Читать книгу Lakota Moon - Antje Babendererde - Страница 10
Оглавление4. Kapitel
In Rapid City, einer Stadt mit knapp 60 000 Einwohnern, gab es nur ein einziges Hochhaus. Es war das Rapid City Regional Hospital, ein moderner, ziemlich hässlicher Bau mit elf Stockwerken. Außer ein paar überdimensionalen Straßenkreuzungen, Supermärkten, Tankstellen, vielen Hotels und Fastfood-Restaurants hatte die Stadt nicht viel zu bieten. Alles war riesig und überraschend einfallslos. Ich hatte etwas anderes erwartet.
Das nahe Beieinander von Armut und Reichtum haute mich bald um. Da gab es Straßen, deren Häuser sich von denen im Reservat nicht im Geringsten unterschieden. Indianer, die herumstanden und um Dollars bettelten. Und gleich daneben auf einmal ein protziger Bau wie eine historische Villa oder ein Schloss. Ausgesprochen kitschig, weil es nicht in die Gegend passte. Und davor ein Auto so lang wie ein Bus, mit verspiegelten Scheiben natürlich.
Irgendwann wurde mir klar, dass Rapid City eigentlich gar keine richtige Stadt war, jedenfalls nicht so, wie ein Europäer sich eine Stadt vorstellen würde. Es gab kein Zentrum, nur eben eine Hauptstraße mit etlichen Kreuzungen und ein paar alten Häusern. Die Straßen schienen hier sowieso das Wichtigste zu sein.
Rodney stellte den Van auf dem Parkplatz vor einem Einrichtungshaus ab und meine Mutter kaufte ein. Ich nahm mal an, dass es unser Geld war und nicht Rodneys, das sich da in Holzregale, Stühle und einen Tisch verwandelte. Rodney nickte zu allem, wenn Mom seine Zustimmung wollte. Außerdem kam noch eine Menge anderer Kram dazu. Vorhänge, ein Teppich, Lampen . . . bis Rodney meiner Mutter eine Hand auf den Arm legte und sagte: »Warte doch erst einmal ab, bis wir verheiratet sind. Zur Hochzeit bringen alle einen Haufen Geschenke. Sie werden enttäuscht sein, wenn du schon alles hast.«
Das überzeugte meine Mutter schließlich und sie gab sich zufrieden. Voll beladen, traten wir den Heimweg an.
Mit einer Engelsgeduld baute Rodney für Mom die Regale und den Tisch zusammen und schob mit ihr alles so lange von einer Ecke zur anderen, bis sie zufrieden war. Manchmal erwischte ich Rodney, wie er hinter ihrem Rücken die Augen verdrehte, aber er beschwerte sich nicht. Für seine Geduld bewunderte ich ihn.
Und meine Mutter bewunderte ich auch. Sie schaffte es in kürzester Zeit, die Räume behaglich einzurichten, und das mit den wenigen Mittel, die ihr zu Verfügung standen. In solchen Dingen war sie einfach spitze. Dank meiner Mom fühlte ich mich in Rodneys Haus bald zu Hause.
In der darauf folgenden Woche war meine Mutter mit Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt. Noch einmal machten wir den weiten Weg nach Rapid City, um im Walmart frische Lebensmittel einzukaufen, weil es dies und das im Sioux-Nation-Supermarkt in Pine Ridge angeblich nicht gab.
Irgendwann, wir befanden uns gerade in einem besonders ärmlichen Wohnviertel, das mich sehr an die Siedlungen im Reservat erinnerte, hielt Rodney vor einem Trailer und sagte: »Bin gleich wieder da.«
Meine Mutter schien zu wissen, was er hier wollte, und jetzt drehte sie sich zu mir um, weil sie wohl das Gefühl hatte, mir etwas sagen zu müssen.
»Wir sind nicht nur zum Einkaufen in Rapid City«, sagte sie, ausnahmsweise mal auf Deutsch.
Ich sah sie nur fragend an.
»Rodney holt seinen Freund ab. Er soll unser Trauzeuge sein. Wir werden uns heute standesamtlich trauen lassen.«
Ich schluckte. Meine Mutter war immer so entwaffnend ehrlich. Es dauerte eine Weile, bis ich ihre Auskunft verarbeitet und meine Sprache wieder gefunden hatte. »Ihr wollt heute heiraten?«, fragte ich mit belegter Stimme. »Einfach so, zwischen den Einkäufen? Was ist mit Rodneys Familie, mögen die uns nicht? Müsst ihr deshalb heimlich heiraten?«
Meine Mutter lächelte kopfschüttelnd. »Nein, wir müssen überhaupt nicht heimlich heiraten. Rodneys Leute legen nur nicht viel Wert auf eine standesamtliche Hochzeit. Sie muss sein, und das ist alles. Das Fest am Wochenende wird die eigentliche Hochzeit sein. Dann werden wir auch Rodneys Familie kennen lernen.«
Ich sah aus dem Fenster, dorthin, wo Rodney jetzt mit seinem Freund aus dem Trailer kam. Die beiden lachten und für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, sie lachten über Mom und mich. Ich fühlte mich zunehmend unbehaglicher.
Der Mann, den Rodney uns vorstellte, hieß Arlo Has no Horse. Wir erfuhren, dass er nicht nur Rodneys Freund, sondern sein Schwager war, der Mann seiner verstorbenen Schwester Donna.
Arlo Hat kein Pferd war ein fröhlicher Mensch, der uns herzlich willkommen hieß und auf dem Weg zum Friedensrichter noch ein paar Späße machte, sodass meine Stimmung sich wieder etwas besserte.
Was meine Mutter mir nicht gesagt hatte, war, dass ich der zweite Trauzeuge sein sollte. Und obwohl ich es nicht gerne tat, ihr zuliebe willigte ich ein. Mir blieb ja mal wieder gar nichts anderes übrig.
Wenn ich heute darüber nachdenke, dann ging alles ganz schnell und war so unwirklich wie ein Film. Nur dass ich zu den Hauptdarstellern gehörte. Die Augen meiner Mutter leuchteten wie die einer jungen Braut, als sie dem alten, graubärtigen Kauz im schwarzen Anzug, der sie und Rodney soeben verheiratet hatte, ihre Unterschrift gab.
Es gab nicht mal Eheringe, aber meine Mutter war trotzdem richtig glücklich und ich konnte nicht begreifen, warum. Arlo boxte mich einmal freundschaftlich vor die Schulter, als ich bei der kurzen Zeremonie ein allzu langes Gesicht machte. Nun war es passiert. Es gab kein Zurück mehr. Meine Mutter war mit einem Indianer verheiratet und ich hatte einen Stiefvater mit Zöpfen.
Rodney lud uns nach der Trauung in ein mexikanisches Restaurant ein und dort erfuhr ich, dass seine Schwester Donna vor drei Jahren an Krebs gestorben war und ihre beiden Töchter in Santa Fe Kunst studierten. Arlo, der als Automechaniker in einer Werkstatt in Rapid City arbeitete, versprach auf jeden Fall zur Hochzeitfeier zu kommen.
»So ein Ereignis lasse ich mir doch nicht entgehen«, sagte er grinsend. »Ich hätte nie gedacht, dass der alte Rodney noch mal heiratet, wo doch Ella Rae so ein alter Drachen war und er mit ihr keine ruhige Minute hatte.«
Zum ersten Mal erlebte ich Rodney verlegen. Meine Mutter konnte auch ein Drachen sein, wenn sie wollte. Alle Frauen konnten das. Ob er das ahnte?
»Susan ist anders«, sagte er. »Deshalb habe ich sie auch geheiratet. Sie macht mich glücklich.« Treuherzig sah er meine Mutter an. Es war unerträglich und ich musste meinen Blick abwenden.
Nachdem wir Arlo Hat kein Pferd zu seinem Trailer zurückgebracht hatten, fuhren wir zu Walmart einkaufen. Ich war ja wirklich einiges gewöhnt, aber so einen riesigen Supermarkt hatte ich noch nie gesehen. Draußen war eine Höllenhitze und drinnen, vor den Kühlregalen, klapperten mir die Zähne. Ich hätte mir was drüberziehen sollen. Rodney und meine Mutter kauften Unmengen an Lebensmitteln, Pappgeschirr und Plastikbesteck, und ich fragte mich, ob der ganze Stamm zu ihrer Hochzeit kommen wollte, denn danach sah es inzwischen aus.
Den ganzen nächsten Tag war Rodney unterwegs. Er war schon fort, als ich am Morgen aufstand, und ich war froh, mal wieder mit meiner Mutter allein zu sein – wenigstens für eine Weile.
Als ich am Tisch saß und mein Müsli löffelte, umarmte sie mich von hinten und legte ihre Wange an meine. Das hatte sie lange nicht mehr getan. Sie roch gut, so vertraut, und ich hätte auf der Stelle losheulen können.
Schließlich setzte sie sich mir gegenüber und legte ihre Hand auf meine. Ihr war natürlich nicht entgangen, dass ich, seit wir hier waren, mit einer Leidensmiene herumschlich. »Gibt es hier gar nichts, das dich ein wenig interessieren könnte?«, fragte sie, zwei Sorgenfalten über der Nasenwurzel.
»Mir fehlt die rosarote Brille«, erwiderte ich kopfschüttelnd. »Die hast du nämlich auf.«
»Warum sagst du das, Olli?«, fragte sie traurig. »Macht es dir Freude, mich zu quälen?«
»Fragt sich, wer hier wen quält, Mom. Hier zu sein ist wie eine Strafe für mich und ich habe keine Ahnung, womit ich die verdient habe.« Irgendwie war ich in der Phase des Selbstmitleids stecken geblieben und konnte nichts dagegen tun.
Meine Mutter zog ihre Hand zurück und verschränkte sie mit der anderen, wie um sich daran festzuhalten. »Ich war lange allein, Oliver«, sagte sie. »Du warst da, das hat mich gerettet. Trotzdem war ich oft sehr einsam. Jetzt habe ich jemanden gefunden, mit dem ich mein Leben verbringen möchte. Ich habe nur dieses eine. Vermutlich wird es nicht einfach, aber das habe ich vorher gewusst. Du hast dein Leben noch vor dir und du musst hier auch nicht für immer bleiben. In drei Jahren kannst du deine eigene Entscheidung treffen.«
»Drei Jahre sind eine endlos lange Zeit, Mom.«
»Nur, wenn man so jung ist wie du.«
»Mir gefällt aber auch nicht, dass du für immer hier sein wirst.«
Meine Mutter lächelte traurig. »Mach dir mal um mich keine Sorgen. Ich bin gerne hier. Es ist das, was ich immer wollte: ein Haus in der Prärie, Pferde, für jemanden der Halt sein.«
»Okay«, sagte ich. »Aber verlange nicht von mir, dass ich dasselbe empfinde wie du. Lass mich einfach damit in Ruhe und versuche nicht mir hier irgendetwas schönzureden.«
Die Sehnsucht nach Nina packte mich mal wieder wie ein Raubvogel, der seiner Beute die scharfen Krallen in den Rücken schlägt. Es tat so weh, dass mir die Luft wegblieb. Ich hatte ihr schon drei dicke Briefe geschrieben, mit kleinen Bleistiftzeichnungen, die ich gemacht hatte. Zeichnungen vom Haus, den scheckigen Pferden und einem traurigen Olli. Nina hatte mir erst einmal geschrieben, einen Brief aus Frankreich, der gar nicht traurig klang, sooft ich ihn auch daraufhin untersuchte.
Ich wählte Ninas Nummer, aber es war nur ihre Mutter dran, die mir erzählte, dass Nina bei irgendeiner Party war. Mich überkam die große Eifersucht, Selbstmitleid und furchtbare Wut, alles auf einmal. Ich rannte den Hügel hinter dem Haus hinauf und warf mich auf die Erde, riss mir die Brille vom Gesicht und heulte. Ich heulte so viel und lange, dass ein paar Tage später an dieser Stelle plötzlich Blumen wuchsen. Meine Tränen hatten ihre Samenkörner geöffnet.
Aber an diesem Morgen fühlte ich mich so elend wie lange nicht. Ich kam mir vor wie in der Verbannung, so weit fort von allem, das in irgendeiner Weise etwas mit Freude zu tun gehabt hätte. Um mich herum diese verdammten Hügel, bedeckt mit braunem, filzigem Gras. Kein Mensch in der Nähe, mit dem man ein paar Worte hätte reden können. Geschweige denn einer, der meinen Kummer verstanden hätte.
Ich konnte hier auf dem Hügel sitzen und vergehen vor Langeweile oder ich konnte in meinem Zimmer hocken und dort dasselbe tun. Da gab es wenigstens noch den Fernseher, aber ich war noch nie sonderlich wild auf Fernsehen gewesen und die langen Werbeunterbrechungen in den amerikanischen Filmen verleideten es mir endgültig. Eigentlich konnte ich mich gleich erschießen. Das würde überhaupt das Beste sein: eins von Rodneys blöden Jagdgewehren nehmen und mir eine Kugel in den Kopf jagen. Peng und aus. Aber ich hasste Gewehre und ich konnte sowieso keiner Fliege was zu Leide tun, geschweige denn mir selbst. Dazu fehlte mir einfach der Mumm.
So lag ich da, zerkratzte mir das Gesicht an den harten Halmen und hoffte, irgendwer dort oben würde mich aufheben, zwischen zwei Finger nehmen und zurücksetzen nach Deutschland, wie eine Figur in einem Schachzug.
»Bitte, Großer Geist!«, murmelte ich voller Hingebung. Aber nichts dergleichen passierte. Vielleicht erhörte Wakan Tanka die Gebete von Weißen nicht, ich konnte es ihm nicht verübeln. Schließlich war er Indianer.
Irgendwann wurde es zu heiß, um liegen zu bleiben, und dann hörte ich die Pferde wiehern. Ich richtete mich auf und setzte die Brille wieder auf meine Nase. In meinem Kopf drehte sich alles und ich sah Sterne tanzen. Die Pferde standen im Tal am Koppelzaun und sahen zu mir herüber. Wahrscheinlich machten sie sich Sorgen um mich. Ich machte mir auch Sorgen um mich.
Mühsam, mit bleischweren Gliedern, stand ich auf und wankte hinunter ins Tal. Die Pferde begrüßten mich mit nickenden Köpfen und ich fragte mich, womit ich das verdient hatte. Es waren sieben Tiere, mit kräftigem, kompaktem Körperbau und geflecktem Fell. Behütet wurde die kleine Herde von einem dunkelgrauen Hengst mit weißem Hinterteil, das mit faustgroßen grauen Punkten gesprenkelt war. Ein richtiges Indianerpferd, wie aus dem Bilderbuch. Auch die Stuten waren gescheckt oder hatten Flecken. Zwei waren trächtig, eine hatte ihr Fohlen schon. Auf langen, staksigen Beinen stand es dicht neben der Mutter und beäugte mich misstrauisch. Beinahe musste ich lachen, als ich es ansah. Die beiden anderen Stuten schienen noch jung zu sein und waren sehr neugierig.
Der Hengst schnaubte und ich hielt es für besser, ihn nicht zu berühren. Eine der Stuten, eine graue, die am ganzen Körper mit weißen Punkten gefleckt war, ließ sich streicheln, bis der Hengst dazwischen ging. Er rollte mit den Augen und ließ mich wissen, dass er es nicht mochte, wenn ein Fremder seine Frauen anfasste, noch dazu einer, der so aussah wie ich.
Die Pferde gefielen mir, auch wenn ich mich ein bisschen vor ihnen fürchtete. Sie gefielen mir, aber es waren Rodneys Pferde. Ich meine, Rodney war keineswegs der böse Stiefvater. Er ließ mich in Ruhe und war immer freundlich. Aber ich traute dem Frieden nicht. Ich hatte keine Ahnung, woran ich bei ihm war und ob ich mich auf ihn verlassen konnte.
Bei dieser Gelegenheit bekam ich auch noch Sehnsucht nach meinem richtigen Vater. Keine Ahnung, ob er überhaupt wusste, wo Mom und ich waren. Seine Alimente gingen weiterhin auf ein Konto in Deutschland. Ob er mal vorbeikam, wenn er erst unsere Adresse hatte? Möglich war es immerhin, schließlich kam er ziemlich herum in der Welt. Aber wenn ich ganz ehrlich war, wollte ich ihn gar nicht sehen. Er hatte mich im Stich gelassen, und dass ich plötzlich Sehnsucht nach ihm hatte, hing sicher damit zusammen, dass meine Nerven bloß lagen. Ich streckte die Hand erneut nach der Stute aus und versuchte nicht mehr an meinen Vater zu denken.
Beim Abendessen fragte mich meine Mutter nach den Schrammen in meinem Gesicht und ich erzählte ihr, dass ich gestolpert und hingefallen war. Sie glaubte mir nicht, fragte aber nicht weiter nach, denn sie hatte ganz andere Sorgen. Es dämmerte schon und Rodney war immer noch nicht nach Hause gekommen. Meine Mutter wurde mit jeder halben Stunde, die verrann, immer nervöser und schließlich sah ich Tränen in ihren Augen. Halb blind starrte sie das Telefon an.
»Mach dir mal keine Sorgen, Mom«, versuchte ich sie zu trösten. »Er wird schon noch kommen.«
»Vielleicht ist etwas passiert«, flüsterte sie Hände ringend, als irgendwann der Mond zum Fenster hereinschien.
»Was soll schon passiert sein?«, brummte ich und Mom warf mir einen Mangel an Phantasie vor.
»Er könnte ja wenigstens anrufen.«
»Vielleicht rufen Indianer nicht an, wenn sie sich verspäten«, sagte ich. »Vielleicht ist alles bloß ein kulturelles Missverständnis.«
Das tröstete meine Mutter kein bisschen. Irgendwann hörte ich sie »Wakan Tanka, bitte!« murmeln.
»Gib dir keine Mühe«, sagte ich. »Er ist jemand, der die Gebete von Weißen nicht erhört.«
Das verblüffte sie einigermaßen. »Woher willst du das wissen?«
»Ich habe es auch schon versucht.«
»Wakan Tanka ist kein Jemand, Olli. Er ist kein Gott, wie du ihn dir vorstellst«, sagte meine Mutter.
»Ich stelle mir gar nichts vor. Ich glaube nicht an höhere Wesen«, sagte ich, vorsichtig ausgedrückt.
»Wakan Tanka, der Große Geist, wird auch Großes Geheimnis genannt. Die Lakota beten zu diesem Geheimnis, indem sie die Natur verehren. Mutter Erde ist Wakan, sie ist heilig. Und alles, was aus ihren Kräften wächst, ist es auch.«
»Und du glaubst daran?«
»Natürlich.«
Mom hatte schon zu Hause, in Deutschland so geredet, aber nun ging sie richtig darin auf. Ich konnte ihr nicht folgen, aber ich wollte sie ein bisschen ablenken und so redeten wir noch eine Weile über Dinge, von denen wir beide nicht viel verstanden.
Irgendwann ging ich ins Bett und ließ meine Mutter mit ihrer Sorge um Rodney allein. Schlafen konnte ich nicht, weil ich über all das nachdenken musste, was meine Mutter mir erzählt hatte. Ich machte mir keine Sorgen um Rodney, denn er war ein Fremder für mich. Ich wusste kaum etwas über ihn, und wenn er nicht zurückkehrte, konnten wir wieder nach Hause fliegen und alles wäre nur ein merkwürdiger Traum gewesen. Ein Traum, den ich schnell vergessen würde.
Am nächsten Morgen hatte meine Mutter rote, verquolle-ne Augen und da wusste ich, dass Rodney nicht nach Hause gekommen war. Mir fiel nichts ein, womit ich sie trösten konnte, und so redeten wir kaum miteinander. Irgendwann machte ich mir dann auch Sorgen, keine Ahnung, warum. Als am Nachmittag der weiße Pick-up, beladen mit langen Stangen den staubigen Weg zum Haus heraufrollte, verzog ich mich in mein Zimmer. Wenn der Zorn meiner Mutter auf Rodney niederging, wollte ich nicht dabei sein.
Rodney kam ins Haus und zuerst war es ganz furchtbar still. Ich hatte meine Tür einen Spaltbreit geöffnet und lauschte. Nichts. Das war typisch für meine Mutter, wenn sie auf jemanden wütend war. Zuerst strafte sie ihn mit Schweigen, das hatte sie mit meinem Vater und mir auch immer so gemacht. Aber dann brach das Donnerwetter los.
»Warum hast du nicht angerufen, wenn du über Nacht nicht nach Hause kommst?«, sagte Mom laut und vorwurfsvoll. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht.«
»Die Leute, bei denen ich letzte Nacht war, haben kein Telefon«, verteidigte sich Rodney.
»Aber wenn du doch gewusst hast, dass du nicht nach Hause kommst, warum hast du mir das dann nicht gesagt?«
»Weil ich es eben nicht vorher gewusst habe, es ist was Unvorhergesehenes dazwischengekommen.«
Der erste Ehekrach war also im Gange, und das noch vor der eigentlichen Hochzeit. Na, das fing ja gut an. Genau so hatte ich es mir gedacht. Schließlich kannten sie sich überhaupt nicht richtig. Alles war ein einziges, riesengroßes Missverständnis.
Meine Mutter war immer noch aufgebracht, während Rodney ganz ruhig blieb. »Du musst dich daran gewöhnen, Susan, dass ich manchmal nicht nach Hause komme«, eröffnete er ihr. »Das bringen meine Arbeit und die großen Entfernungen hier so mit sich. Und schließlich bist du ja nicht allein, sondern hast einen erwachsenen Sohn im Haus.«
Meinte er damit etwa mich?
Irgendwann, ziemlich rasch, kam es dann zur Versöhnung. Meine Mutter entschuldigte sich und Rodney entschuldigte sich und dann umarmten sie sich wahrscheinlich. Was sonst!
Kurze Zeit später rief Rodney nach mir und ich ging nach unten.
»Ich brauche deine Hilfe, Oliver«, sagte er. »Die Tipis müssen aufgebaut werden.«
Tipis? Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Wollten wir jetzt »Der mit dem Wolf tanzt« spielen?
Ich half Rodney die etwa sieben Meter langen Stangen und die Zeltplane vom Pick-up zu laden. Die Stangen waren schwer und die Plane auch und ich kam ganz schön ins Schwitzen. Dann tat Rodney seltsame Dinge und ich sah ihm dabei zu. Er breitete die Plane auf der Wiese aus und errechnete so die Höhe, in der die drei Hauptstangen zusammengebunden werden mussten. Dabei zeigte er mir, wie der Strick um die Stangen geschnürt wurde, damit er beim Aufstellen nicht verrutschte.
Schließlich richteten wir diese Stangen in einem Dreieck auf und Rodney prüfte, ob sie auch sicher standen. Dann setzte er die übrigen Stangen in demselben Winkel ein, der durch die drei Hauptstangen entstanden war. Immer wieder prüfte er, ob die Stangen richtig saßen, und befestigte sie mit dem langen Strick, indem er rund um das Holzgerüst marschierte und das Seil festzurrte. Mir wurde klar, dass ein Tipi aufzubauen eine Wissenschaft für sich war.
»Früher haben das die Frauen gemacht«, erzählte er mir augenzwinkernd. »Zwei Frauen konnten ein Tipi in kurzer Zeit aufstellen. Tja«, er zuckte die Achseln, »die Zeiten haben sich wohl geändert. Heutzutage müssen die Männer ran.«
Ich sagte nichts dazu, ich hatte keine Lust, mit Rodney zu reden. Als die Stangen komplett aufgestellt waren, band er den Strick fest und dann wurde die schwere Plane nach oben gezogen. Einmal dachte ich, das ganze Stangengestell würde jeden Moment in sich zusammenklappen, aber Rodney zog die Plane über die Stangen, ohne dass sie verrückten. Dann holte er eine Holzleiter aus der Scheune und lehnte sie an das Tipi.
»Jetzt musst du nach oben steigen und die Plane mit diesen Holzstiften verbinden«, sagte er, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.
Ich sah Rodney an und die Leiter und beide schienen mir wenig vertrauenswürdig. Wenn ich runterfiel, konnte ich mir fix den Hals brechen.
»Na komm schon«, sagte Rodney, der mein Zögern bemerkte. »Du bist leichter als ich und ich werde die Leiter halten.«
Ich nahm die Holzstäbe, kletterte nach oben und schob sie nach Rodneys Anweisungen durch die dafür vorgesehenen Löcher. Die Zeltplane war nun am oberen Ende miteinander verknüpft und ich konnte wieder absteigen.
»Danke«, sagte Rodney. »Das hast du gut gemacht.«
Ich pfiff auf sein Lob und zum Reden hatte ich immer noch keine Lust. Rodney schien das überhaupt nicht zu stören. Er baute weiter am Tipi, verrückte die Stangen noch einmal um Zentimeter, bis die Plane sie straff umspannte. Dann gab er mir neue Anweisungen, wie sie mit Holzpflöcken am Boden befestigt wurde, und ich tat, was er mir auftrug. Es machte sogar Spaß, aber das konnte ich nicht mal vor mir selbst zugeben.
Zum Schluss schob Rodney zwei besonders lange Holzstangen durch die Rauchklappen, die Flaps genannt wurden. Damit konnte man den Rauchabzug regeln oder das Luftloch am oberen Ende des Tipis verkleinern, falls es regnen sollte.
Später kam meine Mutter dazu und spannte innen eine halbhohe Stoffbahn an die Stangen, die in den Nächten für etwas mehr Wärme sorgen sollte. Rodney grub ein Feuer-loch in der Mitte des Tipis, das ich mit Steinen umlegen musste. Schließlich wurde der Boden mit einer Plane und dann mit Decken ausgelegt. Das Innere des Tipis war so geräumig wie eine Einzimmerwohnung. Aber wozu brauchte man ein Tipi, wenn man ein großes Haus hatte? Vielleicht wegen der Lagerfeuerromantik?
Als wir mit diesem Tipi fertig waren, holte Rodney noch ein weiteres, ein etwas kleineres aus seiner Scheune. Und alles begann noch einmal von vorn.