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Vorwort

ZUR DEUTSCHEN AUSGABE

Von Raphael Honigstein

2012 war ein sehr gutes Jahr für den englischen Fußball. Die Liga erlebte das spannendste Meisterschaftsfinale aller Zeiten mit einem Last-Minute-Triumph von Scheich-Klub Manchester City über die Lokalrivalen von Manchester United, zwei Wochen später gewann der FC Chelsea nach unglaublicher Dramatik die Champions League in München.

2012 war aber auch ein ganz schlechtes Jahr für den englischen Fußball. Das hatte wenig mit dem Viertelfinal-Aus der Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft gegen Italien – im Elfmeterschießen – zu tun; nichts anderes hatten die seit Jahrzehnten leidgeprüften Fans der „Three Lions” erwartet. Nein, der Lieblingssport der Briten geriet wegen ganz anderer Dinge in die Defensive, und zwar so stark wie nie zuvor seit dem Beginn des Premier-League-Booms Anfang der neunziger Jahre.

England-Kapitän John Terry musste sich vor einem Strafgericht und der Disziplinarkommission des englischen Verbands für die rassistische Beleidigung eines Gegenspielers (Anton Ferdinand, Queens Park Rangers) verantworten. Der Richter sprach ihn frei, die Football Association sperrte ihn für vier Spiele. Im Zuge der höchst unappetitlichen Affäre – Terry und Ferdinand beschimpften sich gegenseitig als „Fotzen” auf dem Rasen – bekam Ferdinand Morddrohungen. Schwarze Profis dachten über einen Rückzug aus der Spielergewerkschaft nach, Nationaltrainer Fabio Capello trat zurück, weil der Verband Terry gegen seinen Willen die Kapitänsbinde weggenommen hatte. Und wie schon beim Skandal um Liverpool-Stürmer Luis Suárez, der wegen der rassistischen Beleidigung von Manchester Uniteds Patrice Evra im Vorjahr für acht Partien gesperrt worden war, richtete sich die öffentliche Meinung nicht nach der Beweislage, sondern streng nach Vereinszugehörigkeit. Für Fans des FC Chelsea und des FC Liverpool waren Terry beziehungsweise Suárez Opfer von Verschwörungen.

Mit wie viel deprimierender, kindischer Humorlosigkeit und sogar Hass diese leidigen Stammesfehden auf der Insel geführt wurden, fiel erst richtig auf, als sich im Sommer das ganze Land an den Olympischen Spielen in der Hauptstadt berauschte. London 2012 produzierte unheimlich sympathische, bescheidene Helden wie Mo Farah (Gold über 5.000 und 10.000 Meter) und Jessica Ennis (Gold im Siebenkampf), und im Stadion in Stratford beklatschte das Publikum auch die ausländischen Athleten begeistert. Fußballverbandschef David Bernstein ahnte, wie unvorteilhaft die ungleich reicheren, unsympathischeren Kicker im Vergleich zu den Olympioniken dastanden, und veröffentlichte noch während der poppigen Abschlussfeier in Stratford eine Pressemitteilung. Der Fußball müsse sich vom olympischen Geist inspirieren lassen, forderte Bernstein: „Die Spieler müssen sich ein Beispiel an diesen Spielen nehmen, mit den Privilegien kommt auch die Verantwortung, sich vorbildlich zu verhalten.”

Doch es nützte nichts. „Leere Sitze, Schmähgesänge und eine Rote Karte”, rümpfte nach dem Saisonauftakt zwischen Man City und Chelsea (3:2) im August ausgerechnet die Sun die Nase, „der ekelhafte Fußball ist wieder da. Unser Nationalsport hat unser nationales Glücksgefühl schneller kaputt gemacht, als Usain Bolt Gold gewann.”

Das Letzte, was das Land zu diesem Zeitpunkt brauchte, war: eine neue Fußballerbiografie. Das Genre leidet ja schon seit Jahren am fürchterlichen Missverhältnis zwischen Quantität und Qualität. Wayne Rooney hat mit 28 schon zwei Bücher veröffentlicht, drei weitere sollen noch folgen. Drei Viertel des Nationalkaders von Sven-Göran Eriksson hatten vor der Weltmeisterschaft 2006 Buchverträge unterzeichnet, die Verlage waren fest überzeugt, dass David Beckham und Co. mit dem Pokal im Gepäck aus Deutschland zurückkehren würden. In der Folge des mal wieder total verkorksten Turniers – Aus im Viertelfinale gegen Portugal, im Elfmeterschießen – kam dann ein halbes Dutzend Bücher auf den Markt, die niemand lesen wollte. Das Schlusslicht im Klassement der Ladenhüter gab das Œuvre von Ashley Cole (My defence), das mit seinem fast schon rührenden Realitätsverlust völlig neue Maßstäbe setzte. „Als ich hörte, dass mir Arsenal nur 55.000 Pfund in der Woche (für meinen neuen Vertrag) bot, hätte ich fast einen Unfall gebaut”, schrieb der Linksverteidiger in der Schlüsselstelle, „ich war so außer mir, ich zitterte vor Wut.” Von diesem bösen Car Crash haben sich Fußballerbücher in Großbritannien nie mehr richtig erholt.

Mit Sympathieträgern ist der Sport nicht übermäßig gesegnet. Selbst die intelligenteren – oder interessanteren – Typen schaffen es nur in Ausnahmefällen, packende Worte aufs Papier zu bringen. Daran ist zum einen das sehr scharfe britische Presserecht schuld: Die Angst vor kostspieligen Verleumdungsklagen lässt die Verlage die vermeintlich kontroversen Stellen im Zweifel lieber glattbügeln. Noch mehr aber bestimmt Selbstzensur das Schreiben. Fußball ist in England ein geschlossenes System: Wer erst mal als Spieler, Trainer oder TV-Experte drinnen ist, will es sich auf keinen Fall mit den Kollegen verscherzen.

Englische Fußballer haben gelernt, ihre wahren Gedanken hinter höflichen Floskeln und unsäglichen Plattitüden zu verstecken. Es wird viel geredet, aber nichts gesagt. Männer, die gegen diese Kabinen-Omertà verstoßen, goutiert der Sport nicht. Die wohltemperierte, handzahme Schwammigkeit, die aus ihren Worten spricht, vergrößert unweigerlich die Distanz zwischen Publikum und Star. Auch die Trainingsgelände der Premier-League-Klubs sind weiträumig abgeschirmt, der einstige Arbeitersport hat sich nicht nur finanziell, sondern auch emotional von seinen Wurzeln entfremdet.

Warum also sollte man sich im Vereinigten Königreich im Sommer 2012 für die Lebensgeschichte eines namenlosen, „geheimen” Fußballers interessieren, wenn selbst die Bücher der prominentesten Koryphäen in den Regalen verstaubten? Die Antwort liegt im erfüllten Versprechen des englischen Untertitels „Lifting The Lid On The Beautiful Game”: Der Secret Footballer (SF) macht den Deckel ganz weit auf – und lässt den Leser tief ins dunkle Innere des ach so „schönen Spiels” blicken.

Sein Verein, seine Mitspieler, sein Trainer und sein Berater würden nicht wollen, dass er dieses Buch schreibe, hat er in einem Interview erzählt. Die Maske des Pseudonyms schützt jedoch nicht nur vor negativen Reaktionen des Umfelds, wie es in der Fußballersprache heißt – sie schärft dem SF in erster Linie den Blick auf sich selbst. Der SF schreibt über seinen Kampf gegen Depressionen, seine Unsicherheit in der Kabine als Jugendlicher. Wie einsam man sich fühlt, wenn man seine besten, ältesten Freunde mit der Bestellung einer 2.000-Euro-Flasche Wein versehentlich vor den Kopf stößt. Über das Misstrauen, mit dem sich selbst Kumpels in der Kabine beäugen. Und darüber, was die Fußballer wirklich von ihren Fans halten (nicht sehr viel).

So brutal offen und gleichzeitig so reflektiert wurde über den Alltag eines Profifußballers auf der Insel seit Eamon Dunphys Only a Game?, einem fesselnd-verstörenden Buch über eine verregnete, deprimierende Saison (1973/74) beim Zweitligisten FC Millwall, nicht mehr geschrieben. Der Secret Footballer und seine Enthüllungen wurden zur Sensation. Was Sportbücher angeht, verkauften sich 2012 in Großbritannien nur die Biografien der Olympiahelden Jessica Ennis, Tom Daley und Bradley Wiggins besser. In den Pubs hatte man zeitweise das Gefühl, dass alle Konversationen nur noch um die Identität des SF kreisten. Noch immer vergleicht eine Armee von Hobbydetektiven mit Mitteln der Google-Rasterfahndung biografische Hinweise aus dem Buch mit den Lebensläufen von aktiven Spielern, auf der Internetseite www.whoisthesecretfootballer.co.uk stellen Enthusiasten YouTube-Clips zusammen, die mit Szenen aus dem Buch übereinstimmen könnten. Die Fangemeinde kommt dabei regelmäßig zu völlig neuen Ergebnissen, denn der SF hat absichtlich auch ein paar falsche Fährten gelegt.

Das Publikum kann sich für diesen Spaß bei einem Immobilienmakler bedanken. Leider weiß es nicht, bei welchem. In der Wochenendausgabe der britischen Financial Times berichtete von 2007 bis 2012 ein anonymer „Secret Agent” über die fremde, absurde Welt des globalen Jetsets und dessen Jagd auf Luxusobjekte in der britischen Hauptstadt. Der SF las regelmäßig die Artikel und hatte Ende 2010 die Idee, so etwas Ähnliches für den Fußball zu machen. Es gibt ja eindeutige Parallelen. Die Premier League wird ebenfalls von Multimillionären bevölkert, die die sofortige Erfüllung ihrer Wünsche erwarten. Und genau wie Immobilienmakler, die auf der Insel als eine der am wenigsten vertrauenswürdigen Berufsgruppen gelten – nur Politikern, Bankern und Journalisten glauben die Briten laut einer Umfrage des Daily Telegraph aus dem Jahr 2012 weniger –, stehen auch Profikicker im Verdacht, ihre Kunden beziehungsweise Fans öfters ein wenig für dumm verkaufen zu wollen. Die Wahrheit liegt nicht (nur) auf dem Platz.

Der SF kontaktierte den Guardian, im Januar 2011 wurde seine erste Kolumne veröffentlicht. Das Stück handelte vom schwierigen Umgang der Profis mit dem Nachrichtendienst Twitter. Es war interessant, die überwiegend positiven Reaktionen der Leser in den Online-Kommentaren zu verfolgen, denn der SF hatte die asymmetrische Kommunikation im Netz auf den Kopf gestellt: Hier war ausnahmsweise nicht der User anonym, sondern der Journalist. Kurioserweise nahmen die Leser ihm seine Erlebnisse gerade deswegen ab.

Die Kolumne wurde zum großen Erfolg, das Buch machte den SF zum kulturellen Phänomen. Auf seiner Internetseite www.the-secretfootballer.com schreiben mittlerweile auch geheime Experten, Journalisten, Spielerfrauen, Fans und Sportmediziner über das Spiel.

Vieles, was der SF und seine anonymen Mitstreiter über den englischen Fußball berichten, ist nicht sehr schmeichelhaft. Sie malen das Bild eines Sports, der im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs die Bodenhaftung mehr oder minder komplett verloren hat. Zugleich haben all die indiskreten, lustigen, beängstigenden Anekdoten, die der SF verrät, den Fußball und seine Protagonisten wieder viel näher an sein Publikum zurückgeführt. Der aufregende, vielschichtige Blick hinter die Kulissen erlaubt, was das Hochglanzprodukt Premier League normalerweise verhindert: die Anteilnahme mit den Aktiven. Der Secret Footballer und sein faszinierendes Buch sind – trotz des Zynismus und der Desillusionierung, die aus ihm sprechen, trotz der Sex-Skandale, Alkoholexzesse und obszön vielen Nullen auf dem Konto – vielleicht sogar das Beste, was dem englischen Fußball im Annus horribilis 2012 passieren konnte. Einen Europameisterschaftstriumph gegen die Deutschen (im Elfmeterschießen?) ausgenommen, versteht sich.

Raphael Honigstein, Jahrgang 1973, berichtet unter anderem für die Süddeutsche Zeitung und den britischen Guardian über englischen und deutschen Fußball. Er ist der Autor von Harder, Better, Faster, Stronger: Die geheime Geschichte des englischen Fußballs (2006) und arbeitet als Bundesliga-Experte für den amerikanischen Sender ESPN.

The Secret Footballer

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