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Erster Teil
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Sie kennen nicht François Robert? Wie schade! Hätten Sie nur einmal ein paar Worte mit ihm gewechselt, so würden Sie den Vorgang, der sich in der Zwischenzeit, also zwischen elf und zwölf Uhr nachts, in seinem Salon abspielte, durchaus natürlich finden.

Frau Dorothée war mit ihren Scheren, Bürsten und Kämmen die Hoteltreppe hinunter ins Vestibül geeilt, um nach einem Friseur zu fragen. Sie hatte das Office noch nicht betreten, als ein Herr im Frack und Samtkragen, weißer Künstlerschleife, weichem Hemd und stumpfem Zylinder ihr in den Weg trat, den Hut zog, sich tief vor ihr verbeugte und wörtlich sagte:

»François Robert – coiffeur pour pénibles dames, absolument discret – mein Salon befindet sich rechter Hand, im Gang, der Treppe gegenüber.«

Frau Dorothée stutzte, sah ihn an und fragte:

»Sie sind . . .?«

»François Robert – in eigener Person! Sie erinnern sich! Ich bin glücklich, Sie wiederzusehen – Mademoiselle Helène! – Sie sind jünger, schöner und vor allem – Sie sind schlanker geworden. Ich taxiere, sechshundert Gramm haben Sie abgenommen – es können auch siebenhundert sein Nur die Frisur gefällt mir nicht – Helène!«

»Sie irren – ich . . . bin Madame Marot . . .«

»Natürlich! Madame Marot! Ich entsinne mich der Ehre, Madame Marot im letzten Sommer in Deauville bedient zu haben.«

»Ich war auch nicht in Deauville im letzten Sommer.«

»Nicht in Deauville? O wie schade! Eine Frau wie Sie gehört nach Deauville. Ich erinnere mich des Grand Prix de Beauté. Die dunkle schlanke Frau, die man im Kursaal mit dem ersten Preise krönte, war Madame Marot aus dem Gesicht geschnitten.«

»So? – Wer war denn das?«

»Die Marquise de Poittiers, eine meiner treuesten Klienten. Sie kam mit einer Frisur à la Figaro aus Paris. Ich sagte zu ihr: Teuerste Marquise – unter uns, ich sagte Lolo – wenn Sie neben meiner Klientel, der kleinen Prinzessin von Wagram und der Tänzerin Ley von den Folies Bergères, bestehen wollen, so rate ich Ihnen zu einer Coiffure à la François Robert.«

»Und die Marquise?«

»Versuchte, mich für die Frisur Ihres Pariser Coiffeurs Monsieur Pasquier zu begeistern. – Sie meinen, was blieb mir anderes übrig, als sie anzuhören? Sie irren, Madame Marot.«

»In New York trägt man jetzt. . .«

»Ich weiß.«

»Die Frisur ist erst seit ein paar Wochen . . .«

». . . und trotzdem bereits überholt. Im übrigen nur kleidsam für Blondinen, die außer Mode sind.«

»Mister Harvey, der direkt aus New York kommt. . .«

». . . kann natürlich nicht wissen, mit welchen neuen Kreationen die Phantasie französischer Haarkünstler die Welt während seiner Überfahrt beglückt hat. – Kollege Pasquier ist gewiß ein Künstler in seinem Fach. Und Madame Marot, die der Marquise de Poittiers aus dem Gesicht geschnitten ist, so daß ich versucht bin, anzunehmen, hinter ihr verbirgt sich eine Dame der Aristokratie, die nicht erkannt sein will . . .«

»Aber nein!«

»Takt und Diskretion verbieten mir, weiter danach zu forschen.«

»Sie besitzen ein Bild der Marquise de Poittiers?«

»Ein halbes Dutzend.« – Er reichte ihr einen Lederband mit Photographien und sagte: »Bitte, blättern Sie ungeniert! Da Sie zur Familie gehören, so begehe ich keine Indiskretion.«

Photos schöner Frauen mit kitschigen Widmungen an den »großen Meister der Schere« und »unvergleichlichen Künstler« zeugten von einem oft innigen Verhältnis zwischen François Robert und seiner Klientel.

Und ohne daß Frau Dorothée wußte, wie sie eigentlich aus dem Hotelvestibül in den Frisiersalon geraten war, saß sie plötzlich mit einem Bubikopf à la François Robert vor dem großen Spiegel, in den sie – sehr gegen ihre Gewohnheit – während der ganzen Zeit nicht einen Blick hineingeworfen hatte.

Als sie sich jetzt sah, lächelte sie und sagte:

»Das ist zwar das Gegenteil von dem, was Mister Harvey vorgeschwebt hat. . .«

»Einem Manne wie ihm können Sie nur imponieren, wenn Sie das Gegenteil von dem tun, was er erwartet.«

». . . aber ich gefalle mir«, beendete Frau Dorothée ihren Satz, ohne François Robert eines Blickes zu würdigen.

»Es ist drei Minuten vor zwölf, teuerste Marquise. Um zwölf haben Sie, wenn ich Sie richtig verstand, Ihr Rendezvous mit dem Amerikaner . . .«

»Sie sind sehr naseweis, Monsieur François«, sagte Dorothée, die sich erhoben hatte, mit dem Gesicht dicht vor dem Spiegel stand und Rot auflegte.

»Aber verschwiegen«, beteuerte François. »Sie dürfen sich mir ruhig anvertrauen.«

»Lächerlich!« wehrte Dorothée ab.

»Bis neun Uhr abends wird bei mir jeder bedient, der zu mir kommt. Aber von neun Uhr ab suche ich mir die Damen aus – die ich bedienen will und von denen ich erwarten darf . . .«

»Was bin ich Ihnen schuldig?«

». . . daß Sie mehr in mir sehen als nur den Coiffeur, dem Sie Ihre Erfolge verdanken.«

»Was wollen Sie denn von mir?«

»Ich begreife durchaus, daß man einem Manne wie Herrn Marot nicht treu ist. . .«

»Was wissen Sie denn von meinem Mann?«

»Daß er einen Vollbart trägt – mehr brauche ich von ihm nicht zu wissen.«

»Sie haben uns also schon ausspioniert?«

»Es gehört zu meinem Beruf, zu wissen, wer im Hotel Excelsior Regina absteigt.«

»Ihr Interesse scheint aber bedeutend weiter zu gehen.«

»Ich leugne nicht, daß ich Sie erwartet habe – wenn auch nicht heute nacht.«

Frau Dorothée warf einen Fünfzigfrankschein auf den Tisch und stürzte zur Tür hinaus. – François sah ihr nach, schüttelte den Kopf und dachte: Da stimmt etwas nicht. So ein gutes Gewissen hat keine Frau, die im Excelsior Regina absteigt, daß sie sich leisten kann, mich vor den Kopf zu stoßen.

Justizmord

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