie eigentlich schweigen sollte. Malte mußte sich eben damit abfinden, daß sie ihn verteidigt hatte.
Cnkel und Tante würden ja nicht daran denken, ihnen Hindernisse zu bereiten, wenn ihr Liebster ein anständiger Mensch war. Und daran bestand kein Zweifel.
So erfuhr das Ehepaar von der Existenz eines Grafen Buttenheim aus Stettin, der hier in der Konditorei mehrmals Kaffee getrunken und sich auf den ersten Blick in sie verliebt hatte — es erfuhr auch, wie schnell er sich mit ihr gründlich ausgesprochen und daß er ihr heute den schönen Ring mitgebracht hatte. Den Ring aus Smaragden und Brillanten.
Otto Staufen setzte sich wieder, sagte kopfschüttelnd: „Die Neuigkeit kann ich beim Stehen nicht unterkriegen. Ein Graf hat sich in dich verliebt, und er prozessiert um ein Schloß am Rhein, in das du später als Gräfin einziehen sollst? Die Sache will mir noch nicht recht einleuchten! Ausgerechnet auf dich hat der Graf gewartet!“
Seine Frau warf lebhaft ein: „Otto, so etwas ist doch schon öfter vorgekommen, und Marlene ist sehr hübsch. Auch hübsch genug für einen Grafen.“
Otto Staufen mußte das im stillen zugeben. Ja, hübsch war das Mädel, sogar sehr hübsch, davon biß keine Maus ein Fädchen ab. Schließlich, wenn es sich wirklich um Liebe handelte, durfte man ihr wohl das anscheinend große Glück von Herzen gönnen.
Er wurde wieder freundlich. „Meinetwegen. Aber mit der Heimlichkeit muß es ein für allemal aus sein. Dafür habe ich nix übrig, Marlene. Dein Graf soll sich uns ruhig vorstellen. Und irgendeine Beschäftigung hat er ja. Wenn er Sänger ist, na, da ist er eben Sänger. Es gibt Menschen, die das sehr hoch einschätzen. Ich bin allerdings mehr für den Konditorberuf.“ Er lächelte: „An deinem Onkel und deiner Tante soll es nicht liegen, wenn dir nicht alles nach Wunsch geht. Du bist doch so gut wie unsere Tochter. Wir haben keine eigene — und Jungens, das ist ganz was anderes. Aber unsere fünfe sind wie deine Brüder. Wenn da der Graf Geschichten machen würde, fielen sie alle fünfe über ihn her.“
Marlene war mit einemmal leicht zumute. Sie war keine Freundin vom Heimlichtun und vom Lügen. Von Malte war es töricht gewesen, daß er das überhaupt von ihr verlangt hatte.
Frau Staufen klopfte ihr auf die Schulter:
„Ich bin ja so überrascht, daß ein Graf dich heiraten will.“
„Setze bloß Marlene keine Raupen in den Kopf!“ mahnte der breitschultrige Konditor Staufen. „Graf hin, Graf her! Der Titel sagt gar nichts. Heutzutage kommt’s bloß darauf an, daß einer ein richtiger Kerl ist. Mit dem Grafentitel allein kann man keinem vernünftigen Menschen mehr Respekt einflößen. Mensch ist Mensch. Bloß auf das und das kommt es an.“ Er zeigte auf Kopf und Herz. Er schmunzelte: „Aber ehrlich gestanden, freuen tut’s mich, wenn meine Nichte ’nen Grafen mit einem richtigen Schloß heiratet.“
Er nickte Marlene zu: „Die Hauptsache ist, daß du glücklich wirst, Mädel, alles andere ist nebensächlich.“
Marlene konnte nicht anders, sie fiel erst der dicken, kleinen Tante, dann dem großen Onkel um den Hals; und in ihren Augen standen Tränen.
Sie versprach: „Wenn ich Malte in acht Tagen wiedertreffe, erzähle ich ihm, daß ihr alles wißt, und bringe ihn hierher.“
Frau Staufen wehrte ab: „Aber nicht in die Wohnstube, führe ihn gleich oben ins Herrenzimmer. Da stehen doch unsere besten Möbel.“
Ihr Mann schlug sich belustigt auf die Knie.
„Hast also doch einen Fimmel, Muttchen, was? Wenn der Graf ein natürlicher, netter Kerl ist, gefällt es ihm hier in der Stube sicher ganz gut, die an Gemütlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Aber schließlich, wozu hat man ein Herrenzimmer? Das ganze Jahr über komme ich nicht hinein, wenn nicht mal bei ganz besonderen Gelegenheiten. Dann kann Mutter mit den geschnitzten Möbeln dicke tun, und die Tür nach der Eßstube, die wir sonst nicht benutzen, steht offen und man schnabuliert vornehm. Die Geschichte kann ja wieder mal aufgezogen werden, wenn dein Graf kommt. Also in acht Tagen rede ich mit ihm. Dann bringst du ihn uns, Mädel.“