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III

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Einen Augenblick stand Maud unschlüssig da und schien zu schwanken, ob sie den ungebetenen Besucher einlassen oder abweisen sollte. Aber etwas in den kleinen, zusammengekniffenen Augen dieses Mannes schien sie zu warnen.

„Bitte, treten Sie näher“, sagte sie kurz und ein wenig hochmütig.

Er verneigte sich tief und trat ein. Als sei es ganz selbstverständlich, legte er Hut und Mantel ab und zog die Überschuhe aus. Dann stand er vor dem Spiegel und ordnete eine silberne Haarsträhne — es war seine einzige — auf dem kahlen Schädel.

„Sie haben Musik“, sagte er wohlgefällig und nickte freundlich. „Ich liebe das. Ein Haus, in dem Frohsinn herrscht … Sie gestatten, daß ich jetzt eintrete?

„Bitte.“

„Ein Haus, in dem Frohsinn herrscht …“ Er öffnete die Tür zum Eßzimmer und trat über die Schwelle. „Ach!“ rief er aus .„Diese Überraschung!“

Es war in der Tat eine Überraschung. Das Grammophon spielte den lautesten Marsch, den Elgin herausgefunden hatte, das Zimmer war strahlend hell erleuchtet, und in dessen Mitte stand Elgin rot vor Eifer, im Arm eine Menge Blumen, schrie Hurra und warf Hearn rote Rosen und weiße Nelken zu.

„Elgin!“ rief Maud streng.

Elgin war so erschrocken über seinen Mißgriff, daß er den Rest Blumen zu Boden fallen ließ und mit herabhängenden Armen dastand und den späten Besucher anstarrte wie einen Geist.

„Sie haben mich sehr nett empfangen, Leutnant“, sagte Hearn vergnügt. „Ich bin das nicht gewöhnt. Aber so stellen Sie doch das Grammophon ab. Das Stück ist zu Ende, und wie leicht könnte die schöne Platte beschädigt werden, wenn Sie die Nadel weiterkratzen lassen.“

Maud selbst trat an den Apparat und stellte ihn ab. Sekundenlang war es still im Zimmer. Hearn schien es aber keineswegs als peinlich zu empfinden. Er rieb sich die Hände und sah sich, immer beifällig nickend, überall um.

„Sie kennen Leutnant Elgin?“ fragte Maud endlich, um dem Schweigen ein Ende zu machen.

„Inspektor Hearn ist mein Vorgesetzter“, sagte Elgin kleinlaut.

„Und ob wir uns kennen, lieber Elgin, nicht wahr?“ rief Hearn aus. „Jeden Tag, den der Herrgott gibt, sehen wir uns und besprechen allerlei düstere Geheimnisse. Erst heute hatten wir da so einen Fall …“

Maud machte eine ungeduldige Handbewegung.

„Lieber Elgin“, sagte sie kühl. „Vielleicht gehen Sie für einen Augenblick ins Nebenzimmer. Inspektor Hearn wollte mich sprechen — wahrscheinlich ohne Zeugen.“

Elgins Abgang sah einer Flucht sehr ähnlich, und man merkte es ihm an, daß er gern ging. Er ließ die Tür hinter sich halb offen, aber Maud schloß sie sorgfältig Obwohl Hearn ganz woanders hinsah, hatte er diese Kleinigkeit doch sehr genau beobachtet.

„Wie geht’s Ihrem Gatten?“ fragte er artig und setzte sich, wobei er die Beinkleider seines fadenscheinigen, grauen Anzuges sorgfältig in die Höhe zog. „Hat er sich gut erholt?“

„Er hat sich gut erholt“, sagte Maud ruhig. Sie stand mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt, durch die Elgin verschwunden war und sah an Hearn vorbei in die Luft. „Sie kennen meinen Mann?“

„Ich kenne ihn“, bestätigte er. „O ja, ich kenne ihn. Er hat doch früher bei uns gearbeitet. Wissen Sie eigentlich, warum er von uns wegging?“

„Nein, ich weiß es nicht. Wissen Sie es?“

„Solch ein Zufall!“ rief er überrascht. „Stellen Sie sich vor: Ich weiß es auch nicht! Übrigens, dieses peinliche Erlebnis, das Ihr Gemahl hatte! Einen Menschen zu erschießen, — das ist doch unangenehm! Und gleich tot war der arme Kerl! Ich möchte wissen, wozu die Leute immer ins Kino rennen, wenn man im Eisenbahnzug genau so aufregende Sachen erleben kann. Und dabei — Sie werden es komisch finden — war ich heute selbst im Kino. Ja, ich habe mir den Film ‚Die Höllenmaschine‘ mit Ben Hawick angesehen. Kennen Sie Ben Hawick?“

„Den Namen habe ich schon mal gehört. Vielleicht habe ich ihn auch mal im Kino gesehen“, antwortete Maud langsam.

„Ja, im Kino, da sieht man sie meistens — die Filmschauspieler“, sagte Hearn freudig. „Oder im Waldorf-Astoria Hotel, beim Nachmittagskaffee. Es ist so nett zu beobachten …“

„Mr. Hearn“, unterbrach sie ihn. „Wenn Sie es durchaus hören wollen: Ich habe Mr. Hawick einmal im Waldorf-Astoria Hotel kennengelernt. Warum soll ich es leugnen?“

„Nicht wahr? Nicht wahr?“ rief er begeistert. „Warum leugnen? Man soll nie etwas leugnen, was die Polizei schon weiß …“

„Inspektor“, unterbrach ihn Maud wieder, und ihre Stimme zitterte leicht. „Sagen Sie endlich, was Sie von mir wollen. Mit ihrem Gerede … immer herum, immer herum … Oh, Sie können einen damit verrückt machen.“

„Aber, liebe Mrs. Murray, das will ich ja gerade … hm … vermeiden“, antwortete er lächelnd. „Diesen Mr. Hawick kennen Sie also sehr gut?“

Es dauerte diesmal eine geraume Weile, bis Maud die Frage beantwortete.

„Nein, im Gegenteil: sehr flüchtig“, sagte sie endlich.

„Das überrascht mich“, meinte Hearn verwundert. „Dieser Mann — da Sie ihn so wenig kennen, muß ich Sie wohl darauf aufmerksam machen — ist nämlich in sehr gefährliche Sachen verwickelt. Ben Hawick — das ist ein großer Fisch, Mrs. Murray. Wenn große Fische gefangen werden, geht’s auch den kleinen schlecht, die ins gleiche Netz geraten sind. Tja, aber wenn ich so bedenke … Nein, diese Überraschung! Sie rufen eine Nummer an, Hawicks Nummer, und verlangen für Ihren Mann einen falschen Paß, den er gar nicht nötig hat. Hawick ärgert sich sehr, denn er ahnt, daß seine Leitung überwacht wird, und … und … trotz alledem kennen Sie ihn nur sehr flüchtig! Du liebe Güte! Wenn das keine Überraschung für mich ist! Aber wissen Sie, jetzt muß ich leider gehen. Ich erwarte nämlich heute meine Nichte. Sie kommt zum erstenmal aus Europa hierher … Aber das wird Ihnen wohl sehr gleichgültig sein, fürchte ich.“

Er stand auf und sah sie etwas scheu von der Seite an.

„Sie sind mir doch nicht böse, daß ich Sie heute mit meinem Geschwätz belästigte? Oh, ich gehe schon … Übrigens, falls Sie mal Lust bekommen sollten, wieder mit mir zu plaudern … Nun, ich bin jeden Tag von acht bis zwölf Uhr im Hauptquartier der Polizei zu sprechen. Und — es ist mir viel angenehmer, wenn die Leute mich besuchen, ehe ich sie besuchen muß. Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen! Grüßen Sie Ihren Gatten und auch den Leutnant von mir.“

Er war im Vorzimmer angelangt und hatte seinen grauen Regenmantel angezogen. Jetzt streifte er die Gummischuhe über und griff nach seinem Hut.

„Vielleicht … komme ich wirklich einmal zu Ihnen“, sagte Maud mühsam.

„Sobald Sie wünschen. Sie sind immer willkommen … Aber ich höre unten Stimmen. Das wird Ihr Gatte sein. Ich empfehle mich, ich empfehle mich.“

Hearn traf im Treppenflur mit Dick Murray und Inspektor Lennox zusammen, aber es war ziemlich dunkel, und der kleine Kriminalbeamte zwängte sich so rasch an den eifrig Redenden vorbei, daß sie ihn nicht erkannten.

„Hallo! Maud!“ schrie Dick auf, als er sie oben stehen sah. Dann raste er hinauf, drei Stufen auf einmal nehmend.

„Maud! Mein armes, kleines Frauchen!“ murmelte er und hielt sie fest umschlungen. „Was? Weinen? Aber jetzt ist doch alles vorbei! Kindchen! Besinne dich doch! Ich habe dich immer für so tapfer gehalten, und nun plötzlich dieses Benehmen … Ist Elgin da? Ja? Lennox, gehen Sie doch bitte hinein und unterhalten Sie sich einstweilen mit Elgin. Ich muß meiner Frau erst die Tränen trocknen.“

Maud weinte wirklich. Sie hatte den Kopf auf Dicks Schulter gelegt, und ihre schmalen Hände klammerten sich an seinem Mantel fest, als wolle jetzt, jetzt gleich wieder jemand ihren Dick entführen.

„Nein, nein!“ rief sie und schluchzte auf. „Ich will nicht weinen … Ich will tapfer sein … Jetzt hab’ ich dich doch wieder! Es ist alles wie ein Traum, wie ein böser Traum …“

Lennox räusperte sich leise und trat in die Wohnung. Etwas verwundert sah er die am Boden verstreuten Blumen an und den geöffneten Grammophonkasten.

„Elgin!“ rief er. „Leutnant Elgin!“

Elgin kam aus dem anderen Zimmer und blinzelte mit den Augen. Er mußte im Dunkeln gesessen haben.

„Ja, was ist denn hier los?“ fragte Lennox befremdet.

„Inspektor, haben Sie ihn gesehen?“ rief Elgin aufgeregt.

„Wen?“

„Hearn! Inspektor Hearn! Er war hier, hat Maud sprechen wollen.“

Lennox sah verblüfft vor sich hin.

„Was? Jetzt? So spät noch?“

Elgins Augen hingen flehend an den Lippen des Inspektors.

„Was kann denn das bedeuten, Inspektor?“ fragte er und schluckte ein paarmal.

Lennox zuckte die Achseln.

„Wenn Sie’s nicht wissen, Elgin, wo Sie doch unter ihm arbeiten, — woher soll ich’s erraten?“

„Ach Gott! Ich habe solche Angst …“

„Na, jetzt hören Sie auf zu jammern. Nehmen Sie sich zusammen. Dick darf kein Wort von diesem Besuch erfahren, und … Maud dürfen Sie auch nicht sagen, wer Hearn ist …“

„Sie weiß es ja!“

„Was weiß sie?“ fragte Lennox heftig. „Sie wird wissen, daß er Inspektor der Kriminalpolizei ist — wie ich. Nicht aber wird sie wissen, daß es keinen gefährlicheren Geheimpolizisten gibt als Hearn …“

„Und das … sollte man … ihr gerade sagen“, stammelte Elgin.

„Warum?“

„Warum? Damit sie sich in acht nimmt. Darum! Was wissen denn Sie von ihr! Was weiß denn ich? Vielleicht war sie mal in Not, vielleicht hat sie mal etwas getan …“

„Sie phantasieren!“ unterbrach ihn Lennox streng. „Wir Kriminalbeamten wittern ja überall und immer nur Verbrechen. Es wird nicht halb so schlimm sein … Aber jetzt reißen Sie sich endlich zusammen, Elgin!“

Elgin machte ein, zwei unsichere Schritte durchs Zimmer.

„Und …“ meinte er fragend, „wie war das mit dem … Erschossenen?“

„Das?“ Lennox runzelte die Stirn. „Das ging so verblüffend glatt ab, daß ich es gar nicht fasse.“

„Seine Freilassung haben doch Sie erwirkt?“

„Ich?“ Lennox hob die Schultern. „Gewiß, ich habe mich dafür eingesetzt und … Na, kurz und gut, als ich mich erst auf den Kampf um Dicks Freiheit gefaßt machte, sagte der Beamte schon, ich hätte ihn ganz überzeugt, und Dick sei frei. Können Sie das verstehen?“

„Nein.“

„Und nachher fand man bei dem Erschossenen die Beweise seiner Zugehörigkeit zur berüchtigten Bande Mc Carthys. Hören Sie, Elgin: nachher! Dick wäre auch ohne diese Beweise freigekommen — auf ein paar Worte von mir hin.“

„Das ist merkwürdig.“

„Es ist noch viel merkwürdiger, wenn man bedenkt, daß ich von Notwehr sprach und … Sagen Sie mal, halten Sie es für Notwehr, wenn man einem Menschen eine Kugel auf den Millimeter genau zwischen die Augen jagt? Halten Sie das für Notwehr?“

Elgin schüttelte entsetzt den Kopf.

„Und das … hat Dick getan?“

„Auf den Millimeter genau, wie ich sagte.“ Lennox dämpfte die Stimme. „Dick ist und bleibt mein Freund — es kann geschehen, was da will. Aber — wenn das kein Mord, kein glatter, wohlüberlegter Mord war, dann bin ich umsonst seit zwanzig Jahren Kriminalbeamter.“

„Genau zwischen die Augen“, flüsterte Elgin, und seine Lippen zitterten merklich. „Auf den Millimeter genau … Mein Gott!“

„Nehmen Sie sich zusammen, — sie kommen“, sagte Lennox streng.

Abteilung G.

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