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Wenn Stella sich für eine Sache entschieden hat ...

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«Hey, Ladys», platze ich zur Tür herein.

Aber keines der Mädels reagiert. Ich will mich schon aufregen, als ich erkenne, dass die beiden ihre Kopfhörer tragen. Hier im Keller ist es ziemlich dunkel. Nur die kleine Lampe in der Ecke ist eingeschaltet. Wollen die zwei heute nur Kuschelrock spielen, oder was? Ich knipse den Lichtschalter hoch und runter, um auf mich aufmerksam zu machen und die beiden nicht zu Tode zu erschrecken. Schließlich brauche ich sie noch. Vor allem Angie.

«Mann, Stella, bist du verrückt? Mach das Licht wieder aus!», fährt Aleks hinter ihrer E-Gitarre hoch.

«Hallo, Aleks, danke, mir geht es sehr gut. Und dir?» Ich versuche, ihre übertriebene Reaktion zu ignorieren.

«Hey, Stella», sagt Angie kleinlaut.

«Was ist denn hier für ’ne Stimmung?», will ich wissen.

«Wieso?», fragen Aleks und Angie gleichzeitig.

«Wieso? Wieso ist es hier so düster? Und wieso habt ihr ohne mich angefangen?»

«Du bist eine Viertelstunde zu spät!», raunzt Aleks mich an.

Eine Viertelstunde! Man könnte auch sagen fünfzehn Minuten. Fünfzehn schlappe Minuten. Normalerweise gehen die allein für die Begrüßung drauf und das Berichten der letzten Gerüchte und Skandale aus der Schule. Aber heute sind meine Kolleginnen unter die ganz gewissenhaften Streber gegangen und haben keine Zeit zu verlieren.

«Leute, falls ihr es vergessen habt: Seit heute haben wir Ferien. Wir können die paar Minütchen ja wohl hinten dranhängen und uns erst mal kurz updaten.» Mein Vorschlag zur Güte.

«Stella, ich kann nicht eine Sekunde länger bleiben. Meine Eltern starten morgen mit mir und meinem Bruder einen Wochenendtrip, schon vergessen? Und ich musste schon bitten und betteln, damit ich heute Abend überhaupt noch vor die Tür durfte.»

«Gut, verstehe!», sage ich und verstehe es trotzdem nicht. Das heißt, ich verstehe Aleks’ Eltern nicht.

«Warum ist es ein Problem, am Freitagabend zu proben, wenn man am Samstagmorgen verreist?»

«Vergiss es einfach!», zickt Aleks weiter. «Meine Eltern sind da eben nicht so cool wie deine Hippie-Mom und dein Sunshine-Dad, klar?»

Es hatte jetzt wohl keinen Zweck, Aleks zu erklären, dass meine Eltern auch so ihre merkwürdigen Erziehungsmethoden haben. Sie ist voll genervt. Ich lasse sie lieber mit ihrer Gitarre allein.

«Und wir beide?», frage ich Angie.

«Wir beide müssen reden!» Angie klingt immer noch so mickrig. Nur sehr langsam klettert sie hinter ihrem Drumset hervor und schleift mich unmotiviert mit zum roten Ledersofa. Das hat uns übrigens Angies Mutter für den Proberaum überlassen.

Na ja, was wir eben so Proberaum nennen. Ein Schlagzeug, eine E-Gitarre, ein Mikrophon, ein Verstärker und jede Menge Kabel machen eben noch kein wirkliches Studio. Und die Eierkartons, die wir zwecks Lärmschutz an die Wände getackert haben (und die inzwischen traurig runterhängen), machen es auch nicht besser.

Zum «Chillen», hat Frau Hofmann gesagt, als sie das Sofa zusammen mit ihrem Mann in den Keller gewuchtet hat. Chillen – das klang aus ihrem Mund fast unanständig. Bestimmt war sie aber nur neugierig darauf gewesen zu sehen, wo und wie ihre über alles geliebte Tochter ihre Freizeit verbringt.

Egal, jedenfalls steht das Ding seitdem hier und tut seinen Dienst. So wie jetzt.

«Was ist los?», frage ich Angie.

«Okay, ich mache es kurz: Ich darf nicht mit zum Konzert!»

«Was?»

«Ja, du hast richtig gehört. Kein Köln. Kein Konzert. Keine Pink», fasst Angie nochmal für mich zusammen.

Ich muss einen echt dämlichen Gesichtsausdruck haben. Ich bin nämlich total geschockt – und sprachlos. Und das kommt bei mir wirklich nicht oft vor.

Das scheint auch Angie zu verunsichern. «Was ist? Stella, sag doch was!»

Ich bin wie gelähmt, denn vor meinem inneren Auge sehe ich mich schon am Samstagabend mit meinen Eltern auf der Couch sitzen. Frisch gebadet und mit ein paar Salzstangen in der Hand. O mein Gott.

«Stella!» Angie reißt mich aus meinem Horrorfilm. «Es tut mir leid, echt!»

«Du kannst doch nichts dafür, Süße.» Ich nehme sie in die Arme, und wir trösten uns gegenseitig. «Sorry, aber ich habe keinen Bock auf noch mehr Stress! Die nächsten Tage mit meinen Eltern werden schon anstrengend genug! Wir sehen uns nächste Woche! Ciao!», unterbricht uns Aleks. «Ciao», bringen wir beide endlich gequält heraus, aber da ist Aleks schon verschwunden.

«Das wäre ja auch zu einfach gewesen: Man bekommt zwei Konzertkarten geschenkt, fährt zusammen mit seiner besten Freundin chic in die Großstadt und hat Spaß! Nein, da müssen die Erziehungsberechtigten einem natürlich einen Strich durch die Rechnung machen!», rege ich mich wieder auf.

«Wir haben die Karten gestern erst von Lena bekommen, und morgen soll’s schon losgehen. Ich glaube, meine Mutter fühlte sich überrumpelt. Sie braucht immer eine Ewigkeit, um die Lage zu checken. Wie kommen wir nach Köln? Wie kommen wir wieder zurück? Im schlimmsten Fall sind auch noch Jungs dabei ...» Angies Liste klingt wirklich entmutigend.

«Lena hätte uns die Karten nicht geben müssen. Ich meine, sie hätte sie auch bei ebay verticken können. Hätte bestimmt noch Geld für ihren Urlaub gebracht», überlege ich laut.

Schweigen.

«Und wenn wir einfach heimlich ...»

«Auf gar keinen Fall! Das kann ich meiner Mutter nicht antun. Das würde sie nicht überleben!», sagt Angie energisch.

Und ich sage wieder: «Gut, verstehe.»

Diesmal verstehe ich tatsächlich. Frau Hofmann ist ein krasser Fall – und Angie ist eine gute Tochter. Manchmal frage ich mich heute noch, wie sie es als Bilderbuchtochter (diesen Ausdruck mag sie natürlich gar nicht) geschafft hat, ein Jahr lang unsere Proben vor ihrer Übermutter geheim zu halten. Tja, manchmal weiß Angie eben ihre Prioritäten zu setzen.

Als wäre dieser Tag nicht schon schlimm genug, muss ich zu Hause auch noch Zeuge einer Diskussion meiner Eltern über das Pro und Contra antiautoritärer Erziehung werden.

«Rüdiger, ich bitte dich, willst du unsere Tochter etwa ständig kontrollieren?», echauffiert sich meine Mutter.

«Von Kontrolle kann doch nun wirklich nicht die Rede sein. Ich wäre nur für ein paar mehr Grenzen hier und da», verteidigt sich mein Vater.

Ginge es nicht um mich, täte er mir leid. Debatten mit meiner Mutter sind meistens sehr lang und sehr anstrengend. Eigentlich wollte ich allen Beteiligten jede weitere Auseinandersetzung ersparen und berichten, dass das Konzert gecancelt ist. Da höre ich meine Mutter sagen: «Außerdem: Wenn Stella sich für eine Sache entschieden hat, dann sollte man sich auf das absolute Gegenteil gefasst machen. Das weißt du doch. Noch ist nicht Samstagabend. Und noch sitzt sie nicht im Zug nach Köln. Also, kein Grund zur Panik!»

Ziemlich verwirrt schleppe ich mich die Treppe zu meinem Zimmer hoch und lasse – extrem geräuschvoll – meine Tasche fallen. Wenn Stella sich für eine Sache entschieden hat, dann sollte man sich auf das absolute Gegenteil gefasst machen. Was soll das denn heißen? Was meint sie damit? Bin ich etwa ... Mein Handy klingelt.

Ich höre es nur ganz leise, wie von sehr weit weg. Verdammt! Ich gehe dem Klingeln nach ... Es schellt aus einem Berg von Klamotten und Schuhen, die ich heute Nachmittag noch für das Konzert anprobiert und dann aufs Bett geworfen habe. «Bitte nicht aufgeben!», flehe ich meinen Anrufer an, als würde er mich auch ohne Telefon hören können. Ich befreie mein Handy aus den blauen Leggings. «Hallo?», puste ich außer Atem.

«Hey, Stella! Das hat ja gedauert. Wollte nur nochmal hören, wie es dir geht?»

Ich muss schmunzeln. Typisch Angie! Immer macht sie sich Gedanken um mich. Kein Wunder, dass sie meine beste Freundin ist!

«Alles okay, Süße. Bei dir auch?»

«Geht so. Wäre schon gerne mit dir zum Konzert gegangen», sagt sie mit trauriger Stimme.

«Wir werden noch auf mindestens tausend Konzerte zusammen gehen, klar?»

«Hmm.»

«Hör zu: Ab sofort werden wir uns um unser eigenes Konzert kümmern!», rutscht es mir heraus.

«Wie meinst du das denn jetzt?» Angie ist offensichtlich genauso verwundert wie ich selbst.

«Ich meine ... Ja! Ich meine, wir sind schließlich eine Band!», stottere ich.

«Ja. Und?»

Arme Angie! Sie kann mir nicht folgen. «Ich finde, Cool ’n’ Crazy muss mal langsam raus aus dem Keller. Rauf auf die Bühne! Verstehst du?»

«Ja», antwortet Angie knapp.

«Ich merke schon: Du bist voll geflasht von meiner Idee! Am besten bereitest du dich innerlich schon auf unseren Erfolg vor. Morgen beginnen wir mit den Proben für unseren Mega-Act», plane ich begeistert weiter.

«Stella, du bist unberechenbar! Aber ich liebe dich dafür!», lacht Angie.

«Warum denn unberechenbar? Denkst du etwa auch, dass ich sprunghaft bin? Findest du, dass ich meine Meinung häufig ändere?»

Stille am anderen Ende der Leitung.

«Angie? Bist du noch dran?»

Zuerst antwortet sie mit einem leisen Räuspern. Dann: «Meinst du, nur weil deine Haare jeden Monat eine neue Farbe haben? Oder weil du dein Zimmer ständig umbaust?»

«Angie! Ich muss es wissen!», sage ich ernst.

«Dann empfehle ich dir einen Psychotest aus der Bravo

«Und der wäre?», muss ich noch unbedingt wissen.

«Welcher Entscheidungstyp bist du?»

«Sehr witzig!», sage ich, und Angie wünscht mir eine gute Nacht.

Ich liebe sie auch, beschließe ich, und räume meine Klamotten vom Bett.

Stella rockt

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