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Die ersehnte Erfüllung bleibt aus

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Mir drängt sich die Erkenntnis auf, dass alles, was Menschen unternehmen, die absolute Erfüllung zu finden, nicht zum Ziel führt.

Der Mensch scheint ein unstillbares, ein unendliches Verlangen zu haben, was sich bei vielen Gelegenheiten zeigt. An so kleinen Dingen wie dem Auspacken von Geschenken kann man das wunderbar sehen. Kürzlich hatte meine Enkelin ihren vierten Geburtstag, zu dem sie viele Geschenke bekam. Und nun war folgendes zu beobachten: Es lagen viele verpackte Geschenke – große und kleine – auf dem Geburtstagstisch. Sie wählte als erstes das größte Paket. Das zeigt schon die Erwartung, dass das Größte auch die größte Erfüllung bringen wird. Es geht uns allen so, dass wir glauben, dass die Erfüllung umso größer ist, je größer, teurer, kostbarer das Geschenk ist. Deshalb sind Frauen so überwältigt, wenn sie einen Diamantring geschenkt bekommen.

Als nun dieses große Geschenk ausgepackt war, zeigte sich etwas Erstaunliches: Anstatt große Freude darüber zu zeigen, wurde es rasch beiseite gestellt, um sich dem nächsten Geschenk zuzuwenden. Und der Ablauf war der gleiche wie eben zuvor: Das nächste Geschenk wurde rasch ausgepackt, kurz angeschaut und schnell beiseite gelegt, um sich sofort auf das Öffnen des nächsten Geschenkes zu stürzen, bis alle geöffnet waren.

Für mich war das eine großartige Bestätigung meiner Sichtweise: Der Mensch erhofft sich die Erfüllung immer vom nächsten. Er verweilt gar nicht bei einer Sache, sondern richtet seinen Blick und seine Erwartung sofort auf das nächste.

Wenn fünf verpackte Geschenke vor einem liegen, dann packt man nicht das erste aus, freut sich darüber und betrachtet es genau, spielt damit oder wenn es ein Buch ist, liest die ersten Seiten. Nein, es wird kaum beachtet; man macht sich sofort an das Auspacken des nächsten Geschenkes. Auch das wird nur flüchtig gewürdigt und sofort das nächste in Angriff genommen. Was ist der Grund? Ich sehe keinen anderen als in der Erklärung, dass man auf das ganz Große wartet und im nächsten Geschenk zu finden hofft. Das nächste Geschenk ist ja noch verhüllt, enthält also ein Geheimnis, nämlich das Geheimnis der großen Beglückung. Und dann kommt die große, uneingestandene Enttäuschung und man gibt sich mit dem zufrieden, was möglich ist und wendet sich wieder den ersten Geschenken zu. In der Tiefe des Herzens ist man aber verzweifelt. Es ist die uneingestandene Verzweiflung, die sich breit macht, weil die Erfüllung ausgeblieben ist, weil man nicht das gefunden hat, was man innerlich zutiefst sucht und herbeiwünscht. Und so ist es ein ganzes Leben lang. Immer, wenn man etwas erreicht hat, das man sich sehnlichst gewünscht hat, tritt genau das nicht ein, was insgeheim mit der Sehnsucht verknüpft war – nämlich die absolute Erfüllung. Wie sehr freut sich ein junger Mensch, endlich den Führerschein in Händen zu halten, denn er verspricht ihm Freiheit und Mobilität. Nach nur wenigen Jahren aber ist dieses Sehnen verblasst und auch gar nicht mehr gewusst, denn kaum einer gibt sich darüber Rechenschaft, was er sich vom Erwerb des Führerscheins erhofft hat. Würde er sich darüber Gedanken machen, müsste er erkennen, dass das Große ausgeblieben und nur der praktische Gebrauch zurück geblieben ist. Genau so verhält es sich mit der großen Liebe.

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