Читать книгу Die verschwundene Melodie - Arno Alexander - Страница 12
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ОглавлениеMrs. Isatschik saß steif und ernst im Mietauto und blickte durch ein Lorgnon zum Fenster hinaus. Ihre Hautfarbe war gelblich, die Augen stechend und die Züge scharf und eckig. Neben ihr hockte bescheiden ein etwa fünfundzwanzigjähriger junger Mann. Seine Mienen waren ergeben, und die Blicke, mit denen er zur Mutter aufsah, demutsvoll.
„Wilbur“, sagte Mrs. Isatschik mit einer Stimme, die wie eine zersprungene Saite klang. „Wilbur, hast du die Einladungskarte des Onkel Frederick gut verwahrt?“
„Yes, dear mother“, lautete die Antwort.
„Wilbur, hast du auch den Gashahn in der Küche abgedreht?“
„Yes, dear mother. Als ich die angebrannte Mehlsuppe vom Feuer nahm, drehte ich ihn ab.“
„Das war klug von dir, Wilbur; ich bin stolz auf dich“, erklärte die Mutter würdevoll. Nach einer Weile fuhr sie gemessen fort: „Du darfst in Gegenwart von fremden Leuten nie so ungeniert über Mehlsuppen sprechen. Wenn der Chauffeur dich hört, könnte er daraus schließen, daß wir arm sind. Wir essen immer Braten zu Hause, merke dir das!“
Wilbur senkte den Kopf.
„Yes, dear mother. Der Gänsebraten heute schmeckte ausgezeichnet.“
„Du bist ein kluger Kopf, Wilbur! Übrigens, was glaubst du wohl, warum der alte Krakeeler Manhattan uns zu sich einladet? Bedenke, es geschieht seit langen Jahren zum erstenmal!“
„Er wird sich langweilen, dear mother“, mutmaßte der Jüngling und gähnte verstohlen.
„Du hast beinahe das Richtige getroffen, Wilbur“, sagte die Mutter eifrig. „Er will dich zu seinem Universalerben einsetzen! Verstehst du?“
„Yes, dear mother. Das wäre nett von ihm.“
„Nett?“ rief Mrs. Isatschik empört aus. „Seine Pflicht und Schuldigkeit ist das! Er hat keine Kinder; ich bin seine einzige Stiefschwester ...“
„Du sagtest doch neulich, er hätte viele Verwandte?“ wagte Wilbur einzuwerfen.
„Unterbrich mich nicht“, tadelte sie. „Natürlich hat er viele Verwandte: Brüder, Schwägerinnen, Neffen und Nichten. Ich aber bin seine einzige Stiefschwester. Und ich, deine Mutter, sage dir: du und kein anderer wirst Universalerbe! Was wirst du dann tun, Wilbur? He?“
„Ich werde mich satt essen“, erklärte der junge Mann mit Sehnsucht in der Stimme.
Mrs. Isatschik runzelte die Stirn.
„Natürlich, das auch. Aber dein erster Gedanke wird doch deine Mutter sein? Nicht wahr, Wilbur?“
„Yes, dear mother“, antwortete er demütig. „Du darfst dich auch satt essen.“
Mrs. Isatschik wollte auffahren, doch bezwang sie sich.
„Es gibt wichtigere Dinge als Essen“, belehrte sie ihn. „Du weißt, daß ich mein Asthma nur in einem europäischen Luftkurort ausheilen kann. Das würdest du doch deiner alten Mutter gönnen?“
Wilbur blieb die Antwort schuldig.
Er dachte an die Zeiten zurück, da sein Vater noch lebte, und der Erfüllung eines solchen Wunsches nichts im Wege gestanden hätte. Damals war alles anders gewesen: das Haus der Isatschiks war der Treffpunkt der vornehmsten Gesellschaft, es gab Pferde und eine zahlreiche Dienerschaft; alljährlich wurden kostspielige Reisen gemacht, und oft kreuzte man wochenlang mit eigener Yacht auf dem Ozean herum. Das alles hörte an dem Tage auf, als man seinen Vater mit durchschossener Schläfe im Turmzimmer auffand. Wilbur war damals erst dreizehn Jahre alt, aber er erinnerte sich noch heute des Anblicks. Nichts Fürchterliches war im Gesicht des Toten. Es schien fast, als läge auf den feingeschnittenen Lippen der Anflug des allen so gut bekannten sorglosen Lächelns.
Wilbur dachte an die vielen fremden Leute, die dann immer wieder kamen und immer wieder Geld wollten. Ralph Isatschik hatte über seine Verhältnisse gelebt, hieß es. Er hatte alles in Grund und Boden gewirtschaftet und — was das Schlimmste war — sogar eine Ehrenschuld unbeglichen gelassen. Die unbegrenzte Achtung, die Wilbur heute vor seiner Mutter hatte, stammte aus jener Zeit. Erst jetzt konnte er sich ein ungefähres Bild machen, was es hieß, unter solchen Umständen nicht den Kopf zu verlieren. Mrs. Isatschik, die bis dahin ohne viel Aufhebens und ohne im fröhlichen Trubel überhaupt beachtet zu werden, im Stillen geschaltet und gewaltet, hatte bewiesen, daß sie mehr konnte, als nur einer verlotterten Wirtschaft vorzustehen. Sie hatte selbst die Verhandlungen mit den Gläubigern geführt, und dieselben Leute, die ihrem Mann keinen Aufschub von acht Tagen mehr gewährt, erklärten sich schließlich zu langfristigen Zahlungsstundungen bereit; einzig und allein aus dem Grunde, weil sie sahen, daß Mrs. Isatschik mit eisernem Willen an die Regelung der Verpflichtungen ging.
Seitdem war es im Hause der Isatschiks still und einsam geworden. Kein lautes Lachen, kein fröhliches Scherzwort erklang mehr in den vornehmen, mit altertümlichen Möbeln ausgestatteten Räumen. Sogar der alte Dick, der einzige von der Dienerschaft, der ungeachtet des Spottlohnes all die Jahre hindurch geblieben war, schlich leise umher und wagte kein Wort zu äußern, wenn Mrs. Isatschik jeden dritten Tag feierlich erklärte, heute gäbe es zur Abwechslung nur Pellkartoffeln mit Zwiebeltunke.
Man konnte nicht behaupten, daß die letzten, im Kampfe mit Gläubigern verbrachten zwölf Jahre auf den Charakter dieser Frau vorteilhaft gewirkt hätten. Aus der anfangs so notwendigen Sparsamkeit war Geiz und Habsucht, aus der Tatkraft kleinliche Herrschsucht geworden, und die steten Zwistigkeiten mit allerlei Leuten, die Geld forderten, hatten sie die gesamte Menschheit — mit Ausnahme ihres Sohnes — hassen gelehrt.
Wilbur seufzte leise.
„Nun“, fragte Mrs. Isatschik, der sein Schweigen viel zu lange dauerte, „nun, würdest du mir die Reise nach Europa gönnen?“
„Yes, dear mother“, antwortete Wilbur sanft. „Fahr, wohin du willst; aber ich glaube kaum, daß es in Europa besseres Essen gibt.“
In diesem Augenblick blieb das Auto stehen, und der Wagenlenker öffnete den Schlag. Nach einem prüfenden Blick auf die Taxameteruhr bezahlte Mrs. Isatschik den genauen Betrag. Der Wagenlenker blieb mit leicht vorgestreckter Hand auf seinem Platz stehen.
„Wilbur, dieser Mensch erwartet ein Trinkgeld!“ rief sie schnarrend. „Hast du Kleingeld bei dir?“
„No, dear mother“, erwiderte der Sohn wahrheitsgemäß.
„Wilbur hat kein Kleingeld“, sagte die Mutter bedauernd zum Wagenlenker. „Nächstes Mal gebe ich Ihnen etwas“. Sie wandte sich hastig um und schritt, gefolgt von Wilbur, durch den Garten zur Eingangstür der kleinen Villa „Manhattanhouse“.
Lux empfing die beiden mit einer ehrerbietigen Verbeugung.
„Bitte, treten Sie näher“, sagte er, nachdem er ihnen die Mäntel abgenommen hatte, und stieß eine Tür auf. Mrs. Isatschik kniff die Augen zusammen und blickte prüfend durch ihr Lorgnon. Mit hoheitsvoller Miene überschritt sie die Schwelle, blieb hier aber wie angewurzelt stehen. Der Saal war voll von Leuten, und die Blicke aller waren mit unverkennbarer Schadenfreude auf die Eintretenden gerichtet.
Aus einem Ledersessel erhob sich der Hausherr und kam schmunzelnd seinen neuen Gästen entgegen.
„Guten Tag, liebe Schwester!“ rief er heiter und gutgelaunt. „Es freut mich, daß auch du meiner bescheidenen Einladung Folge geleistet hast. Es ist wirklich nett von dir, daß du beschlossen hast, Vergangenes ruhen zu lassen. Wie sagtest du doch damals, vor fünfzehn Jahren, als der hohe Familienrat mich mit Schimpf und Schande aus dem Schoß der Seinen ausstieß ...“
„Das ist längst vergessen, lieber Frederick“, unterbrach ihn Mrs. Isatschik hastig.
„Um so besser!“ meinte Mr. Manhattan erfreut. „Bitte, nimm Platz! Ah, der junge Mann hier an deiner Seite ist wohl der kleine Wilbur?“
„Es ist mein Sohn“, bestätigte die Mutter eifrig.
„Schau, schau! Ganz hübsch groß, genau wie der Vater. Überhaupt — verblüffende Ähnlichkeit mit dem Isatschik! Auch sonst nach ihm geraten? Gibt wohl ’n bißchen viel Geld aus, was?“
‚Mein Sohn ist sehr sparsam“, erklärte die Mutter. „Nicht wahr, Wilbur, das bist du doch?“
„Ich bin sehr sparsam, Onkel Frederick“, wiederholte Wilbur vorschriftsmäßig und dachte darüber nach, wie man wohl sparen könne, wenn man noch nie einen Dollar in bar sein eigen genannt habe.
„Verblüffend! Wirklich verblüffend!“ rief Manhattan erstaunt. „So wenig nach seinem Vater geschlagen? War ja ein ganz toller Knabe, der Isatschik! Was der so in einer Nacht am grünen Tisch verspielte, hätte vollkommen genügt, mir mein Auskommen zu sichern. Aber wenn ich ihn darum bat, hatte er immer kein Geld ...“
„Er war etwas herzlos“, warf Mrs. Isatschik dazwischen.
„Möglich“, sagte Manhattan zerstreut. „Und dann erzählte er einmal, daß seine Frau ihm strengstens untersagt habe, mir, dem Habenichts und Tunichtgut, auch nur einen Cent zu geben.“
„Das muß ein Irrtum sein!“ rief Mrs. Isatschik bestürzt. „Nicht wahr, Wilbur, das ist ein Irrtum?“
„Ganz bestimmt ist das ein Irrtum“, bestätigte der Sohn ernst.
„Ich glaube es euch“, erwiderte der Hausherr mit Trauer in der Stimme. „Es ist seltsam, daß sich solche Irrtümer erst nach langen Jahren aufklären und auch dann nur unter gewissen Voraussetzungen. Aber was rede ich da?“ unterbrach er sich erschrocken. „Ihr müßt doch auch meine übrigen Gäste begrüßen. Vorstellen wird nicht nötig sein: wir sind ja ganz unter uns — alles nahe Verwandte. Höchstens die Jüngsten, die damals vor fünfzehn Jahren bei unserm letzten Beisammensein noch Küken waren ... Hier, die kleine Doris Elmhurst, meine reizende Nichte; dort, Frank Leroy, von Beruf Schauspieler, aber sonst ein ganz anständiger Mensch. Übrigens — mein größter Neffe, — er ist so groß wie ein Telegraphenmast! Steh mal auf, Frank, laß dich bewundern!“
Ein junger Mann erhob sich und verneigte sich ehrerbietig vor Mrs. Isatschik. Er war wirklich ungewöhnlich groß, sein Gesicht zeugte von Tatkraft und Entschlossenheit, wobei es aber einer gewissen Anmut nicht entbehrte. Seine Kleidung war einwandfrei, doch nicht auffallend, hatte aber jenes gewisse Etwas, das unfehlbar die Blicke aller auf sich lenkt, auch wenn niemand erklären kann, woran es eigentlich liegt.
Mrs. Isatschik begrüßte ihre Verwandten mit einem süßsauren Lächeln im runzlichen Gesicht. Sie hatte Mühe, an sich zu halten, — so empört war sie darüber, daß Manhattan nicht nur sie und Wilbur, sondern auch alle übrigen Verwandten eingeladen, und daß er es wagte, sie in taktlosester Weise vor aller Ohren an unangenehme Dinge zu erinnern. Aber sie mußte gute Miene zum bösen Spiel machen: Manhattan war reich und alt, Wilbur dagegen arm und jung. Er brauchte noch viel Geld, und es gab, wie sie nur zu gut wußte, keinerlei andere Möglichkeit, dieses zu erlangen, als den alten Manhattan zu beerben.
„Es ist angerichtet“, eröffnete jetzt Lux mit feierlicher Miene.
„Bitte, meine Damen und Herren, zu Tisch!“ rief Manhattan.
Eine große Doppeltür wurde aufgeschoben, und gemeinsam betraten alle das Eßzimmer. An einer langen, reich mit Blumen geschmückten Tafel nahm man Platz; die Sitzordnung war im Voraus durch kleine geschriebene Kärtchen bestimmt.
Doris kam neben Frank Leroy zu sitzen. Es waren außer ihr und Mrs. Isatschik nur wenig Damen anwesend, und sie fühlte sich in der ungewohnten, prunkvollen Umgebung etwas beengt, aber ihr Tischherr, der ihre Verlegenheit sogleich bemerkt hatte, widmete sich ihr in so liebenswürdiger Weise, daß sie bald alle Hemmungen verlor und sich so natürlich wie immer gab.
„Wie kommt es, daß wir uns miteinander gleich so nett unterhalten können?“ fragte sie plötzlich, mitten aus einem anregenden Gespräch heraus. „Sollte es die Verwandtschaft machen? Aber wir kennen uns doch noch gar nicht ...“
„Eben deshalb“, antwortete Leroy und lächelte kaum merklich. „So lebhaft wie wir beide können sich nur Mensehen unterhalten, die sich sehr wenig oder — hm — außerordentlich gut kennen.“
„Vielleicht haben Sie recht“, sagte Doris nachdenklich.
Es entstand eine Pause.
„Sie haben doch eine Schwester?“ erkundigte er sich, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen. Er ahnte nicht, daß er mit dieser Frage gerade das Gegenteil erreichen würde.
„Ja“, antwortete sie zerstreut und einsilbig. Seine verwunderten Blicke veranlaßten sie schließlich zu einer Erklärung: „Evelyn mußte zu Hause bleiben. Sie ist erst vor drei Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden.“
Leroy wollte wissen, was Evelyn fehle, aber Doris antwortete ausweichend. Sie wußte, daß der Name Evelyns in den Zeitungen nicht erwähnt worden war, und wollte aus einem angeborenen Mißtrauen heraus keinem Menschen in ihre und ihrer Schwester Angelegenheiten Einblick gewähren. Es war dasselbe unbestimmte Etwas in ihrem Innern, das sie verhindert hatte, Hearn von ihren Beobachtungen auf dem Bahnhof Mitteilung zu machen, obwohl sie wissen mußte, daß der Kapitän viel darum gegeben hätte, die Adresse des Blondbärtigen zu erfahren. Sie würde bestimmt ganz anders gehandelt haben, wenn sie die Folgen ihres Mißtrauens hätte voraussehen können.
Leroy wechselte das Thema. Als er merkte, daß die meisten der Anwesenden ihr unbekannt waren, begann er in leicht ironischem Ton die einzelnen Personen kurz zu charakterisieren.
„Das dort ist der lärmende, immer aufgeregte Onkel Wubbels. Eben ist er ruhig, weil seine Frau dabei ist. Dort, der hagere, lange Mann — er dürfte fast so groß wie ich sein — ist der Onkel Snyder. Wubbels ist Direktor einer Aktiengesellschaft und hat nie Geld, Snyder ist gar nichts, hat aber immer Geld; wo er es hernimmt, weiß nur des Teufels Großmutter, und selbst die nicht genau. Da, am Ende der Tafel, jener Mann mit dem dicken Schnauzbart, den buschigen Augenbrauen und dem altertümlichen Vatermörder ist Ihr und mein Vetter Charles de Wood. Er ...“
Leroy wurde unterbrochen, da Manhattan jetzt die Tafel aufhob. In zwanglosen Gruppen zerstreuten sich die Gäste in den vielerlei Räumen der reich und vornehm eingerichteten Villa. Es gab nur ein Thema, über das gesprochen wurde: Was mochte der Grund dieser Einladung sein? Jahrelang hatte Manhattan von seiner gesamten Verwandtschaft nichts wissen wollen, — was sollte die plötzliche Änderung in seinem Verhalten bedeuten?
Man hoffte, Manhattan selbst würde in letzter Stunde dieses Rätsel lösen, aber man sah sich enttäuscht. Punkt zwölf Uhr machte der Hausherr die Runde bei sämtlichen Gästen, bat sie, noch länger zu bleiben, entschuldigte sich aber mit seiner etwas zerrütteten Gesundheit: er müsse sich jetzt zurückziehen.
Man verstand den Wink. Die Enttäuschung hinter mehr oder weniger glücklich geheuchelter Freundlichkeit verbergend, machten sich alle auf den Heimweg.
Manhattan saß hochaufgerichtet, von zahlreichen Kissen gestützt, in seinem Bett und las Zeitungen. Wie üblich trank er noch seinen heißen Schlummerpunsch und rauchte mit zufriedenem Schmunzeln eine leichte Zigarre. Als nach etwa zwanzig Minuten Lux eintrat und sich durch ein leichtes Hüsteln bemerkbar machte, winkte er ihn freundlich heran.
„Sind sie alle weg, Lux?“ erkundigte er sich, mit einem leisen Gähnen.
„Jawohl, Mr. Manhattan, alle“, antwortete der Diener in seiner gemessenen Weise.
„Hm ... Es ist heute sehr viel Schönes und Liebes von mir gesprochen worden. Nicht wahr, Lux?“
„Ganz richtig, Mr. Manhattan. Sie waren alle begeistert von Ihnen.“
Der Hausherr lehnte sich behaglich in seine Kissen zurück und blinzelte vergnügt in den Rauch der Zigarre.
„Es ist schön, wenn man sieht, wie anhänglich und liebevoll solche Verwandte sind.“
„Es ist sehr schön“, meinte Lux und fügte, entgegen seiner Gewohnheit etwas geschwätzig werdend, hinzu: „Das Bewußtsein, so geachtet und geschätzt zu werden, muß ein erhabenes Gefühl sein.“
Manhattan lächelte sanft.
„Ich werde mir alle Aussprüche, die heute über meine Person fielen, in ein Buch mit Goldschnitt und Ledereinband schreiben. Es wird ein feines, erfreuliches Werk werden, Lux.“
„Ein sehr erbauliches Werk, Mr. Manhattan“, nickte der Diener.
„Ich hatte Ihnen den Auftrag gegeben, genau aufzupassen und sich möglichst viele Aussprüche zu merken. Haben Sie das getan?“
„Selbstverständlich, Mr. Manhattan. Ich habe mir verschiedenes aufgeschrieben.“ Er holte aus seiner Tasche ein kleines Merkbuch und blätterte darin herum.
„Lesen Sie mal vor!“ rief Manhattan erfreut. „Ich bin sehr gespannt.“
Lux räusperte sich kurz.
„Erstens, Ihr Neffe Frank Leroy zu Ihrer Nichte Doris: ‚Er ist ein Gemütsmensch. Man muß ihn zu nehmen verstehen, dann wird man von seinen Schrullen wenig spüren.‘ Zweitens, Doris als Antwort: ‚Jeder Mensch hat seine Eigenheiten, und es ist ganz begreiflich, wenn ein reicher Mann vor lauter Mißtrauen schrullenhaft wird.‘“
„Sehr hübsch. Schrullenhaft ... Dieser Ausdruck war noch nicht in meiner Sammlung. Weiter!“
„Drittens, Mrs. Isatschik zu ihrem Sohn Wilbur: ‚... ein bornierter Mensch, aber sein Geld ist gut. Alt und gebrechlich wie er ist, kann er jeden Augenblick sterben. Er sieht ganz so aus wie ein Gehirnschlagkandidat.‘“
Manhattan hüstelte.
„Gehirnschlagkandidat ist gut! Hm ... Es wird eine reiche Sammlung werden, Lux.“
„Eine sehr reiche, Mr. Manhattan“, pflichtete der Diener mit unerschütterlicher Ruhe bei.
„Haben Sie noch mehr Aussprüche gesammelt?“
„Ja, noch einige kurze, zum größten Teil in Brehms Tierleben verwendete.“
„Bitte!“
„Mr. Rolf Wubbels nannte Sie ein geiziges Roß, und Mr. Charles de Wood — einen glatzköpfigen Schimpansen.“
Manhattan lachte leise in sich hinein.
„Es genügt, es genügt vollkommen! Lassen Sie die Liste hier. Es sind wunderbare Ausdrücke, zum Beispiel — geiziges Roß! Haben Sie schon einmal im Leben geizige Rösser gesehen, Lux? Hm ... Übrigens vermisse ich auf der Liste einen Ausspruch, der von Ihnen selbst stammt.“
Lux schien unangenehm berührt.
„Ich bin in Ihren Diensten, Mr. Manhattan“, antwortete er ernst und gemessen. „Über meine Dienstherren erlaube ich mir nie ein Urteil.“
Der Hausherr lächelte wieder.
„Nun, ganz unter uns, was würden Sie denn sagen, wenn Sie nicht in meinen Diensten wären?“
Der Diener überlegte.
„Gott sei Ihrer Seele gnädig“, meinte er nach einer Weile mit Grabesstimme.
„Wa — as?“ rief sein Herr verblüfft aus.
„Mr. Manhattan“, sagte Lux feierlich. „Ich bin nun schon über zehn Jahre in Ihren Diensten und werde so lange bleiben, bis Sie irgendwohin gehen, wohin ich Ihnen nicht gleich folgen kann. Ich meine — in den Himmel oder — ehem — zur Hölle. Dann erst wäre ich meines Dienstes bei Ihnen enthoben und könnte mich äußern. Und dann würde ich bestimmt nichts Geeigneteres sagen können als: Gott sei Ihrer Seele gnädig.“
Dagegen wußte selbst Manhattan nichts mehr vorzubringen.