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IV

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William, der Bruder Jim Elgins, saß grübelnd an seinem etwas altmodischen Schreibtisch. Er hatte den Kopf in die Hände gestützt und starrte das Tintenfaß an, in dem die Tinte völlig ausgetrocknet war. Seit zwanzig Minuten saß er so da, nachdem er vordem eine fieberhafte Tätigkeit entwikkelt und die ganze Wohnung aufs genaueste durchsucht hatte. Seine anfängliche Aufregung hatte sich gelegt, und übriggeblieben war nur eine quälende Unruhe, verursacht durch die Frage: Was hatten die Leute hier gewollt, die gewaltsam in seine Wohnung eingedrungen waren, die kein Fach unberührt gelassen, alles durchwühlt und durcheinander geworfen hatten und doch nichts mitnahmen? Sogar die erbrochene Geldkassette mit etwa vierzig Dollar darin wies ihren vollen Inhalt auf.

William war Offizier der Armee. Er war älter als sein Bruder, größer und kräftiger, wenn auch lange nicht so hübsch. Wenn der fünfundzwanzigjährige Jim noch wie ein Jüngling aussah, so konnte man William getrost um einige Jahre älter als siebenundzwanzig — so alt war er — schätzen.

Langsam stand William auf. Seine Hände griffen nach der Zigarettendose, ein Streichholz flammte auf. Die Einbrecher mußten doch etwas ganz Bestimmtes gesucht haben, dachte er, — sonst hätten sie das Geld mitgenommen. Ganz gewiß hätte das ein gewöhnlicher Einbrecher getan. Papiere? Er bewahrte aber keine wichtigen Papiere auf, und wenn die ungebetenen Besucher die paar Briefe, die hier vor ihm lagen, etwa photographiert hatten, so würden sie sehr enttäuscht sein. Und auch sein Bruder bewahrte nie wichtige Papiere zu Hause auf …

Bei diesem Gedanken wurde William plötzlich bleich. Ganz genau wußte er jetzt, was die Einbrecher hier gesucht hatten — gesucht und vielleicht auch gefunden. Früher hatte Jim nie dienstliche Papiere nach Hause mitgebracht, — das stimmte. Aber seit er kürzlich zum Leutnant befördert worden war, hatte sich das doch geändert, und William entsann sich jetzt genau, daß sein Bruder einigemal ein schmales Aktenheft in dem Schreibtisch verschlossen hatte.

Man mußte ihn benachrichtigen — sofort! Keine Minute war zu verlieren. Vielleicht konnte ein verhängnisvolles Unglück verhindert werden, wenn Jim sofort das Nötige veranlaßte.

Hastig riß William den Uniformrock vom Nagel, setzte die Mütze auf und eilte hinaus auf die Straße. Es war nicht schwer zu erraten, wo Jim zu finden sein würde; hatte er doch gestern von einem Fest gesprochen, bei dem er anwesend sein müsse. Und Jims Feste? William wußte, daß nur die Familie Murray für ein solches Fest in Betracht kam. Schnell, immer schneller schritt der junge Offizier aus, und sein Blick klebte dabei am Boden, an dem Schnee, der unter seinen Füßen knirschte.

Doch da, als er eben eine Straße überqueren wollte, hörte er ein sonderbares Heulen, das sich rasch näherte, und gleichzeitig gewahrte er, wie ein Polizist durch Zeichen die Straße für den Verkehr sperrte. Das Heulen kam mit unglaublicher Geschwindigkeit näher, und jetzt merkte William, daß der schaurige Ton, der keine Sekunde aussetzte, eigentlich aus drei verschiedenen Tönen bestand, die einander rasch abwechselten. Und nun vernahm er dazu noch schrilles Pfeifen, entferntes Geräusch von Motoren und etwas wie ein dumpfes Trommeln. Nein, kein Trommeln — jetzt unterschied er es deutlicher: das war Stampfen, das war Pferdegetrampel!

Im nächsten Augenblick war die bis jetzt ziemlich dunkle Straße hell erleuchtet. Um die Ecke jagten mit großen Scheinwerfern drei, vier, nein: fünf Polizeiwagen, auf deren vorderstem eine Sirene unaufhörlich jene unheimlichen, warnenden Laute hinausbrüllte, die William zuerst aufgefallen waren. Dicht gedrängt saßen und standen da Polizisten. Sogar auf den Trittbrettern hingen sie. Ihre Kopfbedeckung erweckte Williams Aufmerksamkeit — es war etwas einem Stahlhelm Ähnliches, und dieser Helm ging vorne bis tief in die Stirn. Und da — jetzt sah er es deutlich: auch der Mund und die Nase waren verdeckt mit etwas Stählernem. Von diesen Menschen sah man nur die zwei Augen — zwei schwarze, drohende Punkte. Wie Teufel sahen sie aus — diese Menschen, und sie brachten auch Tod und Verderben.

Jetzt waren die Wagen vorüber, und jetzt rasten dicht an William vorbei zehn oder zwanzig Motorräder. Die Polizisten darauf sahen genau so aus wie die vorigen. Und nun — kaum, daß die Motorräder um die Ecke gebogen waren — tauchten Berittene auf. Sie lagen ihren Pferden förmlich auf dem Hals und jagten, hetzten, schrien. Die Schreie klangen hinter dem stählernen Schutz dumpf und unnatürlich.

Dann war alles vorbei. Leer und dunkel lag die Straße wieder da. Nur ganz entfernt hörte man noch das Heulen der Sirene und das immer leiser werdende Stampfen.

„Ist das nicht großartig?“ vernahm William neben sich eine helle, dünne Greisenstimme. „Nun, sagen Sie selbst: Ist das nicht großartig?“

Etwas mitleidig lächelnd sah William auf die schmächtige Gestalt des Mannes im grauen Regenmantel herab. Der Schein einer Laterne erhellte matt das Gesicht des Fremden, und William erkannte unter dem schwarzen Hut hinter scharfen Gläsern zwei durchdringende, kleine Augen.

„Was war das?“ erkundigte sich William, nur um nicht unhöflich zu erscheinen, denn er hatte wirklich an anderes zu denken.

„Das wissen Sie nicht?“ rief das kleine Männchen erstaunt aus. „Aber das ist doch das Neueste: Unsere Gorillas! Abteilung G. der Kriminalpolizei! Warum soll nur Chikago Gorillas haben, was? Ist nicht einzusehen, nicht wahr? Jetzt können wir sie gerade sehr gut brauchen. Am Hudson liefern sich die Banden Petersens und Mc Carthys eine Straßenschlacht. Da platzen die Gorillas dazwischen. Eine wahre Freude! Können Sie sich das vorstellen? Oh, wenn ich noch jung wäre, ich möchte gleich solch ein Gorilla werden …“

„Ich danke Ihnen sehr“, sagte William artig. „Aber ich muß jetzt gehen …“

„Bitte sehr“, wehrte der Fremde freundlich ab. „Ich habe mich aufrichtig gefreut, daß Sie mir so aufmerksam zuhörten. Man findet das selten heutzutage. Die Jugend ist so schlecht erzogen. Und wenn Sie noch mehr über die Gorillas erfahren möchten, so fragen Sie Ihren Herrn Bruder. Er kann’s Ihnen sagen. Gute Nacht!“

„Halt! Halt!“ rief William überrascht. „Sie kennen mich? Und auch meinen Bruder?“

Der kleine Mann blieb stehen.

„Warum soll ich Sie nicht kennen, Mr. Elgin? Ich kenne viele Leute, die mich nicht kennen. Fast möchte ich sagen, daß kein einziger guter Mensch mich kennt — ausgenommen die Kollegen im Dienst. Denn wer mich kennenlernt, hat meistens etwas ausgefressen.“

„Wer sind Sie?“ fragte William rasch.

„Captain Hearn … das heißt — nein, Inspektor Hearn. Ich war zehn Jahre lang Captain, und ich habe mich an diesen Titel so sehr gewöhnt, daß ich meinen neuen immer wieder vergesse. Man hatte mich zehn Jahre lang übergangen, weil ich alles anders mache als die übrigen und dabei doch zum Ziel komme. Das ist verboten. Machen Sie nie etwas anders als die übrigen. Das ist der Rat eines alten, aber erfahrenen Mannes. Und nun, leben Sie wohl, junger Mann …“

„Entschuldigen Sie, nur noch einen Augenblick“, bat William. „Ich möchte Sie um Rat fragen, um einen Rat bitten …“

„Bitte sehr. Ich bin für alle zu sprechen. Jeden Tag zwischen acht und zwölf Uhr im Hauptquartier der Polizei. Morgen und übermorgen und immer, solange es einen Captain, wollte sagen: Inspektor Hearn gibt.“

„Aber es eilt, es muß gleich sein“, sagte William. „Sonst nützt es mir nichts.“

Der Inspektor sah ihn eine geraume Weile tadelnd an, dann erwiderte er kurz:

„Begleiten Sie mich. Unterwegs können Sie erzählen.“

William schritt neben Hearn einher. Er bemühte sich, kleinere Schritte zu machen, damit der Gegensatz zwischen seinen und denen Hearns nicht so augenfällig würde, aber es wollte ihm nicht gelingen.

„Zum Teufel, so gehen Sie doch, wie Ihnen die Pedale gewachsen sind!“ schalt Hearn plötzlich. „Oder glauben Sie, ich hätte noch nicht bemerkt, daß meine Beine etwas kürzer als Ihre geraten sind? Los! Erzählen Sie!“

„Bei mir ist eingebrochen worden“, stieß William erregt hervor. „Aber es fehlt nichts, sogar das Geld ist da … Und da dachte ich … Da fiel mir ein … Mein Bruder hatte doch ein paarmal ein schmales Aktenheft zu Hause …“

„Ein schmales, blaues Aktenheft mit der Aufschrift — mit Tinte —: dienstlich, streng geheim?“ warf Hearn ruhig dazwischen.

„Die Aufschrift habe ich nicht gelesen, aber so sah das Heft aus. Blau, ja, bestimmt blau. Es ist nicht da. Wenn mein Bruder es nicht in seinem Dienstzimmer gelassen hat, muß es gestohlen worden sein. Oder halten Sie das für unwahrscheinlich?“

„O nein, streng geheime dienstliche Sachen werden sehr oft gestohlen … Übrigens weiß ich, daß Ihr Bruder das Heft heute nachmittag mit nach Hause nahm …“ Hearn blieb plötzlich stehen. „Hier ist eine Fernsprechzelle … Hm … Warten Sie mal einen Augenblick: ich muß mal einem Bekannten guten Abend wünschen.“

„Aber die Sache mit meinem Bruder eilt gewiß sehr …“ widersprach William.

Hearn lächelte.

„Die Sache mit meinem Bekannten eilt auch sehr. Wenn ich ihn nicht gleich anrufe, wird es Nacht. Wie soll ich ihm dann einen guten Abend wünschen?“

Mißmutig sah William zu, wie Hearn in die Zelle trat. Durch die matte Scheibe der Tür konnte er beobachten, wie der kleine Inspektor einen Anschluß herstellte und dann sprach — mit einer aufreizenden Gemütlichkeit sprach. William überlegte, ob er den Inspektor nicht einfach hier stehen lassen und schleunigst zu Jim eilen sollte, aber dann hielt ihn davon doch der Gedanke ab, daß Hearn in diesem Falle sicherlich Wirksameres unternehmen könne als Jim. Verstimmt und ungeduldig lief er vor dem Fernsprechhäuschen auf und ab, und es war ein sehr hörbarer Seufzer der Erleichterung, mit dem er den Inspektor empfing, als die Tür des Häuschens sich endlich öffnete.

„Nun, und was wünschen Sie von mir?“ fragte Hearn sehr vergnügt.

„Ich wollte Sie bitten, mir zu helfen oder zu raten, wie ich etwaige schlimme Folgen dieses Diebstahls verhindern könnte.“

„Hm … Ja … Sehr gern …“ murmelte Hearn nachdenklich. „Aber . . sehen Sie, eine Hand wäscht die andere. Ich will Ihnen helfen, aber Sie müssen dafür auch mir einen Gefallen erweisen.“

„Aber natürlich, Inspektor, wenn ich etwas für Sie tun kann …“

„Wenn Sie es nicht könnten, würde ich mich wohl kaum an Sie wenden. Sehen Sie ein, daß Ihre Rede töricht war?“

„Inspektor, wir haben wirklich keine Zeit, um …“

Hearn blieb stehen.

„Erst sagen Sie mir gefälligst, ob Sie einsehen, wie töricht Ihre Rede war“, beharrte er eigensinnig.

„Sie war unglaublich töricht!“ rief William gereizt. „Aber wir haben Eile, Inspektor, und Sie stehen da …“

„Wenn Sie Ihre Augen aufmachen, werden Sie bemerken, daß ich dicht neben einem Taxi stehe. Wenn ich große Eile habe, bleibe ich immer erst neben einem Taxi stehen, dann steige ich ein und dann …“

William riß den Schlag auf, und Hearn kletterte in den Wagen.

„Wohin?“ fragte der Taxilenker.

„Zum Hafen“, bestimmte Hearn.

„Zum Hafen?“ William sah den Inspektor groß an. „Mr. Hearn, warum denn zum Hafen?“

„Weil die großen europäischen Dampfer meistens im Hafen anlegen.“

„Inspektor, Sie bringen mich zur Verzweiflung! Was in Dreiteufelsnamen gehen mich die großen europäischen Dampfer an?“

Hearn zog seine Uhr.

„Sehr viel, Mr. Elgin. Mit einem dieser Dampfer kommt nämlich heute meine Nichte aus Europa an, und die wollen wir abholen. Das ist es nämlich, wobei Sie mir behilflich sein sollen. Ich bin ja ein reifer, erfahrener Mann — das läßt sich nicht leugnen, nicht wahr? — aber ich habe noch nie mit Nichten zu tun gehabt. Haben Sie Nichten?“

„Nein.“

„Das ist ein beneidenswerter Zustand, Mr. Elgin, ein sehr beneidenswerter! Eine Nichte ist eine große Belastung, besonders für einen Junggesellen und besonders, wenn sie zwanzig Jahre alt und vielleicht auch noch hübsch ist. Aber das letztere ist noch nicht geklärt. Hoffentlich sieht sie wie eine Eule aus.“

„Mr. Hearn, ich bitte um Verzeihung, aber die Sache mit den gestohlenen Papieren eilt doch. Sie wissen es doch: es muß etwas getan werden! Wir können ja nachher ein Dutzend Nichten abholen, aber erst …“

„Es muß etwas getan werden!“ wiederholte Hearn mit seinem dünnen Stimmchen pathetisch. „Ich will Ihnen mal was sagen, junger Mann. Diese Papiere entscheiden über Leben und Tod von vier Männern — von braven, tüchtigen Männern! Die Sache ist viel ernster, als Sie denken …“

„Und da halten Sie hier lange Reden über ganz unnützige Dinge …“

„Sehr richtig: Nichten sind unnützige Dinge!“ rief Hearn munter. „Im übrigen sind Sie viel dusliger, als Sie aussehen. Glauben Sie, ich kutschiere hier mit Ihnen in der Weltgeschichte umher und versäume meine Pflicht? Nee, mein Sohn. Erst die Pflicht, dann die Nichte! Haben Sie denn nicht gesehen, wie ich einem Bekannten guten Abend wünschte?“

„Aber was hat denn das damit zu tun …“

„Der Bekannte heißt Durham und ist Chefinspektor der Kriminalpolizei. Und jetzt bin ich müde von Ihrem Geschwätz. Ich möchte schlafen. Wecken Sie mich, wenn die Kalesche hält. Das wird ja wieder mal ein teurer Spaß … Und alles wegen Eurer gestohlenen Papiere … Paßt doch nächtens auf, wenn man Euch bestehlen will. Legt Selbstschüsse, Fußangeln, haltet bissige Hunde! Also jetzt gute Nacht.“

„Wir sind da“, erklärte der Fahrer.

„Was?“ rief Hearn böse. „Ausgerechnet jetzt sind wir da! Wieviel kostet denn das Vergnügen? Aha, zeigen Sie mal die Uhr! Das ist schandhaft teuer, lieber Kaleschenlenker. Einfach schandhaft! …“

„Es ist die vorgeschriebene Taxe“, antwortete der Fahrer und hob die Schultern.

„Darf ich vielleicht einen Teil der Kosten beisteuern?“ erkundigte sich William höflich.

„Aber natürlich!“ rief Hearn freudig. „Bitte, tun Sie sich keinen Zwang an. Bitte, zahlen erst Sie einen Teil. Was übrig bleibt, begleiche dann ich.“

Abteilung G.

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