Читать книгу Der Roman eines geborenen Verbrechers Selbstbiographie des Strafgefangenen Antonino M... - Antonino M. - Страница 13

Diagnostische Erwägungen.

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Nachdem so die Persönlichkeit des Antonino M… dargestellt ist, nachdem auch seine physische Beschaffenheit mit Rücksicht auf die körperliche Entwickelung und die Funktionen des vegetativen Lebens genau untersucht ist, nachdem alles in Erwägung gezogen ist, was während der Zeit, wo er in Observation war, in die Erscheinung getreten ist, wobei keine Gelegenheit und kein Mittel unbenutzt gelassen sind, um normale Veranlagung und krankhafte Neigungen zu entdecken, werden wir jetzt alles darlegen, was zu einem diagnostischen Urteil über den Geisteszustand des M… führen kann.

Wir fanden bei Antonino M…:

1 Erbliche krankhafte Veranlagung. Wir wollen auf die Mitteilungen über diesen Punkt kein Gewicht legen, da sie von der Ehefrau des M… herstammen, die an der Verteidigung interessiert ist. Dennoch ist eine Wahrscheinlichkeit vorhanden. Wie wir später sehen werden, läßt sich der krankhafte Charakter des M… als ein Komplex von Anomalien der Entwickelung darstellen, der nicht individuellen Ursprung haben kann, sondern ihm von seiner Familie überkommen sein muß, insofern er nämlich, abgesehen davon, daß er sie schon in sehr jugendlichem Alter zeigt, einen angestammten Mangel an dem Halt zeigt, vermittelst dessen Leute aus gesunden Familien gewöhnlich zum Gleichgewicht der geistigen Kräfte und der Nervenfunktionen gelangen.

2 Gewohnheitsmäßigen Hang zum Verbrechen. M… hat von seinem 18. Jahr bis heute in einer ununterbrochenen Kette von Verbrechen gelebt, die ohne Ausnahme alle nicht durch genügende, der Gesamtwirkung entsprechende Motive erklärt sind.Deshalb ist kein Zweifel, daß man in M… eine Disposition zum Verbrechen annehmen muß, die an seine Konstitution gebunden ist. Es giebt keinen Fall, an dem man besser zeigen kann, daß es Verbrecher giebt, die es erst durch natürlichen Hang zum Verbrechen geworden sind. Das zeigt auch die Erwägung, daß er eine gewisse Art von Verbrechen und keine anderen begeht; in seiner Persönlichkeit ist immer das Movens zu einem Verbrechen gegeben, er findet in jeder gegebenen Bedingung der Umgebung oder der Gesellschaft einen Anlaß, mit Gewaltthätigkeiten, Aufruhr und Blutthaten zu antworten, und er kann deshalb aus den verschiedensten Gesichtspunkten als der prägnanteste Typus des antisozialen Menschen bezeichnet werden. Strafen, Leiden, Vorwürfe, Entfernung vom Vaterland und den Angehörigen hatten keinen Einfluß auf die Ausbrüche seiner Natur. Er war und ist eine Gestalt des instinktiven Verbrechers, aus der Klasse der unmoralischen blutdürstigen Verbrecher. Ich hebe die bemerkenswerte Thatsache hervor, daß M… keinen Hang zum Diebstahl gehabt zu haben scheint. Unter den geborenen Verbrechern, den krankhaften Produkten individueller Entwickelung oder konstitutioneller Krankheit muß man mehrere Typen unterscheiden, welche gemeinsame und verschiedene Charakterzüge haben, die die Grenze zwischen den einzelnen bezeichnen, ohne deshalb die Thatsache auszuschließen, daß in demselben Individuum ein gemischter Typus auftreten kann. Nach den Ermittelungen hervorragender Kriminalisten sondern sich die Diebe von den Mördern und den Verbrechern gegen die guten Sitten, welche letztere auch Mörder und Diebe sein können, aber die Unterscheidung zwischen den beiden ersteren ist häufiger. Das entspricht mit großer Deutlichkeit dem klinischen Typus, den M… als Verbrecher der zweiten Klasse darstellt. Wir sagen das, weil seine päderastischen Anwandlungen von besonderen Umständen hervorgerufen und vorübergehend waren, und nicht zu anderen sexuellen Scheußlichkeiten sich entwickelten, die sonst den Sexualperversen eigen sind. Auch die Fälschung, die er einmal beging, kann man nicht als dem Diebestypus zuzuzählen bezeichnen, denn die Absicht, in der er sie beging, war vielmehr der Ausdruck eines Mangels an moralischem Gefühl, als eine Tendenz zu den Verbrechen, zu welchen Verstellung, Vorbereitung, Zähigkeit und gemeiner Charakter gehören. Der Umstand, daß M… sich auch in seiner Straf- und Dienstzeit wiederholt über Geldmangel beklagt, ohne daß er, wenigstens soviel wir wissen, sich zum Stehlen hat hinreißen lassen, zeigt, wie sehr der besondere und unbezwingliche Hang zum Verbrechen der natürliche Effekt seiner Konstitution und nicht außerhalb seines Organismus wirkender Bedingungen war. M… zeigt, abgesehen von einer besonderen Hartnäckigkeit und einer raschen Auffassungsgabe, die ihn unter seinen Gefährten hervorragen läßt und ihm leicht die Mittel zum Verbrechen und zur Verteidigung in die Hand giebt, eine der gewöhnlichen Intelligenz der Verbrecher überlegene Intelligenz, welche seinen Geist zu Urteilen allgemeinerer Art führt, so daß er den Rohstoff zu einem Schriftsteller und Philosophen in sich trägt.M… war und ist auch besonderer Affekte des Hasses und der Liebe fähig, die an Intensität, Art und Färbung sich sehr von denen unterscheiden, welche bisweilen einen weniger unedlen Zug des gewöhnlichen Verbrechers bilden, bei dem es schon viel ist, wenn er inmitten der vielen Beweise für einen weitgehenden Mangel an moralischem Gefühl irgend eine zärtliche Neigung oder eine anscheinende Edelmütigkeit entwickelt, wenn er Personen oder Umständen sich gegenüber befindet, die sein Gelüst oder sein Interesse nicht reizen.Man weiß, in welche Übertreibung eine gewisse Bewunderung für die Affekte und den Großmut der Verbrecher, besonders der Briganten, ausgeartet ist. M… ist ein geborener Verbrecher, bei dem die Perioden, wo er wild, grausam, heftig, falsch, verworfen, zornig, hochmütig, argwöhnisch &c. &c. ist, mit anderen abwechseln, wo er weniger wild gewesen und sogar teilweise edelmütig und liebevoll ist. Deshalb muß man festhalten, daß M… als Verbrecher nicht von der Geburt allein den ganzen Umfang seiner krankhaften moralischen Disposition habe. Der geborene Verbrecher hat als krankhafte Individualität seine Analogien mit stark nervenkranken und seelenkranken Personen, bei denen die Krankheit eine Folge von Entwickelungsanomalien infolge ererbter Ursachen oder eine Folge von Einflüssen degenerierender Art ist, die sich im Verlauf des Lebens geltend machen. Insbesondere hat der geborene Verbrecher Analogie mit dem Epileptiker und dem moralisch Irren. Wir wollen sehen, worin bei M… diese Analogien bestehen.

3 Anzeichen epileptischer Natur. Diese finden sich überall in M…'s Leben, und es genügt ganz allgemein, auf die exzessiven Zustände hinzuweisen, die immer die Handlungen und Gedanken des M… begleiteten.M… hat alle moralischen Eigenschaften der Epileptiker – er ist cholerisch, aufbrausend, ausschweifend, grausam, verleumderisch, argwöhnisch, neidisch, eitel und übertrieben im Haß und in der Liebe. Man kann sagen, daß jede gute That und jedes Verbrechen aus der einen oder der anderen krankhaften Eigenschaft seines Temperaments hergeleitet werden kann. Und wenn M… ein geborener Verbrecher ist, weil bei ihm das Verbrechen nicht nur gewohnheitsmäßig und unwiderstehlich und durch unverhältnismäßige Anlässe hervorgerufen erscheint, sondern auch, weil die Neigung zum Verbrechen mit der Entwickelung seiner physischen und psychischen Persönlichkeit wuchs, und er sie erblich überkommen hatte als Ausdruck einer unstäten und krankhaften Naturanlage, so kann man sagen, daß sein Verbrechertum sich in seinen einzelnen Zügen immer durch den Mechanismus epileptischer Momente manifestierte: M… ist ein geborener Verbrecher, der regelmäßig unter der Wirkung epileptischer Anfälle Verbrechen begeht. Er stellt mit einem Wort die Form des gewohnheitsmäßigen epileptischen Verbrechertums dar.Ein Beweis für die epileptische Natur des M… ist die Periodizität, in welcher sich sein krankhaftes Temperament äußert, indem die Zeiten, wo er ganz Zorn, Haß und Rachsucht ist, mit solchen abwechseln, wo er sanft, freundlich, milde, verliebt &c. ist.Aber nicht nur auf Ausdrücke des Temperaments beschränkte sich die psychische Epilepsie des M…, um diese psychische Epilepsie zu bestätigen, hatte er auch zuweilen wirkliche heftige Anfälle einer epileptischen Verrücktheit. Einmal, zur Zeit der Cholera, hatte M… einen Augenblick des Deliriums, das man als eine vorübergehende Verrücktheit epileptischer Natur bezeichnen kann. Ein ander Mal wurde er zu Hause in seinem Zimmer aufgefunden als Opfer einer geistigen Störung, die bald nachher sich entfernte.In meiner Anstalt litt er dreimal an Anfällen weitergehender Verrücktheit, die heftig auftraten und sich als Störungen des Gedankenganges, Wutausbrüche, schreckhafte Hallucinationen des Gefühls und des Gehörs, Mordgelüste charakterisierten, denen Schlafsucht, Abgespanntheit, Niedergeschlagenheit und Kopfschmerz folgten.Diese Anfälle waren unzweifelhaft epileptischer Natur, weil sie sich mehrere Male wiederholten und auf der Basis eines epileptischen Temperaments und ererbter krankhafter Anlagen sich entwickelten. Abgesehen davon, daß sie im wesentlichen in schreckhaften Fiebern und Gefühlshallucinationen bestanden.

4 Veränderungen des moralischen Gefühls. Das Leben des M… ist übervoll von Verstößen gegen die Gefühle der Menschlichkeit, der Verwandtschaftlichkeit und der Gerechtigkeit. Alle seine Verbrechen stehen in keinem Verhältnis zu der Schuld des Opfers, in jedem Fall zeigte er einen Mangel an Gerechtigkeitsgefühl und Mitleid. Er haßte seinen Bruder und seine Schwägerin, ohne daß er in seinen Schriften auch nur einen einzigen Grund dafür angeben kann und nur, weil er neidisch auf sie ist, die frei und ruhig leben können; während der Bruder nie seine verwandtschaftlichen Pflichten versäumt zu haben scheint. Sein Benehmen gegen seine Genossen im Gefängnis und im Heer, seine Zugehörigkeit zur Camorra zeigen seine Perversität zur Genüge. Aber auch hier greift dieselbe Ausnahme statt wie bei der verbrecherischen Natur des M…; nicht in allen Fällen und nicht allen Dingen gegenüber zeigte er den Mangel an moralischem Gefühl. Unter gewissen Umständen war er menschlich, anständig, edelmütig, und gewissen Personen zeigte er lebhafte und andauernde Zärtlichkeit. In Foggia, wo er in enger Freundschaft mit den Camorristen lebte, rettete er einen Gefährten vor der Rache der Camorra, er liebte und bewunderte den Hauptmann der Strafkompagnie, war im allgemeinen ein guter Kamerad und liebte sein Weib und seine Kinder mit seltener Kraft. Dies zeigt einerseits, daß M… nicht an einem vollständigen Mangel moralischer Gefühlt litt, der Blödsinn gewesen wäre, und andererseits beweist es zur Evidenz, daß die Veränderungen des moralischen Gefühls an die Bedingungen geknüpft waren, die ich als epileptische bezeichnet habe und die bisweilen die ganze Persönlichkeit des M… nach der einen oder anderen Richtung hin verändern. Deshalb stützen auch die Änderungen des moralischen Gefühls die Ansicht, daß der gewohnheitsmäßige Hang zum Verbrechen, der stets in ihm lebendig war, das Produkt bestimmter krankhafter Konditionen gewesen sei, die sich auf die Manifestation der epileptischen Art beziehen, welche intensive periodische Änderungen der Persönlichkeit bewirken und besondere Arten zu empfinden, zu wollen und zu handeln hervorbringen. M… ist demnach nicht der geborene Verbrecher, der Verwandtschaft mit dem Epileptiker und dem moralisch Irren hat, er ist vielmehr im wesentlichen ein Epileptiker, welcher gewohnheitsmäßig kraft der Anreizungen und der krankhaften Empfindungsart seiner epileptischen Natur Verbrechen begeht.Mit anderen Worten, in seinem Fall sind es nicht die Epilepsie oder der moralische Irrsinn, welche das angeborene Verbrechertum vervollständigen, sondern umgekehrt, das Verbrechertum und der moralische Irrsinn sind Ausdrucksweisen seiner Epilepsie.

5 Geniale Momente. Die Lektüre der umfangreichen Schrift M…'s läßt erkennen, daß er eine lebhafte Intelligenz besitzt, die über das Mittelmaß hinausgeht und von Zeit zu Zeit zu Geistesprodukten gelangt, die genial genannt werden können. Das zeigt sich in seiner wirkungsvollen, präzisen, energischen Schreibweise, in der glücklichen Wiedergabe einer Situation durch ein einziges Wort, in einzelnen Dichtungen, in denen die kräftige und glühende Auffassung geradezu wunderbar ist. Auch darin zeigt sich wieder sein Temperament, welches in jedem Fall excessiv, gigantisch ist, und welches sich gelegentlich zu dem erhebt, was man gewöhnlich Augenblicke der Inspiration nennt.

6 Verfolgungs- und Größenwahnideen. M… war ein Individuum, das die Dinge von hervorragend subjektivem Standpunkt ansah. Er hatte seltene Augenblicke der Ruhe, wo er bis zu einem gewissen Grad von seiner eigenen Individualität zu abstrahieren und die Dinge gerecht und billig zu beurteilen vermochte.Alle Personen, so uninteressant und unwichtig sie für sein Leben auch gewesen sein mögen, er beurteilte sie immer als Freunde oder Feinde seines Ichs. Die Vorgesetzten, Gefährten, Beamten, Wächter waren entweder sehr schlechte oder sehr gute Leute. Entweder thaten sie ihm Unbill an, oder sie erwiesen ihm Höflichkeiten. Eine solche Art zu denken und zu urteilen ist den Personen eigen, die wir erblich belastet nennen, und die nicht genügend Mäßigung und Halt besitzen, sodaß sie automatischen Handlungen und Reflexen leicht unterworfen sind. Es sind Individuen, bei denen, wenn man so sagen darf, der Wille durch eine besondere Art zu empfinden beherrscht wird, wodurch alle ihre Handlungen eine gewisse Widerstandslosigkeit bekommen. Das klare Bewußtsein läßt sie oft im Stich, wenn auch sonst Intelligenz und Urteilskraft vorhanden ist, und sie urteilen über eine Fülle von Eindrücken, die durch ihre vorschnelle, übertriebene und irrige Art zu empfinden gefälscht werden. In diesen Fällen hat das den Dingen gegenübergestellte »Ich« das ausschließliche Übergewicht, und die Dinge sind oder sind nicht, je nachdem wie dieser oder jener Empfindungsmodus in dem Individuum es bestimmt. Je nachdem, ob sie entschlossen sind, die Dinge schmerzlich oder angenehm zu erfassen, schaffen sie sich eine systematische Disposition von größerer oder geringerer Intensität, um von schwierigem oder leichtem Temperament zu sein und sich verfolgt oder befriedigt zu fühlen. Im allgemeinen wird jedoch aus der eben beschriebenen Hyperästhesie eine Gemütslage geschaffen, welche je nach den Augenblicken oder den Dingen wechselt, und so folgen sich abwechselnd angenehme und unangenehme Dispositionen. Der Exzessive, der von Natur argwöhnisch ist, ist gewöhnlich auch hochmütig, der Verfolgte ist auch stolz. Abgesehen von der Abnormität des Geistes wäre die Logik vollkommen. M… hatte, gleichzeitig mit dem Glauben, überall verfolgt oder geachtet, verraten oder geliebt zu werden, immer eine hohe Meinung von seinem Wert und seinen Verdiensten, und eine Art selbstherrlicher Gerechtigkeit, welches ihm oft das Verbrechen, welches er begeht, als eine gerechte That erscheinen läßt. Zuweilen erreicht seine Disposition zum Argwohn und zum Hochmut den Grad eines wirklichen Deliriums. Der Haß gegen den Bruder und die Schwägerin ist nicht mehr und nicht weniger als ein Verfolgungswahn, denn er wuchs ohne einen Schatten genügenden Grunds und nährte sich von rein imaginären Ansichten. Der Zorn gegen den zweiten Hauptmann der Strafkompagnie steigerte sich zur wahnsinnigen Heftigkeit. Seine Beredsamkeit in der Verteidigungsrede vor dem Militärgericht und dem Gerichtshof zu Monteleone zeigte krankhafte Selbstüberhebung. Welche Beziehungen hat nun diese Disposition zur Verfolgungs- und Selbstüberhebungswahnidee mit der epileptischen Natur, dem gewohnheitsmäßigen Verbrechertum und dem moralischen Irrsinn des M…? Wir haben gezeigt, daß die Epilepsie nicht jene gewöhnliche unverhüllte war, die sich in konvulsivischer Manifestation äußert, sondern daß sie sich vielmehr darauf beschränkt, eine sogenannte psychische Epilepsie zu sein, die sich in gelegentlichen psychischen Störungen äußert.Anstatt der Konvulsionen ist sie vorwiegend eine auf den Ausdruck des epileptischen Temperaments beschränkte Epilepsie. Sie ist eine, wie ich es nenne, diffuse Epilepsie, will sagen, die Wirkung eines Moments unvollständiger Entwicklung der Epilepsie selbst, welche durch eine Serie epileptischer Individualitäten hindurch sich ausgestaltet, bis sie den Gipfel der selbstthätigen Impulsion erreicht hat, die auf einen beschränkten Zeitraum (epileptischer Anfall) und einen bestimmten Sitz im Gehirn beschränkt ist; anderenteils ist sie bei M… auf der Staffel der Ausgestaltung nicht mehr soweit zurück, daß sie nicht in gewissen epileptischen Anfällen zum Ausdruck gelangt, die als Zeichen ihrer Unreife die Möglichkeit zeitlicher Beschränkung und die rasche und leichte Veränderlichkeit des Temperaments aufweisen. Daher die seltsame Wandelbarkeit des M…, unmoralisch, grausam, sanft und poetisch. Der argwöhnische und selbstgefällige Habitus des M… ist nichts anderes als der rudimentäre Ausdruck jener psychischen Manifestationen, die während des epileptischen Anfalls hyperbolische Wahnsinnsformen annehmen und neue und akute Bewußtseinszustände und Handlungen schaffen.Auch die Thatsache, daß M…'s Dispositionen zum Delirieren nicht in einem gewöhnlichen Anfall ihren Ursprung hatten, sondern im Laufe der Entwickelung seiner Person wuchsen und hierbei Gestalt und Intensität aus den Konditionen der anderen krankhaften Anzeichen gewannen, zusammen mit der Erwägung, daß die beiden Formen des Deliriums nicht wie bei der gewöhnlichen Entwickelung der Paranoia auf einander folgten, sondern ohne logische Beziehung neben einander aufwuchsen als Äußerungen der besonderen Disposition zur Reaktion, beweist, daß sie nur Äußerungen der degenerierten erblich überkommenen konstitutionellen Natur des M… sind.Dieser M… leidet demnach, um unser Urteil zusammen zu fassen, soweit die historischen und psychologischen Beweise ergeben, an nervös-psychischer Degeneration, welche sich durch dunkle, rudimentäre und vielfältige Manifestationen äußert. Wenn die Epilepsie des M… sich in der einen oder der anderen Weise mit großer Intensität geäußert hätte, so würde sie eine geringere Mannigfaltigkeit der Äußerungen und sich als isolierte Form gezeigt haben. So ist zu schließen, daß M…, der im Grunde und hauptsächlich Epileptiker ist, auch ein Verbrecher, ein moralisch Irrsinniger, ein Genie und ein an Verfolgungs- und Größenwahn Leidender ist.Vielleicht würden, wenn die degenerierte Natur des M… weniger ausgesprochen wäre, als sie es wirklich ist, die einzelnen krankhaften Erscheinungen von der Epilepsie weniger in Abhängigkeit gestanden haben, und würden anstatt die Schwestern, vielmehr die Töchter einer krankhaften Gesamterscheinung sein, die wegen der Differenzierung und Entwicklung der einzelnen Symptome sich aufgelöst hätte, ohne uns zur Erkenntnis zu gelangen. In dem Grade, wie die Epilepsie bei M… herrschte, konnte sie, wenn nicht als die Wurzel, so doch als der Stamm erscheinen, um den die krankhaften Erscheinungen hervortreten. Daher die wichtige Erwägung, daß die Disposition zum Verfolgungs- und Größenwahn mächtig dazu beitrug, den epileptischen Mechanismus in Bewegung zu setzen, durch den das Verbrechen ihm entsprang, insofern als diese Disposition in ihm den Boden schuf für die falsche Abschätzung, der die Reaktion entsprach, die ihrerseits mit der Größe der Beleidigung in keinem Verhältnis stand.Wir wollen sehen, ob unser Urteil durch die physische Untersuchung gestützt wird, die wir wiederholt an M… angestellt haben.

7 Anomalien im Körperbau. Unsere sorgfältigen Untersuchungen haben zunächst einige Anomalien im Körperbau entdeckt, welche zwar keinen hohen Grad erreichen, die dennoch nicht übersehen werden dürfen. Es liegen vor:Leicht henkelförmige Ohren.Spuren von Darwin'schem Höcker.Kurzschädel.Unterbrochene Zähne.Diese Anomalien sind hervorragend atavistischer Natur, sie enthüllen ein Zurückbleiben in der körperlichen Entwicklung und erinnern an anatomische Gebilde, die bei den Tieren ersichtlich sind, mit denen der Mensch möglicherweise gleichen Ursprung hat. Der Kurzschädel würde an und für sich wenig Bedeutung haben, aber sie gewinnt, weil M… Kalabreser ist, wo der Langschädel die Regel ist, so daß das Gegenteil eine gewisse Rassendegeneration andeutet.

8 Anomalien in der Sinnesempfindung. Hier finden wir die größten Anomalien. M… hat:Subanästhesie des Tastgefühls am ganzen Körper, aber mehr auf der rechten Seite, mit Ausnahme der Zunge, wo sie auf der linken Seite größer ist.Verringerte Sehkraft auf dem rechten Auge.Fehlen des Gehörs auf der rechten und sehr schwaches Gehör auf der linken Seite.Sehr schwaches Geschmacksvermögen.Diese Anomalien der Sinnesempfindungen haben Wert als funktionelle Anomalien, die oft mit der Epilepsie verbunden sind.

9 Tätowierungen. Die Tätowierung ist bei M… ein klinisches Phänomen, und hat einen hervorragenden psychologischen, soziologischen und pathologischen Wert. Die Tätowierung erscheint bei den Gefängnisinsassen, selten bei den Soldaten, welche Rachepläne und Erkennungszeichen unter der verbrecherischen Gesellschaft verabreden. Für den Schmerz, den die Tätowierung mit sich bringt und der gesunde Personen davon zurückhält, zeigen die Verbrecher eine gewisse Unempfindlichkeit und setzen sich demselben freiwillig aus. Die Tätowierung zeigt deutlich die Leichtfertigkeit und die Eitelkeit, die dem gewohnheitsmäßigen Verbrecher eigen sind, und die in ihm Gewissensbisse nicht aufkommen lassen und ihm eine Empfindung des eitlen Ruhms und der Überlegenheit verleihen.

10 Subjektive Empfindungsstörungen. Er leidet an Schwindel, heftigen Kopfschmerzen, glaubt, daß das Haar sich ihm sträubt, und empfindet nervöse Abspannung in mehr oder minder naher Beziehung mit epileptischen Vorkommnissen.

11 Anomalien der Bewegung. Unter dieser Rubrik verzeichnen wir:Schwachen Reflex der Pupillen;Zittern der Hände;geringe dynamometrische Kraft.Alle diese Eigentümlichkeiten sind den Familien der erblich Degenerierten mit ungenügender Entwickelung gemeinsam, von denen die Blödsinnigen, die Nervösen, die Verbrecher, die moralisch Irrsinnigen und die, welche leicht in frühzeitige Paranoia verfallen, herstammen.

Alle diese Anomalien vervollständigen das Bild, welches die historisch-psychische Betrachtung des M… ergab. Sie beweisen, daß der Körper des M… eine Verzögerung und Ungleichheit der Entwickelung erfahren hat, aber diese Anomalien sind im einzelnen nicht genügend entwickelt, um eine derselben besonders hervortreten zu lassen. Auch hier hat sich die reversive Degeneration des M… auf einen rudimentären Grad beschränkt; daher das gleichzeitige Auftreten so vieler funktioneller Manifestationen verschiedener oder unentwickelter Natur.

Das pathologische Fundament der nervös-psychischen Anomalien des M… haben wir hauptsächlich in der Epilepsie gefunden, um welche sich als symptomatische oder coordinierte Erscheinungen alle anderen reihen: Verbrechertum, moralischer Irrsinn, Genialität, Verfolgungs- und Größenwahn. Das pathologisch-anatomische Fundament der Anomalie des Körperbaues, der Sinnesempfindungen und der Bewegungen tritt nicht so evident hervor, aber es ist ohne Zweifel die gehemmte Entwickelung der morphologischen Konstitution der Nervenzentren. Wie die psychische Epilepsie nicht bis zu den konvulsivischen Störungen vorschritt, so sind auch die Störungen des anatomischen Baues rudimentär, auch mit Beziehung zur Epilepsie, da sie nicht so weit gehen, dem Schädel die sonst bei den anderen Formen der Epilepsie gewöhnliche Form des Plattkopfes zu geben. Das Benehmen des M… in dem Irrenhause war ein solches, wie man es nach Kenntnis und Schätzung seiner Antecedentien erwarten konnte. M… war intelligent, vielleicht glaubte er, daß das Irrenhaus und das Urteil der Irrenärzte allein ihn der Justiz entziehen könnte. Zuversichtlich und selbstvertrauend hatte er den festen Vorsatz, zum Ziel zu gelangen. Auch er hatte seine Periode gewöhnlichen Simulantentums, worin sich die Eile, das gewünschte Urteil zu erlangen, äußerte. Aber sein scharfer Verstand mag ihm gesagt haben, daß er seine Position verdarb, und daß in den Augen der Psychiater die Simulation lächerlich und unwirksam ist. Deshalb wechselte er seine Taktik und suchte durch sein Benehmen das Wohlwollen und das Mitleid derer, die direkt oder indirekt einen Einfluß auf sein Urteil üben könnten, für sich zu gewinnen.

Aber sein Leiden enthüllte sich uns ohnehin, weil wir in den unnachahmlichen und physischen Anomalien die volle Übereinstimmung mit den psychischen Anomalien fanden. Jeder begreift, wie sehr seine Manuskripte Zeugnisse sind, die unser volles Vertrauen verdienen. In ihnen zeigt sich, ohne daß der Schreiber es gewollt hatte, die ganze krankhafte Anlage seines Temperaments, und sie sind eine treue Wiedergabe seines Charakters und eine genaue Formel der ganzen Dynamik, die ihn immer wieder zum Verbrechen hintrieb.

Der Roman eines geborenen Verbrechers Selbstbiographie des Strafgefangenen Antonino M...

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