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Beispiel einer klassischen Überproduktionskrise: Stahl

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Krisen der Stahlindustrie gab es im Kapitalismus immer und überall. Was kann man dagegen tun? Mitte der 1960er-Jahre bildeten die 31 Stahlproduzenten in der Bundesrepublik Deutschland ein Verkaufskartell, um der ruinösen Konkurrenz aufgrund der weltweiten Überkapazitäten zu entgehen. Die eingehenden Aufträge wurden nach einem Quotensystem unter den Unternehmen aufgeteilt. Nach den Wirtschaftswunderjahren war der Bedarf an Stahl zuerst einmal gedeckt, dazu kamen einerseits der zunehmende Einsatz von Ersatzmaterialien – Keramik und besonders Kunststoffe – und andererseits die zunehmende internationale Konkurrenz durch staatlich hoch subventionierte Wettbewerber. Während z. B. Japan auf dem internationalen Stahlmarkt keinerlei Rolle gespielt hatte,23 änderte sich dies in den 1970er-Jahren. Auch Länder wie Brasilien, Algerien, Indonesien und Indien begannen mitzumischen – aber schließlich überholte China alle anderen Staaten.24

Stahlproduktion nach Regionen (Anteile in %) 25

Region1950197019902000201020112012
NAFTA47,722,614,415,87,97,77,8
EU32,532,424,922,812,211,710,9
SU/GUS13,519,420,111,67,67,57,2
Japan2,515,714,312,57,87,16,9
China0,33,08,715,144,345,146,3
andere Länder3,56,917,622,220,221,020,9

In den frühen 1980er-Jahren wurde die Konkurrenz innerhalb der EG wiederum durch ein Kartell, Eurofer, geregelt: Die Stahlhersteller durften ihre Produkte in den Nachbarländern nicht unter den Preisen der dortigen Konkurrenten anbieten. Zusätzlich gab es staatliche Beihilfen zum Abbau der Überkapazitäten. Trotzdem wurden Fabrikanlagen wie die Westfalenhütte und die Phönix-Hütte von Hoesch in Dortmund sowie die Heinrichshütte von Thyssen in Hattingen geschlossen – und die Anlagen in die Volksrepublik China verkauft. Gleiches geschah mit der Kokerei Kaiserstuhl, der damals modernsten Kokerei Europas: Das gesamte Werk wurde demontiert, an den chinesischen Bergwerkskonzern Yanzhou Coal Mining in der Provinz Shandong verkauft und dort wieder aufgebaut.

Diese Krise kostete vor allem im Ruhrgebiet rund 200.000 Arbeitsplätze. Die Überkapazitäten sind aber bis heute ein Problem geblieben: In Europa betragen sie immer noch 40 bis 50 Millionen Tonnen. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl errechnete allerdings für China 2016 einen gigantischen Kapazitätsüberhang von 430 Millionen Tonnen – weltweit wurden im Jahr 2015 rund 1,6 Milliarden Tonnen Rohstahl erzeugt, davon die Hälfte in China.26 China hat in den Jahren 2018 und 2019 so viel Stahl produziert wie England in 150 Jahren – also seit Beginn der Industrialisierung.27

Das traditionelle Zentrum der chinesischen Stahlindustrie liegt im Nordosten des Landes, in den Provinzen Liaoning, Jilin und Heilongjiang.28 Die Zentralregierung will dort Kapazitäten abbauen – aber die Provinzverwaltungen wollen Betriebsschließungen und Entlassungen verhindern. Der »Chinesische Traum vom Wohlstand« soll nicht ins Wanken gebracht werden. Bis 2017 wurde ein Zehntel der Kapazitäten in der Stahl- und Kohleproduktion abgebaut. Allein der staatliche Konzern Wuhan, der achtgrößte Stahlerzeuger der Welt, kündigte an, nur 30.000 seiner 80.000 Stahlarbeiter noch länger zu beschäftigen. Insgesamt sollen in China in der näheren Zukunft 1,8 Millionen Arbeitsplätze in der Kohle- und Stahlindustrie wegfallen.

Ist der Wahnsinnsaufwand der »Belt & Road«, sind die Fantastilliarden29 für seine Verwirklichung die Lösung dieses Problems? Eine Überproduktion dieser Dimension zeigt wohl bereits eindeutig, dass von einer Planwirtschaft in China nicht mehr die Rede sein kann. Nur der weltweite Export von Waren und Kapital kann noch helfen. Der Westen ist ökonomisch und finanziell gegenüber seinem asiatischen Konkurrenten im Defizit – und zwar in einem hohen Ausmaß. 2018 betrug das Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber China 621 Milliarden Dollar, bei den EU-Staaten waren es 215 Milliarden Dollar, zusammen 836 Milliarden Dollar. Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl bedeutet dies, dass jeder der 1,4 Milliarden Chinesen für 600 Dollar mehr Waren in den Westen exportiert, als er von dort bekommt. Xi Jinpings Erklärungen zur Förderung des Handels im Innern sind reine Propaganda.

Einige Daten von 2017:30

China: Export 2500 Mrd. US-Dollar, Import 2135 Mrd., Überschuss: 365 Milliarden. Handelswachstum 2,3 % – weltweit 3,5 %, also bedeutend geringer. Der Export entspricht 19,5 % des Bruttosozialprodukts (BSP), der Import 18,7 %.

Deutschland: Export 1560 Mrd. US-Dollar, Import 1290 Mrd., Überschuss 270 Milliarden. Handelswachstum: 3,15 %. Der Export entspricht 47,4 % des BSP, der Import 41,25 %.

Die Bedeutung des Exports für die deutsche Wirtschaft ist weltweit einzigartig. Der vergleichsweise geringe Anteil von Export/Import am BSP in China ist die Konsequenz der enormen Größe und Vielfalt dieses Landes – China ist eine Nation, die sich überwiegend selbst versorgt.

6 Italy’s plan to join the Belt and Road Initiative a pragmatic path to boosting its economy; Global Times vom 21. März 2019; http://www.globaltimes.cn/content/1142986.shtml (chinesische Tageszeitung in englischer Sprache)

7 F. Santelli, Italia-Cina, dai porti all’energia ai reperti archeologici: ecco i 29 accordi firmati; Repubblica vom 23. März 2019

8 »As of today, CCG has grown into the largest non-governmental think tank in China with headquarters in Beijing and offices in Shanghai, Shenzhen, Guangzhou, Qingdao and Hong Kong as well as representatives in major cities abroad, hiring nearly 100 in-house researchers and staff«. http://en.ccg.org.cn/

9 F. Santanelli, »L’economia italiana non va da nessuna parte, Roma ha bisogno della Cina«, Repubblica vom 22. März 2019

10 Die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB), 2015 offiziell gegründet, hat – wie der Name sagt – den Zweck, die Entwicklung der Infrastruktur und anderer strategisch wichtiger Sektoren (Energie, Telekommunikation, etc.) in Asien zu finanzieren. Zu den 57 Mitgliedsstaaten gehört auch Italien. Fast eine kleine Weltbank. Der chinesische Staat hat einen Anteil von 26,1 Prozent und besitzt ein Vetorecht.

11 Fernsehbericht der Abendschau im BR unter dem verheißungsvollen Titel »Au wird chinesisch«.

12 https://www.jungewelt.de/artikel/350518.direktinvestitionen-volksrepublik-auf-einkaufstour.html

13 Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Gemeinverständliche Notizen zum Aufstieg der neuen Finanzakteure. Köln 2018. Auszüge in: www.globallookpress.com und rt.deutsch vom 16. Dezember 2018

14 Am 12. März 2019 veröffentlichte die EU-Kommission ihre »Gemeinsame Mitteilung« an das Europäische Parlament und den Europäischen Rat (Zehn-Punkte-EU-Papier): »EU-China – Strategische Perspektiven«.

15 Welthandelsmacht. Chinas milliardenschweres Megaprojekt einer »maritimen Seidenstraße«, Junge Welt vom 7. Dezember 2017. https://www.jungewelt.de/artikel/323152.welthandelsmacht.html

16 André Vatter, Danke Griechenland! Deutsche Telekom fährt Gewinne ein, https://www.basicthinking.de/blog/2009/11/05/danke-griechenland-deutsche-telekom-faehrt-gewinne-ein/

17 Junge Welt vom 9. Juli 2020

18 Siehe Werner Rügemer, Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts, Köln 2018.

19 Das Projekt »Belt & Road« schließt den Landweg wie auch die Meeresroute von China nach Europa ein. Auch letztere ist von enormer Bedeutung. Wie Perlen an einer Kette reihen sich die von China kontrollierten Häfen aneinander: Hongkong, Gwadar, Djibouti, Athen … Und diese Politik ist für die chinesische Wirtschaft sinnvoll: Der globale Handel spielt sich zu einem großen Teil auf dem Meer ab, beispielweise passieren 75 % der chinesischen Erdölimporte die Meeresenge von Malakka. In diesem Zusammenhang ist auch die imperialistische Politik Chinas gegenüber den vietnamesischen Inseln zu sehen, auf die später noch eingegangen wird. Der Landweg ist kürzer – 14 bis 18 Tage im Vergleich zu 30 bis 40 Tagen auf der See – aber um 25−30 % teurer. Allerdings kommen noch andere Faktoren hinzu, wie etwa die Zuverlässigkeit der Transporte auf dem Land, während es auf dem Meer doch Probleme mit Wetter und Klima geben kann. Z. B. können bei zu niedrigen Temperaturen im Winter elektronische Geräte nicht mit dem Schiff transportiert werden.

20 http://en.ccg.org.cn/

21 Darunter besonders die China Development Bank und die Export-Import Bank of China.

22 Die Summe entspricht 132,2 % des italienischen Bruttosozialprodukts. Repubblica vom 6. April 2019

23 1913: 0,3 % der Weltrohstahlerzeugung, 1950: 2,5 %, 1973: 23 %. Zahlenangaben aus: https://www.chemie-schule.de/KnowHow/Stahlkrise

24 http://www.stahl-online.de//index.php/statistiken#konjunkturlage.World Steel Association, Statistics.

25 2011 war das mit großem Abstand bedeutendste Herstellerland China mit 683,3 Millionen Tonnen, 2010 mit 626,7 Millionen Tonnen. Dies blieb so 2017 mit 832 Millionen Tonnen. Der chinesische Anteil an der weltweiten Produktion lag bei 45,1 %. 2017 wurden weltweit insgesamt 1691 Mio. Tonnen Stahl produziert.http://www.stahl-online.de//index.php/statistiken#konjunkturlage. World Steel Association, Statistics

26 https://www.vdi-nachrichten.com/Technik-Gesellschaft/Fakten-Stahlkrise.Mai 2016/, Ausgabe 21

27 https://www.finanzen100.de/finanznachrichten/wirtschaft/krasse-statistik-china-produziert-in-nur-zwei-jahren-so-viel-stahl-wie-england-in-150-jahren_H2004508578_258628/

28 Dort sind auch die Erdölfelder, auf denen während der Kulturrevolution die Kampagne »Lernt von Dajing« begann.

29 Ein Begriff von Dagobert Duck.

30 https://wits.worldbank.org/CountryProfile/en/VNM

Chinas neuer Imperialismus

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