Читать книгу Die Amazonas-Detektive - Verschwörung im Dschungel - Antonia Michaelis - Страница 8

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DRITTES KAPITEL,
in welchem ein Geiger ohne Orchester, ein blinder Opernsänger, die mutige Maria und ein Reisender vorkommen, der nicht mehr reist

Nacht in Manaus: Ratten und Katzen huschten durch die Schwärze, Menschen schliefen auf dem Boden, ein Liebespärchen drückte sich eng umschlugen an eine Mauer.

Aber dann wurde es heller in den Straßen und Pablo und Ximena kamen ins Zentrum, wo Licht aus den Bars schien, wo Musik die Luft füllte, wo Trauben junger Leute vor den Eingängen der Tanzschuppen standen: Studenten vielleicht wie Miguel. Hatte auch er hier mit seinen Freunden herumgestanden? Getrunken? Getanzt? Aber was war dann geschehen?

Hatte der schadhafte Asphalt sich aufgetan und sie einfach verschluckt?

Wie verschwinden Menschen?

Ximena nahm die bunte Nachtwelt mit großen Augen in sich auf.

»Man kann sogar jetzt nachts was zu essen kaufen, schau!«, sagte sie. »Da sind die Wagen der Tortilla-Sandwich-Verkäufer! Sie fahren auch nachts herum?«

»Klar«, sagte Pablo. »Hast du Hunger?«

Ximena nickte. Sie griff unter ihr Nachthemd und Pablo sah erstaunt, wie sie eine kleine Umhängetasche darunter hervorangelte. Sie musste diesen Ausflug geplant haben. Warum zum Teufel hatte sie sich dann nicht etwas anderes angezogen?

Ximena reckte sich auf die Zehenspitzen und reichte dem Verkäufer hinter seinem Wägelchen einen Schein. Der Verkäufer sah den Engel und lächelte.

»Eine Tortilla für die junge Dame, bitte sehr … Wenn ich fragen darf, kommen Sie gerade aus dem Theater? Gab es dort eine Vorstellung mit Elfen oder Feen?«

»Jaja«, sagte Ximena nur und dann teilten sie die Tortilla, auch mit dem Hund, während sie weitergingen. »Das ist vermutlich das Beste, was ich je gegessen habe«, sagte Ximena zufrieden. »Im Silberhaus gibt es dreigängige Menüs, die man mit verschiedenen Arten von Messern und Gabeln essen muss. Es gibt nichts Öderes, als mit einem alten Mann am Tisch zu sitzen, der die ganze Zeit nur vor sich hin denkt und schweigt.«

Sie wischte die schmierigen Finger an ihrem Nachthemd ab, was interessante Streifen hinterließ.

»Da vorne ist das Theater, siehst du? Wir sind fast da!«

Pablo nickte. Die glänzende, angeleuchtete Kuppel ragte golden in den dunklen Himmel und erzählte vom Reichtum vergangener Zeiten.

Und dann – dann waren sie auf dem quadratischen Platz neben dem Theater, auf dem sich das ganze Leben der Nacht entfaltete.

Jongleure jonglierten, ein Geiger geigte, jemand hatte unter einem der Bäume eine kleine Leinwand aufgestellt und zeigte in einer Ecke irgendeinen alten Film. Verkäufer schoben ihre Wägelchen herum. Jeder versuchte, mit irgendetwas Geld zu verdienen, bis tief in die Nacht hinein.

Um den Platz herum standen die Stühle von vier Cafés in der warmen Nacht, dort saßen die Touristen. Bettler bewegten sich wie Schatten zwischen den Stühlen hindurch.

»Wenn sie einen guten Tag draußen im Urwald hatten, sind sie spendabel«, sagte Pablo und grinste. »Wenn sie rosa Delfine gesehen haben, gibt es drei Münzen. Bei Brüllaffen vier. Und wenn sie die Spuren eines Jaguars entdeckt haben, geben sie fünf.«

»Der Urwald«, wiederholte Ximena, fast ehrfürchtig. »Warst du schon mal da?«

»Noch nicht«, sagte Pablo ernst. »Aber ich werde hingehen.«

»Ich auch«, sagte Ximena. »Ich meine, das ist doch verrückt, er ist überall um die Stadt herum, aber ich habe ihn nie gesehen! Manchmal, weißt du, das ist komisch … Manchmal träume ich davon. Ich träume davon, wie ich auf dem Rücken liege und in die hohen Bäume hinaufsehe. Ich sehe sie ganz klar, jedes einzelne Blatt, und die Blätter sind riesig … es ist warm und ich höre die Mücken und jemand singt ein Lied in meinem Traum, immer dasselbe Lied, aber ich verstehe die Worte nicht. Es ist eine Frauenstimme, die singt, weich und schön …« Sie schüttelte den Kopf. »Komisch, was? Als wäre es eine Erinnerung. Aber es ist natürlich bloß ein Traum.«

»Komm«, sagte Pablo und zog sie auf den Platz. »Das da vorne ist Senhor Vargas. Den fragen wir.«

Sie blieben vor dem Geiger stehen, der seiner Geige mit geschlossenen Augen wunderbare Töne entlockte. Die Geige weinte, schluchzte und tröstete sich dann selbst mit einer atemberaubend schönen Melodie wie ein Wasserfall, im Hintergrund spielte ein ganzes Orchester und trug ihre Töne: ein Orchester, das nur dazu da war, diese wundervolle Geige zu begleiten.

Dann verstummte das Orchester mit einem kratzenden Geräusch und der Geiger öffnete die Augen und sagte: »Mist, schon wieder hinüber, das Ding.«

Er beugte sich zu dem Transistorradio hinab, aus dem das Orchester gekommen war, doch es ließ sich nicht mehr zum Leben erwecken.

Pablo klatschte und Ximena klatschte mit ihm, aber die anderen Leute, die zugehört hatten, gingen einfach weiter. »Das war sehr schön«, sagte Ximena. »Warum spielen sie nicht dadrinnen? Im Theater?«

Senhor Vargas lachte leise. Er war ein kleiner, hagerer Mann in einem fadenscheinigen schwarzen Anzug und auch seine rote Fliege hatte bessere Zeiten gesehen. »Oh, ich habe dort gespielt, junge Dame«, sagte er. »Ich habe. Es gab eine Zeit, da kannte jeder in Manaus Senhor Vargas, er war der Beste, die erste Geige im Orchester, er war ein Stern am Himmel von Manaus … Aber das ist lange her.« Er seufzte. »Ich war eine Weile weg, und als ich zurückkam, hatten sie mich ersetzt. Die erste Geige ist jetzt eine hübsche junge Frau aus der Familie des Bürgermeisters.«

»Wir wollten eigentlich fragen«, sagte Pablo, »ob Sie von den Studenten gehört haben, die verschwunden sind. Miguel, ein Bekannter von mir, hat mir eine Botschaft geschickt. Und die Leute sagen, da war eine ganze Gruppe von Studenten?«

Senhor Vargas ließ seinen Geigenbogen fallen. Als er ihn wieder aufhob, zitterte der Bogen leicht in seiner Hand. »Oh, verschwundene Studenten? Keine Ahnung«, sagte er. »Nein, wirklich, davon habe ich noch nichts gehört. Bist du sicher, dass sie nicht nur eine Reise machen? Studenten machen Reisen.«

»Sie haben doch was gehört«, sagte Ximena, trat näher zu Senhor Vargas und sah ihm direkt ins Gesicht. Ihre blauen Augen suchten in diesem Gesicht nach der Wahrheit und Senhor Vargas wagte es nicht, ihrem Blick auszuweichen. Pablo sah es.

»Ich … ich habe nur gehört, dass es da eine Gruppe von Studenten gab, die in einem Bus aus der Stadt weggefahren sind«, sagte er schließlich leise. »Das ist ja nichts Besonderes.«

»Warum haben Sie es dann gehört? Und von wem?«

»Von … von … von einer Mutter von einem der Studenten«, murmelte Senhor Vargas. »Sie putzt im Theater. Sie hat gesagt, der Bus würde in den Urwald fahren. Sicher eine Studienreise, aber dass sie sich Sorgen machen würde. Ich weiß nicht, warum …«

»Und der Bus … ist nicht wiedergekommen?«, fragte Pablo.

Der Hund neben ihm japste.

»Doch«, sagte Senhor Vargas. »Der Bus schon. Ein großer roter Reisebus, einige Leute haben ihn gesehen in der Stadt.«

»Und was sagt der Busfahrer? Wo sind die Studenten geblieben?«

»Ach, was weiß ich, vielleicht sind sie ausgestiegen und zu Fuß weitergegangen.« Senhor Vargas bückte sich und begann, an seinem Transistorradio herumzufummeln. »Wer weiß, wohin die wollten. Das weiß man bei Studenten doch nie, ein verrücktes Volk, alle miteinander. Schwingen große Reden und wollen die Welt ändern und haben keine Ahnung von der Wirklichkeit. So, und jetzt muss ich mich darum kümmern, mein Orchester hier zu reparieren.«

»Aber wenn sie zu Fuß weitergegangen sind, wohin sind sie gegangen?«, fragte Ximena. »Wohin wollten sie?«

Doch Senhor Vargas schien sie nicht zu hören. Er war ganz mit dem Radio beschäftigt und schließlich zog Pablo Ximena weiter.

»Wenn einer nichts sagen will, will er nichts sagen, so ist das«, meinte er. »Komm.«

Vom anderen Ende des Platzes ertönte auch Musik, dort stand ein großer, kantiger Mann mit einem breitkrempigen Strohhut, einem langen weißen Pferdeschwanz und riesigen Händen, mit denen er in der Luft gestikulierte, während er sang. Er sang ein Stück einer Oper und auch ihn begleitete ein Orchester, das aus einem kleinen Lautsprecher drang, den er an ein Telefon angeschlossen hatte.


Der Mann sang mit geschlossenen Augen. Er hatte eine Adlernase und braune wettergegerbte Haut. Er trug ein einfaches, etwas angegrautes Leinenhemd und Jeans. Er war barfuß. »Das ist ein Indio«, sagte Ximena. »Ein Indio, der eine Oper singt? Und er ist so groß! Unsere Wäscherin, unser Gärtner, die Frau, die putzt … die sind alle irgendwie klein und rund.«

Pablo lachte. Es klang, als spräche sie von Murmeln.

»Das ist Tom Weißfeder«, sagte er. »Er kommt aus dem Norden und er hat einmal an der Oper in New York gesungen. Dann haben sie ihn für einen Gastauftritt im Theater Manaus engagiert und er hat eine Reise in den Urwald gemacht, wie viele, die herkommen – und ist dann Jahre später wieder hier aufgetaucht, ohne einen Centavo in der Tasche und völlig abgerissen. Seitdem singt er auf dem Platz. Keiner weiß, was er im Wald getan hat, die fünf Jahre lang. Tom? Hey, Tom, hör doch mal zu!«

Doch Tom sang weiter, mit großen Gesten.

»O mia patria, sì bella e perduta … O membranza, sì cara e fatal«, sang er.

»Das kenne ich«, sagte Ximena. »Das ist der Gefangenenchor aus Nabucco, von Verdi. Oh, meine Heimat, so schön und verloren …«

Tom Weißfeder warf sich in die letzten Takte der Musik. Seine Stimme stieg tief und klar zum Sternenhimmel empor und dann tropften die letzten Töne aus dem Lautsprecher und Tom öffnete die Augen. Doch seine Augen blickten an Pablo und Ximena vorbei.

»Er ist blind«, flüsterte Pablo.

»Du musst nicht flüstern, Pablo«, sagte Tom und lachte. »Ich weiß, dass ich blind bin. Wen hast du mitgebracht?«

»Das … das ist Ximena«, murmelte Pablo etwas betreten und sah zu, wie Tom mit seinen Riesenhänden vorsichtig Ximenas Gesicht betastete. »Was für ein hübsches Mädchen«, sagte er. »Und so entschlossen!«

»Das kannst du fühlen?«, fragte Pablo erstaunt.

Tom lachte. »Ihr wollt etwas wissen. Das fühle ich auch.«

Pablo seufzte. »Ja. Miguel ist verschwunden. Du kennst ihn, den Studenten, er hat dir oft zugehört, saß hier auf einer Bank … Da war eine ganze Gruppe von Studenten. Sie sind mit einem roten Reisebus in den Urwald gefahren und sie sind nicht wiedergekommen. Nur der Bus.«

»Ja«, sagte Tom, auf einmal sehr leise, und rückte seinen Hut zurecht. »Das war nicht der Plan. Aber wann läuft schon mal etwas nach Plan? Miguel war ein guter Junge. Er hat es mir erzählt. Wo sie hinwollen. Was sie vorhaben. Ich habe ihm gesagt, es wird schiefgehen. Und dass er es trotzdem tun soll, weil es gut ist.«

»Was denn? Was wollten sie tun?«, fragte Ximena.

Tom ließ sich auf die Steinbank sinken, die hinter ihm stand, und stützte den Kopf in die Hände. »Es war ein schöner Fluss«, sagte er, noch leiser. »So schön. Ganz klar. Und die Fische. Es ist lange her … damals konnte ich noch sehen … Jetzt ist es besser, nichts zu sehen. Die Zerstörung. All die kleinen Tode, die die Fische sterben. Und die Bäume. Größere Tode, natürlich. Riesige. Sie reißen alles mit sich … Aber wir brauchen Strom, sagen sie, womit lädst du dein Telefon, Tom Weißfeder, in dem das Orchester lebt? Womit lädst du die Batterien des Lautsprechers? All die kleinen und großen Tode.« Er seufzte. »Wenn sie fertig sind da draußen, gibt es nur noch einen großen Friedhof«, wisperte er. Dann hob er plötzlich den Kopf und sah sie an, obwohl er doch nichts sehen konnte.

»Geht«, sagte er. »Fragt nicht nach eurem Freund Miguel und den anderen. Fragt besser nicht. Zu gefährlich. Wer zu viel fragt, bekommt einen der Tode ab. Einen kleinen in eurem Fall. Ihr seid noch so jung.«

Ximena zupfte Pablo am Ärmel. »Ist er … besoffen?«, flüsterte sie.

»Nein«, wisperte Pablo. »Er ist Poet. Das ist fast das Gleiche. Wenn er keine Opern singt, sitzt er hier und schreibt Gedichte auf alte Papierschnipsel. Komm.«

»Aber …«

»Dumme Jungs«, sagte jemand von unten herauf und Pablo drehte sich um. Ein Bettler in einem alten Rollstuhl war herangerollt, es war tatsächlich ein Stuhl auf Rollen oder vielmehr ein alter Korbsessel. »Dumme Jungs, alle miteinander, dein Miguel und seine Freunde«, schnaubte der Bettler, ein alter Mann mit schütterem grauem Haar und hellgrauen Augen. »Aber wir waren wie sie, was, Tom? Dumme Jungs. Wollten die Welt ändern. Sieh dir an, was aus uns geworden ist.«

»Wer ist das?«, wisperte Ximena.

Pablo zuckte mit den Schultern. »Wir nennen ihn den Reisenden. Aber seine Reisen macht er nur noch mit dem Rollstuhl und hält die Hand auf. Keiner weiß, woher er stammt, er redet nicht darüber. Irgendwo aus Europa.«


»Himmel!«, rief eine Frau, und als Pablo sich diesmal umdrehte, blickte er in das breite, freundliche Gesicht einer Frau, auf deren Arm ein Baby schlief. Sie stand hinter einem kleinen Wagen voller Gläser und Plastikflaschen mit buntem Inhalt. »Maria«, sagte Pablo. »Die beste Saftverkäuferin von Manaus.« Zu Marias Füßen lagen in einer Holzkiste, die sie an den Saftwagen geschraubt hatte, zwei weitere kleine Kinder, zwei oder drei Jahre alt, und schliefen unter einer bunten Decke. Eine Handvoll etwas größerer Kinder tobten um sie herum, nachtwach wie Eulen. Sie jagten sich und kicherten.

»Ich kann mir nie merken, wie viele Kinder sie hat und wie sie heißen«, flüsterte Pablo. »Was meintest du mit Himmel, Maria?«

»Ich meinte: Himmel noch mal, warum reden die Männer alle um den heißen Brei?«, sagte Maria. »Ihr Angsthasen! Ihr Duckmäuser!« Sie strafte den Reisenden im Rollstuhl, Tom Weißfeder und den Geiger mit verächtlichen Blicken. »Diese Kinder haben eine einfache Frage gestellt und verdienen eine Antwort. Und Miguel verdient es, dass jemand endlich losgeht und versucht, ihn zurückzuholen.«

Sie musterte Ximena kritisch. »Auch wenn der eine Jemand ein Nachthemd trägt und der andere so ein Nichtsnutz ist wie Pablo.« Sie kam um ihren Wagen herum und tätschelte Pablo liebevoll den Kopf, wodurch seine Schiebermütze leider verrutschte und vielleicht nicht mehr ganz so lässig aussah. »Hört gut zu«, sagte Maria und jetzt sprach sie ganz leise. »Miguel und seine Freunde sind in den Wald gefahren, um gegen den neuen Staudamm zu demonstrieren, den sie im Regenwald bauen wollen. Er hat es mir erzählt. Und der Staudamm war auch in der Zeitung. Als wunderbares Projekt, das uns viel Strom bringt und Arbeitsplätze schafft. Aber um den Staudamm zu bauen, müssen sie ein Riesengebiet fluten. Ade, Urwald. Manche Leute murmeln, es würde sich nicht mal lohnen, diesen Staudamm zu bauen, weil die Hälfte des Jahres über gar nicht genug Wasser in den Flüssen ist. Aber jemand verdient wohl viel Geld daran, das Ding zu bauen. Jemand, der Macht und Einfluss hat. Sie sind demonstrieren gegangen, dein Freund und seine Leute. Gegen den Staudamm. Sie wollten den Urwald retten. Und jetzt sitzen sie irgendwo fest, weil das jemandem nicht gefallen hat.« Sie nickte. »Geht los und sucht sie. Die Erwachsenen haben alle zu viel Angst. Aber ihr seid mutig, richtig?«

»Natürlich«, sagte Ximena. »Wir sind die Furchtlosen Drei vom Rio Negro. Die Amazonas-Detektive.«

»Ja, zum Amazonas werdet ihr wohl hinausmüssen, um eine Spur zu finden«, sagte Maria und nickte. »Und der Amazonas ist nicht ohne.«

»Wer, der Fluss oder der Wald?«, fragte Pablo. »Heißt doch beides Amazonas, was? Das hat mich immer schon durcheinandergebracht.«

Sie schnaubte. »Ich meine auch beides. Sie zerstören ihn, den ganzen Wald mit all seinen Flüssen nach und nach. Aber noch hat er Macht und er ist nicht immer freundlich zu Reisenden. Ihr werdet eine Menge Dinge brauchen. Hängematten. Proviant für viele Tage. Ausreichend Wasser. Medikamente. Moskitonetze. Morgen. Morgen könnt ihr aufbrechen. Jetzt solltet ihr schlafen.«

»Aber wohin müssen wir? Wohin genau?«

»Das erkläre ich euch morgen, wenn ihr ausgeschlafen seid«, sagte Maria. »Hier auf den Bänken schläft es sich gut. Es ist spät, seht ihr, die Leute packen ihre Sachen alle ein. Selbst die ängstlichen Männer mit ihren Geigen und Radios und Rollstühlen. Und ich werde meinen Kindern hier ein Lager machen, ich werde über ihren Schlaf wachen und über euren.« Sie lächelte. »Dann können wir morgen früh weiterreden.«

»Aber Ximena muss zurück ins Silberhaus«, sagte Pablo. »Ich werde alleine in den Amazonas gehen.«

»O nein, das wirst du nicht«, sagte Ximena, kletterte auf eine der steinernen Bänke und rollte sich gähnend zusammen wie eine Katze. Eine Katze in einem weißen Nachthemd. Pablo schob ihr seine bunte Umhängetasche hin, als Kopfkissen, und sie lächelte dankbar.

»Aber … wird dein Großvater nicht die ganze Stadt auf den Kopf stellen, um dich zu finden, wenn du am Morgen nicht in deinem Bett bist? Er wird dich hier finden!«, sagte Pablo.

»Nicht wenn wir früh genug aufstehen«, murmelte Ximena und schloss die Augen.

Pablo träumte von einem riesigen See mit glänzender Oberfläche und mitten auf dem See saß Miguel ganz allein in einem Einbaum. »Viele kleine Tode«, sagte er und sah Pablo an. »Schau, du siehst sie überall.«

»Ich sehe nichts«, sagte Pablo in seinem Traum.

»Eben«, meinte Miguel. »Sie sind unter dem Wasser. Pablo, bitte hilf mir. Ich kann nicht mehr ans Ufer. Ich habe das Paddel verloren.«

»Aber ich kann nicht schwimmen!«, rief Pablo verzweifelt.

»Dann nimm die Hand des Engels, der bei dir ist, und flieg!«, sagte Miguel. »Flieg zu mir. Finde mich. Ich warte auf dich.« Aber als Pablo versuchte, sich vom Boden abzustoßen, sprang aus dem Wasser vor ihm ein Kaiman, ein großer grüner, besonders langer Kaiman. Er sprang direkt auf ihn zu und riss das scharfzahnige Maul auf. Und er spürte die Zunge des Kaimans auf seinem Gesicht und wusste, dass sein Ende gekommen war.

Der Urwald war zu gefährlich. Sie hatten alle recht gehabt.


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