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1.5Verschweigen chancenlos

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Betrachtet man das Verhalten der Drohenden aus aufmerksamkeitsökonomischer Sicht, so handeln sie hochgradig rational und zumeist erfolgreich. Sie wissen, dass ein angekündigter Schulanschlag sich auch ohne Berücksichtigung in den klassischen Medien wie Zeitung, Radio oder Fernsehen schnell herumspricht. Und weil die kommunikative Vernetzung durch Online-Medien und soziale Netzwerke so groß ist, wird ein Totschweigen wegen der hohen Zahl der Beteiligten und Betroffenen schlicht unmöglich. Wird eine Klasse oder eine Schule evakuiert, gibt es garantiert Schüler, die das sofort kommunizieren. Die Tatsache, dass auf Facebook und Twitter, per WhatsApp und SMS solche Gerüchte oder Berichte verbreitet werden, setzt auch die professionellen Medien unter Druck: Sie wollen und sollen schließlich über das berichten, was die Leserinnen und Leser bewegt. Taucht das Ereignis in professionellen Medien auf, wirkt sich das auch verstärkend auf die Aktivität in den sozialen Netzwerken aus. Die Kommunikation nährt sich gewissermaßen gegenseitig, ohne dass der Amokdrohende weiter aktiv sein muss. Kurz gesagt: Das Verhältnis zwischen eigenem Handeln und öffentlicher Aufmerksamkeit geht so weit auseinander, dass eine Amokdrohung schnell als leicht durchzuführende Aktion mit maximaler Wirkung und Resonanz empfunden wird.

Der Täter will der Schule beziehungsweise konkreten Personen drohen und Angst machen. Er will seine Macht gegenüber der Institution oder bestimmten Individuen zeigen. Durch eine entsprechende Drohung – von der Wandschmiererei bis zum ­Facebook-Eintrag, vom Drohbrief bis zur persönlichen Äußerung im Gespräch oder im Chat – kann er dafür sorgen, dass eine Kommunikationskette in Gang gesetzt wird, die er nach dem Anfangsimpuls letztlich ohne weitere Aktivitäten beobachten kann und die sich bis zur Berichterstattung über das Thema in den professionellen Medien immer weiter hochschaukelt. Je nachdem, ob er die Drohung anonym oder namentlich veröffentlicht, wird er sich für eine solche Amokankündigung rechtfertigen müssen. Doch zuvor kann er mit einem einzigen Satz ein Gewirr aus Informationen und Gerüchten, Angst und Schutzmaßnahmen, Untersuchungen und anderen Reaktionen in Gang setzen und damit zeigen, wie viel Macht er über die Schulgemeinschaft hat. Schematisch lässt sich das anhand der folgenden Grafik verdeutlichen.


Abb. 2: Aufmerksamkeitsökonomie einer Amokdrohung

Sollte es bei Lehrern oder Schulleitungen die Hoffnung gegeben haben, die Drohung eines Schulanschlags verschweigen zu können und damit dem Täter durch Entzug der öffentlichen Aufmerksamkeit die Belohnung für seine Drohung vorzuenthalten, so dürfte sich diese Hoffnung spätestens seit der Rund-um-die-Uhr-Vernetzung der Schülerinnen und Schüler durch Smartphones zerschlagen haben. Das Gerücht über eine Anschlagsdrohung kann sich in weniger als einer Schulstunde unter den Schülerinnen und Schülern verbreiten. Bei mehreren hundert oder tausend potenziellen Betroffenen an einer Schule ist es eine Illusion der Schulleitung, wenn sie glaubt, ein Informationsmonopol bei von außen herangetragenen Kommunikationsinhalten zu haben. Die geschilderte Situation lässt deshalb nur einen logischen Schluss zu: einem massiven Eingriff in den alltäglichen Schulfrieden, den eine Amokdrohung darstellt, sollte vonseiten der Bildungseinrichtung mit Entschlossenheit und mit zuvor entwickelten Kriterien und Handlungsoptionen entgegengetreten werden. Im Idealfall werden diese Handlungsroutinen von einem Präventionsprogramm begleitet, das frühzeitig greift und sich mehr auf das Schulklima an der eigenen Institution als auf die Identifikation potenziell gefährlicher Schülerinnen und Schüler konzentriert. Um Amokläufe und Amokdrohungen frühzeitig erkennen und präventive Maßnahmen ergreifen zu können, müssen sich Lehrkräfte wirksam mit dem Klima des Miteinanders an der eigenen Schule oder an der eigenen Bildungsinstitution auseinandersetzen. Gegenseitige Achtsamkeit und ein respektvoller Umgang miteinander sind ursprüngliche Präventionsmaßnahmen, um nicht erst potenzielle Täterpersönlichkeiten entstehen zu lassen. Einige wichtige Bereiche, die ein solches Schulklima prägen, werden im Kapitel 3 genauer vorgestellt, darunter die Themen: der Unterricht mit seinen alltäglichen Demütigungen, mögliche Mobbing-Vorkommnisse, der Bereich des Cyberbullyings und die Feedback-Kultur an der Schule.

Amokdrohungen und School Shootings

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