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3. Auf dem Marktplatz

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Corvinus predigt auf dem Marktplatz vor der versammelten Menge.

Die Bürgerschaft verlangt, dass Rothmann wieder in der Kirche predigen darf.

Corvinus hebt die Bibel hoch, droht mit ihr.

CORVINUS

Hütet euch aber vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber reißende Wölfe sind! An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Sammelt man auch Trauben von Dornen, oder Feigen von Disteln? So bringt jeder gute Baum gute Früchte, der schlechte Baum aber bringt schlechte Früchte. Ein guter Baum kann keine schlechten Früchte bringen, und ein schlechter Baum kann keine guten Früchte bringen.

STÄDTER

Wir wollen Rothmann hören! Rothmann muss her! Lasst ihn predigen!

Rothmann mit der Gefolgschaft (Matthys, Knipperdolling, Divara) treten auf.

ROTHMANN

Was sind eure guten Früchte? Zeigt sie uns!

STÄDTER

Verfault sind deren Früchte!

STÄDTER

Ist das eine gute Frucht, dass Klöster den Gilden das Geschäft verderben!

STÄDTER

Sechstausend Webstühle im Schwesternhaus Niesinck!

STÄDTER

Und sie zahlen keine Steuern!

STÄDTER

Und von uns werden noch Abgaben an das Kloster verlangt!

STÄDTER

Pfaffenweiber sind eine Schande!

STÄDTER

Fürstbischof ist eine Schande!

STÄDTER

Klerus ist eine Schande!

STÄDTER

Blutsauger!

STÄDTER

Schmarotzer!

ROTHMANN

Was wir anstreben –

(Die Menge beruhigt sich.)

Das ist die Wiederherstellung der Verhältnisse, wie sie nach Gottes Willen eigentlich sein sollten, aber durch den Verfall der katholischen Kirche verdorben sind.

STÄDTER

Der Papst ist der Antichrist!

CORVINUS

Das sagt Luther auch, das ist nichts Neues.

ROTHMANN

Luther hat den Anfang gemacht, er ist aber nicht weit genug gegangen.

STÄDTER

Luther ist ein Schisser! Ein Arschlecker der Fürsten!

ROTHMANN

Wir fordern die Abschaffung der Ständeordnung! Vor Gott sind alle Menschen gleich.

STÄDTER

Weg mit den Fürsten! Weg mit dem Klerus!

CORVINUS

Luther war der erste, der die Bauern zu der Revolte aufrief.

ROTHMANN

Dann aber forderte er die Fürsten auf, ohne Gnade und Geduld gegen die Bauern vorzugehen: „Gleich als wenn man einen tollen Hund totschlagen muss. Schlägst du nicht, so schlägt er dich und ein ganzes Land mit dir.“ Das ist Luther.

STÄDTER

Weg mit Luther!

STÄDTER

Weg mit seinem Knecht Corvinus!

ROTHMANN

Wir sind keine Allwissenden. Gott ist allwissend. Unser Ziel ist: Was immer wir erkennen, was Gottes Wille ist, das wollen wir umsetzen.

STÄDTER

Rothmann ist unser Mann!

ROTHMANN

Wer Gottes Wort empfängt und es schafft den Willen Gottes zu vollbringen, in dem wird Christus geboren. Das Wort Wird Fleisch. Gottes Wort wird Fleisch in uns. Seid ihr bereit das Wort Gottes zu empfangen?

STÄDTER

Ja!

ROTHMANN

Seid ihr bereit die volle Verantwortung für eure Gedanken und euer Tun zu übernehmen?

STÄDTER

Ja!

ROTHMANN

Ohne, dass einer euch vorpredigt, was ihr zu tun und zu denken habt!

STÄDTER

Wir sind bereit!

ROTHMANN

Wer Gottes Wort empfängt bedarf keinerlei Anleitung. Allein Gott und sein Geist ist der Meister! Der Mensch geht aus sich selbst hinaus und zieht Christus an. Das ist der Weg zur Herstellung des vollkommenen Menschen und der vollkommenen Gemeinde. Das ist das Reich Christi. Das ist das Neue Jerusalem.

KNIPPERDOLLING

Wir sind das Volk Gottes!

STÄDTER

Wir sind das Volk Gottes!

KNIPPERDOLLING

Münster ist das Neue Jerusalem!

STÄDTER

Münster ist das Neue Jerusalem!

CORVINUS

Das ist die falsche Lehre, dass Christus Reich auf Erden sichtlich und leiblich sein soll. Das Reich Christi ist kein leibliches Reich. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, sagt Jesus.

Jan van Leiden, der als Reisender gekleidet und mit einem zugebundenen Auge im Zuschauerraum erscheint, deutet auf Jesus, der nur für ihn und die Zuschauer sichtbar ist.

JAN VAN LEIDEN

Schaut mal da!

JESUS

(cool, chillig, hipstermäßig) Es ist besser, dass du einäugig in das Reich Gottes eingehst, als dass du mit zwei Augen in die Hölle des Feuers geworfen wirst.

JAN VAN LEIDEN

Was meinst du damit?

JESUS

Denk drüber nach.

JAN VAN LEIDEN

Es ist besser, dass du einäugig in das Reich Gottes eingehst, als dass du mit zwei Augen in die Hölle des Feuers geworfen wirst. (Jan van Leiden denkt nach.)

STÄDTER

Weg mit den Lutherischen!

Einige der Städter stürzen sich auf Corvinus und zerren ihn von der Erhöhung runter.

STÄDTER

Boa, der stinkt!

STÄDTER

Er hat sich vor Angst in die Hose gepinkelt!

ROTHMANN

Unter den Talaren – Muff von tausend Jahren! Das ist, was hier bis zum Himmel stinkt!

CORVINUS

Ihr Münsterischen Seelenmörder, ihr seid verzweifelte arme Heiden! Betrüger seid ihr! Teufels Kinder! Rechte Feinde des Evangeliums! Glaubt ihr, dass alle Welt schläft und nicht merkt, wohin euch der Satan verdreht!

STÄDTER

Hau ab!

STÄDTER

Ab mit dir!

Matthys bemerkt van Leiden, geht auf ihn mit ausgebreiteten Armen zu.

MATTHYS

Ist das nicht ein Zeichen des Himmels, dass mein Mann der Stunde genau in der Stunde erscheint, in der wir mit der Taufe anfangen wollen. Wer, wenn nicht du, soll der Erste sein. (Matthys umarmt van Leiden euphorisch.) Was ist mit deinem Auge?

JAN VAN LEIDEN

Es ist besser, einäugig in das Reich Gottes einzugehen, als mit zwei Augen in die Hölle des Feuers geworfen zu werden.

MATTHYS

Ja, absolut!

(Matthys überlegt kurz. Jan van Leiden lächelt schelmisch.)

Was heißt das?

JAN VAN LEIDEN

Es steht in der Schrift.

MATTHYS

(weiterhin überschwänglich) An dir erfüllt sich das Evangelium, Bruder. Kurz vor deiner Taufe wirst du an deinem rechten Auge verletzt, um einäugig in das Reich Gottes einzugehen. Genauso wie es in der Schrift steht.

JAN VAN LEIDEN

Ich bin gegen einen Ast gerannt.

MATTHYS

Das ist kein Zufall, Bruder. (an Knipperdolling) Wir fangen unverzüglich an!

Knipperdolling holt zwei mit Wasser gefüllte Eimer, stellt sie in die Mitte des Marktplatzes.

STÄDTER

Wer ist er?

STÄDTER

Ein Holländer.

STÄDTER

Ein neuer Prophet.

STÄDTERIN

Jung.

STÄDTER

25.

STÄDTERIN

Ein Geistlicher?

STÄDTER

Du hörst nie zu, Weib. Ein einfacher Schneider aus Leiden.

STÄDTER

Ein Bordellbesitzer.

STÄDTER

Ein Schauspieler.

STÄDTER

Ein Komödienschreiber.

Jan van Leiden hat die Gesprächsfetzen mitbekommen, er dreht sich zu den Städtern um:

JAN VAN LEIDEN

(mit wohlig-sanfter Stimme) Der Geist Gottes kann auf den Geist jedes Menschen wirken und ihn lenken, so wie Gott will.

Kurze Verlegenheit bei den Städtern.

STÄDTERIN

Auf meinen auch?

STÄDTER

Wenn du einen Geist hättest. Hast aber keinen.

STÄDTERIN

Wieso habe ich keinen?

STÄDTER

Sei einfach still, Weib.

Neben einem Eimer hat sich Rothmann positioniert, neben dem anderen steht Matthys, der seine Hände zum Himmel erhebt.

Jan van Leiden kniet vor Matthys. Heilige Maria Mutter Gottes (HMMG) erscheint vor ihm in der Ferne. Sie wird nur von Jan van Leiden und von den Zuschauern wahrgenommen.

JAN VAN LEIDEN

Wer bist du?

HMMG

Ich bin die Erinnerung an deine Mutter.

JAN VAN LEIDEN

Bist du mir nicht schon mal erschienen?

HMMG

Ja.

JAN VAN LEIDEN

Was willst du mir sagen?

HMMG

Ich will dich stets an deine verstorbene Mutter erinnern.

JAN VAN LEIDEN

Weißt du, wie sie gestorben ist? Das habe ich nie erfahren.

HMMG

Sie besuchte ihre Heimat, das Dorf Darup.

JAN VAN LEIDEN

Was suchte sie in Darup?

HMMG

Sie wollte die ihr zustehende Mitgift holen, um sie dann an dich zu vererben.

JAN VAN LEIDEN

Arme Mama.

HMMG

Auf der Rückreise nach Leiden wurde sie von einer Krankheit befallen, setzte sich auf dem Wegesrand an einen Baum und starb plötzlich. Vermutlich haben die Verwandten sie vergiftet.

JAN VAN LEIDEN

Ist das der Baum, an dem ich mein Auge verletzt habe?

HMMG

Ja, das ist der Baum. Du sollst alles im Namen deiner Mutter tun.

JAN VAN LEIDEN

Was soll ich tun?

HMMG

Du sollst König werden. (HMMG verschwindet.)

Matthys hält seine Hände über Jan van Leidens Kopf.

MATTHYS

Du sollst das Böse lassen und das Gute tun. (Matthys tauft van Leiden mit drei Händen voll Wasser.) Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen. (Matthys drückt ihm den Stempel mit den Buchstaben DWWF auf die Stirn.) Das Wort Wird Fleisch.

Van Leiden setzt sich besinnlich auf die Treppe. Divara nähert sich Matthys.

DIVARA

(deutet auf van Leiden) Ein Holländer?

MATTHYS

Er spricht deutsch, seine Mutter war aus Darup. Ein weitgereister Mann. Er war in England, in Lübeck, in Lissabon. Er hat was.

DIVARA

(sinnlich) Charisma. (Divara schaut Richtung van Leidens.)

MATTHYS

Was hast du vor?

DIVARA

Gar nichts.

Divara geht an van Leiden vorbei und ab. Matthys folgt ihr.

Rothmann vollzieht das Taufritual an den versammelten Städtern. Einer nach dem anderen knien vor ihm, Rothmann hält seine Hände über den Kopf des einzelnen:

ROTHMANN

Du sollst das Böse lassen und das Gute tun. (Rothmann tauft jeden einzelnen mit drei Händen voll Wasser.) Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen. (Rothmann drückt jedem einzelnen den Stempel mit den Buchstaben DWWF auf die Stirn.) Das Wort Wird Fleisch.

Matthys und Divara erscheinen auf der Vorbühne. Matthys zieht den Bühnenvorhang zu.

Privat. Zu Hause.

Das neue Jerusalem

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