Читать книгу Lakota Moon - Antje Babendererde - Страница 9
Оглавление3. Kapitel
»Hoka hey, auf geht’s, waren also die ersten Lakota-Worte, die ich lernte. Draußen haute mich die Hitze beinahe um. Ich hatte nicht gedacht, dass es so heiß werden konnte in dieser Gegend. Drinnen im Haus war es angenehm kühl gewesen, obwohl die Räume keine Klimaanlage hatten. Jedenfalls hatte ich keine gesehen.
Rodney bemerkte meine Überraschung und wieder machte sich ein Lachen auf seinem Gesicht breit. »Ganz schön heiß hier, was? Aber im Haus merkst du nichts davon. Das liegt an der guten Isolation. Dieses Haus ist eines der ersten Hanfhäuser im Reservat. Ein Pilotprojekt, sozusagen. Die ehemalige Firma deiner Mutter hat einen Teil davon gesponsert. Kann sein, dass ab und zu mal jemand kommt, um sich das Haus anzusehen.«
So war das also gelaufen. Stirnrunzelnd sah ich Rodney an. Hatte er meine Mutter etwa geheiratet, um an dieses Haus zu kommen? Eigentlich traute ich ihm das nicht zu, aber wer weiß . . .
Er erzählte weiter: »Baustoffe aus Hanffasern, das ist vielleicht unsere Zukunft. Die Pflanze ist anspruchslos und bietet eine Menge Vorteile. Sieh dir das Land doch an«, er breitetet die Arme aus. »Hier wächst nicht viel, aber Hanf wächst. Er ist genauso genügsam wie wir Indianer. Allerdings stellen sich die Bundesbehörden quer. Sie denken, wenn sie uns erlauben Nutzhanf anzubauen, wird es auch andere Hanffelder geben.« Rodney zwinkerte mir zu.
Redete dieser Mann wirklich mit mir? Ich drehte mich zu meiner Mutter um, aber sie war gar nicht da. Er redete tatsächlich mit mir. Als wenn ich jemand wäre, mit dem man über so was reden könnte.
»Siehst du dort drüben?« Rodney zeigte nach Westen auf einen nahen, baumlosen Hügel. »Dort wächst Hanf auf meinem Land. Wir haben den Samen Anfang Mai ausgesät. Bei Gelegenheit werde ich dir die Pflanzen zeigen. Der Hanf gedeiht diesmal prächtig, er überragt mich bereits, und das will was heißen.« Er lachte zufrieden.
Ich sah mich noch ein bisschen um. Auf der Wiese hinter dem Haus standen drei hohe Bäume, die Ähnlichkeit mit unseren Pappeln hatten. Es waren Cottonwoods, wie ich später erfuhr, eine Pappelart, die für den heiligen Sonnentanzbaum verwendet wurde.
Zwei verkrüppelte alte Apfelbäume standen da noch und ein paar Holundersträucher. Meine Mutter kam aus dem Haus und schloss ab. Rodney hatte nicht vor mit dem neuen Van zu fahren, er steuerte auf einen weißen Pick-up zu, der im Schatten des Hauses stand.
Als wir in den rostigen, alten Ford-Pick-up steigen wollten, kam ein anderes Fahrzeug über den Feldweg geholpert und zog eine dicke Staubwolke hinter sich her. Der klapprige Kleinlaster hielt vor dem Haus und ein junger Indianer stieg aus. Er trug eine schwarze Sonnenbrille und auf dem Kopf eine umgedrehte Baseballmütze, unter der schulterlange Haare hervorschauten. Der junge Mann hieß Dustin Shortbull und Rodney stellte ihm Mom und mich als seine neue Familie aus Deutschland vor.
Uns erklärte er, dass Shortbull zur Deer-Creek-Genossenschaft gehörte, die nicht weit von uns noch ein anderes Hanffeld besaß und einen alten Schuppen, in dem die Ziegelsteine für das Haus hergestellt worden waren. Hanffasern vermischt mit Lehm, Kalkstein und Beton. »Alles ist jetzt noch ein bisschen primitiv, aber bald wird es dort eine kleine Fabrik und Arbeitsplätze geben.«
Dustin war guter Laune, weil er Rodney noch angetroffen hatte, und beide machten Späße mit schnellen Worten, die ich nicht verstand. Dustin hatte eine Ladung Hanf-schindeln auf seinem Pick-up, die für die Verkleidung des Hauses bestimmt waren. Also hieß es abladen. Genau wie ich es befürchtet hatte. Gleich am ersten Tag musste ich arbeiten.
Meine Mutter fasste sofort mit an, obwohl die Schindelpakete schwer waren. Natürlich konnte ich mich nicht drücken, auch wenn ich das am liebsten getan hätte. Mir fiel es nun mal schwer, andere zu enttäuschen.
Mit mürrischem Gesicht trug ich dazu bei, dass das Zeug vom Wagen runterkam und wir endlich losfahren konnten. Nach einer halben Stunde war alles erledigt und der Schweiß lief mir den Rücken hinunter. Dustin klopfte mir lachend auf die Schulter, so heftig, dass ich einen Schritt nach vorn machen musste, um mein Gleichgewicht zu halten. Dann stieg er wieder in seinen Laster und fuhr davon, eine dicke Staubwolke hinter sich her ziehend. Wir wuschen uns die Hände an einem Wasserhahn hinter dem Haus und es konnte losgehen.
In der Fahrerkabine eines Pick-ups sitzt man weit oben und kann gut sehen, wenn man nicht gerade mörderisch durchgeschüttelt wird, weil die Straße schlecht ist. Meine Mutter saß zwischen Rodney und mir und hielt sich an uns beiden fest. Sie fand das Geschaukel ungeheuer lustig und ich verdrehte mehr als einmal die Augen, weil sie hemmungslos kicherte wie ein Teenager.
Nach einer halben Meile bogen wir auf die Schotterstraße und ich sah, dass links und rechts tatsächlich noch andere Häuser standen. Der Ausdruck Häuser war vielleicht ein bisschen übertrieben, Behausungen passte besser. Es waren längliche, kastenförmige Fertighäuser aus Plastik, Trailer genannt, die im Stück an Ort und Stelle gebracht worden waren. Alte Reifen auf den Dächern sollten wohl verhindern, dass die Bedachung davonflog, wenn es stürmte.
Manchmal stand auch nur ein alter Wohnwagen da, von dem die Farbe blätterte, bewacht von drei oder vier Hunden und ein paar Pferden. Überall lag Müll herum, der schon seit Jahren nicht mehr weggeräumt worden war.
Die Nachbarschaft scheint ja nicht sehr viel versprechend zu sein, dachte ich enttäuscht, war aber doch froh nicht selbst in so einem Wohnwagen zwischen Müllbergen hausen zu müssen. Ich glaube, dann hätte ich meine Sachen gar nicht erst ausgepackt und wäre gleich wieder nach Hause geflogen.
Von Rodney hatte ich eine Karte vom Reservat bekommen, damit ich mich auf der Fahrt ein wenig orientieren konnte. Nach sieben Meilen Schotterpiste erreichten wir die Asphaltstraße nach Kyle, jener Ortschaft, in der ich zur Schule gehen würde.
Kurz darauf waren wir da und ich sah mich um. Rodney erklärte alles. Es gab zwei Tankstellen – eine davon mit Lebensmittelladen –, ein Kulturzentrum mit einer Imbissbude davor, das Kyle Food Stop Café und eine Menge Wohnhäuser verstreut auf den Hügeln ringsherum, die alle irgendwie gleich aussahen. Die meisten Asphaltstraßen wurden nach dem letzten Haus zu Feldwegen.
Menschen waren kaum zu sehen. Nur an der Tankstelle und der Imbissbude sah ich ein paar Leute. Sie standen herum, mit Getränkedosen in der Hand, und erzählten. Eilig hat es hier niemand, dachte ich. Hektik kannten die Lakota nicht. Dafür schienen sie sich nur schwer von Dingen trennen zu können, die aus Altersgründen ausgedient hatten. Keine Ahnung, warum, aber statt die alten Möbel, den kaputten Kühlschrank oder das ausgeschlachtete Auto dorthin zu bringen, wo man sich um die fachgerechte Entsorgung kümmern würde, wurde alles neben oder hinter dem Haus gelagert. Fast jeder hatte also seinen privaten Müllplatz gleich nebenan. »Indianische Gartenkunst«, nannte Rodney das. Ich fand, es sah nicht unbedingt hübsch aus, und fragte mich, warum die Indianer ihren Mist nicht einfach wegräumten. Die Trostlosigkeit, die mich umgab, schlug mir mächtig auf den Magen und ich musste mich ganz schön zusammenreißen, um es mir nicht anmerken zu lassen. Es war nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte, nicht annähernd.
Alles, was ich denken konnte, war: Du bist jetzt weit weg von zu Hause, Olli. Zu weit weg.
Ich hätte maulen können, Unmut und Unverständnis durch Grunzlaute oder Kopfschütteln kundtun können, aber das war nicht meine Art. Irgendwie hatte mir der Anblick der vernachlässigten Fertigteilhäuser mit dem Gerümpel drum herum die Sprache verschlagen. Alles da draußen wirkte fremd, ja beinahe feindselig auf mich. Das war kein Spaß, kein Abenteuer – wie meine Mutter es bezeichnet hatte. Das war mein zukünftiges Leben. Hier würde ich ab September zur Schule gehen und meine Klassenkameraden lebten in diesen klapprigen Häusern, Trailern oder Wohnwagen.
Eine Welle von Selbstmitleid überschwemmte mich. Wie sollte ich hier leben? Die Indianer kannten es vielleicht nicht anders, aber ich schon. Herausgerissen aus der zivilisierten Welt, war ich mitten in einem Alptraum gelandet. Und ich hatte nicht mal versucht es zu verhindern.
In diesem Augenblick wurde mir auch klar, dass ich mir umsonst Sorgen um Taschengeld gemacht hatte. Ich würde keines brauchen. Denn hier gab es nichts, wofür ich es ausgeben konnte. In gewissem Sinne vereinfachte das die Sache gewaltig.
Während ich grollend meinen trüben Gedanken nachhing, hielt Rodney vor einem großen roten Gebäude mit einer eigenwilligen Architektur, deren Sinn sich mir nicht gleich erschloss. Auf einem großen Schild las ich, dass es die Little Wound High-School war, meine zukünftige Schule. Mister Superindianer, der sich hier mit allem wunderbar auskannte, stellte den Motor ab, um mir einen Vortrag zu halten. Vermutlich konnte er Gedanken lesen, denn zuerst löste er das Rätsel um die seltsame Bauweise des Gebäudes.
Das Mittelstück in dem komplett rot gefliesten Bau hatte ein abgeschrägtes Dach und runde Fenster. Es sollten Bullenaugen sein. »Das Hauptgebäude wurde von einem indianischen Architekten entworfen und stellt einen stilisierten Büffelkopf dar«, erklärte Rodney mir und Mom.
»Deshalb heißt sie auch Büffelkopfschule. Little Wound ist eine der besten Schulen, die wir hier haben«, wandte er sich nun direkt an mich. »Sie wird vom Stamm kontrolliert und hat einen demokratisch gewählten Vorstand. Es ist die größte Schule dieser Art in den gesamten USA, darauf sind wir sehr stolz.« Er lachte sein raues Lachen.
Verdammt, was ging mich das alles an: demokratisch gewählter Vorstand, vom Stamm verwaltet – was machte das für einen Unterschied? Ich musste auf diese komische Büffelkopfschule gehen und mich unter lauter Indianern behaupten, die bestimmt nicht glücklich darüber waren, einen wie mich in ihrer Mitte zu wissen. Sicher hatte Rodney es gut gemeint, als er mich auf dieser Schule anmeldete, aber mit einer öffentlichen Schule wäre ich vielleicht besser dran gewesen. Ich hoffte nur nicht der einzige Weiße zu sein, der ab September in diesem blutroten Bau seine helle Haut zu Markte tragen musste.
Rodney startete den Motor und sagte: »Inzwischen sieht das Gebäude ein bisschen baufällig aus, weil die Schule kein Geld für eine dringend notwendige Renovierung hat. Aber dafür gibt es einen modernen Computerraum und eine neue Turnhalle. Du wirst schon zurechtkommen, Oliver, glaub mir.«
»Was heißt ramshackle?«, fragte meine Mutter.
»Ich bin kein wandelndes Wörterbuch«, brummte ich.
»Olli, bitte!«
»Baufällig«, sagte ich. »Ramshackle heißt baufällig.« Ich sah weg, raus aus dem Fenster und der Kloß in meinem Hals wurde immer größer. Was ich sah, blieb hinter einer dicken Glasscheibe, als berührte es mich nicht. Das war nicht meine Welt und ich gehörte nicht hierher. Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst. Simsalabim und weg.
Während der restlichen Fahrt sank meine Stimmung immer mehr, denn welche Ortschaft wir auch passierten, sie glichen sich alle und keine machte mir in irgendeiner Weise Mut. Besonders beunruhigend fand ich die ohnehin schon spärlich gesäten Verkehrs-und Hinweisschilder im Reservat, die allesamt von Kugeln Schießwütiger durchsiebt waren.
Rannte denn hier jeder mit einer Knarre herum? Und gab es kein Gesetz, das Herumballern in der Gegend verbot? Vielleicht war der Ausdruck »Wilder Westen« doch kein Klischee. Vielleicht stimmte auch alles andere, was ich über Indianer gehört hatte . . . Mein Magen zog sich nervös zusammen.
Es schien so, als wolle Rodney uns nichts ersparen. Wir sahen Ansammlungen von traurigen Indianerhütten und Farmen mit Häusern, die gut in Schuss waren, aber weißen Familien gehörten. Es gab Mais-und Kornfelder im Reservat, aber meistens war da dieses bis zum Horizont reichende Meer aus vertrockneten Grashalmen. Baumlose Straßen ohne Namen. Ausgeschlachtete Autowracks am Straßenrand – wie große Tierkadaver.
Schließlich tauchten die weißen Berge aus dem Grasland, auf denen schwarze Pinien wuchsen, aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur. Rodney erzählte uns, dass der Ort Pine Ridge, nach dem später auch das Reservat benannt worden war, seinen Namen von diesen Pinien auf dem Kamm hatte. Er erzählte noch mehr, aber ich wollte nichts mehr sehen, nichts mehr hören. Ich wollte nur noch allein sein, allein mit meinem Kummer. Von all dem da draußen, ließ ich nichts mehr in mein Inneres dringen. Ich machte einfach dicht.
Nach unserer Rückkehr führte Rodney Mom und mich durchs Haus und erklärte alles Notwendige, was wir wissen mussten. Im Obergeschoss gab es eine winzige Abstellkammer, zwei Zimmer – meins und das unfertige – und das kleine Bad. Unten war die Küche, ein größeres Bad, ein Schlafzimmer, ein Arbeitszimmer und das große Wohnzimmer. Im Wohnzimmer war zumindest der Fußboden schon drin, er bestand aus einfachen versiegelten Holzdielen. Aber die einzige Einrichtung waren ein hässliches blaues Sofa mit Kunstlederbezug und ein Fernseher. Die große Satellitenschüssel hinter dem Haus ermöglichte den Empfang von mindestens 20 Sendern, das hatte ich schon ausprobiert.
Als Rodney uns in sein Arbeitszimmer führte, staunte ich nicht schlecht. Eine massive Arbeitsplatte aus Holz ging von einer Wand zur anderen. Darauf ein nagelneuer Laptop, den, wie sich später herausstellte, meine Mutter ihm finanziert hatte. Aber was mich besonders verblüffte, war, was Rodney noch machte. Er war ein richtiger Künstler. An der Wand hing, in einen Rahmen aus geschälten Zweigen gespannt, eine fast weiß gegerbte Hirschhaut. Sie war mit indianischen Reitern und bunten Tipis bemalt. Ganz unten, in der rechten Ecke, entdeckte ich Rodneys Namen. Auf der Arbeitsplatte standen Farben, Töpfe mit Pinseln, Stiften und verschieden großen Scheren. Sogar eine angefangene Perlenarbeit lag da und ich fragte mich, ob er mit seinen großen, kräftigen Händen tatsächlich solche winzigen Perlen auffädeln konnte. Traumfänger in verschiedenen Größen, gefertigt aus den unterschiedlichsten Materialien, hingen im Fenster.
Mom lächelte stolz. Im Gegensatz zu mir war sie auch nicht zum ersten Mal in diesem Zimmer, da war ich mir sicher. Wahrscheinlich hatte sie erwartet, dass ich irgendetwas Bewunderndes sagen würde, aber den Gefallen tat ich ihr nicht. Irgendwann musste mal Schluss sein mit dem netten Olli und ich hielt den Zeitpunkt für gekommen.
»Wenn du mal an den Computer willst, eine E-Mail verschicken oder so«, wandte Rodney sich an mich. »Das ist okay.«
Wie großzügig, dachte ich und brummte bloß: »Hm.« Zu Hause hatte ich einen eigenen Computer besessen. Aber er war nicht mehr der jüngste gewesen und Mom der Meinung, es lohne sich nicht, ihn mitzunehmen, weil er den Transport sowieso nicht überstanden hätte. Und wie immer hatte ich nachgegeben.
Im Keller waren die Gasheizung untergebracht, die Waschmaschine und der Trockner. In einem größeren Raum lagerte allerlei Kram: gegerbtes Leder, Farben und Werkzeuge aller Art. Auch zwei Gewehre steckten in einer Halterung an der Wand. »Wahrscheinlich muss ich dir nicht sagen, dass du da besser nicht rangehst«, sagte Rodney. »Sonst bekomme ich höllischen Ärger.«
Da brauchte er sich ausnahmsweise keine Sorgen zu machen. Ich hasste Gewehre und würde niemals freiwillig eins anfassen.
Zuletzt zeigte Rodney uns den Vorratsraum. Darin war es auffallend kühl und an den Wänden standen Regale, in denen Lebensmittel aufbewahrt werden konnten. Eine große Tiefkühltruhe summte vor sich hin. Rodney öffnete sie und ich schreckte mit einem »Uh« zurück. Es lag ein halbes Tier darin, vermutlich ein Reh.
Rodney lachte über mein erschrockenes Gesicht. »Ein Gabelbock. Ist noch übrig von der letzten Jagd«, sagte er. »Den gibt es zur Hochzeit.«
In den kommenden Tagen war meine Mutter ausgiebig damit beschäftigt, das ganze Haus auf Vordermann zu bringen. Sie putzte Fenster, scheuerte die nach und nach vollständig verlegten Böden und entfernte Baudreck, wo er liegen geblieben war. Es war erstaunlich, in welch kurzer Zeit sie deutsche Gründlichkeit in einen Indianerhaushalt brachte.
Rodney war helfend zur Stelle, wenn sie ihn um Hilfe bat (ich natürlich auch), aber von Hausarbeit schien er nicht viel zu halten. Ich glaube, er flüchtete. Meist war er bei seinen Pferden oder werkelte in der Scheune herum. An einem Tag begann er mit der Schindelverkleidung am Haus, aber die sengende Hitze ließ ihn irgendwann aufgeben.
Als die Bude blitzte, machte Mom sich daran, das Wohnzimmer und Schlafzimmer gemütlich einzurichten und Küche und Bad etwas von ihrer Nüchternheit zu nehmen. Wir hatten unsere Möbel in Deutschland gelassen, weil ein Umzugscontainer zu teuer geworden wäre. Die übrigen Habseligkeiten waren in den Kartons, die wir mit unserem Gepäck aufgegeben hatten, und einige Kisten würden nach und nach mit der Post eintreffen.
Aber auch Rodney besaß kaum Möbel. Bevor er in das Haus gezogen war, hatte er in einem Wohnwagen gelebt und war mit einem Bett, einem Tisch und einem Schrank ausgekommen. Also mussten Möbel angeschafft werden.
Zu diesem Zweck machten wir uns mit dem Van auf den Weg nach Rapid City, jener größeren Stadt am Rande der Blackhills, auf deren Flughafen wir gelandet waren. Rodney fuhr dieselbe Strecke. Im Reservat gab es nur wenige ausgebaute Straßen und diese war der kürzeste Weg in die Stadt, die allerdings nicht mehr zum Reservat gehörte.
Eine ganze Weile blieb die Landschaft flach und trostlos wie gehabt und ich döste vor mich hin. Bis meine Mutter erstaunt ausrief: »Das ist ja irre, Olli, hast du so was schon mal gesehen?«
Ich setzte mich auf und schluckte überrascht. Nun war ich tatsächlich im falschen Film. Wäre da nicht die Straße gewesen, ich hätte glatt angenommen auf dem Mond spazieren zu fahren. Links und rechts der Straße erstreckte sich eine baumlose Felsenlandschaft mit bizarren Formationen. Zackige Gebirgsgrate wie Zinnen, steile Abhänge mit verschiedenfarbigen Gesteinsschichten und zerklüftete Schluchten. Wohin ich auch blickte, erstreckten sich die tief eingeschnittenen Trockentäler bis zum Horizont.
Der Anblick traf mich völlig unvorbereitet und ich wusste nicht, ob ich diese karge Mondlandschaft schön oder beängstigend finden sollte. »Was, zum Teufel, ist denn das?«, fragte ich.
»Das sind die Badlands«, erklärte Rodney. »Wir Lakota nennen sie Maco Sica. Ein großer Teil der Badlands ist Nationalpark. Eine Hälfte gehört zum Reservat, der Rest liegt außerhalb. Jahrmillionen stetiger Erosion haben diese Landschaft geformt. Hier gibt es auch eine Menge Fossilien. Man hat herausgefunden, dass die ältesten 35 Millionen Jahre alt sind.«
»Es sieht wunderschön aus«, sagte meine Mutter. »Wie ein Märchenland.«
»Im Herbst, wenn es tagsüber kühler ist, werde ich eine Tour mit euch machen«, versprach Rodney. »Aber jetzt ist es viel zu heiß in diesen Tälern, das ist gefährlich.«
Nach einer Weile öffnete sich eine weite grüne Ebene vor unseren Augen. Und dann sah ich sie: echte Bisons. Riesige schwarze Kolosse, die einfach so frei herumliefen. Büffelmütter mit ihren kleinen hellbraunen Kälbern. Es waren viele, bestimmt hundert, eine richtige Herde. Mom klatschte vor Begeisterung in die Hände.
»Diese Herde gehört dem Stamm«, sagte Rodney. »Aber es gibt auch noch kleinere Herden im Reservat, die einzelnen indianischen Büffelzüchtern gehören.«
»Sind die Viecher gefährlich?«, fragte ich.
»Eigentlich nicht«, erwiderte Rodney. »Aber wenn die Kühe Kälber haben, sollte man ihnen aus dem Weg gehen. Und mit den alten Büffelbullen ist auch nicht zu spaßen. Also, versuch lieber nicht einen von ihnen zu streicheln.«
Irgendwann wies ein Schild darauf hin, dass wir das Reservat verlassen hatten, und einige Zeit später kamen wir durch Scenic, eine alte, halb verlassene Westernstadt. Es gab nur ein paar Bretterbuden links und rechts der Straße. Was schließlich meine Neugier weckte, war ein Bau mit dieser typischen Bretterwand über dem Eingang, wie ich sie aus alten Western kannte. Unzählige Rinderschädel waren darauf angebracht. »Longhorn Saloon«, prangte in großen schwarzen Buchstaben auf den ehemals weiß gestrichenen Brettern.
Ein alter Indianer mit strähnigem, langem Haar stand wankend an einen der Stützbalken vor dem Saloon gelehnt. Offensichtlich war er schwer betrunken und konnte sich kaum noch aufrecht halten.
Dann waren wir auch schon raus aus dem Ort.
Rodney brummelte wütend. »Im Reservat ist der Besitz und das Trinken von Alkohol verboten, aber hier, in solchen Grenzstädten wie Scenic, bekommen die Leute ihren Alkohol. Schon am Vormittag sind sie sturzbesoffen. Es ist zum Heulen.«
»Verbote nützen erfahrungsgemäß nicht viel«, sagte Mom. »Das habe ich bei Ollis Erziehung gelernt.«
Ich warf ihr einen missmutigen Blick zu. Was sollte das nun wieder?
»Vielleicht hast du Recht«, erwiderte Rodney. »Das Verbot ändert nichts. Es sorgt nur dafür, dass die Bootleggers, die illegalen Alkoholhändler, immer was verdienen, die Stammespolizei beschäftigt ist und die Gefängnisse im Reservat ständig überfüllt sind.«
»Man kommt ins Gefängnis, bloß weil man Alkohol getrunken hat?«, fragte ich erstaunt.
»Ja. Es wird nicht mal ein Test gemacht. Erwischen sie dich mit einer Alkoholfahne, bekommst du eine Anzeige oder du gehst für acht Stunden in den Knast.«
»Und Amerika soll ein freies Land sein«, sagte ich missbilligend.
»Das Res ist nicht Amerika, Oliver. Wie der Name schon sagt, das Res ist der Rest von Amerika.«
»Warum gehst du dann nicht weg? Es hält dich doch niemand fest im Reservat.«
»Da hast du wohl Recht. Aber so einfach, wie du es sagst, ist es für jemanden wie mich nicht. Ich bin im Reservat geboren, nicht weit entfernt von jener Stelle, wo jetzt unser Haus steht. Ich bin dort aufgewachsen, es ist mein Zuhause. Auch wenn du im Augenblick vielleicht die Schönheit des Landes nicht erkennen kannst, sie ist für immer in meinem Herzen. Ich liebe dieses Land und es liebt mich. Dort draußen aber, in der Welt der Weißen, gibt es niemanden, der auf einen wie mich wartet. Sie mögen uns Ureinwohner nicht, die Wasicun, daran hat sich in mehr als 500 Jahren nichts geändert. Aber im Reservat lebt meine Familie und die braucht mich. Genau so, wie ich sie brauche. Verstehst du?«
»Hm«, sagte ich. Irgendwie konnte ich es verstehen, aber nicht nachvollziehen. Wie konnte man freiwillig an einem Ort bleiben, an dem man von vorneherein keine Chance hatte, etwas zu bewirken oder in irgendeiner Weise voranzukommen? Das wollte mir einfach nicht in den Kopf.