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I.

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Frau Doris Faber beweinte ihr totes Kindchen, ihr blondes, süsses, zweijähriges Mädelchen. Ihr feines Gesichtchen hob sich von Tag zu Tag schmaler und blasser aus dem schwarzen Tüllgefältel der Halsrüsche, den stumpfen Kreppschleiern, die schwer und lastend von dem kleinen Hut niederfielen.

Doch reizvoll war die blutjunge Doris Faber auch in ihrer Trauer, unendlich reizvoll. Aber ihrem Manne schnitt der Anblick der immer bleicher werdenden geliebten Frau ins Herz, und er sann auf Mittel und Wege, Doris zu zerstreuen, ihre trüben Gedanken abzulenken, ihren Wangen die Rosenfarbe zurückzugeben.

Er besprach sich mit dem Arzt.

Der schlug eine Reise vor, eine weite Reise in eine Natur die anders, ganz anders war als die der Mark Brandenburg.

„Gehen Sie an den Bodensee, in den Schwarzwald, reisen Sie ein paar Wochen herum, lieber Freund,“ riet er, „Ihr Frauchen ist, wie Sie sagen, aus dem Flachland noch nicht herausgekommen, zeigen Sie ihr ein Stückchen unserer schönsten deutschen Heimat. Am Bodensee grüssen die schimmernden Alpen aus der Schweiz herüber, gewichtig und ernst grüssen dort die Vorarlsberge Oesterreichs, die Schwarzwaldtannen wollen den Himmel stürmen, und von den Bergen jagen Wildbäche in schäumendem, rasenden Lauf zu Tal.“

Die Züge Dr. Ernstmanns strahlten. „Hab’ vor dreissig Jahren meine Hochzeitsreise dorthin gemacht. Herrlich war es, göttlich schön.“ Er seufzte. „Seither hat’s nicht mehr gelangt, das liebe Geld, so weit fortzugehen. Söhne kosten zuviel.“ Sein Gesicht hellte sich auf. „Aber die Erinnerung, die haftet und steigt empor, wenn der graue Alltag in unserem lieben, engen märkischen Städtchen mich wie dichter Nebel einzwängt, dass ich gleich vielen meiner lieben Mitbürger nicht weiter vor mich sehen kann, als meine Nase lang ist. Ja, dann steigt sie empor, die Erinnerung, und zieht in farbenprächtigen Bildern an mir vorüber und“ — er lachte plötzlich — „und ich sehe alles, alles wieder so lebendig vor mir wie damals auf meiner Hochzeitsreise. Ich bin vielleicht zu bescheiden, dass ich mit der Erinnerung im Herzen noch heute glücklich bin, aber ich bin’s.“

Er legte Gustav Faber die Hand auf die Schulter. „Sehen Sie, Verehrtester, wenn ich manchmal des Abends ein ruhiges Stündchen mit meiner Frau zusammensitze, und sie redet mir zuviel von den teuren Fleischpreisen und der Dienstbotennot, dann brauche ich nur ein paar Worte zu sagen, nur den leisen Anschlag bringen: Weisst du noch? Dann wird aus meiner behäbigen, grauhaarigen Frau ein junges, dunkellockiges Weibchen, Reisezauber umspinnt uns beide, und wir wandern über Berg und Tal oder fahren über den gleissenden, tiefen Bodensee, sehen Firnen glühen und vergessen unsre Alltagsnot. Und deshalb, lieber Faber, folgen Sie meinem Rat, ziehen Sie mit Ihrem trauernden Frauchen in die wundervolle Gotteswelt hinaus, gönnen Sie ihr und sich die Reise, ich denke und hoffe, draussen wird die kleine Frau gesund.“

Gustav Faber blickte nachdenklich vor sich hin. „Ich bin durchaus kein reicher Mann, Herr Doktor, wenn wir auch ein paar tausend Mark liegen haben, ein Maschineningenieur —“

Er konnte nicht weitersprechen, denn der Doktor unterbrach ihn ziemlich schroff: „Haben Sie Ihre Frau lieb oder nicht?“

Der andere nickte bestürzt. „Aber gewiss, Herr Doktor, sehr, sehr lieb sogar.“

Dr. Ernstmann putzte seinen Kneifer, setzte ihn energisch auf und blitzte den Ingenieur durch die scharfen Gläser an. „Na also, was wollen Sie weiter? Können Sie dann überhaupt noch zögern, wenn Ihnen die Möglichkeit winkt, Ihre Frau aus dem Schmerz herauszureissen, dem ihre zarte Gesundheit auf die Dauer nicht gewachsen ist?“ Er schnippte mit den Fingern. „Meinetwegen reisen Sie wo anders hin. Thüringen und Harz sind näher, auch die Sächsische Schweiz, ich kann Ihnen keine Vorschriften machen. Ich aber an Ihrer Stelle wäre leichtsinnig, es sollte mir in diesem Falle auf etwas mehr oder weniger Geld nicht ankommen. Ich verspreche mir etwas von der Reise, die ich Ihnen vorgeschlagen, für Ihre Frau. Jedenfalls Medikamente helfen nichts, das Gemüt ist krank, da nützen weder Pillen noch Salben.“

Gustav Faber war plötzlich mit sich im Reinen, der behäbige Doktor hatte recht, er wollte seinem Rat folgen. Herzlich drückte er dem Aelteren die Hand.

Der Doktor hielt die Hand einen Augenblick fest. „Ich werde Ihnen die Reise, wie sie am vorteilhaftesten für Sie ist, aufschreiben, dafür müssen Sie mir aber unterwegs einen Gruss ausrichten.“

Faber verneigte sich. „Gerne, Herr Doktor, wen darf ich von Ihnen grüssen?“

Der Aeltere lächelte versonnen. „Es ist keine Person, der mein Gruss gilt, sondern es ist eine kleine Weinkneipe, tief drinnen im Gewinkel von Konstanz’ alten Gassen. Der Zufall führte mich mit meinem jungen Frauchen damals dorthin, und wir tranken uns einen seligsüssen Rausch an Dürkheimer Feuerberg.“ Sein Lächeln vertiefte sich. „Auch mein Frauchen hatte einen Schwips, und als wir Arm in Arm die kleine Schenke verliessen, da winkten wir zurück: Auf Wiedersehen!“ Er unterdrückte ein tiefes Atemholen. „Aus dem Wiedersehen wird nichts, bestellen Sie deshalb meinen Gruss. Das Wirtshausschild trug die Aufschrift: ‚Weinstube zum Paradiesgarten‘. Grüssen Sie das Häuschen und trinken Sie dort Dürkheimer Feuerberg.“

Faber lächelte. „Ich werde Ihre Grüsse ausrichten, Herr Doktor, ganz bestimmt werde ich es tun.“

Frau Doris wollte anfangs nichts von einer Reise wissen, aber allmählich liess sie sich umstimmen, und nachdem ihr Mann Urlaub erhalten, wurde die Fahrt angetreten. Unterwegs bezeigte Frau Doris wenig Interesse, wohl wurden ihre Augen heller, zeigten Staunen und Bewunderung, als sie neben dem Gatten mit der Höllentalbahn durch den sich eben herbstlich färbenden Schwarzwald fuhr, aber dann versank sie wieder in ihre alte düstere Schwermut.

Faber jedoch genoss bis ins tiefste Herz, was die Gotteswelt hier in verschwenderischer Fülle bot. Er war ein Kind der Mark, wie seine Frau, und die enge Heimat hatte ihm bisher ebenso wie ihr genügen müssen. Als Sohn einfacher Leute wusste er den Wert des Geldes zu schätzen, und Reisen war teuer.

Seine Blicke nahmen innig in sich auf, was da draussen an ihm an Naturschönheit vorüberzog, und er versuchte immer wieder aufs neue, Doris zu begeistern.

Hoch oben fuhr der Zug, und tief drunten lagen die einsamen Gehöfte. Stille, verträumte Schwarzwaldhäuser, niedrig und breit, fast erdrückt von dem weit heruntergehenden Dach. Eine Mühle, um deren Rad weissschäumend die Wasser sprangen, tauchte auf, und noch im leuchtendsten Sommergrün prangende Wiesen, darauf saubere Kühe weideten. Das Läuten ihrer abgestimmten Glocken klang melodisch und traut durch die offenen Fenster des Eisenbahnwagens.

„Ist es nicht schön hier, Liebste?“

Faber nahm sanft die Hand seiner jungen Frau, die durchsichtig weiss auf dem kreppumrandeten Kleiderrock lag.

Sie lächelte traurig. „Ich möchte dir so gern ein frohes Gesicht zeigen, aber ich kann es nicht, unaufhörlich muss ich an Klein-Lisi denken, die in der dunklen Erde liegt. Ich sehne mich nach ihrem Grab.“

Den Mann durchschauerte es. Immer und immer Klein-Lisi, überall drängte sich das tote Mädelchen vor, hemmte ihm jedes freie Aufatmen und machte seine junge, früher so lustige Frau zur Sklavin.

War auch diese Reise umsonst, hatte sich Dr. Ernstmann mit seiner Hoffnung doch getäuscht?

Still und gedrückt reisten beide weiter.

Sie machten öfter Rast und waren doch ruhelos überall. Wohin sie auch kamen, die tote Klein-Lisi war stets in ihrer Mitte. Wenn Doris ein kleines Mädelchen umherspringen sah, dann wurden ihre Augen wehmutsgetrübt.

Sie standen beide Arm in Arm auf dem Hohentwiel, und ihnen zu Füssen lag die Welt des Hegaus. Der Mann beschwor alte Zeiten herauf, erzählte von der jungen Schwabenherzogin Hadwig, die einst hier gelebt, und der Zauber der Vergangenheit, der den Hohentwiel umwehte, ward lebendiger mit jedem Wort.

Aber Doris hörte kaum, was der Mann sprach, ihre Sehnsucht wollte nicht geschichtliche Vergangenheit, ihre Sehnsucht suchte ihr totes Kind, dessen Geist sie überall umschwebte. Ein Gräblein auf einem engen märkischen Friedhof, gekrönt von einem Zypressenbäumchen, war das Ziel ihres ständigen Denkens.

Der Mann drang mit zärtlichen Bitten in sie, das höchste, was ihm dafür ward, war ein verlorenes, müdes Lächeln, das zerquält verflatterte, ein kurzer Satz, der wie wehes Weinen klang und verhauchte wie leiser Geigenton.

Da stöhnte der Mann heimlich und haderte mit dem Geschick. Wie glücklich war er gewesen, ehe Klein-Lisi starb, nun aber trug er schwere Bürde; der Gedanke, seine Doris, sein geliebtes, blutjunges Weib könne dem Kinde vielleicht eines Tages in das Land nachfolgen, daraus es keine Heimkehr mehr gab, lastete immer drückender auf ihm.

So erreichten die beiden Konstanz, die alle Stadt am Bodensee.

Doris sah blasser als je aus, und eines Morgens bat sie bewegt: „Lass uns heimreisen, Liebster, ich finde ja doch nirgends Frieden. In der Nacht habe ich von Lisi geträumt, und sie blickte mich mit gefalteten Händchen an und sagte: Böse Mutti, weshalb gingst du so weit weg von deinem Kind, ich warte immer und immer auf dich in meinem Grabe.“

Gustav Faber umschlang die Frau eng und zärtlich. „Doris, du darfst dich nicht zu weit verlieren, sonst werden wir beide unglücklich, und das würde unser Kindchen sicher nicht wollen. Denke daran, was dir der Pfarrer gesagt.“

Doris lachte gequält. „Ich weiss, ich weiss: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt! Es klingt gut, aber mein Herz ist davon nicht leichter geworden.“

Der Mann strich über die weichen, blonden Frauenhaare: „Sei verständig, Doris, füge dich dem Schicksal, tausend Mütter müssen es tragen.“

Sie antwortete nicht, aber in ihren Augen stand die stumme Bitte: „Schweige, ich leide schwerer als tausend Mütter, schweige!“

Er schlug eine Wanderung durch Konstanz vor, die alten Gassen mit ihren krummen Häusern, das Münster und das alte Kaufhaus am See lockten ihn. Und dann ging er mit der schwarzgekleideten Frau durch das Gewirr der Gässchen. Er suchte die Schenke „Zum Paradiesgarten“, um ihr des alten Doktors Gruss zu bringen.

Plötzlich blieb er stehen, ein altes Wirtschaftsbild hatte seine Aufmerksamkeit erregt. „Zum Paradiesgarten“ stand darauf.

Die Buchstaben waren vom Regen verwaschen, von der Sonne gebleicht, kaum noch lesbar, aber Faber hatte sie doch entziffert. Hier also sollte er den Gruss bestellen, dem alten, schmutzigen, windschiefen Häuschen einen Gruss bestellen von einem, der in einem märkischen Städtchen ein braver Bierphilister geworden und sich hier einmal einen seligen, unvergessenen Rausch auf der Hochzeitsreise angetrunken. Ein närrischer Wunsch des alten Doktors.

Er lächelte und erzählte ihn Doris.

Auch ihre Lippen umspielte ein Lächeln. „Wahrlich, ein närrischer Wunsch.“

„Wollen wir ein Glas Wein dadrinnen trinken?“ fragte der Mann.

Doris verneinte hastig. „Es ist eine elende Spelunke, wir passen nicht dahinein.“

Faber musste ihr recht geben.

Vor langen Jahren mochte die Wirtschaft „Zum Paradiesgarten“ sich wohl gefälliger präsentiert haben als heute. Eben wollte er den Schritt wenden, da schrie Doris auf, ein grosser, brutal aussehender Mensch war im Rahmen der Wirtschaftstür erschienen und stiess ein kleines Mädchen roh hinaus.

„Elendes Wurm, such’ dir Brot auf der Gasse und friss mir nicht das beste weg!“

Das Kind stürzte zu Boden, und Doris eilte auf das weinende Geschöpfchen zu, das sich ganz in sich zusammenduckte.

Der rohe Mensch war verschwunden, und Doris nahm das Kind unendlich zart und vorsichtig empor.

„Sieh doch, Liebster, es hat Augen wie Klein-Lisi hatte, und so blonde Löckchen wie sie.“

Wahrhaftig, das Kind sah Klein-Lisi ähnlich, schien es Faber, nur war es schmutzig angezogen, und das tränenüberströmte Gesichtchen zeigte sich nicht gerade vorteilhaft.

Ein junges, ärmlich gekleidetes, sehr schlankes Weib mit schönem, aber verhärmtem Gesicht trat bescheiden heran.

„Ich danke Ihnen, gnädige Frau, dass Sie so gut zu meiner Kleinen sind. Mein Mann ist wieder einmal betrunken, und dann darf sich das Kind nicht vor ihm sehen lassen —“ sie zögerte, „sonst ist er aber seelensgut.“

Faber sah Doris an. Das arme junge Weib log wohl aus Liebe, denn seelensgut war der brutale Mensch von vorhin sicherlich niemals.

Aber das ging sie beide auch nichts an.

Er sagte: „Sie dürfen keinesfalls dulden, dass Ihr Mann so entsetzlich roh zu der Kleinen ist.“

Die Frau zuckte hilflos die Achseln, und langsam zogen ein paar Tränen über früh verblühte Wangen.

Doris lachte mit dem Kind und streichelte es mit sanften mütterlichen Händen. Plötzlich sagte sie kurz: „Geben Sie mir ihr Kind, Frau, mein eigenes ist mir gestorben, und ich würde sehr gut zu Ihrer Kleinen sein, niemand dürfte ihr mehr wehe tun.“

Die Frau hob die etwas schweren Lider über wundervollen Augen.

„Mein Kind soll ich Ihnen geben, mein Kind?“ Sie streckte die Arme aus. „Komm, Resl, komm, du darfst nicht länger belästigen.“

Das Kind schob sich noch enger an Doris heran, und die runde, weiche Wange ruhte dicht an Doris’ Gesicht. „Komm doch, komm!“ lockte die Mutter.

Das Kind rührte sich nicht.

„Gib das Kind der Mutter zurück,“ sagte Gustav Faber und wollte das Kind anrühren.

Da schmiegte sich die Kleine noch enger an und krampfte die Händchen in Doris’ Gewand.

„Du siehst, Resl will bei mir bleiben,“ lächelte Doris, „also lass mir das Kind und sprich mit der Frau, wieviel sie dafür haben will.“

„Ich verkaufe doch mein Fleisch und Blut nicht,“ schrie das vergrämte Weib auf.

„Ihr Kind soll es gut bei mir haben,“ beteuerte Doris eifrig, und zum erstenmal nach langer Zeit sah Faber ihre Wangen sich färben.

Doris fuhr dringlicher fort: „Wenn sich nun das Kind den Kopf eingeschlagen hätte bei dem Sturz? Ihr Mann quält das Würmchen, und wenn Sie Ihr Kind lieben, ist es Ihre Pflicht, es dem Elend zu entreissen, wenn sich Gelegenheit dazu bietet, ehe es zu spät ist.“

Ein paar Leute aus der Nachbarschaft umstanden die Gruppe und starrten neugierig.

„Kommen Sie mit in die Wohnung, schlug die junge Frau vor, „drinnen können wir weiterreden.“

Faber folgte den anderen kopfschüttelnd. Was tat Doris, was wollte sie tun? Ein fremdes Kind wollte sie aufnehmen, ein Kind, das aus Schmutz und Elend kam?

Er flüsterte eifrig auf sie ein, stellte ihr vor, sie könne doch selbst noch Mutter werden; doch alle Einwände wurden von ihr zurückgewiesen. Erkaufe mir meinen Frieden, schenke mir Klein-Lisis Ebenbild.“

Dabei blieb sie, und die vergrämte Wirtin vom Paradiesgarten fand schliesslich den Gedanken, das Kind fortzugeben, gar nicht mehr so wehtuend wie im Anfang, hatte sie doch schon gar so viel Angst um das kleine Geschöpf erlitten.

Ueberaus einfach und armselig war der Raum, in dem man verhandelte, und Gustav Faber konnte den Bitten und Tränen seiner Frau nicht allzu lange widerstehen. Er bat ebenfalls: Ueberlassen Sie uns Ihr Kind als Pflegetöchterchen, es soll bei uns gut behütet werden und eine Heimat finden.“

Plötzlich stand der grosse, brutale Mann im Zimmer. Er begriff schnell und rief dröhnend: „Wenn Sie tausend Mark auf den Tisch legen, ist das Wurm Ihr Eigentum.“

Die Frau schrie auf. „Das wäre Sündengeld. Wenn ich Resl hergebe, will ich keinen Pfennig, dann geschieht es nur, damit das Kind aus dem ewigen Jammer hier herauskommt.“

Er lachte. „Sei froh, wenn du den Balg los wirft und noch Geld dafür siehst.“ Er streckte die Hand aus. „Tausend Mark für den Grasaff, dann können Sie mit ihm glücklich werden.“

„Ich gebe Ihnen zunächst zweihundert Mark, und erst, wenn wir zusammen beim Notar gewesen und Sie beide notariell auf das Kind Verzicht geleistet haben, erhalten Sie die grössere Restsumme.“

Doris lächelte verklärt. Wunderschön, wie eine gnadenspendende Madonna sah sie aus mit dem Kinde im Arm.

Am nächsten Tage schon führte Doris ein hübsches, kleines Mädelchen an der Hand, das in guten neuen Kleidern einem blonden Püppchen glich.

Gustav Faber war sich nicht ganz klar, ob es klug gewesen, dieses fremde Kind dem gewohnten Boden zu entreissen, aber eigentlich war es zu spät, darüber nachzudenken, Resl Trautner war jetzt sein Pflegetöchterchen.

Auf der Heimfahrt befand sich Doris in strahlendster Stimmung, sie liess das Kind nicht aus den Augen, und so war diese Reise, wenn auch in anderem Sinne als gedacht, für sie von Erfolg gewesen, sie ward wieder zu der heiteren jungen Frau von früher, und ihr Mann atmete wieder ruhig und froh, denn Doris legte bald die düsteren Trauergewänder ab.

Die Leute in der Kleinstadt schüttelten die weisen Häupter: Ein so junges Ehepaar darf kein fremdes Kind annehmen, das gibt nur böses Blut, wenn eigene Kinder kommen.

Der alte Doktor aber lächelte, als ihm Faber alles erzählte: „Ein Mädelchen aus dem Paradiesgarten in Konstanz, wo es einstens so guten Dürkheimer Feuerberg gab? Eigen ist’s. Sehen Sie, Verehrtester, wenn ich Ihnen den Gruss nicht aufgetragen hätte, würde Sie Ihr Weg vielleicht niemals dort vorbeigeführt haben. Wollen an eine Vorsehung glauben, an eine Vorherbestimmung.“ —

Ein Jahr später ward Doris Mutter eines gesunden Töchterchens, und von dem Augenblick an musste Resl zurückstehen. Da glaubte Faber nicht mehr an Vorsehung und Vorausbestimmung, wie es der gute, dicke Doktor tat, und wünschte zuweilen, er hätte dem sentimentalen Wunsch des Doktors lieber nicht Folge geleistet und niemals den Paradiesgarten in der schmutzigen engen Gasse von Konstanz gesehen.

Resi Trautners Lebensroman

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