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4.

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Albin Albus sass nach dem Abendessen in seinem Arbeitszimmer. Er hatte es sich in einem weitausladenden Klubsessel neben dem Rauchtischchen bequem gemacht, und während er eine besonders gute Zigarette zwischen den Lippen hielt, sann er über Karola Michael, Günter und sich selbst nach.

Was Günter zu ihm mit dem Blick und dem Tonfall eines Fanatikers geäussert, setzte ihm gehörig zu; es bewies ihm, die Liebe seines Bruders zu Karola war nicht von der Art, die um der Liebe selbst willen grosse Opfer bringt. Für die Sicherheit, berühmt zu werden, gäbe Günter seine Liebe her.

Auf dem Rauchtisch stand ein Tablett, darauf lagen mehrere Briefe, die heutige Abendpost. Alle Briefe wurden unten im Geschäft abgegeben, und Emil Krettke sonderte davon die privaten ab und legte sie auf das Tablett. Auch Briefe an Günter gelangten auf diese Weise zuerst in Albins Hände.

Nun waren Albin in letzter Zeit mehrmals an Günter gerichtete Briefe aufgefallen, weil die Umschläge aus grellem Grün, von länglichem, sehr grossem Format waren. Ein breiter Silberstreifen betonte ausserdem sehr nachdrücklich die Linie, wo sich der Umschlag schloss. Albin fand diese Briefe auffallend und unfein, und wenn er sie auch bis jetzt stets gleichgültig in Günters Zimmer gelegt, quälte ihn heute, angesichts eines neuen solchen Briefes, die Frage, wer die Absenderin sein mochte.

Diese Briefe konnten nur von einer Frau stammen. Einem Mann fiele sicher nicht ein, derartiges Papier zu benützen. Übrigens handelte es sich um eine unverkennbar weibliche Handschrift ohne besondere Eigenart.

Ob es Liebesbriefe waren, für die man die Farbe der Hoffnung etwas zu knallig grün gewählt hatte?

Aber Günter hatte Karola im Arm gehalten und sie geküsst, und wer eine Karola Michael küssen darf, macht ihr zuliebe — falls er noch irgendwie im Netz einer älteren Liebesgeschichte festhängt — bestimmt damit Schluss.

Die Versuchung trat dicht an Albin Albus heran und flüsterte ihm zu: Es sind letzthin schon so häufig Briefe von dieser Farbe mit dem Silberstreifen und der dünnen Schrift gekommen, was liegt also an einem grünen Brief mehr oder weniger? Öffne diesen letzten Brief, und Du bist im Bilde, weisst Bescheid!

Immer dichter drängte die Versuchung sich heran, flüsterte weiter: Vielleicht verhilft Dir der Inhalt des Briefes zu Deinem Glück!

Albin warf den Rest seiner Zigarette in den Ascher. Die Versuchung liess ihm keine Ruhe, und schliesslich wehrte er sich nur noch dürftig und schwach dagegen. Die Versuchung lief sogar neben ihm her, als er aufsprang und mit weitausholenden Schritten das Zimmer durchmass. Sie lief unablässig neben ihm her und lachte ihn aus: Was ist denn dabei, wenn Du den Umschlag öffnest? Es ist nicht recht von Deinem Bruder, sich Liebesbriefe schreiben zu lassen, während er in derselben Zeit Karola Michael von Liebe spricht!

Er holte sein Taschenmesser hervor und schnitt den Umschlag auf, zog einen Bogen von der Farbe des Umschlags daraus hervor, nahm wieder Platz und las, was auf dem Bogen stand:

„Geliebter und doch bitterböser Schatz!

Noch immer will ich mich zusammennehmen und Dir nur schreiben. Am liebsten aber käme ich selbst zu Dir und machte Dir eine Szene, dass kein Hund mehr ein Stück Brot von Dir nähme, dass Du Dein Leben lang daran denken müsstest. Ich bin rücksichtsvoll, weil ich fürchte, Dein Bruder könnte, falls ich bei Euch auftauche, Dir Ärger bereiten, Dir Dein Studium erschweren, und das will ich nun doch nicht.

Aber ich verlange endlich Antwort von Dir auf meine verschiedenen Briefe. Du darfst mich nicht behandeln wie einen Gegenstand, den Du satt hast. Du sagtest mir oft genug, dass Du mich liebst, ich glaube, danach berechtigt zu sein, aus Deinem Munde zu hören, wenn Du mich nicht mehr liebst. Soviel Mut muss ein Mann aufbringen.

Ich erwarte Dich am Sonnabend um halb neun Uhr abends am Untergrundbahnhof Potsdamer Platz. Ich rate Dir, komm! Sonst bin ich zu allem fähig und werde in Deiner Nähe auftauchen, wenn es Dir am allerunangenehmsten sein dürfte.

Ich will Sonnabend mein grünes Kostüm anziehen, das Du so gern hast, und den Hut, den ich mir dazu angeschafft. Ich hoffe und wünsche, ich habe Dir unrecht getan und andere Gründe als Treulosigkeit haben Dich davon abgehalten, mir eher zu antworten oder dorthin zu kommen, wo wir uns zu treffen pflegten. Wäre es so, dann würde sich freuen

Deine trostlose Muschi.“

Das Wort trostlos war dick unterstrichen.

Albin Albus lächelte ein wenig über den Schluss. Es war so ein richtiger unlogischer Brief, zusammengebraut aus Liebe, Zorn, versteckter Drohung und Versöhnungswillen.

Fast war er neugierig, diese „Muschi“ kennenzulernen, um die sich Günter wohl nicht mehr kümmerte, seit Karola ihm besser gefiel.

Allzulange schien es noch nicht her zu sein.

Aber feig war Günter, sehr feig, weil er bis jetzt nicht gewagt hatte, der Briefschreiberin zu erklären: Es muss aus sein zwischen uns beiden. Ich liebe Dich nicht mehr. Ich kann nicht anders, verzeih’ mir!

Er schloss den Brief in seinen Schreibtisch und rauchte wohl ein Dutzend Zigaretten. Der Inhalt des Briefes hatte ihn unruhiger gemacht, als er schon vorher gewesen. Er spann sich tief in allerlei Gedanken ein, und schliesslich ging er aus. Er wollte noch irgendwo ein Glas Bier trinken; er ertrug heute das Alleinsein nicht länger; seine Gedanken machten förmliche Bocksprünge.

Es war töricht von ihm gewesen, den Brief zu öffnen und sich jetzt auch noch den Kopf mit Gedanken über die Schreiberin zu zerbrechen. Was brauchte ihn die „trostlose Muschi“ zu kümmern?

Anständig hatte Günter an ihr allerdings nicht gehandelt. Man lässt doch so ein armes Wurm nicht einfach im Stich.

Er lachte sich selbst aus. Es war verdreht, was ihm alles höchst überflüssigerweise im Kopf herumspukte. Was aber konnte er dafür, dass Karola ihm immer begehrenswerter schien?

Die geheimnisvolle Besucherin

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