Читать книгу Reigen Reloaded - Arthur Schnitzler, Arthur Schnitzler - Страница 13

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Als Josef die Bar betrat, stand sie an der Theke und lächelte.

Hallo, Franz, sagte sie, kennst du mich noch? Restaurant Zum Englischen Reiter.

Josef stutzte. Er war noch nie im Englischen Reiter.

Genau, sagte er, im Prater, oder?

Ja, sagte sie, wo ich kellneriert hab.

Ich weiß.

Du erinnerst dich?

Als ob es gestern gewesen wäre!

Wirklich?, sagte sie. Wenigstens einer, der mich nicht vergessen hat.

Wie könnte ich!, sagte Josef. Wie geht es dir?

Mia, rief einer von den Tischen, noch ein Viertel Weiß!

Bin außer Dienst, rief sie zurück.

Kannst es mir ja trotzdem bringen!

Arschloch!, sagte sie zu Josef. Nichts als Arschlöcher!

Kellnerierst du hier?

Ja, aber heut ist mein freier Tag.

Und den verbringst du ausgerechnet hier, unter den Arschlöchern?

Wo sind keine Arschlöcher?, sagte sie. Die hier kenne ich wenigstens. Außerdem wolle sie sich sowieso umorientieren. Zwei Jahre Englischer Reiter, ein Jahr Eisvogel und jetzt hier. Hier wäre sowieso der blanke Horror, sagte sie. Das ständige Blöd-angequatscht-Werden. Das dauernd Vongroßen-Plänen-hören-Müssen, von Studienabbrüchen, von Beziehungsdesastern, von vergeblichen Jobsuchen, Wohnungssuchen, Sinnsuchen.

Ich versteh dich gut, sagte Josef.

Du verstehst, dass ich das nicht mehr aushalte?

Absolut, sagte Josef. Bewundernswert, dass du es bis jetzt ausgehalten hast.

Findest du auch?

Unbedingt! Kellnerieren ist doch die Hölle, oder?

Hast du auch einmal kellneriert?

Ich? Nein. Aber ich stelle mir vor, es ist die Hölle.

Es ist nur die Hölle!, sagte sie.

In Wirklichkeit wolle sie sowieso keinen neuen Job mehr. Was sie noch niemandem gesagt habe. Was sie nur ihm sage. Weil sie ihn schon lange kenne. Weil sie Vertrauen zu ihm habe. Weil er sie verstehe. Weil er ihre Situation richtig einzuschätzen wisse. Weil sie das Gefühl habe, er sei auf ihrer Seite. Was sie wirklich wolle, sei, sich von allem zurückzuziehen, sich radikal zu minimieren. Die Wohnung aufzugeben, das Studium, das habe sie schon aufgegeben, das Handy wegzuwerfen, kein Facebook, kein Instagram, kein Twitter, nichts mehr zu kaufen, die Kleider zu verschenken, die Kosmetika, die Bücher, ihren Schreibtisch, auf dem sie nicht mehr schreibe, ihr Bett, in dem sie nicht mehr schlafen könne. Denn sie brauche nichts. Niemand brauche etwas, aber alle täten so, als bräuchten sie alles. Sie aber nicht. Sie nicht mehr. Sie wolle nichts. Sie wolle einen Film drehen über Nichts, Gedichte schreiben über Nichts, Romane schreiben, tausend Seiten, über Nichts. Sie wolle sich befreien, alles abwerfen, alles vergessen. Sie sei achtundzwanzig und habe nicht mehr viel Zeit. Sie wolle sich beschränken, jetzt, auf das Wesentliche, auf das Existenzielle, auf das Unentbehrliche, auf das absolut Unentbehrliche, auf das Wirkliche, auf das absolut Wirkliche.

Aber das Studium, sagte Josef, warum das Studium aufgeben?

Ach, was, Studium!, sagte sie. Diese sinnlosen Studien! Wer braucht schon Linguistik? Oder Komparatistik, die sie vor der Linguistik studiert habe? Oder Translationswissenschaften, die sie vor der Komparatistik, oder Kulturwissenschaften, die sie nach den Translationswissenschaften studiert habe? Auch Lebenswissenschaften habe sie studiert. Genau, sagte sie, es gebe ein Studium der Lebenswissenschaften. Sei das nicht grotesk? Aber es sei ein wunderbares Gefühl gewesen, wenn sie jemand gefragt habe, was sie studiere, zu sagen: Ich studiere Lebenswissenschaften. Heut noch, in bestimmten Momenten, würde sie diesen Satz laut vor sich hinsprechen: Ich studiere Lebenswissenschaften. Ob er sich das vorstellen könne. Ob er sich vorstellen könne, was das Aussprechen eines bestimmten Satzes in einer bestimmten Situation für sie bedeute?

Oh, ja, sagte Josef, das könne er sich gut vorstellen. Jeder habe so einen Satz, der eine besondere Bedeutung habe, der einen in einer bestimmten, beschissenen Situation wieder aufrichten könne. Auch er.

Du verstehst mich, sagte sie.

Ich versteh dich sehr gut, sagte Josef und legte ihr den Arm um die Schulter. Was trinkst du? Ich lade dich ein.

Echt?

Ja, sagte Josef, zur Feier des Tages.

Welche Feier?

Dass ich dich getroffen hab.

Dass du mich getroffen hast?

Genau. Dass ich dich getroffen hab.

Sie lachte und sagte: Wenn das so ist, dann noch ein Glas Wein bitte!, und lehnte sich an ihn. Mich hat schon lang niemand mehr eingeladen.

Dann wird es höchste Zeit!, sagte Josef.

Sie müsse ihm etwas gestehen, sagte sie, was sie ihm schon bei ihrem ersten Treffen im Englischen Reiter hätte sagen können.

Und das wäre?

Dass er der Erste sei, der nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit der Seele zuzuhören fähig sei, der begreifen könne, wovon sie rede, was das überhaupt sei, das Existenzielle. Der in der Lage sei zu verstehen, was sie meine mit dem Nichts, das sie anstrebe und mit dem sie nach Indien wolle, um es dort zu vertiefen. Der sie nicht der Spinnerei bezichtige, der Besoffenheit oder der Frustriertheit, und der ihr nicht empfehle, sich nur ordentlich durchficken zu lassen, dann hätte sie ihr Existenzielles. Alle sagten: Wozu Indien? Ein Arschfick sei Indien genug.

Sie trank ihr Glas leer. Josef küsste sie auf die Wange und, als sie ihm ihr Gesicht zuwandte, auf den Mund.

Was machst du mit mir?, sagte sie. Wer bist du? Wo kommst du her? Du tauchst hier auf mitten in der Nacht, und ich erzähle dir alles von mir. Und habe ich das Gefühl, ich bräuchte es dir gar nicht zu erzählen, du weißt ohnehin schon alles von mir, du kennst mich. Wie bin ich?, sagte sie. Wer bin ich? Verrate mir meine Geheimnisse.

Die kennst nur du, sagte Josef.

Nein, du kennst sie! Was muss ich tun?

Um nach Indien zu kommen?

Um glücklich zu sein.

Nicht um nach Indien zu kommen?

Indien kann überall sein, sagte sie.

Josef lachte. Noch ein Glas Wein?

Warum nicht, sagte sie.

Oder treibst du nur ein Spiel mit mir, sagte sie plötzlich und rückte etwas ab von ihm, und willst mich nur ficken wie alle anderen?

Aber Tina, sagte Josef und rückt wieder näher an sie heran.

Mia, sagte sie, ich heiße Mia.

Mia, ich unterhalte mich gern mit dir. Du bist eine Frau, die weiß, was sie will. Die sich verändern möchte.

Ja, das möchte ich.

Die ihr Leben in den Griff kriegen will. Die nicht aufgibt. Das interessiert mich. Mich interessieren Menschen, die sich nicht zufriedengeben mit dem, was sie haben. Die aus sich etwas machen möchten.

Genau, Franz, ich möchte aus mir etwas machen. Ich bin zwar spät dran …

Aber nicht zu spät, Mia. Es ist nie zu spät.

Meinst du?

Das meine ich.

Du glaubst wirklich, dass ich alles noch auf die Reihe kriege?

Unbedingt! Du bist intelligent. Du hast Fantasie. Du hast noch Wünsche ans Leben. Und vor allem, Mia, Energie, um sie umzusetzen. Eine Power! Wer die nicht mehr hat, ist verloren. Aber du hast sie!

Genau, Franz, die hab ich.

Auf dich und deine Power!, sagte Josef, hob sein Glas und stieß mit ihr an. Auf dass dir alles gelingen möge!

Danke, sagte sie und drückt sich an ihn. Du bist super! Wieso wir nicht schon damals so geredet haben, im Englischen Reiter!

Die Zeit war noch nicht reif, sagte Josef.

Ja, da kannst du recht haben, Franz. Ich war noch nicht so weit.

Und ich hätte auch einen Job für dich.

Einen Job? Was für einen Job?

Mit mehr Geld und ohne Arschlöcher.

Mia!, rief der von vorhin quer durch das Lokal, wo ist mein Viertel?

Leck mich doch am Arsch!, rief sie zurück. Ich hab frei!

Dann her mit deinem Arsch!, rief der andere, und alle an seinem Tisch lachten.

Hör nicht hin, sagte sie. Also, was ist das für ein Job?

Nicht hier, sagte er und stand auf, bei dem Krach kann man nicht reden.

Wieso nicht?, sagte sie. Wo willst du hin?

Zu dir?

Zu mir?

Du hast doch sicher auch was zu trinken, oder?

Das schon. Aber ich weiß nicht. Ein anderes Lokal?

Um diese Zeit?, sagte Josef. Wo sicher genauso viel Krach ist. Du willst ja etwas über den Job wissen, oder?

Ja, unbedingt.

Wohnst du weit?

Nein, gleich hier um die Ecke.

Optimal!

Josef zahlte.

Sie wohnte auf Zimmer-Küche. Die Dusche befand sich neben dem Herd. Er drückte sie dagegen, als er sie küsste und ihr zwischen die Beine griff. Sie wehrte ab. Wir wollten doch über den Job reden, sagte sie. Gleich, sagte er, es ist ein guter Job. Und wo, welche Firma?, sagte sie und zog seine Hand weg. Aber der Zipp ihrer Hose war schon offen, und mit einem Ruck stieß er, gegen ihren Widerstand, die Hand unter ihren Slip hinein und seine Finger zwischen ihre Schamlippen. Franz, rief sie, nicht jetzt! Sie versuchte, seinen Fingern zu entkommen, was nicht gelang, und ließ es geschehen.

Er drängte sie ins Zimmer, sah das Bett und ließ sich mit ihr auf das Bett fallen. Er küsste sie ab und zerrte ihr die Hose hinunter. Franz, rief sie, ich bin betrunken, ich will jetzt nicht. Bin ich auch!, rief er. Das müssen wir feiern! Und du bist eine tolle Frau, du bist super, und du wirst es schaffen! Mit dem Job wirst du es schaffen! Hör bitte auf, sagte sie, und sag mir, was für ein Job ist das? Gleich, sagte er, zog ihr die Hose vollständig hinunter, samt Slip, spreizte ihre Beine, was sie zuließ, legte sich dazwischen und stieß mit seinem Schwanz ein paar Mal daneben, ehe er in sie eindrang. Ach, Franz, sagte sie und umklammerte ihn, wir werden es schaffen! Ja, sagte Josef, wir schaffen das, und stieß immer heftiger zu, wir schaffen das! Ja, wir schaffen das! Und ejakulierte.

Franz, sagte sie, als sie nebeneinanderlagen, sie mit dem Kopf auf seiner Brust, ich will nicht mehr nach Indien.

Nein?

Nein.

Weil Indien eh überall ist?

Nicht überall, sagte sie, hier. Hier ist Indien. Und drückte ihn fest an sich. Und der Job?, sagte sie. Was ist das für ein Job? Und wo …

Gleich, sagte er. Da war sie schon eingeschlafen.

Er hob ihren Kopf vorsichtig von seiner Brust und legte ihn neben sich. Sie zuckte kurz, wachte aber nicht auf, tastete nur nach seiner Hand, ergriff sie und hielt sie fest. Er überließ sie ihr und horchte auf ihren Atem. Er sah sich im Zimmer um: eine Stellage mit Büchern, ein offener Kleiderkasten, Wäsche auf dem Boden, Poster an der Wand von Patti Smith und Amy Winehouse, gebrauchte Taschentücher, Medikamentenschachteln, eine angebrochene Wodkaflasche.

Eine Weile wartete er noch und sah ihr zu, wie sie schlief. Er erhob sich vorsichtig und zog sich an. Wie hieß sie? Tina? Pia? Lisa? Irgendetwas mit a. Er erinnerte sich nicht mehr. Auf der Tür außen gab es kein Namensschild. Er horchte noch einmal in die Wohnung hinein, hörte nichts und ging.

Reigen Reloaded

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