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Die Bedeutung des Siegens

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Was bedeuten eigentlich Sieg oder Niederlage? Bin ich als Mensch besser, wenn ich siege und schlechter, wenn ich verliere oder bloß Zweiter werde, oft nur mit einer Differenz zum Sieger von kaum messbarer Größe? Geht es mir darum, Bester zu sein und worin bin ich dann bester? Bester Tennisspieler aller Zeiten, bester Schwimmer aller Zeiten? Hängt mein Menschsein davon ab, ob ich gewinne oder verliere, oder bin ich als Mensch nicht genau so gut, auch wenn ich verliere? Oder will ich mein Gutsein den anderen zeigen, dass alle sehen, wie gut ich bin? Verleiht mir das eine Wichtigkeit, eine Bedeutung, die ich ohne den Gewinn nicht habe? Geht es also darum, wichtig zu sein, Bedeutung zu haben? Bin ich nicht wichtig, habe ich keine Bedeutung, wenn ich verliere? Bin ich in meinem Menschsein weniger? Und wenn ich mich minderwertig, unbedeutend fühle, verleiht mir dann der Sieg wirklich die Bedeutung, die ich selber nicht empfinde oder verschleiert er nur meine Bedeutungslosigkeit? Oder werde ich als Mensch ein anderer dadurch, dass ich mich schinde und plage, um zu siegen? Ist der Sieg nur ein äußeres Zeichen für meinen Sieg über mich selbst? Dass ich durchgehalten habe, meinen inneren Schweinehund zu überwinden, dass ich gegen meine Schwachheit gekämpft habe, die mich gern einen einfacheren Weg gehen ließe? Das würde ich für den Spieler verstehen, aber was haben dann die Fans für einen Anteil daran oder die Nation?

Erlebe ich in der Auseinandersetzung mit mir selbst das Drama des Lebens überhaupt, Höhen und Tiefen, die keinem Sportler erspart bleiben? Das ganze Hoffen und Bangen, Freuen und Traurigsein, Begeisterung und Enttäuschung, höchste Anspannung und Mitfiebern – das alles wird im Sport erlebt. In einem einzigen Torschuss ist davon schon viel enthalten: das Hoffen und Bangen, die Vorfreude und Erwartung, dass es ein Tor wird, und die Enttäuschung und Ungläubigkeit, wenn der Ball dann doch nicht im Netz landet oder die Begeisterung, wenn doch. Ist das Durchleiden dieser Höhen und Tiefen das, was die Spieler und Zuschauer fasziniert und haben die Zuschauer in einer geheimnisvollen „participation mystique“, einer unsichtbaren Verbindung daran Anteil?

Welche Faszination geht aber von Spielen aus, bei denen ich gar nicht viel zu Sieg oder Niederlage tun kann, weil es einfach von den von mir unabhängigen und nicht beeinflussbaren Gegebenheiten abhängt und nicht von meinem Willen und Können, wie z. B. beim Kartenspiel oder beim Kniffeln, einem Würfelspiel, bei dem mein Siegen allein vom Fallen der Würfel abhängt. Warum ärgert es mich hier, wenn ich verliere und bin stolz, wenn ich gewinne? Über wen ärgere ich mich und warum bin ich stolz – doch auf mich – der ich gar nichts dazu tun kann, als einen Würfelbecher zu schütteln? Und nun zeigt sich das ganz Verblüffende: Ich erlebe beim Kniffeln genau so Höhen und Tiefen, Hoffen und Bangen, Freude und Enttäuschung wie dort, wo es auf meinen Einsatz ankommt und wo ich glaube, dass ich es in der Hand habe, dass es an mir liegt, die Leistung zu vollbringen.

Mir würde viel mehr einleuchten, wenn es um etwas ganz anderes ginge. Wenn viel mehr als der Sieg das Auf und Ab, das Bangen und Hoffen, also das Drama des Weges zum Ziel das Entschei- dende wäre. Es spiegelt sich darin das Drama des Lebens überhaupt; das Leben als Wagnis, das den Einsatz des ganzen Menschen erfordert und wo er, auch wenn er diesen Einsatz leistet, dennoch verlieren kann. Und er hofft so sehr zu gewinnen. Jeder möchte Gewinner sein. Das ist im Leben sogar leichter möglich als im Sport, wo immer nur einer Gewinner sein kann. Ist vielleicht das Leben ein Spiel mit hohem Einsatz, wo man gewinnen oder verlieren kann? Das würde erklären, warum so viele Menschen der Spielleidenschaft erliegen. Das Spiel sozusagen als Übungsterrain des Lebens, ein Ort, wo eingeübt werden kann, Niederlagen zu bewältigen, den Ärger, die Wut zu zügeln und mit seinen Emotionen umzugehen. Wo man erleben kann, dass es nicht immer nach seinem eigenen Willen geht und dass Erfolg nicht immer Ergebnis und zwangsläufige Folge eigener Leistung ist.

geSUCHT und NICHT GEFUNDEN

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