Читать книгу Haut für sechs Hände - Antje de la Porte - Страница 6
ОглавлениеStärke
München, den 12.04.
Meine Geliebte,
seit Du vor vier Wochen aufgebrochen bist, um in den USA für Dein Buch zu recherchieren, bin ich ruhelos und wandere hin und her. Kann nicht arbeiten, immer nur denken, grübeln, ohne die Gedanken bisher aufschreiben zu können, weil auch sie so flüchtig sind wie Deine Anwesenheit um mich, die von Tag zu Tag nebelhafter wird. Ich erahne Dich nur noch. Wo bist Du?
Viele Dinge in den Räumen erinnern sich an Dich. Doch wenn ich sie ansehe und sie aus ihren Erinnerungen aufschrecke, wollen sie mir nicht sagen, woran und an wen sie gedacht haben. So schmerzlich ist alles, als hättest Du mich für immer verlassen. Hast Du?
Mir erscheint es so billig, mich in Deinen zurückgelassenen Kleidern zu verstecken und Dein Parfüm aufzubrauchen, um diese Einsamkeit loszuwerden. So würde ich bei einem Mann handeln: in seinem viel zu weiten Pulloverduft Einsiedlerkrebs spielen und mich dabei besser fühlen. Nicht aber bei Dir.
Die ersten Tage nach deinem Aufbruch verbrachte ich hektisch außer Haus, ungeachtet des scheußlichen Wetters und der Sturmwarnungen. Sollte doch ein Dachziegel auf meinem Kopf seinen Schlußakkord setzen. Doch, wie Du ja weißt, war ich nie eine begeisterte Spaziergängerin, und als das Wetter nicht mehr meine Stimmung spielte, zog ich mich vor unpassendem Sonnenschein in meine Höhle zurück. Die Natur schien nach dem Sturm endlich wieder frei durchatmen zu können, auch die Menschen. Ich aber hielt die Luft an, bis mein Kopf rot wurde und schier platzen wollte. Ich dachte an Andrea, der bei den Preßwehen die Äderchen in den Augen geplatzt waren, erinnerte mich, wie sehr mich ihre, roten Vampiraugen erschreckt hatten und wie böse ich damals ihrem Sohn war, der sie beim Eintritt ins Leben so gemartert hatte.
Jetzt sollten mir die Adern in den Augen platzen, ich wollte mein Martyrium zeigen. Dir zeigen. Aber Du warst ja nicht bei mir, und bei Deiner Rückkehr sähen meine Augen wieder aus wie immer. Viel zu viel Dramatik, ich weiß, Liebes, das wirfst Du mir ja immer vor. Aber so bin ich nun mal, dramatisch.
Ich hungere jetzt seit einer Woche, weil Du meine üppigen Schenkel so liebst, gerne zwischen ihnen Schutz suchst, um »erotische Inspiration zu erhalten«, die ich mir dann besser merke als Du. Ich will Dich strafen, Dir schon jetzt meine runde Lust verweigern.
Jede Leckerei, die ich verschmähe, befriedigt mich. Ich kaufe sogar italienische Köstlichkeiten, um sie dann an Deine Katze zu verfüttern, und habe schon sechs Pfund abgenommen. Wie schnell doch die Pfunde auf der Skala der Waage verschwinden! Doch plötzlich, seit heute, fühle ich mich nicht mehr zufrieden, ganz im Gegenteil. Es muß doch noch eine andere Möglichkeit geben, Dir Deine Abwesenheit heimzuzahlen?
Vielleicht sollte ich mir die komplette Duftserie von Joop kaufen – Dir wird doch immer übel, wenn Du Joop riechst. Stell Dir vor, Du kommst zurück und wirst von diesem Geruch eingenebelt, jeder Zentimeter meiner Haut wird danach riechen, zur Strafe.
Ich könnte mich in der nächsten Zeit statt mit den gewohnten italienischen Leckereien mit asiatischer Küche und Gewürzen vollstopfen. Sicher wird das Abnehmen damit schneller vorangehen, und im gleichen Zug wird sich der Geschmack meines Körpers, meiner Haut verändern. Die Gewürze werden dies bewirken, und Du wirst nicht mehr sagen können: »Ich erkenne Dich mit geschlossenen Augen, solange ich meine Lippen öffnen darf.« Damit wär’s dann vorbei.
Ich werde mich nicht mehr täglich salben und ölen, und meine Haut wird trocken und spröde werden. Du wirst enttäuscht sein, wenn Du mich berührst. O meine Geliebte, es gibt so viele Möglichkeiten, so unendlich viele Wege, Dich zu strafen: Ich werde abnehmen, meine Haut und meinen Duft verändern und und und – ich werde ...
Ich liege mit Deinen Büchern und Fotos im Bett. Bin zum Fährtensucher Deiner lustvollen Vergangenheit geworden, die ich auch noch zwischen den Zeilen aufspüre. Mein Gott, Du hast all diese Frauen geliebt. Hast Du sie wirklich geliebt? Wie mich?
Trotz all dem ziehen mich Deine Worte in ihren Bann. Du schreibst so offen, weil Du Dich stark fühlst, weil Du Dich hemmungslos in all deine Erinnerungen fallen läßt. Vom Strudel erst in die Tiefe gerissen, schwimmst Du schließlich an die Oberfläche mit einem Netz voller wunderbarster Vibrationen aus Deiner Geliebtenvergangenheit. Du formulierst sie, und sie werden frisch und benetzt, wie sie zur Stunde ihrer wirklichen Geburt hätten sein sollen, es damals aber nie waren. In Deiner Erinnerung wird alles besser.
Ich lese Dich, spüre Dich, atme Dich – Du bist neben mir und auf mir und in mir – meine Hand folgt ganz leicht Deinen Spuren, immer wieder, immer wieder. Ich bin meinem flüssigen Kern so nah wie nie zuvor, stehe mir gegenüber, mir ganz allein und brauche niemanden. Ich bin so stark!
Ach, meine Geliebte, wir sind gemeinsam stark, ich und Du. Aber dort, allein, auf dem Laken, trunken vor Glückssintflut, bin ICH unsagbar stärker!
Plötzlich erscheint es mir nicht mehr so wichtig, ob Du mich verlassen hast. Sicherlich kommst Du wieder, irgendwann, schon bald.
Morgen beginne ich eine Pastakur, vielleicht auch nicht.
Es ist schön, stark zu sein.
Deine
M.