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1.1Der schwierige Umgang mit Drohungen

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Für Schulen und Lehrer ist es oft schwierig, die Bedeutung solcher Drohungen einzuschätzen, Gerüchte von tatsächlichen Alarmsignalen zu unterscheiden und in angemessener Weise aktiv zu werden. Um die Situation richtig einschätzen zu können, müssen Lehrkräfte für folgende Fragen sensibilisiert werden: Welche Regelmäßigkeiten gibt es bei den Schülern, die mit einem Schulanschlag drohen? Was treibt sie an? Wie und was planen sie? Wen weihen sie ein?

Im Vorfeld einer Drohung oder eines Anschlags gibt es häufig wiederkehrende Muster, die es zu veranschaulichen gilt. Dieses Buch möchte den Lehrerinnen und Lehrern das Wissen vermitteln, das sie brauchen, um sich in Krisenpräventionsteams (KP-Teams) auf konkrete Bedrohungsszenarien an der eigenen Schule vorbereiten zu können. Im Mittelpunkt steht nicht die Analyse der Ereignisse, sondern der Blick auf das Zusammenleben an Schulen und auf die Unregelmäßigkeiten, die im Vorfeld einer konkreten Tat wahrnehmbar sind. Fast alle einschlägigen Studien zeigen, dass Schulattentäter vor ihrer Tat – bewusst oder unbewusst – Hinweise auf ihre Pläne geben. Leaking nennen das die Experten und sehen hier den wohl besten Ansatzpunkt für die Prävention.

Das vorliegende Buch soll daher als Leitfaden dienen, der dabei hilft, einen möglichen Schulanschlag frühzeitig zu erkennen und geeignete Maßnahmen einzuleiten. Da es sich bei School-Shootings in aller Regel nicht um spontane Amokläufe, sondern um vorbereitete Aktionen handelt, kann rechtzeitig präventiv interveniert werden. Voraussetzung ist allerdings, dass das Thema Amoklauf entmystifiziert wird: Denn die einfachen Erklärungsmuster vom Ego-Shooter spielenden, schwarz gekleideten Einzelgänger und Außenseiter stimmen nur bedingt. Werden Schulattentäter ausschließlich auf die Mitgliedschaft in einer Subkultur reduziert und nach einfachen Kriterien schubladenartig beurteilt, können komplexere Zusammenhänge übersehen werden. Es existiert keine Checkliste mit einhundertprozentiger Amokläufer-Identifikations-Garantie. Die Kriterien, die es gibt, können immer nur Bausteine in der Bewertung einer komplexen und emotionalen Situation sein. Gefragt ist nicht das Durcharbeiten von Fragebögen, sondern der pädagogische Blick auf die Gesamtsituation. Lehrerinnen und Lehrer sollen darin bestärkt werden, niedrigschwellige Krisenintervention zu leisten und Expertinnen und Experten anderer Fachdisziplinen heranzuziehen, wenn die notwendigen Maßnahmen über den pädagogisch-erzieherischen Alltag der Schule hinausreichen. Wird der Verdacht einer schweren zielgerichteten Straftat, wie es bei einem Schulanschlag der Fall ist, in Erwägung gezogen, muss die Schule handeln können. Ziel ist es deshalb nicht, die psychologische oder kriminologische Erklärung von Einzelfällen oder eine umfassende Chronik und Analyse der Schulanschläge im deutschsprachigen Raum vorzulegen, sondern der Versuch, sich wiederholende Strukturen zu verdeutlichen und damit frühzeitig konkrete Handlungsoptionen zu eröffnen.

Die meisten School-Shootings gab es bislang in den USA, direkt gefolgt von Deutschland. Seit 1999 wurden insgesamt neun School-Shootings in Deutschland ausgeführt, auf die nachfolgend kurz eingegangen werden soll. Die Auflistung wurde aufgrund von Internetrecherchen erstellt und erfolgt chronologisch absteigend.

•22. Mai 2012 – Memmingen (Bayern): Ein 14-jähriger Schüler bedroht an der Lindenschule andere Mitschüler mit Schusswaffen und flieht dann. Er wird festgenommen.

•18. Februar 2010 – Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz): Ein 23-Jähriger, bewaffnet mit Messer und Schusswaffe, tötet in der Technischen Berufsschule seinen ehemaligen Lehrer. Die Polizei kann ihn stellen.

•17. September 2009 – Ansbach (Bayern): Ein 18-Jähriger greift im Gymnasium Carolinum seine Mitschüler mit Messern, einer Axt und Brandsätzen an. Die Polizei stellt den Täter und verletzt ihn schwer. Zwei Schüler tragen gravierende Verletzungen davon, neun Schüler werden ebenfalls verletzt. Ein Mädchen erleidet schwere Brandverletzungen, eine andere Schülerin hat tiefe Stichwunden am Kopf.

Die Polizei findet im Zimmer des Täters das Kalenderblatt, auf dem „Apocalypse today“ vermerkt ist. Sein Vorbild seien frühere Schulmassaker in den USA gewesen, so die Polizei. Der Täter plante seine Tötung durch die Polizei mit ein. Auf seinem Laptop können mehrere Dokumente rekonstruiert werden. Sie zeigen, dass der Schüler bereits Mitte April ein School-Shooting im Sinn hatte und Mitte Mai erste konkrete Pläne ausarbeitete – bis hin zu Tatzeit, Bewaffnung und Etagenaufteilung des Schulgebäudes. Sein Plan soll es gewesen sein, mit Feuer alle Schüler aus ihren Klassenzimmern zu treiben, um diese dann auf der Flucht mit der Axt zu attackieren. Somit ging der Täter nicht ziel- und personengerichtet vor. Es ging ihm in erster Linie darum, so viele Schüler wie möglich hinzurichten.

•11. März 2009 – Winnenden (Baden-Württemberg): Ein 17-jähriger ehemaliger Schüler der Albertville-Realschule schießt in drei Klassenzimmern auf neun Schüler (im Alter von 14 und 15 Jahren) und drei Lehrerinnen, mit tödlichem Ausgang. Er trägt einen schwarzen Kampfanzug. Der Täter schießt nicht wild um sich, sondern richtet mit seiner 9-Millimeter-Pistole acht Schüler mit einem Kopfschuss hin. Anschließend verlässt er das Schulgebäude und tötet einen Mitarbeiter einer nahegelegenen Klinik. Er zwingt einen Autofahrer, ihn zu fahren, lässt die Geisel aber später wieder frei. 40 Kilometer weiter, in Wendlingen, kommt es bei einem Autohaus und einem Supermarkt zum Schusswechsel zwischen Amokläufer und Polizei. Dabei werden zwei Passanten getötet und zwei Polizisten verletzt.

Im Anschluss richtet der Täter sich selbst. Die Waffe, eine Beretta, stammt wahrscheinlich aus dem Arsenal des Vaters. Dieser besitzt als Mitglied im Schützenverein mehrere Schusswaffen legal.

•20. November 2006 – Emsdetten (Nordrhein-Westfalen): Ein 18-Jähriger, maskiert, stürmt gegen 9:30 Uhr seine ehemalige Realschule und verletzt mehrere Menschen durch Schüsse, bevor er sich selbst tötet. Insgesamt erleiden 37 Menschen Verletzungen, fünf davon durch Schüsse.

•16. Januar 2005 – Ahrensburg (Schleswig-Holstein): Wahrscheinlich aufgrund schlechter Zensuren erstechen ein 18-Jähriger und sein zwei Jahre älterer Bruder eine Lehrerin in ihrer Wohnung. Der ältere Bruder wird im Oktober 2005 wegen Mordes zu acht Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Gegen den Jüngeren läuft ein zweiter Prozess.

•2. Juli 2003 – Coburg (Bayern): Ein 16-jähriger Realschüler, dessen Versetzung gefährdet ist, schießt auf eine Schulpsychologin und auf seine Klassenlehrerin. Danach tötet sich der Junge selbst. Die 41 Jahre alte Lehrerin bleibt unverletzt. Die 52-jährige Psychologin wird am Bein getroffen.

•26. April 2002 – Erfurt (Thüringen): Ein 19 Jahre alter Schüler richtet am Erfurter Gutenberg-Gymnasium ein Blutbad an. Vorab war er der Schule verwiesen worden. Er tötet zwölf Lehrer, zwei Schüler, eine Sekretärin und einen Polizisten. Dann erschießt er sich selbst.

•19. Februar 2002 – Freising (Bayern): In einer Berufsschule tötet ein 22-Jähriger den Direktor der Schule und verletzt einen Lehrer. Anschließend begeht der ehemalige Schüler Selbstmord. Er war vorbestraft und als Motiv galten Rache und Hass. Davor hatte er in einer Firma zwei Ex-Kollegen erschossen.

•16. März 2000 – Brannenburg (Bayern): Ein 16-jähriger Schüler schießt einem 57-jährigen Internatsleiter in den Kopf. Der Täter war kurz zuvor der Anstalt verwiesen worden. Anschließend verletzt sich der Jugendliche selbst schwer. Sein Opfer stirbt sechs Tage nach der Tat.

•9. November 1999 – Meißen (Sachsen): Ein 15-jähriger Gymnasiast, vermummt und in Schwarz gekleidet, stürmt in die Klasse 9 der Schule, um, mit zwei Messern bewaffnet, auf seine 44-jährige Geschichtslehrerin einzustechen (22 Stichverletzungen). Der Täter kann im Zuge der Sofortfahndungsmaßnahmen der Polizei festgenommen werden. Laut Gutachten leidet er an einer Störung der Persönlichkeitsentwicklung. Ein Motiv für die Tat soll eine Wette unter Schülern gewesen sein.

•5. Mai 1997 – Zöbern (Niederösterreich): Ein 15-Jähriger, der versucht, eine Schülerin zu vergewaltigen, erschießt eine 48-jährige Lehrerin, die dem Mädchen zu Hilfe kommt, und verletzt eine weitere Pädagogin durch einen Schuss ins Bein. Der Täter wird festgenommen und später zu acht Jahren Haft verurteilt.

Hier handelt es sich um keinen Schulanschlag im eigentlichen Sinn: Mit den Schüssen wollte der Täter in erster Linie die versuchte Vergewaltigung verdecken und, nach den Ergebnissen des Prozesses, nicht Rache am Schulsystem oder an bestimmten Personen nehmen.

•3. Juni 1983 – Eppstein: Ein 34-jähriger Wachmann dringt in die Freiherr-vom-Stein-Schule ein, tötet drei Schüler, einen Lehrer, einen Polizisten und verletzt weitere 14 Menschen. Der Täter bringt sich anschließend um.

•11. Juni 1964 – Köln-Volkhoven: Ein 42-jähriger Frührentner dringt, bewaffnet mit einem Flammenwerfer und einer selbst gebauten Lanze, in seine ehemalige Grundschule ein und ermordet acht Kinder und zwei Lehrerinnen. Weitere 20 Kinder werden zum Teil schwer verletzt. Der Täter wird angeschossen, stirbt aber letztlich an einem hochgiftigen Pflanzenschutzmittel, das er in Selbstmordabsicht eingenommen hat.

•20. Juni 1913 – Bremen: Ein mit mehreren Pistolen bewaffneter 30-jähriger arbeitsloser Lehrer stürmt die Mädchenschule. Fünf Schülerinnen im Alter von 7 und 8 Jahren werden getötet, 18 weitere Kinder und fünf Erwachsene werden verletzt. Der Täter wird später festgenommen.

•25. Mai 1871 – Saarbrücken: Ein Gymnasiast schießt mit seinem Taschenrevolver auf zwei Mitschüler, beide werden schwer verletzt. Der Täter wird anschließend festgenommen. Der Anschlag wird von einigen Experten als „Prototyp des School-Shootings“ bezeichnet.

Nachfolgend werden die Begriffe Amok, Amoklauf, Attentat und Schulanschlag näher erklärt, da es sich hierbei um nicht ausreichend eindeutige Begriffe handelt, die uneingeschränkt synonymisch verwendet werden können.

Amokdrohungen und School Shootings

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