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Die grausame Realität

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Bis heute spüre ich den Augenblick, in dem ich die Nachricht erhielt. Ich habe die Bilder sofort vor Augen, wenn ich meine Gedanken zurückhole. Die Erinnerung ist so stark, dass ich immer noch spüre, wie mir der Atem in der Kehle stecken bleibt.

Als ich vom Tod meines Mannes erfuhr, begann ich zu zittern und fühlte eine riesige Stresslawine durch meinen Körper fließen. Ich versuchte, dies vor meinen Kindern zu verbergen. Auf der Stelle bekam ich pochende Kopfschmerzen, mein Hals und meine Schultern wurden steif. Meine Gedanken begannen zu rasen und wurden chaotisch. Die Kinder erlebten ähnliche Reaktionen im Körper, wie ich später von ihnen erfuhr.

Jetzt, da ich ›rückwärts verstehe‹, kann ich sagen, dass dies die Stressreaktion war, die uns in den Überlebensmodus versetzte. Mit allen Tricks nahm ich mich, um meiner Kinder willen, zusammen. Ich fühlte mich machtlos und zugleich in meinem innersten Kern irreparabel beschädigt, verlassen und verraten. Das Schlimmste war meine Furcht, dass es den Kindern genauso gehen könnte.

Neun Monate später, es war Karfreitag, der 21. März 2008: Ich liege mit gelähmten Beinen in einem Krankenhausbett, neben mir steht ein Rollstuhl. Eine Autoimmunreaktion hat mein Nervensystem angegriffen, im sogenannten Caudabereich, von der Mitte meines Körpers aus abwärts – in der Fachsprache wird dies Neuritis genannt. »Ursache unbekannt«, sagen die Neurologen und behandeln die Symptome intravenös mit einer hohen Dosis Corticosteroide. Das ist offensichtlich die Behandlungsleitlinie für dieses Krankheitsbild.

Kurze Zeit später ergreift ein unangenehmes Bakterium Besitz von meinem Körper und ich muss über einen langen Zeitraum erneut intravenös behandelt werden, diesmal mit Antibiotika. Als ich nach mehreren Wochen das Krankenhaus verlasse, ist das Gefühl in eins meiner Beine zurückgekehrt, in das andere noch nicht ganz. Ohne Krücken kann ich mich nicht fortbewegen. Ich fühle mich in jeder Hinsicht wie ein Wrack – emotional, geistig und körperlich.

Über ein Jahr werde ich mit Corticosteroiden und Antibiotika behandelt. An mehreren Stellen in meinem Beckenboden habe ich kein Gefühl mehr und kann daher den Urin nicht gut einhalten. Ich bin nicht in der Lage zu arbeiten, da ich keine Energie dazu habe. Das Konzentrieren fällt mir schwer, vergesse bestimmte Dinge ständig – ich leide an einer kognitiven Störung. Trotz Behandlung mit den besten Medikamenten wird es nicht besser. Anfang 2009 beschließe ich, einen Psychiater hinzuzuziehen und eine Therapie zu beginnen. Er diagnostiziert eine Depression infolge einer ›aufgeschobenen Trauerreaktion‹ und gibt mir ein weiteres Medikament, ein Antidepressivum.

Die ganze Zeit über bleibt mein Denken negativ und kreist immer in denselben Gedankenspuren:

 »Er hätte sich nicht umbringen dürfen.«

 »Er hätte seine Kinder nicht einfach ohne Vater zurücklassen dürfen.«

 »Er hätte mich nicht mit diesem finanziellen Durcheinander sitzen lassen dürfen.«

 »Wie konnte er einfach so gehen und mich und die Kinder ohne eine Nachricht zurücklassen?«

 »Was für ein Schuft, mich einfach so zu verlassen, sodass ich die Kinder alleine erziehen muss.«

 »Ich hasse ihn, weil er keine Nachricht zurückgelassen hat.«

 »Ich vermisse ihn.«

 »Ich fühle mich einsam ohne ihn.«

 »Ich will mit ihm sprechen und ich will eine Erklärung. So kann es nicht weitergehen.«

Das Antidepressivum macht mich schlapp und lustlos und ich verliere noch mehr von mir.

Die Weisheit des Traumas

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