Читать книгу Resi Trautners Lebensroman - Anny von Panhuys - Страница 8
V.
ОглавлениеIn ihrem gemeinsamen Schlafzimmer waren Resi und Erna damit beschäftigt, sich zur Ruhe zu begeben.
Die Aeltere half der Jüngeren, deren Kleid sehr umständlich zu öffnen war. Sie fragte dabei: „Wie gefiel es dir heute abend, warst du zufrieden?“
Erna lachte. Ein kleines, halb verstohlenes Silberlachen. „Natürlich war ich zufrieden und habe auch allen Grund dazu. Hast doch sicher ebenso wie alle anderen bemerkt, wie mich der Professor auszeichnete.“
„Ja, das hat Professor Ernstmann getan,“ erwiderte Resi langsam und begriff nicht, weshalb sie schon wieder Neidgefühl auf die Jüngere empfand.
In Erna waren noch die Geister des Schaumweins wach, und übermütig sagte sie: „Wenn ich es darauf anlege, kann ich Frau Professor werden, der Professor hat sich vollständig in mich vergafft.“
„Aber Erna, was sind das für Ausdrücke, und in welchem Ton sprichst du von dem berühmten Mann?“ wehrte Resi entsetzt.
Die Jüngere bog sich vor Lachen. „Ach, spiele doch nicht den Tugendbolzen, hast ja getanzt wie eine Mänade. Im übrigen lockt es mich vielleicht, schon mit sechzehn Jahren Braut zu heissen, alle Freundinnen würden sich giften.“
Resi löste den letzten Haken an Ernas Kleid und wandte sich dann ab.
Ueber die Schulter hin sprach sie: „Du solltest dich schämen, so oberflächlich über den Professor zu reden. Du bist ja noch unreif bis in Mark, und so ein Mann, der Ansprüche machen kann, steht viel zu hoch, ist viel zu schade, um von deiner törichten Backfischlaune zum Spielball benützt zu werden.“
Nun hatte sie aber in ein Wespennest gestochen. Das zarte Gesichtchen Ernas färbte sich purpurrot, die sanft scheinenden Augen funkelten katzentückisch.
„Hast wohl selbst Absichten, Mamsellchen, he? Nun, die lass dir nur vergehen. Ich mache mir im Grunde meines Herzens zwar gar nichts aus dem alten Langweiler, aber sein Titel gefällt mir, und sehr reich soll Professor Ernstmann auch sein, von seiner verstorbenen Frau her. Ich werde dir beweisen, dass ich imstande bin, meiner Backfischlaune Erfüllung zu verschaffen. Dachtest du vielleicht, weil du bei seinem Vater, dem Doktor Ernstmann, jetzt ein- und ausgehst, du könntest dir den feinen Freier kapern? Lass nur, deine Mätzchen verfangen nicht, ich habe dem Professor schon alle deine Lebensziele und Lebensträume als mein Eigentum serviert.“
Sie stellte sich in Positur, himmelte zur Decke: „Die Medizin zieht mich an, Kinderärztin möchte ich werden, den armen Kleinen zu helfen, ist eine hohe und schöne Aufgabe.“
Die andere hatte sich ihr wieder voll zugewandt. „Hast du es gewagt, dem Professor eine solche Komödie vorzuspielen?“ fragte sie bebend.
Erna nickte lächelnd: „Jawohl, habe ich das gewagt, und meine Worte haben auf ihn einen sehr guten Eindruck gemacht, davon kannst du überzeugt sein.“
Resi war sehr blass geworden. „Schäme dich, Erna, pfui, schäme dich! Der arme Mann darf kein Opfer deiner Intrige werden. Wie kann man in deinem Alter schon so berechnend sein.“ Sie streckte plötzlich beide Arme aus, als wollte sie die Jüngere an sich ziehen. „Verzeih’, Schwester, verzeih’ mir. Nein, du bist nicht berechnend, du machst nur törichte Scherze, willst Neckerei treiben, oder du liebst den Professor. Dein Herz hat sich beim ersten Blick für ihn entschieden, dann stände natürlich alles, alles in einer ganz anderen Beleuchtung da.“
Fast angstvoll hafteten ihre fragenden Augen auf dem Antlitz der Schwester.
Die blickte anfangs verblüfft, dann aber machte sie eine ungeduldige Bewegung. „Scheinst ja reichlich sentimental, meine liebe Resi, heutzutage müssen junge Mädchen praktisch denken, mache dir die Weisheit auch zunutze.“
Ohne noch eine Silbe zu verlieren, kleidete sich Resi aus und legte sich nieder. Sobald auch Erna im Bett lag, drehte sie das elektrische Licht ab. „Gute Nacht!“ sagte sie leise und gewohnheitsmässig.
Erna kicherte. „Dachtest wohl, der Professor wäre was für dich? Ehrlich zugegeben, würde er vielleicht auch besser zu dir als zu mir passen, aber eigentlich wärest du durch deine Geburt auch nicht standesgemäss für ihn.“
Resi fuhr im Dunkeln mit der Hand über die Augen, die plötzlich schmerzten, als sässen brennende Tränen dahinter.
„Ich kenne den Professor kaum und pflege nicht an die Person jeden Mannes, der mir begegnet, gleich Heiratspläne zu knüpfen.“ Sie schluckte ein paarmal. „Weshalb du mir aber meine Geburt vorwirfst, begreife ich nicht. Deine Eltern haben mich aufgenommen, ohne sich daran zu stossen, und ich dächte, es wäre keine Schande, das Kind armer Bauern zu sein.“
Erna antwortete nur durch unterdrücktes Kichern. Sie musste ja schweigen, hatte es der Mutter gelobt — aber das Schweigen fiel ihr schwer.
Resi lag noch lange wach. Sie wusste nicht recht, was sie gar so sehr bedrückte. War es die Kluft, die sich seit kurzem immer weiter zwischen ihr und der jungen Pflegeschwester auftat, oder war es Bedauern mit dem Professor, den Erna zum Zielpunkt eines Ränkespiels ausersehen?
Resi hätte weinen mögen, unaufhaltsam weinen — und unterdrückte doch die Tränen. Was ging sie der Professor an, der fremde Mann? Uebermüdet fand sie erst gegen Morgen den ersehnten Schlummer.
Sie schlief noch, da sassen der alte Doktor Ernstmann und sein jüngster Sohn sich schon am Frühstückstisch gegenüber.
Der alte Herr fragte: „Nun, Martin, wie hat es dir denn bei den Fabers gefallen?“ Und ohne Antwort abzuwarten: „Nicht wahr, ganz liebe, aber ein bisschen oberflächliche Menschen, nach meiner Ansicht hat nur die älteste Tochter einen gediegenen Fundus in sich.“
Martin Ernstmann wiegte zweifelnd den Kopf hin und her. „Mir machte die Jüngere einen gediegeneren Eindruck, die Aeltere tanzte unablässig.“ Er lächelte sinnend. „Weisst du, Vater, als ich sie so tanzen sah, musste ich an die sagenhaften Willis denken.“
Der alte Herr rückte mit den Schultern. „Sagenhaften Willis? Mein lieber Junge, davon habe ich noch niemals etwas gehört.“
Der Professor strich sich ein Brot und erklärte: „Willis sind die Geister junger toter Mädchen, die auf Erden allzugern tanzten und selbst im Grabe keine Ruhe finden können. Tanzwut treibt sie des Nachts aus der kühlen Erde, lässt sie in wildem, verzücktem Taze über den Friedhof hinschweben. Heidi! Lustig dahin über Gräber und Leichensteine.“
„An diese Ruhelosen musstest du denken, als du Dolores tanzen sahest?“ sagte der alte Herr langsam und kopfschüttelnd.
Der andere blickte fragend. „Heisst die junge Dame nicht Therese und wird im Hause Resi genannt?“
„Ja,“ der alte Herr nickte, „aber ich nenne sie Dolores, den Namen gab ich ihr, er scheint mir so passend für sie. Ihre stolze, dunkle Schönheit, von einem Hauch leiser Wehmut umzittert, darf nicht Resi heissen.“
„Hast nicht so unrecht, Vater,“ stimmte der Jüngere bei, und lächelnd schloss er: „Nur die Tanzwut passt schlecht zu Dolores.“
Der Aeltere sagte nichts mehr, aber er musste immerfort denken, dass ihm Dolores, wie er sie auch bei sich nannte, doch mehr als einmal versichert hatte, sie habe gar keine besondere Vorliebe für den Tanz.
Der Professor sagte: „Die jüngere Faber ist ein liebliches Geschöpf und voll ernsten Strebens.“ Er erzählte von ihrem Wunsch, Aerztin zu werden, Kinderärztin.
Der alte Herr schüttelte den Kopf. „Der Irrwisch, die Prinzess Putzmücke, Aerztin? Ja, weisst du denn, mein Sohn, mit dem, was du mir heute erzählst, wirfst du meine bisherige Einschätzung vollständig über den Haufen. Da müsste ich ja jahrelang gar keine Augen im Kopf gehabt haben.“ Er machte eine wegwerfende Bewegung. „Der Laubfrosch Aerztin? Es ist einfach lachhaft. Du hast dir von dem grünen Ding einen schönen Bären aufbinden lassen.“
Martin Ernstmann spürte Aerger in sich aufsteigen. Weshalb sprach der Vater so obenhin, so spöttisch von dem herzigsten Mädelchen, das die Erde trug, an das er immer und immer seit gestern abend denken musste. Wenn er nicht schon so ein alter Krauter wäre, weiss der Himmel, die blonde Erna Faber hätte ihm sehr, sehr gefährlich werden können, darüber war er sich völlig klar.
Heimliches Sehnen fasste ihn an.
Er wollte bald abreisen, aber vorher musste er das herzige, liebenswürdige Mädchen noch einmal sehen und sprechen. Morgen würde er einen formellen Dankbesuch für die Einladung machen und sich dabei auch zugleich verabschieden.
Es war ein schöner, klarer Wintervormittag, sonnig und angenehm; da ging Professor Ernstmann durch die stillen Strassen der kleinen Heimatstadt. In der vergangenen Nacht hatte es zum erstenmal geschneit, und hie und da lagen noch weisse Schneeinselchen, darin sich Sonnenstrahlen zu fröhlichem Glitzerspiel verfingen. Doktor Ernstmann besass ein Häuschen oben am Kirchplatz, und der Professor dachte an seine Kinderzeit. Im Winter, wenn es tüchtig geschneit hatte, war er mit den älteren Brüdern auf einem kleinen Schlitten den Kirchberg hinunter gefahren. Hei, war das immer eine Lust gewesen, der Inbegriff aller Lust und allen Vergnügens. Keine spätere Rodelfahrt mit seiner hübschen, lebenslustigen Frau in St. Moritz war ihm so schön erschienen.
Er ging über die Promenade und dachte plötzlich wieder an Erna Faber. Seine Frau war auch blond gewesen, aber nicht von so schimmerndem Goldblond wie Erna, und er dachte an sein stilles, grosses Heim in Frankfurt am Main, darin noch alles so stand wie zu Lebzeiten seiner Frau.
Wie schön das sein musste, wenn in den Räumen wieder ein junges Weib schalten und walten würde! Sonderbar, er, der seit Jahren nicht mehr daran gedacht hatte, verbiss sich mit einem Male an ein blutjunges Ding, dessen Vater er hätte sein können. Und neben der zarten Blonden tauchte eine schlanke Brünette auf, und manchmal schien es ihm, auch sie gefiel ihm allzusehr. Er lächelte ärgerlich. War er denn eine Don-Juan-Natur, dass seine Gedanken plötzlich auf solchen Seitenwegen spazierten?
Er stand dann vor dem kleinen Faberschen Hause. Das öffnende Dienstmädchen liess ihn gleich ein. Die Damen würden sofort erscheinen.
Er befand sich in einem nett und geschmackvoll eingerichteten Zimmer und vertrieb sich die Wartezeit damit, ein auf dem Tisch liegendes Photoalbum zu durchblättern. Die beiden Töchter des Hauses waren mehrfach vertreten. Die ältere sah rassig und fremdartig aus, das fiel ihm wieder besonders auf, die Jüngere licht und hold, fast unirdisch sanft.
Die Tür öffnete sich. Resi trat ein. „Verzeihung, Herr Professor, Mutter und Schwester folgen mir gleich, sie haben gerade eine Beratung mit der Schneiderin, die nun natürlich sofort abgekürzt wird.“
Resi war etwas gedrückt, die Unterhaltung, die sie am Tanzabend mit der Schwester gehabt, machte sie dem Manne gegenüber unfrei.
Er hatte auf ihre Einladung wieder Platz genommen und fragte nun: „Wie ist Ihnen das viele Tanzen letzthin bekommen, mein gnädiges Fräulein?“
War wirklich ein kleiner spöttischer Unterton in seiner Frage gewesen, oder bildete sie sich das nur ein?
Sie antwortete ziemlich kurz: „Wundervoll ist mir der Tanz bekommen.“
Sie hat etwas Hochmütiges, stellte Professor Ernstmann fest, und empfand das Alleinsein mit dem feierlich ernsten Mädchen peinlich und unbequem.
Eben öffnete sich wieder die Tür. Frau Doris und Erna traten ein. Morgenfrisch, lächelnd, angeregt von der Unterhaltung mit der Schneiderin. Der Professor wurde warm begrüsst, ordentlich wohltuend stach die Begrüssung von der Resis ab.
Resi ging sofort, schützte Hausarbeit vor, und der Professor atmete auf. Ihre dunklen, ernsten Augen, in denen ein seltsamer Ausdruck, fast wie eine Warnung, gelegen, ehe sie ging, verstimmte ihn. Eine Warnung? Wovor hätte Resi ihn warnen sollen?
Erna plauderte mit geröteten Wangen und holdseligem Lächeln, und dann fragte Frau Doris, wie lange der Herr Professor seinen Besuch beim Vater auszudehnen gedenke.
Er antwortete, er würde schon in den nächsten Tagen die Heimatstadt wieder verlassen. Irrte er sich oder hatte er in Ernas Augen wirklich ein Erschrecken gesehen?
Frau Faber wurde ans Telephon gerufen. Kaum hatte sie das Zimmer verlassen, sagte Erna leise: „Weshalb wollen Sie denn schon so schnell wieder fort, Herr Professor, muss das denn sein?“
Er zuckte zusammen, denn aus dem süssen Antlitz vor ihm sprachen allzu deutlich Trauer und Schmerz. Tat es ihr leid, dass er schon wieder ging? Aber sie kannte ihn doch kaum, er war ihr fast ein Fremder.
Er lächelte. „Ja, ich muss wieder heim, Fräulein Faber, Pflichten rufen, mein Vater ist gewohnt, allein zu sein, und sonst lasse ich niemand hier zurück, dem mein Weggehen leid tut.“
Wie kam er nur dazu, so deutlich zu sein? Er wusste es nicht, wusste nur, dass in ihm plötzlich eine Unruhe brannte wie in einem Primaner, der auf das Gegengeständnis seiner Verehrten, Angeschwärmten wartet.
Ernas Köpfchen erfasste klug die Sachlage. Sie dachte, es könne wohl nichts schaden, alles auf eine Karte zu setzen.
Leise, gleich einem Hauch, drang es an sein Ohr: „Ich wünschte, Sie blieben noch hier, ich wünschte es so aus ganzem Herzen.“
Er blickte sie an. Ihre dunklen, dichten Wimpern lagen auf den Wangen, sie sass wie starr.
Martin Ernstmann erhob sich. „Fräulein Faber, Sie wissen so wenig von mir, wir lernten uns erst kennen, was kann Ihnen an meiner Person liegen?“ Erregung wehte durch seine Stimme.
Erna lächelte, und langsam, ganz langsam schoben sich ihre Lider hoch. Mit gefalteten Händen, gleich einem Kinde, das betet, sagte sie: „Ich habe Sie so schrecklich gern, so gern, wie ich noch nie einen Menschen gehabt, und darum —“ Sie brach ab und sass wieder mit niedergeschlagenen Augen da.
Der Mann verblieb noch sekundenlang in seiner ruhig zurückhaltenden Stellung, dann aber war kein Halten mehr. Vor ihm sass das Glück, das leibhaftige Glück. Ein Tor wäre er, wenn er nicht zugreifen würde, es an sein Herz zu nehmen.
Er bedachte nicht mehr, dass er Erna Faber kaum kannte, er bedachte nicht mehr, dass er doch eigentlich viel zu alt für ihre frische Jugend war, er gehorchte nur dem seligen Augenblick, in dem er sich jung fühlte und glücklich und masslos verliebt.
Diese blütenjunge, zarte Schönheit trug ihm ihr Herz, ihre ganze sieghafte, blonde Knospenschönheit auf den Händen entgegen, wie hätte er da widerstehen können?
Seine Arme umschlangen das zierliche Persönchen, seine Lippen suchten und fanden den rosigen Mund.
Frau Doris, die eben wiederkehrte, verharrte wie erstarrt im Türrahmen. Ja, träumte sie denn? Wahrheit konnte es doch nicht sein, was ihre Augen sahen.
„Erna!“ rief sie erschrocken, und ihre Stimme schlug über. Da löste sich das Mädchen in holdester Verwirrung aus den Armen des Mannes und eilte auf die Mutter zu.
„Wir haben uns lieb, Mutti, und haben das sehr rasch erkannt. Nicht wahr, du bist nicht böse, du Liebe, Gute?“
Schmeichelnd und rührend sanft klang das Bitten.
Martin Ernstmann empfand mit fast heiligem Schauer, welch ein glückseliger Mann er doch war, dass dieses süsse, unschuldsvolle Wesen sich ihm zu eigen geben wollte. Er trat einen Schritt vor.
„Verehrte Frau Faber, es ist wohl an mir, um Vergebung zu bitten, weil ich mich hinreissen liess —“ seine Augen leuchteten dabei jung und froh, „aber,“ er wies auf Erna, „so viel Lieblichkeit gegenüber ruhig zu bleiben, dazu wollte die Beherrschung nicht langen. Ich liebte Ihr Kind vom ersten Sehen, und Erna geht es mit mir ebenso, ziehen Sie das in Betracht und seien Sie milde.“
Frau Doris hatte, nachdem die erste Ueberraschung vorüber, blitzgeschwind alle Für und Wider überlegt. Alles in allem bedeutete Professor Ernstmann eine glänzende Partie für Erna, nur der Altersunterschied zwischen den beiden stimmte nachdenklich. „Wollen uns setzen und uns ruhig besprechen,“ sagte sie, Erna sanft von sich fortschiebend.
Erna dachte: Um des Himmels willen, keine langen und langweiligen Auseinandersetzungen mehr, das Eisen schmieden, solange es warm ist. Mit weicher, geschmeidiger Bewegung eilte sie von der Mutter auf den Mann zu, und sich an ihn klammernd, bat sie: „Es gibt keine Gründe, uns zu trennen, bleibe standhaft, ich sterbe, wenn ich dich verlieren müsste.“
Der sonst so kühle, ernste Gelehrte war wie benommen. Ernas Worte stiegen ihm zu Kopf gleich starkem Wein, er hätte in diesem Augenblick einer ganzen Welt Trotz geboten, Erna zu erringen.
Aber so schwer ward es ihm gar nicht gemacht, Frau Doris’ Einwand, die Bekanntschaft sei zu kurz, Erna sei noch viel zu jung zum Heiraten, und man müsse vielleicht auch den Unterschied der Jahre bedenken, schlug er mit frohem Lächeln zurück. Erna liebte ihn, das gab ihm jede Sicherheit für eine glückliche Ehe.
Frau Doris liess sich schnell überzeugen, ihr strahlendes Gesicht bewies, wie froh sie über das Ereignis war. Sie sonnte sich schon in dem Gedanken, wie sehr man sie um den berühmten Schwiegersohn beneiden würde.
Sie liess ihren Mann telephonisch „in höchster wichtiger Angelegenheit“ bitten, nach Hause zu kommen, und Oberingenieur Faber kam sofort. Stutzte sehr bei der Neuigkeit, sagte kopfschüttelnd: „Resi hätte eigentlich besser für Sie gepasst,“ gab aber sofort seine Zustimmung. Was hätte er auch gegen Frau und Tochter ausgerichtet?
„Resi hätte besser für Sie gepasst!“ Diese Bemerkung trug ihm später eine Extra-Gardinenpredigt von seiten seiner Frau ein.
Er verteidigte sich. „Ich kann mir nicht helfen, ich bin nun mal der Meinung. Resi ist ein Charakter, hat mehr Bildungsinteresse wie Erna, kurz, ich kann mir sie als Frau Professor ganz gut vorstellen, während mir das blonde Quecksilber in der Rolle ganz unmöglich erscheint. Ich wünsche natürlich von Herzen, dass alles gut klappt, kann dir aber nicht verhehlen, liebe Doris, dass ich nicht daran glaube. Ernas Liebe zu dem Professor steht auf keinen festen Füssen und ist nichts anderes, als eine bunte Einbildungsseifenblase.“
Frau Doris sagte beleidigt, dass Männer im allgemeinen von der Tiefe eines Frauengemüts keine Ahnung hätten und er im besonderen schon gar keine Ahnung hätte, dass sie als Mutter bessere seelische Fühlung mit ihrem einzigen Kinde habe. Da schwieg Gustav Faber. Wenn seine Frau von ihrem „einzigen Kinde“ sprach, war es am besten, man streckte die Waffen.
Resi war einkaufen gewesen, und so erfuhr sie die Neuigkeit erst bei Tisch.
Ahnungslos betrat sie das Wohnzimmer und wunderte sich über das seltsam verhaltene Siegeslächeln Ernas. Was hatte denn die Schwester, hatte der schwache Vater vielleicht wieder ein teures Kleidungsstück bewilligt? Ein Mantel mit Marderpelz war ja Ernas Ziel der Sehnsucht.
Aber auch die Mutter lächelte so seltsam stolz und zufrieden, und der Vater sah ernst und nachdenklich aus. Irgend etwas hatten die drei, irgend etwas, davon sie nichts wusste, und es schien sich doch um mehr als ein Kleidungsstück zu handeln.
Sie blickte auf die Uhr. „Essen wir heute später?“ fragte sie die Mutter.
Frau Doris lächelte. „Jawohl, Resi, wir essen ein wenig später, wir erwarten Professor Ernstmann zu Tisch. Er ist nur schnell zu seinem Vater, um auch ihn zu bitten, heute mittag unser Gast zu sein.“
Resi wollte sagen: Heute mittag waren doch gar keine Tischgäste vorgesehen! Aber sie schwieg, eine Ahnung stieg in ihr auf, eine Ahnung, was sich hinter Ernas siegesbewusstem Lächeln barg.
„Geh, hilf dem Mädchen bei der Nachspeise,“ sagte Frau Doris, und Resi ging in die Küche und half, wie sie oft tat. Aber ihre Hände waren ungeschickt wie nie. Sollte ihre Ahnung Wahrheit sein, sollte Erna es gewagt haben, den hochgeachteten, berühmten Mann zum Spiel ihrer Laune zu benützen? Das konnte und durfte doch nicht sein. Er würde ja unglücklich, über alles unglücklich an der Seite der oberflächlichen, eitlen Erna werden. Du lieber, guter Gott, nur das nicht, nur das nicht! betete sie innerlich.
Martin Ernstmann war im Eilmarsch in das väterliche Heim zurückgekehrt. Tolle, jugendliche Begeisterung war in ihm ob des Glückes, das ihm geworden. Klein und gering dünkte ihm plötzlich all seine Wissenschaft gegenüber dem rosigen blonden Mädelchen, das er nun seine Braut nannte.
Der alte Doktor blickte fragend, erstaunt. „Junge, wie siehst du aus, hast du den Stein der Weisen entdeckt, das Geheimnis des Perpetuum mobile?“
Der Professor setzte sich dem Vater in dessen behaglichem Arbeitszimmer gegenüber. Plötzliche Verlegenheit sprang ihn an. Es dünkte ihm schwer, seinem alten Herrn von seiner Liebe zu einer Sechzehnjährigen zu sprechen. Jedenfalls war es gar nicht so leicht, wie er es sich noch vorhin vorgestellt hatte. Trotz aller Unabhängigkeit vom Vater hatte er plötzlich ein befangenes Gefühl.
„Nun, rede doch, Martin, wirst Loch keinen Studentenstreich einzugestehen haben?“ lächelte der Doktor.
Der Professor druckste noch sekundenlang herum, ehe er endlich kühn hinwarf: „Ich habe mich soeben mit der Tochter von Herrn Faber verlobt und hoffe, dass auch du dich darüber freust, lieber Vater.“
Der alte Herr sprang von seinem Armstuhl auf. „Donnerwetter, das nenne ich Eilpost, aber nicht wahr, du meinst, Dolores, die schöne, dunkeläugige Dolores?“
Martin Ernstmann lächelte. „Vater, wer sieht denn Resi, wenn die goldblonde Erna in der Nähe ist? Natürlich meine ich Erna, die rechte Tochter des Hauses. Ich habe sie lieb, Vater, unendlich lieb, und denke nur, dem schönen, zarten Mädelchen geht es ebenso, Erna trug mir ihr jungjunges Herz auf offenen Händen entgegen.“ Er strahlte. „Du siehst, Vater, die Liebe auf den ersten Blick ist kein Märchen.“
Der alte Herr hatte sich still wieder in seinen Stuhl zurückgesetzt.
„Ich hätte es mir doch beinahe denken können, nachdem du mir gestern von dem Backfisch vorgeschwärmt. Ach, Martin, Martin, abraten kann ich dir nicht, du würdest ja doch nicht auf mich hören, höchstens würde unser gutes gegenseitiges Verhältnis getrübt, aber das eine ist gewiss: Ihr beide passt nicht zusammen, wenn der Rausch vorbei ist, bleibt dir ein schaler Rest. Schade, die andere, Dolores, die wäre recht für dich gewesen, du und sie — ich glaube, das wäre eine ideale Ehe geworden.“
Martin Ernstmann empfand Verstimmung. Er dachte daran, dass Oberingenieur Faber in der ersten Ueberraschung hervorgestossen: „Resi hätte eigentlich besser für Sie gepasst.“ Was wollten sie nur alle mit der anderen Schwester, die ihm plötzlich förmlich unsympathisch war?
Er sagte so ruhig als möglich: „Finde dich mit meinem Geschmack ab, Vater, ich erhoffe mir an Ernas Seite das reichste Zukunftsglück. Wozu eine pessimistische Note in den Wohlklang meines Glückes bringen und ihn dadurch disharmonisch machen? Es kommt ja doch alles, wie es soll. Jedenfalls ist meine Gegenwart klar und wolkenlos, wozu Wolken heraufbeschwören?“
Der alte Herr nickte langsam, er sah, ein jedes Gegenwort war verschwendet, er tat sich nur selbst damit weh. So reichte er denn dem Sohne die Hand.
„Meine herzlichsten Wünsche, lieber Junge, mögen alle Hoffnungen, die du hegst, in Erfüllung gehen.“
„Dank, lieber Vater, Dank.“ Der Jüngere drückte warm die alte, welke Hand, die ein wenig müde in der seinen ruhte.
„Wir wollen zunächst im engsten Kreis Verlobung feiern,“ erklärte der Professor, „und deshalb bittet dich Frau Faber heute mit mir zu Tisch.“
Doktor Ernstmann erhob sich schon. „Also will ich mich in den Bratenrock werfen, Martin, sage inzwischen der Haushälterin, dass wir heute nicht daheim essen.“
Er verliess das Zimmer und Martin Ernstmann konnte trotz aller Freude, die in ihm war, über eine leise Verstimmung nicht hinwegkommen. Des Vaters Worte waren noch in ihm wach und wollten sich nicht einschläfern lassen. — —
Gleich einem beengenden Druck lag es auf Resi. Sie dachte an das heimliche Lächeln von Mutter und Schwester, ahnte die Wahrheit und bangte doch davor, ihre Ahnung bestätigt zu sehen.
Es klingelte draussen. Sie befand sich noch in der Küche und schickte das Mädchen öffnen. Es waren die Ernstmanns, Vater und Sohn.
In wenigen Minuten würde sie wissen, ob sich wirklich etwas Besonderes hinter der plötzlichen Einladung verbarg. Sie eilte noch einmal in ihr Zimmer und wusch sich die Hände, band ein frisches Spitzenkräglein um und ging dann zu den anderen ins Wohnzimmer.
Erna stürzte ihr entgegen. „Wünsche mir Glück, Schwesterchen, ich bin Braut.“
Resi atmete tief auf. Also doch! Ihre Ahnung hatte sie nicht getäuscht. Erna hatte den Professor schnell, allzuschnell eingefangen, trieb nun mit dem Heiligsten, was es auf Erden gab, mit Liebe und Ehe, ein frevelhaftes Spiel. Sie stand mit lässig hängendem Arm und vermochte keine Silbe hervorzubringen.
Durfte sie denn überhaupt einen Glückwunsch aussprechen, war das nicht Sünde, trug sie, wenn sie es tat, nicht die Mitschuld an dem Frevel? Hatte ihr nicht Erna neulich abends mit zynischer Offenheit erklärt, sie mache sich im Grunde ihres Herzens zwar gar nichts aus dem alten Langweiler, aber sein Titel und Geld gefielen ihr. Und von solchen Gedanken getrieben, hatte es das junge Ding gewagt, seine begehrlichen Hände nach diesem Manne auszustrecken.
Erna sagte süss: „Was ist dir nur, Resi, findest du kein freundliches Wort für deine Schwester? Habe ich dich so sehr erschreckt?“
Sie schlang die Arme um ihren Hals und schmiegte sich eng an die Grössere an. Für die Abseitsstehenden bot dieser Anblick ein entzückendes Bild. Die Abseitsstehenden vernahmen aber nicht, dass Erna der Aelteren ins Ohr flüstert: „Du siehst, meine Backfischlaune ist erfüllt, die Geschichte war höchst einfach.“
In Resi wallte heisser Zorn auf. Am liebsten hätte sie das junge, verdorbene Geschöpf grob zurückgestossen, ihm ihre Verachtung vor allen ins Gesicht geschrien. Statt dessen musste sie ruhig bleiben, ganz ruhig. Aber es gelang ihr nicht völlig. Ihr Gesicht war keiner besonderen Verstellung fähig.
Erna machte sich von ihr frei, indem sie laut und fröhlich rief: „Schwesterchen ärgert sich, dass ich zuerst Braut werde, trotzdem ich drei Jahre jünger bin.“ Sie lächelte dem Professor zu. „Wir beide haben uns aber auch schrecklich lieb, nicht wahr?“
Der alte Doktor trat zu Resi. „Was sagst du zu der Ueberraschung, Dolores?“
Sie zuckte mit bitterem Lächeln die Achseln und er meinte leise, ganz leise: „Ich glaube, wir empfinden beide dasselbe, Dolores, mein Sohn tut uns beiden leid.“
Resi sah ihn ernst und traurig an, mehr durfte sie nicht wagen, jede Silbe wäre zuviel gewesen.