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DIE SINTFLUT

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Warum die Tiere? Warum nicht die Fische? Viele dieser Fragen der kleinen Enkelin kann man nur damit beantworten, dass es im Kosmos, in dem wir leben, eben keine Gerechtigkeit geben kann. Alles Leben kann nur existieren, wenn es Leben vernichtet. Diesem Gesetz sind wir alle unterworfen und daher tatsächlich mit einer Art Erbsünde belastet.

Der gute Gott wurde aber offenbar vom Herrn Chef »Urknall« zurückgepfiffen. Er sah sich gezwungen, eine kleine Reserve beiseitezulegen, und holte sich Noah, im Original Noach, zu einem ernsten Gespräch. »Mein lieber Noah, ich weiß, dass du ein gerechter Mann bist, und obwohl ich auch weiß, dass deine Nachkommen genau solche Schurken sein werden wie die, deren Ende jetzt nahe bevorsteht, habe ich dich und deine Familie auserkoren, das Leben weiterzureichen in die Zeit nach der Sintflut. Baue eine Kiste aus dem Holz der Nadelbäume, 150 Meter lang, 25 Meter breit, 15 Meter hoch, innen und außen mit Pech abgedichtet. Von allen Tieren, von der Kakerlake bis zum Elefanten, nimmst du je ein Pärchen und von den reinen Tieren je sieben Pärchen, dazu deine ganze Mischpoche, in die tewa (Schachtel).« Die Arche, wie sie Luther nennt, wird wohl etwas eng gewesen sein. »Die Kiste muss fest verriegelt sein«, sagt Gott, »denn wenn das Wasser zu steigen beginnt, werden zahllose Menschen mitfahren wollen. Manche werden dir Geld anbieten, andere ihre Frauen, andere werden weinend auf den Knien liegen. Sekten werden dich verfluchen, Mafiosi dich bedrohen. Die Türe bleibt zu. Hast du das kapiert? Die Türe bleibt zu.«

Noah, der immerhin 600 Jahre alt ist, geht also an die Arbeit. Als Erstes baut er die Tür und erst dann die Kiste. In der Decke macht er ein kleines Loch, groß genug, um seine Hand mit einem Vogel durchstecken zu können. In dieses Loch steckt er von außen einen Trichter, der dazu da ist, den Regen als Trinkwasser aufzufangen, das in einen darunterstehenden Behälter fließt. Noah hat den Tiefgang der im Wasser schwimmenden vollen Arche berechnet und knapp über dem Wasserspiegel eine verschließbare Öffnung angebracht. Durch diese Öffnung können die Exkremente entsorgt werden, die ja in gewaltigen Mengen anfallen werden.

Die Kiste hat Parterre, Mezzanin und ersten Stock. Noah adjustiert den ersten Stock für die Lebensmittel, in einem versperrten und von Hunden bewachten Raum. Der beste Platz ist mit Betten und Tischen für die Familie eingerichtet. Noah nimmt die reinen Tiere, das sind Kühe, Ziegen, Schafe und Hühner, ins Familienzimmer. Auf die Reklamationen seiner Frau über den voraussichtlich entstehenden Gestank meint er: »Lächerlich, an unseren Gestank werden sich die Tiere gewöhnen müssen.«

Im Mezzanin werden die sogenannten edlen Tiere untergebracht. Das Araberpferd, das Kamel, der Falke, weiters die meisten Singvögel. Im Parterre, wo die Drängerei am unerträglichsten ist, hungert und stinkt vor sich hin, was dem Menschen bis heute nicht wirklich untertan ist: Ratten, Kakerlaken, Schlangen, Skorpione, Wanzen, Ameisen etc.

Vierzig Tage lang regnet es in Strömen. Das Wasser deckt alles zu, und was ertrinken kann, ertrinkt unter Qualen. Die Lebewesen, die als erste geschaffen wurden, das sind Pflanzen und Wassertiere, werden verschont. Die »Kronen der Schöpfung«, das sind an Land lebende Tiere und Menschen, werden vernichtet. Das Wasser beginnt langsam zu sinken und Noah schickt Vögel durch das Loch an der Decke der Kiste, um zu erkunden, ob Land in Sicht ist. Beim dritten Versuch kommt die Taube mit einem Ölzweig im Schnabel zurück.


Noah mit seiner Arche

Es waren 190 schreckliche Tage für alle Beteiligten. Man ist heilfroh, als die Kiste endlich auf dem Berg Ararat an Land geht. Warum gerade Ararat? Warum nicht? All die Kurden, Armenier und Türken sind ja ertrunken, und vom Gipfel des Berges kann man das brandneue Schwarze Meer gut sehen, unter dem jetzt die ganze Schande begraben liegt.

Schulpflichtige Kinder und auch die Analphabeten der späteren Bronzezeit wissen, dass man in einer Kiste nicht alle Tiere paarweise unterbringen kann. Wenn das also nur eine symbolhafte erfundene Erzählung ist, wie soll ein wohlmeinender Religionsschüler die Heilige Schrift verstehen? Wo ist die verpflichtende historische Wahrheit, wo Erfindung? Und wer entscheidet, welcher Text wie zu verstehen ist?

Die berechtigte menschliche Angst vor der Gewalt des Wassers findet in vielen Religionen in Form von Erzählungen Ausdruck. Wollen wir doch einfach frech behaupten, unsere Erzählung ist die beste. Missetat – Strafe – die Substanz in einer Kiste bewahrt – das Leben geht weiter. Diese unsere Version in ihrer lapidaren Einfachheit ist von grandioser Poesie und Expression.

Die Welt ist wieder trocken und die Menschheit baut, um sich einen Namen zu machen, einen Turm. Einen Turm bis in den Himmel, versteht sich. Obwohl jedermann weiß, dass schon der Schöpfel im Wienerwald höher ist als alle Türme der Welt, wird immer wieder versucht, sich mit einem Bauwerk dem Himmel zu nähern.

Das Wunderbare an der biblischen Erzählung ist aber, dass der Bau durch die Verwirrung der Sprache beendet werden musste. Verwirrung, kein Erdbeben, kein Feuer, kein Krieg. Ohne gemeinsame Sprache keine Kooperation, kein Turmbau zu Babel. Sollte eigentlich Pflichtlektüre für alle Politiker und für manchen Architekten sein.

In der Schrift ist überhaupt nicht erwähnt, wie dieser Turm ausgesehen hat. Es ging ausschließlich um seine Höhe. In der Kunst im Allgemeinen und in der zeitgenössischen Kunst im Besonderen wird oft Gewicht und Dimension eines Werkes mit seiner künstlerischen Größe verwechselt. Es musste Brueghel der Ältere kommen und mit einem Gemälde mittlerer Größe diesem Turm eine Form geben und ihn zu einem grandiosen Kunstwerk machen.

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