Читать книгу Justizmord - Artur Landsberger - Страница 5
Erster Teil
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ОглавлениеMarot trat aus der Koje. Rock und Weste hatte er bereits ausgezogen und die Hemdsärmel hochgeschlagen. Er kramte auf einem Tisch herum und schien nicht zu finden, was er suchte.
»Dorothée ist wirklich unordentlich«, sagte er.
»Um so mehr Ordnung herrscht bei mir«, erwiderte Harvey und nahm aus einem Lederfutteral, in dem man einen Feldstecher vermutete, zwei silberne Mixbecher heraus. Dann öffnete er eine Reiseapotheke von erstaunlichem Umfang, der er eine Reihe von Flaschen in verschiedener Größe entnahm.
»Ist Ihnen schlecht?« fragte Marot.
»Im Gegenteil. Aber ich bin als Amerikaner gewöhnt, nach dem Essen einen Cocktail zu trinken. Er goß aus Flaschen, auf deren Etikett Baldriantropfen, Rhabarber, Pepsin stand, je zwei Spritzer Orange, Bitters, Maraschino und Absinth, nahm aus einer Flasche, die angeblich Rhizinusöl enthielt, ein Viertel Gordon Gin und aus der Flasche, auf deren Etikett stand Choleratropfen, ein Viertel französischen Vermouth, rührte tüchtig um, goß das Ganze durch ein Sieb in zwei Cocktailgläser und tat schließlich noch Olive hinzu. – Das alles geschah mit einer gewissen Feierlichkeit.
»So also regt die Trockenlegung die Phantasie an«, sagte Marot.
»Wollen Sie kosten?«
Marot wehrte ab:
»Ich nicht. Aber meine Frau um so lieber.«
»Für Ihre Gattin tue ich noch ein paar Tropfen Cointreau hinzu – das gehört zwar nicht hinein, aber man schläft schnell und vorzüglich danach.«
»Arme Dorothée!«
»»Werden Sie nur nicht sentimental.«
»Sie bleibt lange. Finden Sie nicht auch?«
»Ich hätte ihr vielleicht doch nicht so viel von dem neuen Haarschnitt in New York erzählen sollen.«
»Jetzt werden Sie auch unruhig.«
»In so einem Riesenhotel – was steigt da nicht alles ab.«
»Wir hätten nicht zulassen sollen, daß sie allein geht.«
»Natürlich nicht. Wer als politischer Schriftsteller verhaßt ist wie Sie, muß doppelt vorsichtig sein.«
»Meine Gegner werden ihre Wut doch nicht an meiner Frau auslassen.«
»Politischen Fanatikern traue ich alles zu.«
»Sie haben eine goldige Art, einen zu beruhigen.«
»Wer sagt Ihnen, daß ich Sie beruhigen will?
– Im Gegenteil! Ich mache Ihnen Vorwürfe.« »Sie hätten Dorothée genau so gut hinbegleiten können wie ich.«
»Bin ich ihr Mann oder Sie?« Marot und der Amerikaner gingen unruhig im Zimmer umher. In entgegengesetzter Richtung.
– Mehrmals liefen sie so aneinander vorbei. Marot, der seinen Gürtel abgelegt hatte, rutschten dabei ständig die Hosen herunter, die er bei jeder Begegnung mit einer nervösen Bewegung ruckartig in die Höhe zog.
»Sie haben mir wirklich Furcht eingejagt«, stöhnte Marot, nahm die Hand seines Chefs, führte sie an seine Brust und sagte: »Fühlen Sie nur, wie mein Herz schlägt.«
»Und meins erst«, erwiderte Harvey und machte mit der Hand Marots dieselbe Bewegung.
»Meins schlägt stärker!« erklärte Marot, und Harvey erwiderte trotzig:
»Nein, meins!«
»Das können Sie doch gar nicht beurteilen.«
»So wenig wie Sie.«
»Überhaupt! wie kommt Ihr Herz dazu, meiner Frau wegen derart zu schlagen?«
»Seien Sie doch nicht kindisch, Marot.«
Sie liefen wieder um Zimmer umher.
Harvey sah nach der Uhr und sagte:
»Vor einer Stunde ist sie fort.«
Auch Marot zog jetzt die Uhr und sagte:
»Vor anderthalb!«
»Da man nicht annehmen kann, daß außer ihr noch jemand mitten in der Nacht auf die Idee kommt. . .«
»Die Sie ihr in den Kopf gesetzt haben.«
». . . einen Friseur aufzusuchen . . .«
»So muß etwas passiert sein«, vollendete Marot den Satz und stürzte zur Glocke.
»Was tun Sie?« rief Harvey und warf sich ihm in den Arm. Aber Marot hatte bereits viermal auf den Knopf gedrückt.
»Es muß doch etwas geschehen.«
»Sie bringen Ihre Frau in schlechten Ruf.«
»Ihr Leben ist mir wichtiger.«
»Sie sehen immer gleich Tote.«
»Wundert Sie das?« fragte Marot betont.