Читать книгу Das Mädchen aus Mexiko - Anny von Panhuys - Страница 6

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Isabel hatte sich mit dem Vater im allgemeinen stets der spanischen Sprache bedient. Sie sprach spanisch und englisch gleich gut, weil sie jahrelang mit dem grossen Zirkus, dessen fester Standplatz die Hauptstadt Mexikos war, durch die Vereinigten Staaten gezogen war, auch Brasilien und Argentinien kannte sie.

Deutsch konnte sie nicht so geläufig, es kamen da allerhand Entgleisungen vor. Aber für Isabel Herbert gab es keine Schwierigkeiten. Sie kam gut in Hamburg an und fuhr von dort aus erster Klasse nach Worms. Der Vater hatte sie reichlich mit Geld versehen, und sie konnte sehr bequem reisen.

Auf dem Schiffe hatte sie sich um niemand und nichts gekümmert. Sie hatte das ihrem Vater in die Hand gelobt, und Versprechen hielt Isabel. Sie hatte unterwegs auch gar keine Teilnahme für irgendetwas verspürt. Sie grämte sich immer noch um Bonito. Oft traten ihr die Tränen in die Augen, wenn sie an ihren Liebling dachte, und sie war glücklich, wenigstens eine Photographie von ihm zu besitzen.

Aber ganz allein war sie nicht über das Meer gekommen. Ihr kleiner Affe Oro war bei ihr. Er war zierlich und niedlich, und sie hatte ihn immer an der Kette, deshalb beanstandete niemand während der Eisenbahnfart den winzigen Reisegenossen.

Sie hätte ihre Ankunft telegraphisch melden sollen, aber sie fand das überflüssig. Sie wollte Tante Helene überraschen.

So erreichte sie Worms. Sie gab einem Dienstmann ihren Gepäckschein und bat ihn, ihre Koffer in ungefähr einer halben Stunde zu der angegebenen Anschrift zu bringen. Nur ihr Handtäschchen behielt sie bei sich. Oro setzte sich auf ihre linke Schulter, seinen Lieblingsplatz.

In Mexiko fällt ja eine junge Dame, die mit einem Affen herumspaziert, nicht besonders auf, aber hier blieben die Leute verblüfft stehen, und ein paar auf der Strasse spielende Kinder liefen ihr nach. Sie achtete gar nicht darauf, machte nur einmal halt und fragte die Kinder nach dem Weg. Die Kinder erklärten sich begeistert bereit, sie selbst zur Frau Geheimrat zu führen.

Unterwegs schlossen sich noch mehr Kinder an, ein paar Müssiggänger gesellten sich auch dazu, und allmählich bildete sich ein ganzes Ehrengeleit um Isabel Herbert, die sich zwar ein bisschen über die zahlreiche Begleitung wunderte, aber der Meinung war, es sei vielleicht irgendeine Landessitte, eine Höflichkeit Fremden gegenüber.

Tine stand just auf dem Balkon und bürstete ein Sofakissen aus, als sich ein seltsamer Zug näherte. Die Sonne blendete stark, sie musste mit der einen Hand die Augen schützen, um Genaueres zu erkennen.

So, nun konnte sie besser sehen. In der Mitte des Zuges ging eine Frauensperson, und auf ihrer Schulter hockte ein Affe. Es trieb sich also wieder einmal landfahrend Volk in Worms herum. Die verdächtigen Kerle da seitlich gehörten wohl zu dem Weibsbild, das auffallend elegant gekleidet war.

Aber heutzutage brauchte man sich über gar nichts mehr zu wundern, da zog sich wohl auch eine Landstreicherin wie eine Dame an. Da irrte so was mit einem Äffchen umher, faulenzte durch die Welt und liess sich noch dafür bezahlen. Na, von ihr brauchte sie auf keinen Groschen zu rechnen. —

Von der anderen Richtung her schlenderte ein Schupo in seiner sauberen Uniform dem Zuge entgegen. Tine wartete gespannt auf das Ausreissen der Landstreicherin. Aber ganz frech marschierte der Trupp weiter, und die Person in der Mitte lachte eben laut auf. Man hörte es deutlich.

Der Schupomann schritt heran, machte eine befehlende Bewegung, und der Trupp lockerte sich.

Leider vermochte Tine von der zwischen Behörde und Landstreicherin geführten Unterhaltung nichts zu verstehen, nur sah Tine, wie der Schupo plötzlich auch lachte und neben dem Weibsbilde weiterschritt.

Jetzt kam natürlich die Verhaftung und gerade vor ihrem Hause! Tine beugte sich gespannt über das Geländer. Nanu, was bedeutete denn das? Unten schrillte ja die Hausglocke. Das Frauenzimmer sollte wohl verhaftet werden und wollte sich hier ins Haus retten?

Tine fiel ein, sie hatte vorhin vergessen, hinter der Zeitungsfrau die Haustür zu schliessen. So rasch es ihr dicker Körper erlaubte, stürmte sie die Treppe hinunter ins Erdgeschoss, und da stand der Schupomann und neben ihm die Landstreicherin.

Lieber Himmel, war das eine schöne Person! Im nächsten Augenblick schrie sie gellend auf. Der kleine Affe hatte anscheinend Verlangen verspürt, seinen Standplatz zu ändern und sprang ihr, da ihm seine Kette dazu genügend Bewegungsfreiheit liess, auf die Schulter.

Der Schupo grüsste militärisch, aber er lachte dabei. Tine sah deutlich, er lachte, weil sie sich vor dem Affen fürchtete. Sie liess den Beamten, der sprechen wollte, nicht zu Wort kommen.

„Sie Person Sie, nehmen Sie mir das Biest ab, es will mein Ohr anfressen,“ schrie sie empört.

Der Schupo lachte stärker, die Landstreicherin aber rief leise: „Oro, ven aqui!“

Da sprang der Affe zurück auf seinen alten Platz, und der Schupo sagte freundlich: „Die junge Dame erklärt, sie sei die Nichte der Frau Geheimrat Kornelius und komme aus Mexiko, wo man mit einem Affen herumlaufen könne! Bei uns hiesse es wohl: Erregung öffentlichen Ärgernisses — oder Betriebsstörung.“

Er grüsste militärisch, blickte Isabel noch einmal bewundernd an und ging.

Tine rannte zur nächsten Tür, schrie laut: „Frau Geheimrat, sie ist da, sie ist da!“

Die Tür öffnete sich. „Wer ist da?“

Tine war ganz kopflos. „Die Landstreicherin mit dem Affen, ich meine, Ihre Nichte!“

„Frau Mottebusch!“

Das Wort Landstreicherin löste tausend Ängste in Helene Kornelius aus, aber als sie sich umschaute, stand da vor ihr ein schmales, zierliches Wesen mit sonnengebräuntem Gesichtchen, wundervollen, grossen Schwarzaugen und blondem Haar von der Farbe, wie sie es in ihrer Jugend gehabt hatte. Und die Augen sahen sie fragend an. Rührung quoll in ihr auf. Sie breitete die Arme aus, und da trat die Zierliche ein wenig scheu näher, aber dann schmiegte sie sich in ihre Arme, und die Geheimrätin, die nie ein Kind besessen, empfand plötzlich jähe Zärtlichkeit für dieses reizende Mädelchen.

Leise sagte sie: „Wie freue ich mich, dass du gekommen bist!“

Der kleine Affe aber hatte sich längst davongemacht. Er sass nebenan auf dem Speiseschrank, wo er einen Teller mit Nüssen entdeckt hatte, und schmauste davon. Als Tine ins Zimmer trat, warf er ihr die Schalen ins Gesicht.

Frau Helene Kornelius aber atmete ebenso auf wie Tine Mottebusch. Isabel Herbert hatte weder kupferfarbene Haut, noch die leiseste dunklere Blutstönung. Ihr Gesichtchen war nur von der heissen Sonne ihrer Heimat gebräunt, und das kleidete sie entzückend.

Helene Kornelius fragte lächelnd: „Weshalb sandte dich denn dein Vater so plötzlich nach Deutschland, mein liebes Kind?“

Isabels Züge überschattete finsterer Ernst. „Weil er und ich es nicht ’aben wollte, dass ich einen Sennor musste erschiessen.“

„Um des Himmels willen,“ ächzte Tine.

Isabel stiess empört hervor: „Er ’at meiner Bonito erschossen, meiner Liebster!“

Die Geheimrätin erstarrte, Tine blinzelte ihr zu. In Mexiko schien es ja gut zuzugehen. Irgend jemand hatte diesem blutjungen Geschöpf den Liebsten erschossen und —

Ach, das war ja haarsträubend.

Zitternd fragte Helene Kornelius: „Wer war denn dein Liebster?“

Isabel lächelte wehmütig. „Ich ’abe ihm so sehr geliebt, mein ’erz war voll von ihm. Ich will ihm euch zeigen!“

Sie kramte in ihrem Handtäschchen herum, und die beiden Frauen sahen fast ängstlich auf die grosse Photographie, die ihnen Isabel entgegenhielt.

„Aber, Isabel! Das ist doch ein Tiger!“ stellte die Geheimrätin fest.

„Aber das ist doch ein Tiger!“ stellte auch Tine fest.

Isabels dunkle Augen schwammen in Tränen. „Ja, meiner Bonito ist ein Tiger gewesen, der schönste und beste, den es gab. Er ’atte ein ’erz wie ein Mensch und ’at mir geliebt.“ Sie schlang mit wildem Aufschluchzen die schmalen Arme um den Hals der Tante. „Wir ’aben uns so gut versteht, und er ’at sterben gemusst so jung. O, meiner armer Bonito! O pobre Bonito! Pobre animalito mio!“

Tine fing plötzlich auch an zu schluchzen.

Die Geheimrätin gab Isabel frei, blickte erstaunt auf die Dicke. „Was ist Ihnen, Tine, was fehlt Ihnen denn?“

Tine Mottebusch würgte schwer atmend hervor: „Ich bin so gerührt, es tut mir jetzt auch leid, dass der arme Tiger sterben musste.“

Helene Kornelius schüttelte verblüfft den Kopf, aber wenn sie ganz ehrlich sein wollte, auch ihr waren die Tränen nahe. Doch nicht des Tieres wegen, eher schnitt ihr Isabels Jammer ins Herz, und ähnlich mochte es auch wohl Tine gehen, ohne dass sie sich darüber klar ward.

Sie nahm Isabel den kleinen, dunkelgrauen Seidenhut ab. So, jetzt kam das mattblonde, leicht gewellte Haar zur vollen Geltung. Wie reizend die Nichte war, vor deren Ankunft sie sich gefürchtet hatte! Ganz Worms würde sie um diese entzükkende Nichte beneiden!

Aber vorläufig brauchte sie hier noch nicht allzu viele Menschen kennenzulernen. Jetzt war man in der Reisezeit, sie selbst wollte zur Nachkur einer Halsentzündung nach Bad Soden am Tounus, dorthin würde sie Isabel mitnehmen, und im Herbst konnte sie dann in die hier sehr nette Gesellschaft eingeführt werden.

Sie freute sich jetzt, dass ihr der Bruder sein Kind schickte. Sie legte ihren Arm um Isabels Schulter. „Komm, Isabel, ich zeige dir deine Zimmer.“

Isabel rief: „Oro!“ Das Äffchen sprang im Bogen auf ihre Schulter, und Tine guckte noch lange auf die Tür, hinter der die drei verschwunden waren. Sie stand, und ihre grauen Äuglein hatten einen ganz verzückten Glanz. „Isabel!“ sagte sie leise vor sich hin, und wie sie den Namen aussprach, glich er einem Streicheln, einer Liebkosung.

Isabel hatte sofort das Herz der beiden alternden Frauen gewonnen, die Lieblichkeit ihres Äussern, ihre Art zu sprechen, sich zu bewegen, alles zusammen verband sich zu einem fremdartigen und doch echten, natürlichen Zauber, der so leicht für sich einnahm. Isabel Herbert gehörte zu den Menschen, denen man nur schwer böse sein kann, und denen man leicht vergibt.

Das Mädchen aus Mexiko

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