Читать книгу Resi Trautners Lebensroman - Anny von Panhuys - Страница 6
III.
ОглавлениеNun hatten Resi und Erna tanzen gelernt, und Frau Doris wollte eine kleine, ganz kleine Gesellschaft geben, später sollte getanzt werden.
Ihr Mann widersprach zum erstenmal ganz heftig: „Wir sind keine reichen Leute, in dieser teuren Zeit gibt man keine Gesellschaften.“
„Sollen deine Töchter Vestalinnen werden?“ sagte Frau Doris, die sich noch jung gehalten und mit ihrem Lächeln ihren Mann noch heute wie einst gefügig machte.
„Resi liegt an dem albernen Herumgehüpfe gar nicht,“ wehrte er ab.
Sie zuckte die Achseln. „Sie muss doch heiraten, denn immer kann sie nicht hier herumhocken oder gar drüben beim alten Ernstmann, mit dem sie allerlei ärztlichen Humbug treibt. Erna beschwerte sich, neulich habe sie einen Armknochen zum Präparieren mit ins Haus gebracht, sie hätte sich furchtbar geekelt.“
„Wollen sie doch studieren lassen,“ meinte er nachdenklich.
Sie wehrte heftig ab. „Ausgeschlossen, ich will keine Emanzipierte, und dann kostet das Studium auch viel Geld, und unsere rechte Tochter darf in keiner Weise benachteiligt werden.“ Sie seufzte. „Hätte ich geahnt, dass ich noch ein eigenes Kind haben würde, hätte ich natürlich niemals die Dummheit gemacht —“
„Halt ein!“ unterbrach er schroff, „du gehst zu weit, dergleichen darfst du niemals sagen, auch nicht vor mir, denn ich warnte dich damals. Jetzt ist Resi unser Kind, genau wie Erna, wir müssen unser Gut und unsere Liebe zwischen beide gerecht und ehrlich verteilen.“
Frau Doris lächelte überlegen. „Die Stimme des Blutes fragte nicht nach Gerechtigkeit. Dass ich Erna tausendmal mehr liebe als Resi, wer will mir einen Vorwurf daraus machen?“
Resi stand plötzlich wie dem Boden entstiegen zwischen den Vorhängen, die zwei Zimmer trennten. Ihr Antlitz war fahl, aber die tiefblauen Augen dunkler denn je, als sie sagte: „Frau Direktor Messner ist eben gekommen, Mutter.“
Frau Doris’ rosige Wangen waren auch erblasst. Sie fragte unsicher: „Hast du gehört, was wir hier eben gesprochen haben?“
Resi war zu stolz zum Lügen. So bekannte sie ehrlich: „Ja, ich hörte zufällig den letzten Satz von dir, musste ihn hören. Aber sei ruhig, Mutter, ich wäre die letzte, die dir einen Vorwurf machen würde, weil du Erna tausendmal mehr liebst als mich. Ich bin zufrieden und dankbar für das, was du mir gibst.“ Ihre dichten Wimpern senkten sich, und still huschte sie hinaus.
Frau Doris biss sich zornig auf die Lippen. „Abscheulich ist es, dass sie gerade hören musste, was am wenigsten für sie bestimmt war. Im übrigen klang ihre Antwort seltsam — ich werde manchmal nicht klug aus dem Mädel.“
„Sie empfindet, dass sie gegen Erna zurückgesetzt wird,“ meinte der Mann, „sie tut mir zuweilen leid.“
„Zurückgesetzt?“ fuhr Frau Doris auf. „Aber ich bitte dich, Gustav, davon kann doch gar keine Rede sein, sie erhält alles, was Erna erhält, alles!“
Er lächelte nachgiebig. Wozu Streit? Aendern würde er doch nichts. Also weshalb jetzt antworten, dass Resi zwar genau so viel an Kleidung und anderen Dingen erhielt wie Erna, dass aber alles, was sie bekam, von minderer Güte war. Und Resi besass ausgesprochenen Schönheitssinn, der mochte oft darunter leiden
Frau Doris ging, und ihr Mann blickte ihr sinnend nach. Wie ganz anders hatte sich seine Frau entwickelt, als er früher geglaubt, wie so ganz, ganz anders. Vor dem Tode Klein-Lisis lustig und sanft, gefügig und einfach, nach ihrem Tode abgestumpft, für nichts empfindlich; froh und lieb und einfach wieder, als Resi ins Haus kam, und nach Ernas Geburt eine selbstbewusste, eitle Frau, die es mit der Gerechtigkeit nicht so genau nahm. Sonst hätte sie sich immer und immer sagen müssen, sie hatte Resi ihren Verhältnissen entrissen, ihr Tochterrechte gegeben, sie durfte ihr die eigene Tochter nicht vorziehen.
Gustav Faber brannte sich eine Zigarre an. Gut wäre es, wenn sich für Resi bald ein Mann fand, er fürchtete allerlei Reibereien innerhalb der häuslichen vier Wände, und seine Ruhe und Bequemlichkeit ging ihm über alles. —
Frau Doris begann mit den Vorbereitungen für den Gesellschaftsabend. Neue Kleider sollten die Mädchen haben. Erna sass im behaglichen Wohnzimmer neben der Mutter, und beider Augen ruhten auf einem Modeblatt. Ernas Gesicht lächelte verträumt, während ihr rechter Zeigefinger eine Modefigur nachzeichnete.
„Sieh, Mutti, wie reizend dieses Kleid ist, sieh nur den Faltenwurf und die entzückende Stickerei. Ich denke mir, es müsste für mich in hellgrüner Seide gearbeitet und die kleinen Ranken auf Schultern und Brust in zartestem Rosa oder Weiss hineingestickt werden. Dazu eine matte, ganz matte Rose im Haar.“ Sie blickte mit leuchtenden Augen die Aeltere an. „Mutter, sage ja, ich bitte dich darum. Nicht wahr, das Kleid lässt du mir arbeiten?“
Frau Doris nickte. „Natürlich, Liebling, natürlich. Aber ich weiss nicht, was wir mit Resi machen? Ob ihr mattgrün steht und dann — für euch beide kommen solche Kleider doch vielleicht etwas zu teuer.“
Ernas hellblaue Augen hatten plötzlich einen kalten Glitzerschein. „Ach, Resi,“ sagte sie in leicht wegwerfendem Tone, „wozu muss die denn dasselbe tragen wie ich? Ihr Weisses vom Tanzstundenball ist doch noch tadellos, während meines den hässlichen Riss hat. Sie soll es anziehen, das ist doch ganz einfach.“
Frau Doris zog ein wenig die Brauen hoch und überlegte. Ernas Rat war eigentlich gar nicht schlecht. Auf diese Weise wurde eine hübsche Summe Geld gespart. Resi mochte vielleicht nicht einmal viel an einem neuen Ballkleid liegen, sie tanzte ja nicht besonders gern.
Eben trat Resi ein, und unwillkürlich glitt ein feines Lächeln über ihr Gesicht, als sie Mutter und Schwester über der Modezeitung fand. „Nun, sucht ihr etwas Hübsches für uns zum Anziehen aus? Was meint denn das Schwesterchen, was wir für den grossen Abend wählen sollen?“
Das stumpfe Schweigen der beiden fiel ihr nicht weiter auf. Sie war in froher Jungmädchenstimmung und plauderte unbekümmert weiter.
„Ich alte, pedantische Resi freue mich jetzt doch auf unseren Abend und denke, es wird recht hübsch werden.“ Ihre Augen fielen auf dieselbe Kostümzeichnung, die noch vor Minuten Erna so begeistert hatte. Sie liess sich nieder und wies darauf hin. „Entzückend ist das Kleid, schlicht und doch vornehm, es gefällt mir sehr und — —“ sie blickte von der einen zur anderen, „wenn ich nicht irre, ist es auch euer Geschmack?“ Ihr Blick streichelte Erna beinahe. „Unser Blondchen müsste hinreissend süss in dem Kleide aussehen, ich dächte, hellgrün wäre die rechte Farbe.“
Erna nickte. „Ja, das haben Mutti und ich eben auch besprochen.“
„Fein,“ lächelte Resi, „diese Uebereinstimmung unseres Geschmacks, ich denke, auch meine Zigeunerart darf helles Grün tragen.“
Frau Doris und Erna wechselten einen schnellen, verständnisvollen Blick.
Eine kleine Pause entstand.
Resi lächelte unbefangen weiter. „Meint ihr, dass mich hellgrün auch kleidet? So gut wie Erna allerdings wohl kaum.“
Die Blonde sagte rasch: „Nein, hellgrün steht dir sicher gar nicht, und ich habe auch bereits mit Mutti darüber gesprochen. Es ist am besten, du ziehst das weisse Kleid an, das du zum Tanzstundenball trugst.“
Resis Lächeln löste sich ganz langsam von den schmalen Zügen, und ein seltsames Fragen dämmerte in ihren Augen auf. Erna erklärte mit dem naivsten Gesicht von der Welt: „Sieh, Resi, es ist doch jetzt alles so bodenlos teuer, man muss sparen, es ist klug, wenn du dein weisses Kleid nimmst. Meins hat einen hässlichen Riss — —“
Resi lächelte schon wieder.
„So, meint ihr es! Ja, das sehe ich ein, ihr habt völlig recht, mein weisses Kleid genügt natürlich. Aber dein Riss, Erna, ist auch nicht so schlimm, ich verspreche dir, den Schaden so tadellos auszubessern, dass niemand etwas davon merkt.“ Sie sah Doris an. „Dann kannst du das Geld für zwei neue Kleider sparen, Mutter.“
Frau Doris murmelte etwas vor sich hin. Sie schämte sich ein wenig, hatte das Gefühl, in eine selbstgelegte Schlinge gegangen zu sein.
Erna aber sprang auf, das Modeblatt fiel zu Boden. „Lass doch den blöden Gouvernantenton! Ich trage keine gestopften Kleider, merke dir das, und schliesslich habe ich es nicht so nötig zu sparen wie du.“
Frau Doris erhob sich. „Was fällt dir ein, Erna, in welchem Ton redest du mit deiner Schwester?“
Ernas Augen hatten wieder den alten Glitzerschein. „Lass doch, Mutti, einmal muss man ihr gegenüber doch ein bisschen deutlich werden, denn sie meint immer mit grösster Selbstverständlichkeit, sie hätte genau die Rechte hier wie ich.“
„Erna, ich bitte dich, sei still,“ unterbrach Frau Doris, „gewiss hat Resi dieselben Rechte und deshalb wird sie auch dasselbe Kleid erhalten wie du. Wenn es auch teuer kommt, es muss sich eben machen lassen.
Nun stand auch Resi auf. Gross und schlank stand sie vor den beiden kleineren Frauen. In ihren Zügen zuckte es wie heimliches Wetterleuchten, aber ihre Stimme war ruhig, als sie sagte:
„Liebe Mutter, wenn du auch Erna hindern kannst, allzu deutlich zu werden, so konntest du doch nicht hindern, dass ich längst begriffen habe, was sie meint. Sie sprach wahr, ich habe hier nicht dieselben Rechte wie sie, die dein leibliches Kind ist, während ich nur ein angenommenes bin. Sie ist hier daheim, während du mir nur aus Mitleid hier eine Heimat gegeben hast. Ich habe keine Eltern mehr und muss dem Himmel dankbar sein, der gute Menschen aussandte, die sich meiner erbarmten.“ Sie lächelte wehmütig. „Habe jahrelang nicht so recht daran gedacht, aber in letzter Zeit wurde ich doch öfter erinnert, und es ist gut so, sonst würde ich vielleicht völlig vergessen haben, dass dies hier nicht mein Elternheim ist, sondern Heim der Gnade.“
Frau Doris, die sich schuldig fühlte, es aber nimmermehr eingestanden hätte, ward zornesrot.
„Dein Ton ist nicht der rechte, hinter deiner scheinbaren Demut verbirgt sich Hochmut.“
Resis Augen blickten fast schwarz. „Verzeih, wenn ich den rechten Ton nicht fand, doch glaube mir, nichts liegt mir ferner als Hochmut.“ Ganz traurig setzte sie hinzu: „Ich hätte doch gar keinen Grund dazu.“
„Das meine ich auch,“ sagte Frau Doris scharf. Schärfer, als es in ihrer Absicht lag. Aber sie konnte nichts dafür, Resis Auftreten reizte sie immer wieder.
Ein grosses Schweigen setzte ein, und nach einem Weilchen ging Resi still zum Zimmer hinaus.
Erna machte ein etwas unsicheres Gesicht, dann aber grollte sie: „Es schadet ihr gar nichts, wenn sie einmal etwas geduckt wird.“
Frau Doris streichelte ihr blondes Kind. „Du bist tausenmal schöner als sie, man muss dich ja lieber haben, mein Süsses.“
Erna lächelte taubenhaft. „Mutti, du bist so gut, so gut. Resi hat gar kein Verständnis dafür. Bedenke, sie ist doch nur das Kind armer Schwarzwaldbauern, und wer weiss, was aus ihr geworden wäre, wenn du dich nicht der Elternlosen erbarmt hättest.“
Frau Doris war gerührt über ihre eigene Güte. Sie hatte das Gefühl, sich anzuvertrauen, zu zeigen, dass ihr Herz noch edler gehandelt, als es schien. Wozu brauchte der eigenen Tochter ein Märchen aufgebunden werden? Sie war wohl berechtigt, die volle Wahrheit zu hören.
Sie legte den rechten Arm um Ernas Schultern und ging so mit ihr zum Sofa, wo sich beide dicht nebeneinander niederliessen.
Die Aeltere lächelte: „Du bist nun schon über sechzehn Jahre, mein Liebling, und ich denke, es braucht für dich kein Geheimnis mehr aus der Herkunft Resis gemacht zu werden; denn die Geschichte von den toten Schwarzwaldbauern, die ihr Kind arm und hilflos in der Welt zurückliessen, ist nur ersonnen, um Resi die Wahrheit zu verbergen.“
Ueber Ernas Lippen zitterte ein Laut des Staunens, äusserste Spannung malte sich auf ihrem Gesicht. „Aber woher stammt denn Resi sonst, Mutti?“ und von eigner romantischer Stimmung erfasst, fragte sie hastig: „Resi ist wohl von vornehmer, hoher Herkunft, sie hat manchmal so etwas Stolzes, Unnahbares.“
Frau Doris schüttelte den Kopf. „Im Gegenteil, Liebling, ganz im Gegenteil. Resi stammt aus Niedrigkeit und Armut.“
Ihr tauchten plötzlich Bedenken auf, ob sie nicht doch vielleicht unklug handelte, die allzu junge Erna einzuweihen. Aber nun war es zu spät. Ernas Neugier drängte und drängte.
Da nahm Frau Doris Ernas Rechte. „Versprich mir, mein Kind, gegen jedermann, auch gegen Resi, über das zu schweigen, was ich dir jetzt sagen werde.“
Erna lächelte obenhin. „Natürlich, Mutti, natürlich, ich werde doch ein Geheimnis zu wahren wissen.“ Doppelt gespannt war sie jetzt auf das, was sie erfahren würde.
Und nun erzählte Frau Doris ihrer jungen Tochter von der kleinen, schmutzigen Wirtschaft „Zum Paradiesgarten“ in Konstanz, und Erna lauschte, als würde ihr ein spannender Roman erzählt.
Als die Mutter geendet, richtete sie sich mit tiefem Atemholen auf. Jetzt wusste sie, woher Resi stammte, jetzt wusste sie es anders, als sie es bisher gewusst. Das war eine von der ersten völlig verschiedene Lesart. So sahen in Wirklichkeit Resis Eltern aus, ihre Eltern, die vielleicht noch lebten. Die Mutter war eine arme, müde Frau, der Vater ein Trunkenbold und Rohling, und mit einem Tausendmarkschein liessen sich beide ihr Kind bezahlen.
„Das ist ja Gesindel gewesen,“ sagte sie hart und verächtlich, „stolz kann Resi auf ihre Eltern wahrlich nicht sein.“
Frau Doris nickte. Nein, stolz konnte Resi darauf nicht sein, die bäuerischen Eltern aus dem Schwarzwald, die allzu früh starben, wirkten dagegen gediegen.
„Wenn Resi wüsste, was ich nun weiss, ich glaube, das dämpfte ihren Stolz,“ sagte Erna, und in ihren Augen stand wieder der kalte Glanz.
Frau Doris erhob sich. „Um Gotteswillen, Kind, niemals soll sie davon erfahren, niemals.“
Erna lächelte. „Von mir erfährt sie nichts.“ Leise Verachtung umspielte ihre Lippen. Was doch die Einbildung tut! Sie sah die Pflegeschwester, nun sie über deren Herkunft aufgeklärt war, plötzlich in ganz anderem, schärferen Licht. Bisher war immer noch ein matter Schein sanfter Romantik um sie herum gewesen, jetzt aber schien ihr das, was kurz zuvor noch ein zart abgetöntes Pastellbild, eine groteske Zeichnung aus einem Schundroman. Leichter Widerwillen quoll in ihr auf.
Sie sagte erregt: „Du warst engelhaft gut damals, Mutti, als du das fremde Kind annahmst. Im ganzen Leben kann Resi dir nicht danken, was sie dir schuldet.“
Frau Doris streichelte Erna. „Wir wollen hoffen, dass sie, auch ohne die volle Wahrheit zu wissen, die Dankbarkeit niemals vergisst.“