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Mehr Probleme als Lösungen – Originaltöne von Lehrerinnen und Lehrern im Internetforum

Doch begeben wir uns zuvor noch einmal ein paar Jahrzehnte zurück, ins Jahr 1982, als der „Spiegel“ die Hausaufgaben erstmals zum Titelthema machte24. Die Autoren – wie es damals bei dem Hamburger Nachrichtenmagazin üblich war, erschien auch dieser Text ohne Angabe der Verfasser – zeichneten nicht nur die historische Debatte um die Hausaufgaben nach, sondern nutzten gleich mehrfach die Gelegenheit, auch den Lehrerinnen und Lehrern eine deutliche Mitschuld am Aufgabendilemma zuzuweisen. So heißt es in dem Text unter anderem:

→„Die Schulpraxis läßt ein voll entwickeltes System fein abgestufter Eskalation erkennen, wenn die Hausarbeiten nicht so ausfallen, wie es der Lehrer wünscht: Wiederholung der Hausaufgabe, Verdoppelung der Hausaufgabe, Aufsatz über Sinn der Hausaufgaben, Klassenprotokoll führen, zu den Hausaufgaben drei Seiten aus einem Buch abschreiben, Verdreifachung der Hausaufgaben, Nachsitzen, Eintragung ins Klassenbuch, blauer Brief an die Eltern.“

→„Was früher Strafarbeit hieß, wird heute häufig als Übungsarbeit kaschiert, frei nach dem Lehrermotto: ‚Was wir jetzt nicht schaffen, müßt ihr zu Hause machen.‘ Wenn Schüler aufbegehren, so geschehen an einem Dortmunder Gymnasium, kann es passieren, daß das Quantum kurzerhand verdoppelt wird. Und wenn die Arbeit einiger zu wünschen übrigläßt, wird auch schon mal, so geschehen in Latein am Gymnasium in Winsen bei Hamburg, die ganze Klasse zur Neuauflage verdonnert.“

→„Der Kölner [Professor] Herff beobachtete, daß Pädagogen ‚zu fortlaufender Überschreitung der zulässigen Zeiten neigen‘, weil sie ihr Fach überbewerten.“

Zitate, die zwar schon über 30 Jahre alt sind, die aber zumindest in Teilen bis heute zutreffen. Denn tatsächlich wissen wohl längst nicht alle Lehrerinnen und Lehrer, was sie mit ihren mitgegebenen Aufgaben auslösen und wie viel Zeit für deren Bearbeitung tatsächlich benötigt wird. Schon 1982 urteilte der Flensburger Lehrer und Buchautor Dieter Boßmann, Hausaufgaben seien lediglich „mit einem Riesenaufwand betriebene, sinnlose Handgelenksübungen der Kinder.“ Und auch das „voll entwickelte System fein abgestufter Eskalation“ dürfte noch an mancher Schule zu finden sein – und das ist, ehrlich gesagt, auch nicht weiter verwunderlich. Denn bis heute spielt das Thema Hausaufgaben in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern kaum eine Rolle. Im Studium kommt es, wenn überhaupt, dann allenfalls am Rande vor. Erst im Referendariat bekommen die angehenden Pädagogen mit dem Thema zu tun. „Nur, intensiv behandelt wird das nicht“, erzählte eine Referendarin aus Baden-Württemberg bei den Recherchen zu diesem Buch: „Alle gehen davon aus, dass Hausaufgaben der Normalfall sind. Und alle gehen davon aus, dass sie der Fortsetzung des Unterrichts zu Hause dienen und irgendwie nach gleichen oder ähnlichen Prinzipien funktionieren wie Stillarbeit in der Klasse. Eigens behandelt werden sie deshalb nicht, die sind einfach da und werden nicht mehr hinterfragt.“ Auf diese Weise werde angehenden Lehrern mehr oder weniger explizit beigebracht, dass die bestehende Hausaufgabenpraxis sakrosankt sei. Und deshalb ist es kein Wunder, dass es dann so schwer ist, dieses Dogma aufzuheben.

Ein Blick in die zahlreichen Internetforen für angehende Lehrerinnen und Lehrer macht schnell deutlich, wie überfordert die Referendare beim Thema Hausaufgaben sind und wie sehr sie selbst mit ihrer Rolle zu kämpfen haben. Der folgende Auszug ist ein Dialog mit in solchen Foren typischen Wortmeldungen. Er entwickelte sich, nachdem eine angehende Lehrerin zu Beginn des Schuljahres ihre Bitte um Hilfe im Forum veröffentlicht hatte. Alle Nicknames wurden geändert.

„Thema: Hausaufgaben

Anna: Gerade ist die zweite Woche halb rum und die ersten Probleme tauchen auf. Folgendes beschäftigt mich im Moment besonders: Ich habe eine 8. Klasse in Mathe (Gym). Vor ein paar Tagen gab ich die ersten Hausaufgaben auf. Prompt vergaßen sie 6 Schüler. Dafür haben sie für ihre Eltern eine Mitteilung mitbekommen, die sie unterschrieben wieder mitbringen sollten, mit den nachträglich angefertigten Hausaufgaben. Das klappte soweit ganz gut. Die erhoffte Wirkung, dass keiner mehr die Hausaufgaben komplett vergaß, trat ein. Dafür werden seitdem die Hausaufgaben von einigen nicht mehr vollständig gemacht („Ach, DAS sollten wir auch noch machen? Das habe ich nicht gesehen.“ „Ach, an DEN Zettel habe ich nicht mehr gedacht.“ Dabei stand es unübersehbar an der Tafel, und zusätzlich im Klassenbuch eingetragen.)

Ich könnte dafür auch eine Mitteilung an die Eltern schreiben. Das hätte dann aber wahrscheinlich zur Folge, dass die betreffenden Schüler dann vorgeben, sie hätten die Aufgaben nicht verstanden und deshalb nicht machen können. Daraufhin würde ich nach einiger Beobachtungszeit ein Gespräch mit den Eltern führen, wie ihre Kinder bei den Hausaufgaben zurechtkommen. Dabei wäre aber schon einige Zeit verstrichen. Ich suche aber einen Weg, der jetzt klar und deutlich macht, dass Hausaufgaben komplett erledigt werden und nur bei echten Schwierigkeiten unvollständig sein dürfen. Habt ihr Ideen?

Holger: ich kenne das, ich habe das gleiche Problem in Latein: die übersetzen oft aus purer Faulheit nur die Hälfte und sagen dann, sie hätten es nicht verstanden. Ob das wirklich stimmt, merkt man dann, wenn man die Schüler im Unterricht den Text, den sie nicht haben, vorübersetzen lässt (ich benote das auch gerne :)), dann merkt man schnell, ob sie ein echtes Verständnisproblem haben oder ob sie sich daheim wirklich nicht damit beschäftigt haben (und nebenbei: bei Schülern, die zwar alles haben, aber nur abgeschrieben haben, fällt das auch sehr schnell auf). letzterer Fall führt natürlich dazu, dass sie auch im Unterricht nix hinkriegen und eine schlechte Note einsacken. natürlich kontrolliere ich die Hefte auch auf Vollständigkeit (was leider ziemlich mühselig ist) und lasse sie nachtragen, was sie nicht haben. du könntest z. B. alle die, die etwas nicht verstanden haben, an die Tafel holen und nachrechnen lassen, was sich ja auch pädagogisch begründen lässt :) ich wette, da kriegen einige Panik :P ansonsten ist es bei uns Pflicht, ein Hausaufgabenheft zu führen, wer etwas nicht vollständig notiert (z. B. weil er schon 5 Minuten vor Stundenende eingepackt hat), hat genauso eine Pflichtverletzung begangen wie wenn er keine Hausaufgaben gemacht hätte, kann also ähnlich belangt werden (bei mir gibt‘s meist nach 3mal einen Hinweis, bei den nächsten dreimal Nacharbeit am Freitag nachmittag). bei allzu häufigem Nicht-Verstehen kannst du natürlich auch eine Nacharbeit ansetzen, mit der Begründung, dass du Verständnislücken individuell mit Übungsaufgaben ausbessern willst. (…)

Marg: ich bin ja aus der Grundschule, aber da macht man das auch oft so, dass man die dann am Ende der Std antreten lässt und sich im HA-Heft zeigen lässt, dass alles aufgeschrieben wurde. Ich lasse auch nacharbeiten, aber schulrechtlich ist das (jedenfalls in BY) wegen vergessener HA nicht zulässig.…

Holger: (…) wenn‘s hart auf hart kommt, lässt sich die Nacharbeit mit befürchteten Stoffversäumnissen erklären: wer so und so viel mal die Hausaufgabe nicht gemacht hat, hat den Stoff weniger geübt und zudem dem Lehrer keine Kontrollmöglichkeit geliefert, mit der er den Lernfortschritt überprüfen kann. insofern ist die Nacharbeit aus pädagogischer Perspektive keine Strafe, sondern eine Fördermöglichkeit. (…) man muss halt nachweisen können, dass die Schüler in der Nacharbeit nicht nur Zeit absitzen :)

Jo: Hm ich würde bei einer nicht gemachten Hausaufgabe nicht gleich die Eltern informieren, das wäre bei mir ein Schritt relativ weit am Ende der Sanktionskette. (…) Schüler an die Tafel holen empfinde ich persönlich als pures Bloßstellen von Schülern. Ich kann mich noch sehr gut an meinen Chemielehrer damals erinnern. (…) Ich finde das erzeugt einfach nur Stimmung der Angst im Unterricht und schafft keine positive Lernatmosphäre. Man sollte den Kids klar machen, dass Hausaufgaben letztlich für sie selbst zur Übung für die Klausur gedacht sind. Meistens werden die Hausaufgaben ja auch im Unterricht besprochen und dementsprechend fallen bei Faulenzern im Bereich Hausaufgaben sowohl die mündlichen Noten als auch die Klausur automatisch schlechter aus.

Holger: (…) viele machen ihre Hausaufgaben deshalb nur, weil sie Sanktionen fürchten, und deshalb halte ich die Sanktionen schon für nötig, gerade in Lernfächern wie Latein (oder anderen Fremdsprachen), wo man keine Chance mehr hat, wenn man einmal eine zu große Vokabel- oder Grammatiklücke hat.“

Diese Foren-Unterhaltung aus dem Jahr 2008 zeigt in erschreckender Weise, wie hilflos einige der jungen Lehrerinnen und Lehrer mit Problemen rund um die Hausaufgaben umgehen, und dass sie zum Teil sogar bewusst gegen Gesetze verstoßen: Sie setzen auf Angst und Panik bei den Schülern, drohen mit verbotenen Strafarbeiten in der Schule – verharmlosend als „Nacharbeiten“ bezeichnet – und präsentieren im Fall von „Holger“ den bemerkenswert unpädagogischen Zirkelschluss, dass bei Schülern oft „pure Faulheit“ vorliege und die Hausaufgaben in der Folge nur dann gemacht würden, wenn ausreichend harte Sanktionen drohten, „und deshalb halte ich die Sanktionen schon für nötig“. Ganz offensichtlich mangelt es einigen dieser Referendare dramatisch an didaktischem Gespür, von Kompetenz gar nicht erst zu reden. Eine Kompetenz, die im Rahmen ihrer bisherigen Ausbildung anscheinend nicht einmal ansatzweise vermittelt wurde. Eine Reflexion der eigenen Rolle im Hausaufgabenkonflikt mit den Schülerinnen und Schülern? Völlige Fehlanzeige. Stattdessen werden die Hausaufgaben als unabänderlicher Bestandteil des Reglements verstanden; ein Bestandteil, der notfalls mit Zwang und sogar Mitteln jenseits des vom Schulgesetz Erlaubten durchgesetzt werden muss.

Hausaufgaben ? Nein Danke!

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