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Fast unmittelbar hintereinander betraten zwei Männer den im Mittelpunkt New Yorks gelegenen Laden des Waffenhändlers Raldstone. Der erste, ein Mann von kleiner, gedrungener Gestalt, mit schwarzen, stechenden Augen und einem ebenfalls schwarzen Knebelbart, steuerte sogleich auf den Ladentisch zu, während der andere, der noch kleiner war und sich neben dem ersten schmächtig und unscheinbar ausnahm, bescheiden an der Tür stehen blieb.

„Geben Sie mir einen Revolver!“ sagte der Schwarzbärtige mit voller, lauter Stimme. Seine Aussprache verriet den Südländer, und die gewählte Kleidung zeugte von Wohlstand. In merkwürdigem Gegensatz dazu aber waren seine Fingernägel ungepflegt und schwarzumrandet.

Der Waffenhändler hob den Glasdeckel eines Tisches hoch und holte mehrere Revolver zur Auswahl heraus.

„Hier, bitte, dieser Browning! Er ist zwar klein, aber ...“

„Ich nehme den dort!“ unterbrach ihn der Kunde kurz entschlossen und deutete auf eine schwere Waffe mit starkem, klobigem Griff.

„Dieser Revolver ist sehr veraltet“, widersprach Raldstone. „Kein Mensch kauft mehr solche Waffen.“

„Gestatten Sie mir, Ihnen einen ganz unverbindlichen Rat zu geben“, mischte sich plötzlich der kleine Mann an der Tür ins Gespräch. Er sprach mit einer feinen, dünnen Stimme, die durchaus zu seinem unansehnlichen Äußeren paßte. „Ich kenne mich ein wenig in Schußwaffen aus. Wozu brauchen Sie eigentlich den Revolver?“

Der Schwarzbärtige drehte sich unwillig um.

„Das geht Sie gar nichts an!“ rief er unwirsch. „Nehmen Sie meinetwegen an, daß ich mit diesem Revolver einen Menschen niederknallen will!“ Er lachte über seinen rohen Scherz und wandte sich wieder dem Ladeninhaber zu: „Also, was kostet das Pistölchen?“

„Ich kann Ihnen das Ding billig ablassen. Ich sagte ja schon — heutzutage kauft niemand mehr einen solch veralteten Revolver ...“

Der Kunde knurrte wütend.

„Hummm ... Zum Deibel! Nennen Sie Ihren Preis und basta! Habe keine Zeit, Ihren Senf da anzuhören!“

Mr. Raldstone seufzte.

„Achtzehn Dollars fünfzig Cents“, sagte er nach kurzem Zögern.

Der Käufer warf einen Zwanzigdollarschein auf den Tisch.

„Soll ich die Waffe ein wenig einpacken?“ erkundigte sich Raldstone.

Der andere lachte kurz auf.

„Was soll ich mit einem eingewickelten Revolver?“ Er griff danach. „Nein, so ist er rascher zur Hand. Auf Wiedersehen!“ Mit einer achtlosen Handbewegung wies er die kleinen Münzen zurück, die Raldstone auf einen Teller zählte; dann stürmte er zur Tür hinaus.

Der Waffenhändler steckte das Kleingeld in die Westentasche und wandte sich seinem zweiten Kunden zu.

„Was darf es sein, Sir?“

Der schmächtige Mann an der Tür fuhr sich mit der Hand über sein glattrasiertes Kinn und starrte sinnend durch die Glasscheiben des Fensters.

Raldstone betrachtete mit prüfenden, abschätzenden Blicken das ein wenig schäbige, wenn auch keineswegs unordentliche Äußere seines Kunden und wiederholte etwas ungeduldig seine Frage.

Der Mann blickte auf.

„Ja, so ... Jede Waffe, die Sie verkaufen, hat doch eine bestimmte Nummer? Nicht wahr?“

„Selbstverständlich, aber warum ...“

„Nun“, fuhr der andere mit seiner dünnen, unsicheren Stimme fort. „Ich möchte gern wissen, welche Nummer der Revolver hatte, den Sie soeben verkauften?“

„Mit welchem Recht ...“ begann der Händler ungehalten.

„Ich bin Kapitän Hearn vom Kriminalamt“, sagte der kleine Mann bescheiden und legte ein Ausweispapier auf den Tisch.

Sofort änderte sich das Benehmen Raldstones.

„Oh! Verzeihung! Das wußte ich natürlich nicht. Die Nummer?“ Er sah nach einem Verzeichnis und kritzelte einige Zahlen auf einen Streifen Papier. „Hier, bitte!“ Dann beugte er sich vor: „Ist der Mann ein Verbrecher?“

Der Polizeibeamte zuckte die Achseln.

„Soviel ich weiß, nein!“ erwiderte er leise. „Aber wie schnell wird bei diesen schlechten Zeiten ein unbescholtener Mensch zum Verbrecher! Haben Sie eine Ahnung! Besonders, wenn er einen nicht eingewickelten Revolver lose in der Tasche herumträgt. — Ich möchte übrigens dieses Los kaufen!“ Mit diesen Worten nahm er eines der auf dem Tisch liegenden bunten Papierchen an sich.

„Nehmen Sie lieber das grüne dort! Mit dem roten können Sie höchstens eine Katze oder einen Papagei gewinnen. Mit dem grünen dagegen ...“

„Lassen Sie nur!“ wehrte Hearn ab und legte eine dünne, silberne Haarsträhne, die ihm beim Bücken ins Gesicht gefallen war, hinter sein rechtes Ohr. „Ich habe nichts gegen Katzen und Papageien. Ich besitze selbst ein kleines Seidenäffchen. Es heißt Sambi. Ich finde, es wäre sehr nett, wenn ich noch solch ein Tierchen hätte, das mir liebevoll in einsamen Stunden die Zeit verkürzen würde. Außerdem“, fuhr er etwas lebhafter fort, „ist auf diesem roten Los ein Fingerabdruck, den ich auf dem grünen Papierchen nicht finden könnte.“

„Ein Fingerabdruck?“ rief Raldstone erstaunt.

„Nun ja! Der Käufer von vorhin tippte mit dem Zeigefinger auf dieses Blatt, als er Sie auf den unter dem Glase liegenden Revolver aufmerksam machte.“

„Aber wozu, um Himmelswillen, brauchen Sie denn Fingerabdrücke eines unbescholtenen Bürgers?“

Hearn legte ein Fünfzigcentstück auf den Tischrand und lächelte sanft.

„Es kann zuweilen von großem Nutzen sein, wenn man bei irgendeinem neuen Verbrechen gleich die Revolvernummer und Fingerabdrücke des Täters kennt. Und der Schritt vom unbescholtenen Bürger zum Verbrecher ist, wie gesagt, sehr kurz. Zuweilen genügt ... Ha! Was war das?“

Raldstone war bleich geworden. Auch er hatte deutlich einen Schuß gehört.

Im nächsten Augenblick stürmten beide Männer zur Tür hinaus. Sie sahen Menschen wie aufgestörte Ameisen durcheinander laufen. Mehrere Polizisten bahnten sich mit Mühe den Weg zu einem am Bordrand haltenden Kraftwagen, dessen Scheiben zertrümmert waren.

Hearn trat näher und winkte einen der Ordnungswächter heran. „Was ist los?“

„Ein schwarzbärtiger Mann hat nach dem Wagen geschossen, und zwar in dem Augenblick, als der Besitzer einstieg. Getroffen hat er nicht. Leider konnten wir ihn aber auch nicht erwischen: Im Nu war er im Menschengewirr verschwunden. Nun wollen wir aus dem Wagenbesitzer herausbringen ...“

Eine knarrende, alte Männerstimme, die aus dem Wageninnern kam, übertönte die Worte des Polizisten. Ein runzliches Gesicht, dessen Stirn ohne Übergang zu einer spiegelglatten Glatze verlief, erschien am zerbrochenen Seitenfenster.

„Eine Unverschämtheit!“ schrie der Wagenbesitzer, und sein Gesicht wurde röter und röter vor Zorn. „Erst schießen Banditen, und die Polizei tut nichts dagegen! Dann lassen sie die Kerle laufen und wollen mich festhalten! Ich werde beim Innenminister Beschwerde einlegen ...“

„Kennen Sie den Herrn?“ fragte Hearn rasch.

Der Polizist nickte. „Ja ...“

„Dann lassen Sie ihn weiterfahren!“ fiel ihm der Kapitän schnell ins Wort.

Der andere gab seinen Kollegen einen Wink. Sofort traten die Polizisten beiseite. Das zornfunkelnde Antlitz am Fenster verschwand, und der Wagen setzte sich mit einem sanften Ruck in Bewegung.

Hearn blickte dem Wagen in Gedanken versunken nach.

„Wer war denn dieser Mann?“ erkundigte er sich nach einer Weile.

„Das war Mr. Frederick Manhattan, der Multimillionär“, antwortete der Beamte mit Ehrfurcht in der Stimme.

Der Kapitän pfiff leise durch die Zähne.

„Das ist wirklich sehr beachtenswert“, murmelte er und kraute sich nachdenklich am Hinterkopf.

Die verschwundene Melodie

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