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I.
Resonanz als Grundlage menschlicher Existenz

„Sagt mir, was bedeutet der Mensch? Woher ist er gekommen? Wo geht er hin? Wer wohnt dort oben auf goldenen Sternen?“ So fragt der „Jüngling-Mann“ die Wogen des Meeres in Heinrich Heines Gedicht „Fragen“ und kommt in ihrem Gemurmel, im Wehen des Windes, im Fliehen der Wolken und im gleichgültig kalten Blinken der Sterne zur Gewissheit, dass lediglich Narren auf Antwort warten …“5 Trotzdem scheint sich das Fragen nicht nur für Narren zu lohnen. Nicht, weil jemand schlüssige Antworten wüsste, sondern weil das Fragen, das Suchen, das Ausschau-Halten nach besseren Möglichkeiten zum Menschen gehört, in immer neue drängende Fragen mündet und für kreative Unruhe sorgt.

Die Suche nach Nahrung für Mensch und Vieh, nach Weideplätzen und Wasserstellen bestimmt schon den Lebensrhythmus des biblischen Menschen. Hochbetagt bricht Abram auf, um neue Weiden und Oasen zum Rasten zu finden, getrieben von der Sehnsucht nach dem Paradies, einem Land, „in dem Milch und Honig fließen“. (5. Buch Mose, Kapitel 26,9.) Wie der biblische Mensch versuchen Menschen zu allen Zeiten als „homines viatores“ ihren Platz zu suchen, den Ort zu finden, an dem sie zu dem werden können, die sie gewesen sein werden, wenn einmal nur mehr ein paar Zeilen an ihren Gräbern daran erinnern, was vorher in ihren Personaldokumenten, in der sogenannten „Identity Card“, vermerkt war: neben dem aktuellen Wohnort der Ort und das Datum der Geburt, vielleicht noch der Beruf und früher einmal auch noch sein religiöses Bekenntnis.

Aber dieses Knochengerüst persönlicher Identität sagt nichts darüber, was einen Menschen von Anfang an und über seinen Tod hinaus einzigartig und unverwechselbar gemacht hat, kein Wort über den Tränen der Freude und des Leides, nichts von den Höhepunkten, den Schicksalsschlägen und den daraus gewonnenen Erfahrungen … Was aber jeden Menschen einzigartig und unverwechselbar zu dem Menschen macht, der er in dieser seiner Welt ist und war, das ist die verlässliche Konstante der Resonanz: Alles, was er erlebt und im Blick zurück erlebt haben wird, verdankt er als Gemeinschaftswesen dem Geheimnis der Resonanz. Es ist die Resonanz, durch die Menschen schon lange vor seiner Geburt auf sein Kommen gewartet haben und ihn lange nach seinem Gehen aus dieser Welt nicht vergessen konnten.

Was ist Resonanz?

Das Wort „Resonanz“ kommt aus dem Lateinischen „re-sonare“ und kann wörtlich mit „zurück-tönen“ oder „widerhallen“ übersetzt werden. In der Physik ist damit das Mitschwingen oder auch Mittönen eines Körpers gemeint. Im sozialen und psychologischen Kontext wird damit alles beschrieben, was mit Mitschwingen, Akzeptanz, Würdigung, Lob, Achtung, Respekt, Wertschätzung, Anerkennung, Anklang, Sympathie, Empathie und Einfühlungsvermögen in Verbindung steht.

Wie kein anderer in den vergangenen Jahren hat sich der deutsche Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa mit diesem Thema beschäftigt und die Kernthese seiner Arbeit in den folgenden Worten zusammengefasst: „Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung.“6 Rosa skizziert eine „Soziologie der Weltbeziehung“, ein Möglichkeitsfeld für gutes Leben, und plädiert dabei dafür, bei allen Lösungsansätzen die Unruhe zu bewahren, die wie in einem Uhrwerk erst unser Lebendig-Sein garantiert. Dabei zeigt er auf, wie eine Welt in der ständigen Vergrößerung ihrer Reichweiten und Möglichkeiten immer stummer und schwieriger wird, ein Dialog mit ihr beinahe unmöglich erscheint. Gegen diese fortschreitende Entfremdung zwischen dem Menschen und seiner Welt setzt Rosa die Resonanz als klingende, unberechenbare Beziehung mit einer nicht-verfügbaren Welt.

Zur Resonanz kommt es, sagt er, wenn wir uns auf Fremdes, Irritierendes einlassen, auf all das, was sich außerhalb unserer kontrollierenden Reichweite befindet. Weil sich das Ergebnis dieses Prozesses nicht vorhersagen oder planen lässt, kommt überall dort, wo sich Resonanz ereignet, immer auch ein Moment von Unverfügbarkeit ins Spiel.7

Ein Mensch, der sich hingegen von anderen Menschen fernhält, mit ihnen nichts zu tun haben will und deshalb sein Haus außerhalb der Stadtmauern baut, wurde im antiken Griechenland mit dem Schimpfwort „idiotes“ bedacht, aus der Überzeugung, dass der Mensch als „zoon politikon“, als Gemeinschaftswesen, den anderen Menschen braucht, um in Resonanz mit ihm sein eigenes Leben leben zu können. Die Neurobiologie bestätigt das: Nach nichts hat der Mensch mehr Sehnsucht als danach, von einem anderen Menschen wertgeschätzt, willkommen geheißen und geliebt zu werden. Und nichts kränkt ihn mehr, als ausgegrenzt, abgelehnt und „nicht einmal ignoriert“ zu werden. Das hat die Forschung in den vergangenen Jahrzehnten beeindruckend bestätigt und so die Rolle des Menschen als Gemeinschafts- und Resonanzwesen in den Mittelpunkt ihres Interesses gestellt. „Kern aller menschlichen Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben“8, formuliert dazu der Arzt, Gehirnforscher und Psychotherapeut Joachim Bauer und beschreibt höchst anschaulich die Entstehung des menschlichen Selbst durch Resonanz:

„Wenn sich zwei exakt gestimmte Gitarren gegenüberstehen und die tiefe E-Saite der einen Gitarre stark angezupft wird, werden die von ihr ausgesandten Schallwellen auch die E-Saite der anderen Gitarre zum Klingen bringen. Ähnlich dazu können auch Menschen durch Mitmenschen mit Gefühlen ‚angesteckt‘ und verändert werden. Menschen verfügen über ein neuronales Resonanzsystem, das bereits bei Säuglingen in Funktion ist. Die Art, wie wir uns gegenseitig ansprechen und behandeln, führt im jeweils anderen Menschen zu einer Resonanz. Die Art, wie erwachsene Bezugspersonen auf den Säugling reagieren, hinterlässt im Säugling eine Spur; eine Botschaft, die ihm Auskunft darüber gibt, wer er ist. Die an ihn adressierten Botschaften addieren sich im Säugling und bilden den Kern seines Selbst.“9

Der ermutigte Mensch

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