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Der Rock! Die Cola! Die Beule!

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Ich schiebe die Vorhänge zur Seite und ziehe die Jalousien hoch. Ja, ich kann nur schlafen, wenn es stockfinster in meinem Zimmer ist. Nein, ich bin kein Vampir und zerfalle nicht zu Staub, sobald ein Lichtstrahl auf mich trifft. Obwohl ich zugeben muss, dass ich während meiner Black-is-beautiful-Phase schon manchmal so ausgesehen habe.

Aber momentan strahlen meine Haare genauso blond wie die von Gwen Stefanie. Und auch mein Outfit für heute soll genauso cool sein wie Gwennies, entscheide ich und will gerade in Richtung Kleiderschrank verschwinden, als ich draußen einen gigantischen Lkw vorfahren sehe. Das Ungeheuer hält fast genau unter meinem Fenster. Was ist denn hier los?, wundere ich mich und strecke meinen Kopf nach draußen. Nebenan steht noch so ein Megateil. Weil unten noch alles still ist, gehe ich in das Schlafzimmer meiner Eltern.

«Habt ihr vielleicht zwei oder drei Klaviere für mich bestellt?»

«Träumst du?», erwidert meine Mutter. Sie steckt ihre Nase über die Zeitung und nimmt einen Schluck Kaffee, den sie sich schon ans Bett geholt hat.

Mein Vater schmeißt ein Kissen nach mir.

«Sorry», sage ich, flitze runter in die Küche und komme ebenfalls mit einem Kaffee zurück. Ich quetsche mich zwischen meine Eltern. «Schade! Ich dachte schon, ihr wolltet mir hier ein kleines Musikzimmer einrichten.»

«Stella, was redest du denn da?», murmelt mein Vater unter der Bettdecke.

«Hätte ja sein können. Vor dem Haus stehen zwei riesige Lastwagen», begründe ich meinen – zugegebenermaßen – lächerlichen Verdacht.

Aber trotzdem lässt mir der gigantische Fuhrpark vorm Haus keine Ruhe. Immerhin ist Sonntag. Und bei unseren Nachbarn ist außer Gemecker und Geläster, Heckeschneiden und Autowaschen grundsätzlich nichts los. Schon gar nicht am hochheiligen Wochenende. Das passt alles nicht zusammen ...

«Wenn wir also keine Lieferung erwarten, wer dann?», frage ich.

«Niemand!», höre ich meinen Dad wieder aus seinen Kissen maulen.

«Und was geht dann bitte schön hier ab?» Mittlerweile bin ich echt genervt. Meine Eltern scheint überhaupt nicht zu interessieren, was um sie herum passiert.

Endlich richtet sich mein Vater auf: «Das werden unsere neuen Nachbarn sein.»

«Neue Nachbarn? Wieso? Wann sind die Königs denn ausgezogen? Habe ich gar nicht mitbekommen», stelle ich fest.

«Sie sind nicht ausgezogen», klärt Dad mich auf.

«Wie jetzt?» Ich bin einigermaßen verwirrt.

«Rechts von uns wohnen immer noch die Königs. Aber dir wird sicher schon mal aufgefallen sein, dass auch zu unserer Linken ein Haus steht, oder? Und letzte Woche bei der Bürgerhaus-Versammlung hat dein Dad erfahren, dass ...»

Jetzt reicht’s mir! Ich hasse es, wenn mein Vater mit mir spricht wie mit einer Dreijährigen! «Ja, das Haus ist mir schon aufgefallen. Dieses Haus kann man wohl kaum ignorieren! Aber ist dir schon mal aufgefallen, dass der Kasten leer steht, seitdem wir hier wohnen?», schnoddere ich zurück und kämpfe mich aus dem Bett.

«Ich denke, wir frühstücken erst mal. Das beruhigt die Nerven», schlägt meine Mutter vor. «Erstaunlich, was für ein Morgenmuffel Stella ist. Von wem hat sie das bloß?», sagt sie, als ich mich ins Bad verziehe.

Eltern!

Mit schwarz-weißem Ringelshirt und einem knallroten Tüllrock, mit dunklem Eyeliner und grellem Lippenstift erscheine ich eine knappe Stunde später im Wohnzimmer.

«Mutter, wir sind schon unterwegs ...», sagt mein Vater und stellt das Telefon zurück auf die Station. «Wir fahren zu Oma. Kommst du mit?», fragt er mich.

«Heute nicht! Ich treffe mich später mit Angie zum Kaffee und außerdem ...»

«Was denn außerdem?», möchte meine Mutter wissen. Sie mustert meine Klamotten von oben bis unten. «Schön siehst du aus! Viel besser als die schwarze Trauerkleidung!», sagt sie und drückt mir einen dicken Kuss auf die Wange.

Darauf stehe ich zwar schon seit Jahren nicht mehr, aber wenigstens bohrt sie nicht weiter nach, was ich heute Besseres zu tun haben könnte, als meine Oma zu besuchen.

Das Auto fährt aus der Garage, und ich laufe ins Esszimmer. Nervös gehe ich vor den Fenstern auf und ab und spähe wie Miss Marple durch die Vorhänge. Ich muss unbedingt herausfinden, wer unsere neuen Nachbarn sind. Als mein Handy klingelt, erschrecke ich mich so sehr, dass ich mit dem Kopf an die große Glasscheibe knalle. Obwohl mich keiner sehen kann, fühle ich mich ertappt und schäme mich. An meiner Stirn pocht eine riesige Beule.

«Hallo?», flüstere ich in den Hörer.

«Hallo?», kommt zurück.

«Angie ... Du bist’s. Was geht?»

«Wieso redest du denn so leise? Oder ist dein Handy kaputt? Oder ist mein Handy kaputt?»

Angie gerät in Panik. Alles kann man ihr nehmen. Aber nicht das Handy. Oft ist das nämlich ihr einziger Draht nach draußen. Wenn ihre Mutter sie mal wieder mit Babysitten oder Gartenarbeit ans Haus kettet, hat sie immerhin noch mich an der Strippe – und zwar, ohne dabei abgehört werden zu können.

«Nein, nein Angie! Alles gut! Wahrscheinlich nur ein Funkloch oder so», beruhige ich sie.

«Gott sei Dank! Wollen wir uns um drei Uhr im Schröders treffen?»

«Ja, Schröders ist gut. Drei Uhr auch! Bis später», sage ich schnell, und ohne eine weitere Antwort von Angie abzuwarten, klappe ich das Handy zu und verstecke mich wieder hinter den Gardinen. Vorm Haus nebenan ist inzwischen ein Auto vorgefahren. Nein, kein Auto. Ein Luxusschlitten! Ein dunkelblauer Luxusschlitten. Vorne auf der Kühlerhaube (oder wie man das nennt) erkenne ich eine kleine silberne Figur. Einen Jaguar. Aha! Die Neuen fahren Jaguar!

Um Viertel nach drei erscheine ich im Schröders. Ich habe mich verspätet, weil ich noch zweimal mein Outfit geändert habe. Irgendwie fühlte ich mich nach meiner Spionageaktion nicht mehr ganz wohl in meiner Haut, das heißt, in meinen Klamotten. Und auch mein Make-up musste ich auffrischen. Über die Beule gehörte dringend noch eine extra Schicht Abdeckstift und Puder. In der Hoffnung, dass sie nichts bemerkt, zupfe ich mir noch geschickt ein paar Haarsträhnen ins Gesicht, bevor ich ihr gegenübertrete.

«Was ist denn mit dir passiert?», ruft Angie quer durchs Café.

Scheint, als hätte meine Tarnung nichts genützt.

«Geht’s vielleicht noch lauter?», zische ich Angie zu und rutsche bis ans Ende der Bank durch.

Angie rutscht hinterher. «Tut mir leid. Willst du mir trotzdem erzählen, wer dir das Ding verpasst hat?», entschuldigt sie sich.

Ich taste vorsichtig über meine Stirn. Meine Güte, ich muss aussehen wie ein Einhorn. «Eigentlich würde ich es lieber für mich behalten. Aber bevor du den ganzen Nachmittag herumquäkst: Ich habe mich an unserer Wohnzimmerscheibe gestoßen!»

«Augen auf im Straßenverkehr!», unterbricht Angie mich. Sie kann ihr Grinsen nicht verbergen. Aber als fürsorgliche Freundin tröstet sie mich lieber, anstatt mich auszulachen. «Das kann doch mal passieren. Ist doch nicht so schlimm», meint Angie.

Der Kellner kommt und fragt nach unseren Wünschen.

«Zwei große Milchkaffee, bitte», sagt Angie, ohne sich vorher mit mir abzusprechen. Das muss sie auch nicht, denn schließlich war sie es, die mich vor einem halben Jahr zur absoluten Milchkaffeetante gemacht hat. Ständig erschien sie mit diesem Gebräu-to-go im Proberaum. Marc, ihr Bruder, jobbt nämlich in einem Coffee-Shop und liefert uns «den Stoff» immer umsonst. Seitdem bin ich abhängig.

Nachdem ich einen kräftigen Schluck getrunken habe, entschließe ich mich, Angie die ganze Geschichte zu erzählen …

Schallendes Gelächter ist die Quittung für meinen schonungslosen Bericht.

«Ich kann mir genau vorstellen, wie du dich als lebende Roulade in die Vorhänge gewickelt hast!»

«Das ist alles, was du dazu zu sagen hast?», frage ich mit ernstem Blick.

«Ja, äh ... wieso? Ehrlich gesagt, verstehe ich deine Aufregung nicht. Ihr bekommt neue Nachbarn. Na und?»

«Angie, ich ...» Ich halte die Bedienung von vorhin an, die gerade an uns vorbeiläuft, und bestelle eine Cola. «Mich regt es auf, dass ich in dieser bescheuerten Provinz leben muss. Mich regt es auf, dass neben uns die Königs wohnen – die ihrem Namen als Könige der Spießer alle Ehre machen! Und jetzt ziehen auf der anderen Seite auch noch die absoluten Bonzen ein. Angie, ich bin umzingelt von Blödheit und Arroganz!»

Angie ist das Lachen vergangen. «Findest du nicht, dass du ein kleines bisschen übertreibst?»

«Nein! Überhaupt nicht!», echauffiere ich mich weiter, reiße wütend die Arme in die Luft und ... Und leider kommt genau in diesem Moment der Kellner vorbei. Ich haue ihm mit voller Wucht das Tablett aus der Hand, und meine Cola landet in hohem Bogen auf meinem Rock. Einen Moment lang herrscht Totenstille im Schröders. Angie sitzt da wie versteinert und starrt mich an, und ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

«Das ist heute definitiv nicht mein Tag!», presse ich aus meinen zusammengekniffenen Lippen hervor, und dann brechen wir beide in lautes Lachen aus.

«O mein Gott! Du siehst total ramponiert aus. Aber very stylish!», findet Angie. Dann geht sie an die Theke und bezahlt unsere Rechnung, damit wir den Laden schnell verlassen können.

«Wie peinlich war das denn?», sage ich, als wir dabei sind, unsere Räder aufzuschließen. «Ich will nur noch nach Hause und in die Badewanne.»

«Das würde ich dir auch raten. Mach heute bitte nichts mehr. Und schon gar nichts, das dich in Gefahr bringen könnte. Versprochen?»

«Versprochen!», kann ich nur zustimmen. Wir fahren noch ein Stück zusammen und verabreden uns für morgen nach der Arbeit zur nächsten Probe.

«Wir müssen unbedingt Aleks in unseren Plan einweihen, ernsthaft an unserem ersten Konzert zu arbeiten. Cool ’n’ Crazy muss ins Rampenlicht!»

«Aber vorher ziehst du dich besser noch um!», ruft Angie mir zum Abschied zu, als sie abbiegt.

«Darauf kannst du wetten. Diesem Kaff und seinen Spießern werden wir es zeigen!», rufe ich zurück.

Laut singend und beflügelt vom Fahrtwind komme ich am Ende doch noch gutgelaunt wieder zu Hause an. Wahrscheinlich stand ich in Gedanken schon auf einer riesigen Bühne – alle Scheinwerfer auf mich gerichtet. Denn ich bemerke den Wagen erst, als ich vor der Haustür den Schlüssel in meiner – wie immer viel zu großen und viel zu vollgestopften – Tasche suche. Ein roter Porsche 911 Carrera. Ich kenne dieses Modell von alten Fotos meines Vaters. Er hat mal so einen gefahren. Aber nur für zwei Wochen, als sein bester Freund im Urlaub war und meinem Vater den Schlitten für diese Zeit überlassen hatte. Damals hat mein Vater noch als Architekt gearbeitet und hätte sich sicher selber gerne so ein Modell geleistet. Aber meine Mom war natürlich dagegen. Wie sie ja gegen alles ist, was mit Luxus zu tun hat. Sie fuhr lieber mit ihrem alten VW Käfer raus ins Grüne. Aber egal, mit dieser Art von Einfachheit haben unsere Autosammler von nebenan offensichtlich nichts im Sinn. Jaguar und Porsche – das sind nicht gerade Symbole der Bescheidenheit.

In mir braut sich schon wieder das Gefühl von Enge und Verachtung zusammen. «Womit habe ich das verdient?», denke ich und krame endlich den Schlüssel aus den Tiefen meiner Tasche hervor.

«Guten Tag!», höre ich, als ich gerade unsere Haustür aufstoße, und drehe mich um. Ein Typ im schwarzen Anzug steigt aus dem Porsche und grüßt. Ja, er grüßt tatsächlich mich.

Dann kommt er ein paar Schritte auf mich zu. «Mein Sohn und ich sind heute hier eingezogen. Steig doch mal aus, Luc!», ruft er seinem Sohn zu.

Der lässt sich Zeit, und weil es mir wirklich nicht so furchtbar wichtig ist, gleich auch noch auf die Miniausgabe zu treffen, halte ich die Unterhaltung angemessen kurz.

«Aha!»

«Luc?», ruft er wieder, und mir wird die Situation nun richtig unangenehm.

«Ist schon okay, wir werden uns jetzt ja wohl öfter sehen», sage ich und füge innerlich ein «leider» hinzu. Dann öffnet sich die Beifahrertür. Junior bequemt sich also doch noch aus den Ledersitzen. Ich kann nur ein sehr leises «Hi» vernehmen, weil ich mich schon wieder auf dem Rückzug befinde. Und weil sich Papis verwöhnter Spross bestimmt zu fein ist ...

Nein, das nehme ich zurück.

Er steht auf dem Bürgersteig und sieht überhaupt nicht wie der Sohn eines schwarzen Anzugträgers aus. Er sieht überhaupt nicht aus wie irgendjemand, den ich kenne. Nicht wie die Jungs aus meiner Klasse oder wie die aus der Nachbarschaft. Er hat ... blaue Haare. Ja! Stahlblau und superlässig gestylt. Passend dazu hat er auch noch blaue Augen! Und was für welche! Die leuchten schon von weitem.

Ich bin geplättet. Wie konnte ich nur so voller Vorurteile sein? Nur weil jemand teure Autos fährt, muss er schließlich nicht gleich ein arroganter Schnösel sein.

Endlich bringe ich auch ein «Hi» heraus. Junior sieht zu mir rüber, sagt aber nichts – was mich verunsichert. Irritiert zupfe ich an meinem Rock herum. O nein! Der Rock! Die Cola! Die Beule! Nein, nein, nein. Ich drehe mich auf dem Absatz um und marschiere schnurstracks ins Haus. Tür zu! So viel Mist kann einem doch nicht an einem einzigen Tag passieren! Fassungslos sitze ich auf den Stufen unserer Treppe, und erst nach einer ganzen Weile kann ich mich aufrappeln und ins Badezimmer hochschleppen.

Ich blubbere in die schillernden Schaumbläschen im heißen Badewasser. Was meinte der Typ vorhin? Mein Sohn und ich? Soll das etwa bedeuten, dass die unglaublich riesige Villa nur von zwei Menschen bewohnt wird? Wie sind die denn drauf? Die Welt ist schlecht – und ich hatte doch recht!

Stella rockt

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