Читать книгу Der ganz normale Wahnsinn - Anton Weiß - Страница 8

Gier nach Sensationen

Оглавление

Von der Sensationsgier lebt heute ein großer Teil der Medien. Sie zeigt sich in der Gier an Verbrechen und Sexualdelikten, aber auch nach dem Leben der oberen Zehntausend. Auch bei Verkehrsunfällen kann man diese Gier beobachten. Häufig ereignen sich bei Unfällen auf der Autobahn auf der Gegenseite ebenfalls Unfälle, weil die Vorbeifahrenden so in Bann geschlagen sind, dass sie ihre eigene Sicherheit aus dem Blick verlieren.

Es besteht eine Wechselbeziehung von Journalismus und der Gier nach Sensationen durch die Menschen. Im Moment, wo ich diese Abhandlung schreibe – April/Mai 2008 – hat sich gerade in Amstetten ein ungeheuerlicher Fall zugetragen: Ein 74-jähriger Vater hat 24 Jahre lang seine Tochter unter seinem Haus gefangen gehalten und als Sex-Sklavin benützt. Er hat mit ihr sieben Kinder gezeugt. Noch gut in Erinnerung ist der Fall Kampusch, wo ein Mann 8 Jahre lang ein Mädchen gefangen gehalten und als Sex-Sklavin benutzt hat. Und das Entsetzen der Öffentlichkeit über diese Taten und die Gier nach detaillierten Informationen kennt keine Grenzen. Alle sind fassungs- und ratlos. Und man kommt nur klar damit, wenn man es – wie es der österreichische Bundeskanzler Gusenbauer getan hat – es als Einzelfall abtun kann. Aber das ist es in keiner Weise; es ist es vielleicht in der extremen Ausführung und viele Männer gehen nicht soweit, aber von der psychischen Situation her betrifft es im Grunde jeden und das ist auch der Grund für die Gier, über diese Dinge etwas zu erfahren.

Bei Verbrechen, besonders Sexualverbrechen, wird der eigene, verdrängte Anteil gelebt. Deshalb die oft uneingestandene Gier nach diesen Verbrechen, weil man im anderen mit Vehemenz verurteilen kann, was man bei sich selbst an geheimen Wünschen und Gedanken verurteilt, mit denen man sich nicht auseinandergesetzt und daher nicht bewältigt hat. Denn jeder ist zu jeder Tat fähig, weil sie im Unbewussten eine Möglichkeit ist, und damit muss man sich auseinandersetzen, um nicht deren Opfer zu werden. Aber das tut der Mensch nicht, sondern er geht den bequemeren Weg, er verdrängt sie und sieht sie am anderen. Im Abscheu und Entsetzen über die Gräueltaten der anderen kann sich der einzelne Erleichterung und Abfuhr seiner Triebenergie verschaffen. Er kann gefahrlos am anderen bekämpfen, wovon er selbst betroffen ist.

Mit welchem Recht kann man denn behaupten, dass eigentlich jeder ein Mörder und ein Sexualverbrecher ist? Weil es Möglichkeiten der zerstörerischen Kräfte des Unbewussten sind und prinzipiell jeder diesen Mächten und Kräften ausgeliefert ist, der sich noch nicht intensivst mit ihnen auseinandergesetzt hat. Solange der Mensch im Ich steht, ist er diesem unendlichen Verlangen nach Erfüllung unterworfen, und die Verzweiflung darüber, dass dieses Verlangen keine Erfüllung findet, macht ihn zum oft hilflosen Opfer der Kräfte des Unbewussten, die nach dieser Erfüllung drängen. Und gerade in der Sexualität ist diese Erfüllung kurzzeitig zu erleben. Ich möchte nicht missverstanden werden, dass ich diese Verbrechen entschuldige, sondern ich versuche nur, den Zusammenhang aufzuzeigen. Der Mensch, der in der Einseitigkeit des Ichs lebt, ist Spielball der unbewussten Mächte, die sich gegen ihn wenden, weil er sie von der Teilhabe am Leben ausschließt.

Eine weitere Erklärung für das vom Paparazzi-Journalismus aufgepeitschte Entsetzen ist die völlige Ahnungslosigkeit über den Abgrund der menschlichen Seele. Wenn man die Faszination des Grauens hinterfragt, dann sehe ich keine andere Erklärung als die einer Faszination vom Unbewussten, in dem alle diese grauenhaften Taten als Möglichkeit vorhanden sind – sonst könnten sie nicht geschehen -, und wir alle davon eine geheime Ahnung und ein Schaudern vor der eigenen Möglichkeit erleben.

Sensationsgier hat möglicherweise der Prinzessin Diana das Leben gekostet. Das gierige Interesse am Leben der Königshäuser oder Filmstars und Popsänger zeigt, wie sehr man selber an deren Stelle stünde und ein berühmtes Leben führen würde. Denn berühmt sein ist der geheime Wunsch des Ichs, dem die Erfüllung versagt bleibt. In der Teilhabe am Leben der Berühmtheiten ist man selber berühmt.

Der ganz normale Wahnsinn

Подняться наверх