Читать книгу Der Roman eines geborenen Verbrechers Selbstbiographie des Strafgefangenen Antonino M... - Antonino M. - Страница 8

V.

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Inhaltsverzeichnis

Im September 1882 kehrte er zu seiner Familie zurück, nachdem er vierzehn Jahre lang im Gefängnisse und in der Strafkompagnie gewesen war.

Zuerst empfindet M… selbst, daß ihm Bruder und Schwägerin freundlich entgegenkamen. Und in der That nahmen sie ihn liebevoll auf, ließen ihn an ihrem Tische essen und gewährten ihm, was ihre finanzielle Lage gestattete. Nichts in der Selbstbiographie deutet an, woraus der Haß gegen den Bruder entsprungen sein kann, er häuft nur Schmähungen und wüste Schimpfreden gegen ihn. Aber wenn man die Antecedentien und den Charakter des Antonino M… in Erwägung zieht, so begreift man, daß zwischen den Brüdern keine Eintracht herrschen konnte. Antonino lebte im Hause seines Bruders in unhaltbarem Zustande, er konnte nicht zeitlebens wie ein Sohn von seiner Schwägerin zwei Soldi täglich für Tabak entgegen nehmen. Da er von sich eine übertriebene Meinung hatte und den Bruder mißachtete und ihn als Haupt der Familie haßte, so mußte Antonino notwendiger Weise eines Tages das Bedürfnis fühlen, fortzuziehen und für sich allein zu leben und mit der Familie des Bruders vollständig zu brechen. Er that es, und um die Position zu befestigen, nahm er sich eine Frau in der Person eines Mädchens aus Tropea, eines sanften, zärtlichen Wesens, einer kleinen Madonna, die sich ihm zum Weibe gab, besiegt von seiner Ueberredungskunst und von Mitleid mit seinem Unglück.

Neues Unheil hatte diese Verbindung im Gefolge.

Das knappe ererbte Vermögen konnte nicht ausreichen, außerdem hatte er keinen Hang zur Arbeit, war liederlich, rauchte, trank und gefiel sich darin, sich vor den andern beim Kaufen hervorzuthun. Sein Bruder stand ihm immer als derjenige vor Augen, der den größeren Teil des väterlichen Vermögens geerbt hatte, daher sein Haß, sein unbändiger Neid, seine Rachgier gegen ihn. Er erzählt selbst einen weiteren Grund und dieser bestand darin, daß seine beiden Tanten zu Gunsten des Sohnes des Michele testiert und so Antonino des zu erwartenden Erbteiles beraubt hatten.

So waren genug psychologische und thatsächliche Motive vorhanden, um zu begreifen, in welcher Gemütsverfassung Antonino gegen seinen Bruder war, und früher oder später mußte der angesammelte Haß zum Ausbruch kommen. Es war eine Lawine, die sich losgelöst hatte, und immer wachsend, dem Abgrund zurollte, die Hindernisse, die sich ihr in den Weg stellten, zerstörend. Antonino, der sich mehr und mehr in seinen Zorn verbiß, machte kein Hehl aus seinem Haß, er sprach öffentlich davon und von seinen Rachegedanken, und schürte dadurch noch mehr den Brand in seinem Innern; vielleicht dienten auch die Ermahnungen der Vorsichtigen und die Vorhaltungen der Ruhigen dazu, seine Lust am Schrecklichen und seine Neigung zur Rache noch zu verstärken.

Sein argwöhnisches Temperament war eine natürliche Folge seiner Eitelkeit. Der übermäßigen Anmaßung entsprach immer der Argwohn, daß ihm von seiten der andern nicht mit der nötigen Achtung begegnet werde und daher die fortwährende Tendenz, sich verfolgt zu glauben. Daher auch die übertriebene falsche Auslegung der Worte, der Absichten, der Thaten anderer, besonders der Personen, denen er stärkere Aufmerksamkeit schenkte und von denen er für seinen Haß und seine Drohungen Kränkungen, Beleidigungen, Verachtung und Unbill zu empfangen glaubte. Zuerst mußte die Schwägerin den Ausbruch des Sturmes spüren. Eines Tages begab er sich in das Haus seines Bruders, und man weiß nicht aus welchem Grunde, genug, er bedrohte sie mit einem Revolver, der Bruder kam dazu, und es gelang ihm das Blutvergießen zu verhindern, aber Antonino brachte ihm eine Bißwunde in die Hand bei, mit welcher er ihm den Revolver entriß. Es erfolgte die Klage und trotz der heuchlerischen Verteidigung, der demütigen Erklärungen und der wortreichen Beredsamkeit wurde Antonino zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Es würde dieses Vorkommnisses nicht bedurft haben, um Antonino zu allen Frevelthaten gegen seinen Bruder fähig zu machen, aber es diente ihm in der Öffentlichkeit als Rechtfertigung für seine schon offen ausgesprochenen Blut- und Rachegedanken.

Von diesem Augenblick ab war das Leben des armen Michele eine fortwährende Angst und Aufregung; er traute sich nicht die Nase aus dem Fenster zu stecken oder die Füße vor die Thür zu setzen, ohne die Überzeugung zu haben, daß er von seinem Bruder getötet würde, der ihm coram publico unaufhörlich nachstellte und den Augenblick nicht erwarten konnte, wo er seinem Bruder den Rest geben würde.

Antonino erklärte öffentlich: Was mache ich mir aus dem Gefängnis!? Ein halber Tag oder zwanzig Jahre sind mir einerlei; ich werde Mann und Frau umbringen und dann bin ich zufrieden.

Er wußte, daß die Freunde seines Bruders ihn durch einen Pfiff herauszurufen pflegten, und so versuchte er eines Abends, ihn auf dieselbe Weise an das Fenster zu locken. Aber der Bruder merkte, woher der Pfiff kam, und antwortete nicht. Ein anderes Mal lauerte er ihm auf und trat endlich mit einer Flinte bewaffnet in das Haus seines Bruders.

Öfter sah man ihn mit der Flinte am Fenster der Küche stehen und warten, daß der Bruder sich am Fenster seiner gegenüber liegenden Küche zeige. So fest stand bei ihm der Plan, daß er Frau und Kinder fortschickte und allein blieb, um sich ganz der Überwachung seines Bruders und der Ausführung des Mordes zu widmen. Und so trat denn endlich am 29. September 1889 das ein, was notwendig eintreten mußte.

Es war ein Sonntag, und Antonino M… pflegte alle Sonntag seine Familie, die er leidenschaftlich liebte, in Tropea zu besuchen. Diesen Sonntag blieb er in Parghelia; er wollte ein Ende machen. Er nahm eine Doppelflinte, lud sie mit Schrot und mit einer Kugel und stellte sich auf die Lauer. Aber der Bruder kam nicht, er war drüben in der Küche mit seiner Frau und einer Tante und zerkleinerte Holz. Antonino lief hinzu, um in die Küche zu eilen, aber das Fenster war sehr hoch. Er nahm eine Leiter, stellte sie ans Fenster, stieg hinauf, sah den Bruder bei der Arbeit, nahm die Flinte und schoß zweimal auf seinen Bruder, den er am Kopfe verwundete.

Kaum war das Verbrechen verübt, so lud er von neuem und entfloh. Um freien Durchgang zu haben, rief er: »Platz da, Platz da!« Niemand hielt ihn an, denn alle kannten seinen blutdürstigen Charakter sowie seine Geneigtheit zu Gewaltthätigkeiten, und wer ihn sah, floh entsetzt beiseite.

Einen Monat lang hielt er sich verborgen, endlich am 27. Oktober 1889 wurde er in Monteleone auf offener Straße verhaftet, nicht ohne daß er vorher einen Verteidigungsversuch gemacht hatte, indem er an den Staatsanwalt ein Schreiben gerichtet hatte, in welchem er die That als das Werk eines Zufalls darstellte, in der Hoffnung, daß diese plumpe Verdrehung der Thatsache ihm irgendwie dienlich sein könnte.

Nachdem er dem Gefängnis zu Monteleone übergeben war, zweifelte man, ob M… im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte sei, und er wurde daher der Irrenanstalt zu Girifalco zur Beobachtung überwiesen. Bei dieser Gelegenheit hatte Venturi ihn zu studieren, und das Resultat dieser seiner Studien wird weiter unten abgedruckt.

Vor dem Gerichtshof zu Monteleone im April 1891 definierte Venturi ihn als einen geborenen Verbrecher, einen Menschen, der sich der Strafbarkeit seiner Handlungen nicht so voll bewußt ist, wie es das Gesetz erfordert, um eine Verurteilung aussprechen zu können. Er schloß sein Gutachten folgendermaßen:

»M… würde also nach dem geschriebenen Gesetz für das begangene Verbrechen nicht verantwortlich oder nur halbverantwortlich sein, da er es nicht bei vollem Bewußtsein und in voller Freiheit seines Willens ausgeführt hat.

»Quid faciendum!

»Wenn er als unverantwortlich erkannt wird, wird man ihn dann in Freiheit lassen?

»Er würde versuchen, seinen Bruder wiederum zu ermorden, und ohne Zweifel mit größerer Ruhe, da er seine Straflosigkeit kennt und sich daher für berechtigt hält, mit der ganzen menschlichen Gesellschaft aufzuräumen. Soll man ihn in die Irrenstrafanstalt bringen, wie es das Gesetz für diejenigen vorschreibt, welche in einem krankhaften Hang zum Verbrechen leben, und denen die Gelegenheit genommen werden soll, ein Verbrechen zu wiederholen? Er würde zeitlebens darin verbleiben müssen, denn es ist nicht vorauszusehen, daß M… mit der Zeit seine Natur ändert, noch giebt es Heilmittel, die das bewirken können. Wie soll das Ziel erreicht werden, welches das Gesetz im Auge hat, um einen sicheren Schutz gegen das Verbrechen zu schaffen, ohne daß deshalb die Gesellschaft sich zu dem erlittenen Schaden noch mit der Sorge für den lebenslänglichen Unterhalt des Verbrechers belasten müßte?

»Die Antwort liegt mir auf den Lippen, aber ich will sie nicht aussprechen, weil unsere Mondscheinromantik vorschreibt, auch die zu lieben, die uns Böses thun, also gerade das Gegenteil von dem, was die Natur thut, welche durch ihre ewigen Kämpfe eine reinigende Zuchtwahl vornimmt.

»Meine Herren Geschworenen, die Strafirrenanstalt in Italien ist ein Unding. Thatsache ist, daß die gefährlichen Narren, die nicht für strafbar erkannt werden, wieder frei herumlaufen, oder wenn sie ins Irrenhaus gebracht werden, mit Hilfe ihrer Advokaten bald wieder herauskommen. Und das Gesetz begünstigt ihre Entlassung. Wenn M… zu zehn Jahren verurteilt wird, so ist es so gut wie sicher, daß er während dieser Zeit die Gesellschaft nicht belästigen kann.

»Bedenken Sie: der Bruder hofft, daß er weder begnadigt wird, noch vor der Zeit wegen guter Führung entlassen wird. Alles kann daraus folgen!«

Ehe die Verhandlung geschlossen wurde, hielt M… eine Verteidigungsrede, die zwei Stunden dauerte. Er sprach mit unerhörter Emphase, er ließ sich in seinem Gedankengang und in der Erregung so sehr hinreißen, daß er in einen förmlichen Zustand der Raserei geriet, so daß man ihn beruhigen und die Sitzung unterbrechen mußte. Das Publikum war der Ueberzeugung, daß er für unzurechnungsfähig erklärt werden würde; der Bruder, der ihn von draußen hörte, flehte Gott, die Sachverständigen, die Geschworenen an, daß er verurteilt werden möchte. Wehe ihm, wenn er freigesprochen wurde. Er traute dem Panacee der Strafirrenanstalt nicht.

Während der ganzen Verhandlung gegen M… war seine Familie, ein Engel von Weib, und seine hübschen Kinder zugegen, und erschütterten durch ihr unaufhörliches Weinen das Publikum. Er wurde unter der üblichen Annahme mildernder Umstände zu sechzehneinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt.

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