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Erstes Buch
Erster Teil
Sechstes Kapitel

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Cläre Holten an den alten Brand.

Mein lieber Freund!

– schrieb Cläre Holten an den alten Brand – Sie haben recht mit allem, was Sie schreiben, und ich würde handeln, wie Sie es von mir erwarten, wenn ich ein Mann wäre. Ich kenne die Pflichten, die ich gegen Carl, als Menschen und Dichter habe, und bringe auch die Kraft auf, meine Gefühle als Weib, das ich trotz meinen vierzig Jahren doch nun mal bin, auszuschalten und alles vernunftmäßig zu behandeln. Aber was nutzt es, wenn ich es tue? Jeden Einwand, den ich mache, jedes Bedenken, das ich äußere, wird er ja doch in erster Linie als den natürlichen Versuch des Weibes deuten, das den Mann entgleiten sieht. Alles wird er unter diesem Gesichtswinkel betrachten, von dem aus jedes meiner Argumente seine Beweiskraft verliert.

Ich glaube mit Ihnen, daß er sich noch immer in aufsteigender Linie bewegt und daß erst die nächsten Jahre seine Höhe bringen werden. Ich glaube auch, wie Sie, daß er begnadet ist wie zurzeit kein anderer deutscher Dichter, und daß sein Werk nicht ihm, sondern der Welt gehört. Ich weiß auch, daß er, um zu schaffen, seine Berge und einen gleichgesinnten Menschen braucht; weiß das alles ja weit besser noch als Sie es wissen können, bester Freund, die ich in der Zeit seines Schaffens jedes Werden eines Gedankens, jeden Ausbruch eines Gefühls schweigend miterlebe – dafür sorge, daß ihn in seiner Welt nichts stört, was oft weit schwerer ist, als Sie es sich denken können.

Alle diese meine Pflichten kannte und kenne ich, und es tut nicht not, daß Sie mich an sie erinnerten.

Ich aber habe allen Erwägungen des Freundes und Verlegers, die gewiß den besten Absichten entspringen und der Ausdruck besorgtester Freundschaft, in letzter Linie aber doch die Sorge um sein Werk sind, als Frau und Kameradin noch etwas anderes entgegenzusetzen, und das ist: die Sorge um sein Glück.

Mir hat in den zwanzig Jahren unserer ehelichen Kameradschaft sein Glück stets mehr gegolten als sein Ruhm. Steinigen Sie mich! aber ich will ihn lieber ruhmlos glücklich sehen, als daß die ganze Welt ihm Kränze flicht, während ihn eine unerfüllte Sehnsucht quält. Abgesehen davon, daß ich es dann wäre, die der Erfüllung sein Wünsche im Wege steht, würde damit die Frage, die für Sie als Freund und Verleger von so großer Bedeutung ist, ja doch eine negative Lösung erfahren. Denn wenn Sie glauben, daß er, innerlich zerrissen, auch nur ein Werk gleichwertig den früheren zu Ende bringt, dann kennen Sie ihn und seine Art nicht.

Gelänge es aber wirklich, seiner Leidenschaft, die sich vertieft hat und kein Rausch mehr ist, mit Mitteln, die ich nicht kenne, wirksam zu begegnen und das seelische Gleichgewicht wieder in ihm herzustellen, glauben Sie mir: es wäre nur ein gewaltsames Halten und Zurückdrängen; das Gefühl wäre nicht tot, es würde in seinem Unterbewußtsein weiterleben, um eines Tage mit doppelter Kraft wieder hervorzubrechen. Für das Gefühl gilt noch immer: was ist, ist, und kann nur durch sich selbst enden. Einwirkungen von außen, Bemühungen Dritter schaden mehr als sie nützen. Besonders bei einer Natur wie der Carls, der jeder Zweck fremd ist und die ganz nur auf das Gefühl gestellt ist.

Die Zumutung, ihn für seine Gefühle auch nur einen Augenblick lang verantwortlich zu machen, lehne ich als denkdumm ab. Auf seine Gefühle einzuwirken, dagegen sträubt sich außer den tatsächlichen Gründen, die ich Ihnen verständlich gemacht zu haben glaube, auch meine weibliche Ehre.

Die Frage, die allein ich mir vorlege, lautet: ist es sein Glück? Und warum soll es das nicht sein, nach allem, was ich von dieser Agnes weiß und höre? – Meine Aufgabe kann demnach nur darin bestehen, mich davon zu überzeugen. Das, freilich, muß geschehen. Denn aus ihren Briefen gewinnt man kein Bild. Wie Sie wissen, spricht Carl mit mir über alles und gibt mir auch ihre Briefe zu lesen. Er meint es gut und kann bei seiner Mitteilsamkeit und Ehrlichkeit wohl auch nicht anders. Aber leichter macht er es mir dadurch nicht. Jedenfalls sind diese Briefe dem Geiste nach einander so unähnlich, als wenn nicht ein und derselbe Mensch sie geschrieben hätte. Ich lege die letzten bei, bitte lesen Sie sie! —

In dem Augenblicke aber, in dem ich mich davon überzeuge, daß diese Frau sein Glück ist, ist es meine Pflicht, Platz zu machen. Nicht etwa in Form eines Opfers, indem ich mit großer Gebärde Verzicht leiste und ihm Schmerz bereite, sondern indem ich mich kameradschaftlich zu ihm stelle und Anteil nehme, damit er seines Glücks auch froh werden kann.

Fragen Sie mich nicht phrasenhaft, ob ich diese Größe auch werde aufbringen können. Ich liebe Carl! Und was mir bei einem Menschen, den ich liebe, über alles geht, also auch über seinen Ruhm und über mich – ist sein Glück. Und darin suchen Sie nicht nur den Grund für die Ablehnung der in Ihrem Briefe ausgesprochenen Bitte, sondern auch die Erklärung für alles, was nun folgen wird.

In Freundschaft Ihre

Cläre Holten.

Diesem Schreiben lagen die folgenden Briefe bei:

Mein Carli!

Obgleich ich von früh bis spät nicht zum Ausruhen komme, so denke ich doch bei allem, was ich tue, an Dich. Es ist sehr traurig, daß wir so viel getrennt sein müssen. Menschen, die sich lieb haben, sollten immer zusammen sein. Aber das liegt ja nicht in meiner Macht. Wenn es nach mir ginge, so wüßte ich wohl, was ich täte. So gebe ich mich mit dem zufrieden, was mein Herr und Meister für richtig hält, und hoffe nur, daß es mir gelingt, mir seine Liebe zu erhalten und mich ihrer jederzeit würdig zu erweisen.

Ich habe den dramatischen Unterricht bei Fräulein Pforten aufgegeben, da ich bemerkt habe, daß sie mich absichtlich Falsches lehrt. Statt dessen lerne ich jetzt bei Frau Führer das, was mir zur vollständigen Ausbildung noch fehlt. Die Frau Geheimrat hat sie mir empfohlen. Die sorgt überhaupt selbstlos und rührend für mich wie eine Mutter. Und Dich, Carli, vergöttert sie.

Ich mag überhaupt nur mit Leuten zusammen sein, die Dich mögen und mit denen ich von Dir sprechen kann. Nicht, um ihnen von meiner Liebe zu erzählen! die trage ich wie ein Heiligtum in mir. Aber es tut doch schon wohl, von Dir reden zu können. Glaubst Du’s?

Lache Bajazzo

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