Читать книгу Reigen Reloaded - Arthur Schnitzler, Arthur Schnitzler - Страница 17
ОглавлениеAls Benedikt die Galerie betritt, ist es fünf Minuten vor Ladenschluss. Anna hantiert an einem Schild, das auf dem Sockel einer kleinen Skulptur deren Titel („ohne Titel“) und Preis (EUR 7.000) angibt. Wie aus tiefer Versunkenheit gerissen wendet sie sich um. Bei Benedikts Anblick strahlt ihr Mund zu einem Lächeln auf wie eine Blüte im Zeitraffer.
Oh, hallo!, sagt sie. Das freut mich aber!
Benedikt kommt zögerlich näher. Ich störe Sie doch nicht?
Aber nein!, sagt Anna. Bin schon fertig. Haben Sie den Vertrag dabei?
Benedikt öffnet sein Jackett und greift Richtung Innentasche.
Warten Sie, sagt Anna, ich sperr gleich zu, dann können wir das in Ruhe besprechen.
Sie schließt den Ladeneingang der Galerie ab: Bitte kommen Sie doch. Hinten ist es viel gemütlicher.
Anna geleitet Benedikt durch die gleißend beleuchteten Ausstellungsräume zu einem schmalen Gang. Dieser führt in das Hinterzimmer, das wie ein gediegener Wohnraum eingerichtet ist. Zwei breite, mit goldenem Samt bezogene Sofas stehen einander gegenüber, auf das eine wirft Anna ihre Handtasche, auf das andere weist sie Benedikt mit der Hand, sich zu setzen.
Schöne Bilder, sagt Benedikt und deutet um sich.
Jaja, sagt Anna, ein Glas Rotwein vielleicht?
Eigentlich bin ich ja mehr der Whisky-Typ.
Soso?, sagt Anna und kramt in einer Kommode. Da ist was da, man kriegt ja auch so einiges geschenkt. Aber das trinkt hauptsächlich mein Mann. Da – Highland Park, dreißig Jahre, ist das okay?
Oh ja, sagt Benedikt, oh ja.
Anna stellt ihm die Flasche und ein Glas auf den Couchtisch, ihr eigenes Weinglas und die Rotweinflasche dazu.
Sie setzt sich neben ihn. Er schenkt sich Whisky ein, riecht daran: Unglaublich.
Gut?, fragt Anna. Dann stoßen wir doch mal an.
Die Gläser klirren aneinander.
Wenn ich mich recht erinnere, sagt Anna, waren wir eigentlich schon per du …
Ich glaube nicht, dass wir nach dem ersten Kuss noch per Sie waren, sagt Benedikt.
Das war aber der Rotwein, ruft Anna, dieser exzellente friulanische … den möchte ich übrigens unbedingt für den Vierziger meines Mannes …
Ist schon notiert, sagt Benedikt, das haben wir bei der Degustation schon besprochen. Der Pignolo ist dabei.
Ich kann mich ja an nichts erinnern, sagt Anna, so viele Weine! Der Abend ist mir gänzlich im Gedächtnis verschwommen, wie etwas Unwirkliches – was ist jetzt mit dem Vertrag?
Benedikt holt den Vertrag aus der Innentasche seines Jacketts und faltet ihn auf. Es ist sehr heiß hier, sagt er, ich zieh das Jackett lieber aus. Also, was haben wir hier – Geburtstagsfest für achtzig Personen, zum Empfang Fingerfood, Fleisch, Fisch, Vegetarisch, dann Buffet mit sechs Hauptgerichten plus Beilagen und Salatbar … Er fährt mit dem Finger über das Papier.
Anna beugt sich nah zu ihm: Die Trüffelminignocchi, sind die dabei?
Sind dabei.
Die waren göttlich.
Das freut mich. Da stehen die Getränke, Prosecco, Weine, Rot, Weiß, Port.
Der Port war sensationell, sagt Anna.
Nicht billig, sagt Benedikt, aber …
Na, wer wird denn bei seinem Ehemann sparen? Anna unterschreibt den Vertrag.
Besten Dank, sagt Benedikt, es ist ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen. Er faltet den Vertrag sorgfältig wieder zusammen und steckt ihn in die Innentasche des Jacketts, das er dann auf das Sofa gegenüber legt. Er setzt sich wieder neben Anna, sie stoßen an.
Auf das Geschäft!, sagt Anna.
Auf einen wunderbaren Abend, sagt Benedikt. Übrigens: Vier Leute im Service sind dabei, zwei am Buffet, ich natürlich auch, um alles zu beaufsichtigen …
Ein Handy klingelt.
Das ist deins, sagt Anna und deutet auf das Jackett. Benedikt geht wieder um den Couchtisch herum, nimmt das Handy aus dem Jackett. Schaut auf das Display, seufzt: Ja? Aha, jaja. Wird noch dauern. Ja, großer Kunde. Achtzig Leute, Geburtstagsfeier... Ich bitte dich, hör doch … Ich leg jetzt auf … Nein! Ich hab jetzt keine … Wird spät, wird spät … Starrt auf das Display, seufzt, stellt das Handy auf Flugmodus, schiebt es zurück in das Jackett. Er setzt sich wieder zu Anna.
Deine Frau?, fragt sie.
Ja, sagt er, hat aufgelegt.
Sie starren einander an, dann beginnen sie einander leidenschaftlich zu küssen. Nach einer Weile lassen sie wieder voneinander ab, um zu trinken.
Und dein Ehemann?, fragt Benedikt.
Hat mir was angehängt.
Ein Kind?
Papillomaviren. HPV 16. Kann zu Gebärmutterhalskrebs führen. Wenn ich daran sterbe, wird er mich umgebracht haben, der Arsch.
Also du bist … du hast …
Ich war immer treu, sagt Anna, bis ich draufgekommen bin, dass er es nicht war. Wie hat es Arthur Schnitzler doch so schön formuliert? „Wenn Treue nicht ein Gegengeschenk ist, dann ist sie die törichteste aller Verschwendungen.“
Wow, Schnitzler, sagt Benedikt und nimmt einen Schluck Whisky, aber um noch einmal auf diese Papillomasache zurückzukommen …
Anna steht auf, nimmt ihre Handtasche vom Sofa gegenüber, holt eine Handvoll Kondome heraus: Die von mir präferierte Marke, dein Einverständnis vorausgesetzt.
Wird schon passen, sagt Benedikt. Aber warum so sachlich die ganze Zeit? Bist du denn gar nicht romantisch? Das ist ja kein Tinder-Date.
Auf Tinder sind auch alle ganz romantisch, sagt Anna, im Chat heißt es: Ich will mit dir an einsamen Stränden die Seelen verschmelzen lassen und so weiter, und dann im real life: wham, bam, thank you ma’am.
Benedikt schüttelt den Kopf: Das gehört sich aber nicht.
Nein, oder?
Nein. Man muss doch aus so einer Gelegenheit was machen. Ich meine: mit so einer Frau! Er nimmt Anna das Weinglas aus der Hand, stellt es auf dem Couchtisch ab und küsst sie. Als er ihr mit der Hand unter den Rock fährt, schiebt sie ihn weg. Sie seufzt.
Was ist?, fragt Benedikt.
Ich denke schon an danach, sagt Anna, ich weiß, ich sollte das nicht tun. Es ist immer das Gleiche. Du bist dann schon weg, geistig und körperlich, aber ich …
Na na, sagt Benedikt und legt ihr begütigend die Hand auf den Oberschenkel, aber über dem Rock.
Weißt du was?, sagt Anna. Ich sag dir einfach vorher, wie es für mich sein wird. Die Geduld wirst du ja haben. Also: Die Liebesnacht ist wie Eislaufen auf einem einsamen Fluss in nördlichen Wäldern. Dein Weg ist klar und frei und umstanden von verzauberten Gestalten: raureifumkrusteten Tannen, Schneewächten mit Gesichtern, Felsen, über die gefrorene Wasserfälle quellen. Du fährst und fährst, in dir ist es warm. Der Fluss hat Biegungen, hinter jeder fällt das Licht ein wenig anders. Links, rechts, links, rechts schneiden deine Kufen in das Eis und die kleine Bewegung wächst ganz von selbst zu einem großen Gleiten. Wer hätte gedacht, dass du so schnell sein könntest, so todesverachtend, so stark! Liegt ein Zweig auf dem Eis, weichst du ihm geschickt aus, fährst du über eine plötzliche Unebenheit, federst du sie ab mit einem eleganten Sprung, taucht aufgewehter Schnee auf deinem Weg auf, fährst du hinein und er stäubt in einer glitzernden Wolke auf, die du auch gleich wieder verlässt. Unter dem Eis siehst du riesige Fische zu dir heraufschauen, aus dem Unterholz blinzeln silberne Pelztiere, von den Wipfeln lösen sich Vögel mit einem heiseren Schrei. Der Mond gleißt, die Sterne funkeln, Nordlichter und Luftspiegelungen wabern. Du fühlst dich von der Landschaft umfangen, ja, von der Welt. Denn auch hinter der Landschaft pulsiert alles in einem tieferen Sinn nur für dich und hält dich und leuchtet und rauscht.
Klingt doch super, sagt Benedikt.
Ja, sagt Anna, aber du weißt auch, dass das Eis nicht halten wird. Dass der Moment kommen wird, wo du einbrichst und in das schwarze, eisige Wasser stürzt. Wo jeder Versuch, dich am Eisrand festzuhalten und wieder hinaufzuziehen, unweigerlich dazu führt, dass noch mehr Eis abbricht, und das Loch, in dem du strampelst, größer und größer wird. Die Kälte hat blitzschnell all deine Schutzhäute überwunden. Sie greift ganz tief in deinen Kern und du weißt, dass du mutterseelenallein bist und dass die Welt und die Landschaft sich nicht um dich scheren.
Ist das so eine postkoitale Depression, oder was?, fragt Benedikt.
Nein, nein, sagt Anna, das kommt nicht gleich nach dem Koitus, eher am Mittag danach. Wenn die schlagartige Erkenntnis einsetzt, dass es keine Liebesnacht war, sondern nur eine banale Ficknacht.
Warum machst du es dann?, fragt Benedikt.
Das Eislaufen ist ja super, sagt Anna.
Benedikt schwenkt sein Whiskyglas und riecht daran. Ich rieche nördlichen Torf, sagt er, Lagerfeuer, bittere Eiche und – etwas kandierten Apfel. Er nimmt einen kräftigen Schluck. Aber bitte sag nicht banale Ficknacht, sagt er, das klingt so … Es ist ja doch etwas Besonderes. Du bist was Besonderes.
Ja?
Du bist eine tolle Frau, sehr attraktiv, gebildet, hast eine Galerie … Die ganzen Künstler liegen dir zu Füßen …
Oh ja, sagt Anna, vor allem, wenn sie eine Ausstellung wollen. Aber du bist auch toll. Charmant … sehr gut gebaut … ein erfolgreicher Gastronom … Sie klettert auf dem Sofa etwas hinauf, um seinen Nacken zu küssen. Der Hemdkragen ist im Weg. Benedikt knöpft das Hemd auf und zieht es aus. Sie küsst weiter. Er senkt seinen Kopf, um noch besseren Zugriff zu gewähren.
Die Sache ist die, sagt Anna innehaltend – im Gegensatz zu dir zahl ich für jeden Orgasmus einen hohen Preis. Da darf ich auch ein bisschen wütend sein und so ungerecht wie die Neurobiologie.
Benedikt hebt wieder den Kopf. Schenkt sich Whisky nach. Trinkt.
Du als Mann, sagt Anna, du zahlst vielleicht allenfalls mit Geld …
Ich zahl sicher nicht, nie, sagt Benedikt, es gibt wahrlich genug attraktive Freiwillige, die liebend gern, und die man nicht aus Moldawien herschleppen muss …
Schon gut, sagt Anna, du bist eh sehr fesch, wie gesagt. Und lieb. Was ich sagen wollte, ist, dass für dich am nächsten Tag alles gut ist. Vielleicht bist du ein bisserl müde, oder ausgelaugt, oder verkatert, aber dein Kopf ist von den rezenten Ereignissen frei. Du kannst die Liebesnacht vergessen …
So ist’s brav, Liebesnacht heißt das, sagt Benedikt und küsst sie. Anna küsst zurück, dann nimmt sie einen Schluck Wein und spricht weiter: Du kannst die Liebesnacht vergessen, dich auf die Arbeit konzentrieren, alles paletti. Aber ich – wenn die Liebesnacht halbwegs gut war …
Von halbwegs reden wir hier nicht, sagt Benedikt und tänzelt mit der Zunge über ihren Hals, mit halbwegs brauchst du bei mir nicht rechnen …
Also wenn die Liebesnacht super gut war, fährt Anna sich zurücklehnend fort, dann … also …
Benedikt tänzelt mit der Zunge in ihr Ohr und sie kichert. Lass mich ausreden, sagt sie, also wenn die Liebesnacht … dann am nächsten Tag … ist mein Gehirn voll im Oxytocin- und Dopaminrausch.
Benedikt lässt von ihr ab. Du wirfst was ein?, fragt er, brauchst du das? Ich mein, ein bisserl kiffen wär schon okay.
Ich werf nichts ein, du Dillo, sagt Anna, das sind körpereigene Drogen. Beim Knutschen und Rummachen und Aufheizen und Überhitzen und Explodieren schießt das Zeug in mein Gehirn und tränkt es mit seinem köchelnden Sud, ich wälze mich tagelang danach noch jammernd herum wie eine rollige Katze, kann nicht essen, nicht denken, nicht schlafen und glaube, ich bin in dich verliebt …
Na und ich krieg keine körpereigenen Drogen?, fragt Benedikt. Ich hab schon das Gefühl, dass nicht nur der Whisky in mir wirkt.
Eh, sagt Anna, aber bei Männern ist das Zeug am nächsten Tag vollständig abgebaut, bei Frauen noch lange nicht. Also bei vielen Frauen. Bei mir.
Und da beschwerst du dich?, sagt Benedikt und knöpfelt ihre Bluse auf. Hast ewig was davon und jammerst hier herum? Seine Stimme klingt vernuschelt, weil er die Lippen gleichzeitig ihr Dekolletee hinabgleiten lässt.
Nein, nein, lacht Anna, was davon haben kann man nicht … hör auf … neinja …
Und, wie geht es jetzt deinen körpereigenen Drogen?, fragt Benedikt.
Sie sprudeln und dampfen, sagt Anna und küsst ihn, während sie gleichzeitig versucht, sich die Unterhose wieder anzuziehen. Du bist der beste Mann aller Zeiten, meine große Liebe, wir haben eine goldene Zukunft vor uns.
Wie lange wird das jetzt anhalten?, fragt er.
Ein, zwei Tage, sagt Anna. In Extremfällen zwei Wochen. Bitte kontaktiere mich nicht in der Zeit, sonst will ich dich womöglich noch wiedersehen. Ich kann dich erst wiedersehen, wenn ich dich nicht mehr wiedersehen will.
Das passt ja perfekt, sagt Benedikt, dann ist spätestens bis zum Geburtstagsfest deines Mannes am 28. alles wieder normal.
Ja, mein Engel, mein Schatz, sagt Anna.