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Drittes Kapitel.

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„Meine Lebensgeschichte hat ihren Entschluss zur Reife gebracht,“ warf sich dann auch Amtsrichter Tomiczek vor, als er von der Marta Flucht erfuhr, „sie fürchtete, vielleicht auch einmal ein verlorenes Leben beklagen zu müssen.“

Ein paar Wochen später langten von Marta zwei Briefe in Schwärzestadt an. Einer war an Frau Stiller, der andre an Hilde gerichtet. Frau Stillers Figürchen fiel von diesem Tage an noch mehr in sich zusammen. Mit ihrer Jüngsten war sie fertig, die existierte nicht mehr für sie. Sie schickte Marta deren zurückgelassene Sachen, ohne eine Zeile hinzuzufügen, verkaufte ihr Häuschen und zog zu ihrem ältesten Sohne, der sich in einem benachbarten Orte eine Praxis als Landarzt gegründet hatte. Dort leitete sie seinen kleinen Hausstand, traurig und wortkarg; Martas Namen sprach sie nicht mehr aus. Desto mehr aber musste sie an dieses störrische, eigenwillige Kind denken. —

Der Brief an Hilde lautete:

„Meine liebste Hilde!

Du zartes Kräutchen „Rührmichnichtan“ wirst sicher sehr erschreckt gewesen sein, als Du von meinem heimlichen Fortgang aus der kleinen Heimat vernommen. Ich konnte nicht anders, Hilde, ich konnte nicht! Das Grauen vor dem Beruf, in den mich Mutter durchaus hineindrängen wollte, hat mir schon manche Stunde verkümmert, das Denken daran hat mir alles vergällt. Tief im inneren Herzen hab ich’s immer gefühlt, ich würde kreuzunglücklich werden, wenn ich in dieser Sache die folgsame Tochter spielte und, das weisst Du ja, ich habe keine Lust kreuzunglücklich zu werden. Im Gegenteil, nach tollem, jauchzendem, himmelstürmendem Glück strecke ich sehnend die Arme aus, und solch ein Glück, hoch über dem Alltag thronend, kann nur die Kunst geben.

Ich musste handeln wie ich es tat, das wirst Du später einsehen, kleine Hilde; die Zukunft soll es meiner Mutter und Dir beweisen. Denk an das Schicksal Deines Vaters, der sich nicht zu dem Beruf bekennen durfte, der ihm sein Leben reich und wertvoll gemacht hätte. Ich meine übrigens, — ein wenig mutiger hätte er dereinst gegen seines Vaters Willen ankämpfen müssen. Seine Natur war aber wohl anders als die meine ist. Die Menschen sind ja so verschieden; es gibt Kämpfernaturen und solche, die dulden. Und ganz heisse Temperamente gibt es, die sich ihr Glück erstürmen müssen. Ja, Du, ich glaube fast, zu denen gehöre ich. —

Doch ich will Dich nicht mit Betrachtungen über dieses Thema langweilen, sondern Dir kurz und sachlich erzählen, wie ich hierher gekommen bin. Du wirst auf dem Poststempel den unbekannten Ortsnamen Treptow a. T. entziffert haben; heisst: An der Tollense. Treptow an der Tollense ist ein Städtchen, viel, viel kleiner als Schwärzestadt; es liegt im Regierungsbezirk Stettin, an der Strecke Berlin— Stralsund. Und von der Reichshauptstadt bin ich geradewegs hierhergereist mit dem in Berlin frisch zusammengestellten Schauspielensemble des Herrn Direktor Emmerich Gross. Vierzehn Tage geben wir hier Vorstellung, dann schiebt Emmerich Gross seinen Thespiskarren weiter bis ans Nordostende des Tollenser Sees nach Neubrandenburg.

Wie ich zu Emmerich Gross gekommen? höre ich im Geiste Deine Frage. Sehr einfach. Ich ging in Berlin zu einem Theateragenten und fragte keck, ob er mir nicht eine Stellung als Statistin vermitteln könne — irgendwo. Nur die Möglichkeit müsste ich dort haben, mich dann nach und nach in kleinen Rollen einspielen zu können. Der Agent fragte vorlaut nach meinen Garderobenverhältnissen. Doch aus meiner peinlichen Verlegenheit über diese bei mir recht unangebrachte Wissbegierde erlöste mich ein Klopfen an der Tür. Mit wehendem Havelock trat ein mittelgrosser Mann ein, dessen bartloses Gesicht ganze Bände von schlechter Schminke und billiger Vaseline sprach. Vielleicht auch von Sorge und ganz gewöhnlichem Hunger. Dieser Mann war Emmerich Gross, der allwinterlich die kleinen Städte und Ortschaften von Mecklenburg und Pommern und ein Stückchen Preussen mit seiner berühmten Schauspielertruppe beglückt. Er nahm mich mit, ohne viel Fragen nach woher und wohin. Auch meine Garderobe interessierte ihn nicht. „Meine Hede wird schon Rat schaffen,“ meinte er nur. Hede ist sein rechtmässiges angetrautes Eheweib. Na ja, so also landete ich bei dem Schauspieldirektor Emmerich Gross in Treptow an der Tollense. Ausser stummen Rollen habe ich noch nichts gespielt, wird aber wohl bald kommen.

Ich will nun schliessen, denn ich muss mich daran machen, mein grünes Kleid zu einem altdeutschen Kostüm zu wandeln. Ich nähe mir ein paar bunte Puffen über die Ärmel und der Rock wird malerisch gerafft. Mit der nötigen Phantasie ist so’n altdeutsches Kostüm gar nicht schwer zu beschaffen, wie Du siehst. — Übrigens, meine Gage beträgt — vierzig Mark. Wird Dir nicht schwindlig bei der Summe? Doch jetzt wirklich Schluss! Schreib bitte bald. An meine Mutter schrieb ich gleichzeitig. Ich hoffe, sie wird mir nicht zürnen ...

Grüss’ Deinen Vater von mir. Besonders schön aber grüsse ich Dich, liebe, alte Hilde. Deine

Marta Stiller.“

Beim Lesen dieser Epistel musste Hilde mehrmals unwillkürlich lachen, der frohe Übermut Martas lugte kichernd und lockend zwischen den Worten hervor. Doch kam sie nicht dazu, den Brief bald zu beantworten; der Vater war bettlägerig, ein altes Herzleiden quälte ihn, und Hilde musste immer um ihn sein. — In diesen Tagen, da er seine geliebte Geige meiden musste, spielte ihm Hilde vor, und das weiche singende Geigenspiel wirkte beruhigend auf ihn, und half ihm zuweilen den Schlaf zu finden. So war er auch heute nach Hildes Spiel eingeschlummert.

Das junge Mädchen stand am Fenster ihres Stübchens und blickte sinnend hinaus. Welch ein ungewohntes Leben heute in der sonst so menschenleeren Grabenstrasse! Aus den Häusern gegenüber traten Leute und bildeten kleine erregte Gruppen. Plötzlich flackerte in Hilde Tomiczek eine jähe unvermittelte Angst auf, als müsse sich irgend etwas Schlimmes ereignet haben, das sie und den Vater berühre. Sie vermochte nicht, sich dieser instinktiven Sorge zu erwehren, verliess deshalb wie mechanisch die Wohnung und ging hinaus auf die Strasse. Dicht trat sie an eine Gruppe von Nachbarn heran und fragte was geschehen sei.

Da schrie eine Frau los: „Dieser Filou, der Bankier Schneider hat Bankrott gemacht, und unsre erbärmlichen Spargroschen sind dabei mit flöten gegangen. Nun können wir nochmal von vorn anfangen.“ — Und ein Mann rief: „Alles was ich zusammenlegen konnte, habe ich dem Kerl zum Aufheben hingetragen, und nu, wo meine Hände müde und steif sind, nu, wo ich mich ausruhen wollte, kann ich betteln gehen.“ Wimmernd brach ihm die Stimme.

Hilde rührte kein Glied. Allbarmherzigkeit! Was redeten diese Menschen da? Das konnte doch nicht möglich sein!

„Nein, nein,“ entrang es sich ihr, und dann ging sie mit müden Füssen zurück. In ihrem Kopfe wirbelte es von tausend schnell herzudrängenden Gedanken. „Nein, nein,“ lallte sie, als sie sich wieder in ihrem Zimmer befand. Sie wusste ja, sein kleines Vermögen hatte der Vater dem Bankier Schneider übergeben, und wenn es Wahrheit gewesen, was diese Leute sagten, dann —

Wie ein Mühlrad drehte es sich in ihrem Kopfe. Nein, nein, es musste ein Missverständnis sein. Irgend ein leichtfertig verbreitetes Gerücht lag dem Irrtum zugrunde ...

Abends aber brachten die beiden Zeitungen Schwärzestadts die Bestätigung des Gehörten. Trotz Hildes Vorsicht bekam der Amtsrichter eines der Blätter zur Hand, und die Aufregung hatte einen schweren Anfall zur Folge, und wenige Tage später trug man Vincenz Tomiczek zu Grabe. — — —

Die Walzerkönigin

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