Читать книгу Das Kolonistenraumschiff CATRAZ: Die Raumflotte von Axarabor - Band 207 - Antje Ippensen - Страница 6

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Der Wind raunte mit fremden, rauchigen Stimmen, und nicht selten schwoll sein Gesang zu einem schrillen Heulen an. Das immer wieder leiser wurde, manchmal fast bis zum Verstummen, doch stets lauerte der stimmenreiche Wind, gleichsam im Hintergrund.

Seine Heimat war eine namenlose, rostfarbene Welt, die eher unbedeutend zu sein schien. Erstaunlicherweise war hier jedoch der Wind keineswegs der Alleinherrscher. Er wehte stoisch über eine klumpige, zusammengeballte Felsstadt, in der schwache Lichter schimmerten, und verwehte die Spuren von Rädern und Tatzen. Straßen gab es keine, dafür Pisten, und die reichten aus für die Karren, die von eselgroßen Echsen gezogen wurden. Die Pisten führten weit über Land, obwohl sie keine weiteren Siedlungen miteinander verbanden, denn die gab es nicht. Dafür dienten sie als Transportwege für die Ausbeute, die in den Proteingruben gefördert wurde. Sämtliche Proteingruben wurden als Strafkolonien betrieben und waren berüchtigt für die hohe Anzahl an Todesfällen. Manchmal floh jemand von dort.

Es war Nacht. Der lange dünne Mann, der die Piste entlanghetzte, verschmolz beinahe mit der Dunkelheit. Beinahe. Dichte Wolkenfetzen, die einander überlagerten, verdeckten die beiden blassrosa Monde, die der anonyme Planet sein eigen nannte. Aber nun stachen Lichtlanzen hinter dem Läufer durch die Luft, bestrebt, ihn zu erfassen, er hörte grobe, gedämpfte Männerstimmen – so nah waren die Verfolger schon! – ja, und sogar das kurzatmige Schnaufen der Echsen. Der lange dünne Mann rannte schneller und versuchte auch ein paar Haken zu schlagen, doch diese gerieten ihm halbherzig, da er es nicht wagen durfte, die Piste zu verlassen. Denn links und rechts war kein Fortkommen. Nein, da ging man besser nicht hin, es sei denn, Wahnsinn hatte einen überwältigt.

Der Flüchtling keuchte. Er hielt sich die Seiten und seine Schritte wurden unsicherer, ein paarmal stolperte er fast, fing sich aber jedes Mal rechtzeitig. Hinter ihm klangen die dumpfen Geräusche, die von den Echsentatzen herrührten, immer näher, genauso wie das Räderrollen. Schon unterschied er zwei Stimmen und sogar die Worte, die gerufen wurden, waren verständlich.


*


„ Schneller, Hasgard, schneller! Gib den verdammten Biestern Saures, dass sie sich anstrengen! Gleich haben wir ihn!“

„ Seh ich selbst, Elkaderon! Ich mach ja schon, was ich kann!“

Der mit Elkaderon angeredete Jäger war groß und breit wie ein Schrank, während sein Kollege eine eher schmächtige Figur besaß, aber einen zähen Eindruck machte. Beiden gemeinsam war der mitleidlose Ausdruck in ihren Augen, im Übrigen das einzige, was sich von ihren Gesichtern erkennen ließ, denn jeder trug einen ledernen Mund-Nasenschutz. Das Leder absorbierte die schädlichen Stoffe, die der Sandstaub enthielt.

Die zwei Zugechsen röchelten, sichtlich am Ende ihrer Kräfte. Sie waren zwar immun gegen das feine pulvrige Gift in der Luft, aber die Jagd hatte ihnen alles abverlangt, sie konnten nicht mehr. Das zur Linken laufende Tier brüllte schmerzerfüllt auf, als es von einem Stockhieb getroffen wurde. Sein gebogener, mit weichen Schuppenstacheln versehener Rücken zitterte.

„ Vorsicht!“, warnte Elkaderon, als der schlichte Karren, auf dem die beiden Männer standen und an dessen Rändern sie sich während der wilden Fahrt festklammerten, leicht ins Schleudern geriet.

„ Was willst du, verlangst doch volles Tempo!“, erwiderte Hasgard hitzig.

„ Das heißt nicht, dass du wie der Nebelhenker höchstselbst durch die Gegend heizen sollst!“

Der Karren wurde wieder langsamer und die zwei Jäger verstummten. Verbissen hielten sie nach ihrer Zielperson Ausschau, schwenkten die Leuchtstäbe und waren sichtlich bestrebt, jetzt nicht etwa auf den letzten Metern einen Fehler zu machen. Die Jagd hatte die längste Zeit gedauert, das wussten sie. Oder besser: Das spürten sie im Urin. Sowohl Elkaderon als auch Hasgard hatten schon Dutzende entlaufener Sträflingssklaven wieder eingefangen.

„ Er wird sich doch nicht seitlich ins Verderben schlagen?“, raunte Elkaderon seinem Partner zu.

„ Glaub ich nicht. So verrückt ist nicht mal der.“

Hasgard behielt recht. Der Wind blies immer heftiger und vertrieb die Wolken, so dass die zwei Monde nun rosenquarzfarbig schimmerten und die Szenerie in pastellenes Licht tauchten – und in diesem Schimmer erblickten die beiden Häscher den langen dünnen Mann, der bäuchlings hingestreckt mitten auf der Piste lag. Hasgard riss so heftig an den Zügeln, dass die Echsen sich aufbäumten. Die Jäger in ihren Schutzanzügen aus Echsenleder sprangen vom Gefährt und bewegten sich langsam auf den Regungslosen zu.

„ Ende der Reise, du Idiot“, schnarrte Elkaderon.

Hasgard schauerte kurz zusammen, spähte besorgt zum Himmel hoch und murmelte eine Verwünschung. Ihm war anzumerken, dass er diesen Planeten hasste. Er war für einen Moment abgelenkt.

Der lange dünne Mann erwachte urplötzlich zum Leben und zu großer Beweglichkeit, sprang auf wie eine Spinne, wobei sich sein ganzer Körper zusammenzog, fuhr herum und ließ seine Hände zu den zwei Jägern herumschnellen. Tödliche rote Laserstrahlen schossen aus seinen Fingerspitzen. Die der linken Hand verschmorten Elkaderons Augenpartie und die der rechten schmolzen Hasgards halben Kopf weg.

Es ging so schnell, dass die Männer noch nicht einmal zum Stöhnen kamen, geschweige denn zu einem gedämpften Schrei. Sie waren tot, noch ehe ihre Körper dumpf auf den Boden prallten.

Der lange dünne Mann trat zu den Leichen und kicherte. „Wer ist jetzt der Idiot? – Ich sag’s euch: du und du.“ Dann ging er zu den zwei Echsen, um sie zu streicheln und zu beruhigen. Sie hielten den Wind besser aus als Humanoide, doch wenn ihre Schuppenhaut verletzt war, scheuerten Sandkörner und verschlimmerten die Wunden noch. Aus seiner schäbigen Kleidung zog der Mann ein flaches Päckchen, öffnete es und begann, vorsichtig eine Paste auf die Striemen aufzutragen, die Hasgards Stock auf den Echsenleibern hinterlassen hatte. Dabei bewegten sich die Tiere zunächst nervös, merkten aber rasch, dass ihnen die Salbe wohltat. Sie schnaubten und prusteten den Mann erleichtert an, rieben ihre Köpfe an ihm wie Katzen und schienen zu lächeln. Erst nachdem er sie beide gut versorgt hatte, nahm er den Mund-Nasen-Schutz von Elkaderons Schädelrest und schützte sich selbst. Die Anzüge verschmähte er; ohnehin hätte ihm keiner der beiden gepasst.

Ah. Das tat gut. Das war fast so erfrischend wie einen Schluck Wasser zu sich zu nehmen. Der Mann, der früher, als er es noch verdient hatte, einen Namen zu haben, Mer Cuhl Cury geheißen hatte, atmete ruhig, lauschte auf das Heulen des anschwellenden Windes und überlegte, was nun zu tun war. Immerhin war er einen Schritt vorangekommen, sie hatten ihn nicht erwischt, seine Körperwaffe hatte tadellos funktioniert. Dessen war er sich gar nicht sicher gewesen; er hatte sie schon sehr lange Zeit nicht mehr testen können.

Ja, ein erster Erfolg. Er beschloss, sich selbst wieder Cury zu nennen. Leider wusste er nicht, ob noch weitere Jägertrupps auf der Suche nach ihm waren. Und es gab auf dem technikarmen Planeten kaum eine Chance, das herauszukriegen – daher hatten auch Elkaderon und Hasgard keinerlei Ausrüstung bei sich, mit der man hätte kommunizieren können. Dies hatte wegen des Sandes schlichtweg keinen Sinn. Man konnte schon froh sein, wenn Leuchtstäbe nicht schon nach kurzem Gebrauch den Geist aufgaben.

Die Echsen prusteten und gurrten. Sie machten erneut einen nervösen Eindruck; vermutlich zog wieder einmal ein Sturm auf. Cury hätte den Karren nehmen können, aber zum einen widerstrebte es ihm, die Echsen so zu benutzen wie seine Häscher es getan hatten, und zum anderen war das Ding schwerfällig und hinterließ zu viele Spuren. Aber er durchsuchte es rasch und fand einen wahren Schatz: einen fest schließenden Metallbehälter, dessen Inhalt aus Kutzageran-Früchten bestand; ihr wässriges Fleisch stillte den Durst und ihr Nährstoffgehalt war außerordentlich hoch. Ein Rätsel, wieso die beiden Kerle das dabeigehabt hatten, hatten sie etwa mit einer ewig langen Jagd gerechnet?

Cury löste die Zugtiere aus ihrem Geschirr und streichelte sie dabei immer wieder, um sie auf sich zu prägen. Sie blieben lammfromm, als er sie links und rechts an den Zügeln führte. Reiten wollte er keins von beiden, dafür waren die Echsenrücken viel zu wund.

Immer wieder lauschte er, doch nichts von weiteren Jägern. Was natürlich gar nichts hieß. Es gab ja sogar Elitejäger, die sich lautlos zu Fuß durch das Sandmeer bewegten, wenngleich auch immer auf den Pisten. Noch brennender als der Gedanke an seine Verfolger war eine andere Frage, die ihn quälte. Was gäbe ich darum zu erfahren, was aus meinen Gefährten geworden ist.

Nun. Im Augenblick musste er nur für sich entscheiden. Tief im Süden sollte eine Felsbaum-Oase existieren, und wenn er dieser Piste weiter folgte, machte er nichts verkehrt. Stimmte doch? Er vergewisserte sich, indem er den in seine Handfläche implantierten Kompass betrachtete. Der funktionierte glücklicherweise immer. Sollte er an eine Kreuzung kommen, brauchte er ihn, denn nach der Sonne konnte er sich in einem Sandsturm nicht richten. Außerdem taugte die hiesige Sonne auch an ihren besten Tagen nicht gerade viel. Cury kicherte wieder tonlos, hörte aber auf damit, als er merkte, dass den Echsen das Geräusch nicht gefiel. Stattdessen murmelte er ein paar sanfte Worte und nahm die Zügel fester. Unsichtbar unter der Haut seines linken Unterarms trug er seinen Ortungschip. Aber ob der ihm jemals etwas nützen würde?

Cury und seine großen Reptilien verschwanden im stärker werdenden Unwetter. Der Sand wurde zwar kräftig über die Piste geweht und geschleudert, blieb aber am sandabweisenden Bodenmaterial nicht haften. Ohne diese Eigenschaft wäre Transport oder Reisen auf dieser namenlosen Welt überhaupt nicht möglich gewesen, der Sand hätte jede Verkehrsader binnen kurzer Zeit verschluckt.

Trotz aller Sorgen und Ängste – Cury genoss die Gegenwart der zwei Echsen. Jetzt fühlte er sich nicht mehr so allein.



Das Kolonistenraumschiff CATRAZ: Die Raumflotte von Axarabor - Band 207

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