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Erster Teil
II

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Als Frau Julie draußen war, herrschte zunächst Totenstille. Der Landrat zündete sich wieder eine Zigarette an und sah, als er das Streichholz löschte und auf den Tisch legte, unabsichtlich seinem Onkel, dem Justizrat, ins Gesicht. Schnell zog er das Etui noch einmal aus der Tasche, reichte es über den Tisch und sagte:

»Bitte!«

Der Justizrat lehnte ab; der Landrat verzog das Gesicht und glitt in den Sessel zurück.

Nach einer Weile fragte Ilse von Zobel:

»Was soll nun werden?«

»Das hast du ja eben gehört,« erwiderte der Landrat, und Baron Zobel bestätigte:

»Deutlich genug war ja eure Mama.«

»In manchem hat sie recht,« erklärte Hilde, und Ilse nickte mit dem Kopf und sagte:

»Die arme Mama!«

Der Justizrat sah nach der Uhr und stellte fest:

»Es ist halb acht,« worauf auch Zobel und der Landrat ihre Uhren zogen und sagten:

»Wahrhaftig!«

Der Justizrat stand auf, knöpfte seinen Rock zu, dachte einen Augenblick nach und sagte:

»Falls ihr mich braucht, ich bin zu Hause.«

Er gab allen die Hand und ging. Als er draußen war, sagte Zobel:

»Wollen wir nicht auch gehen?«

»Na und?« fragte Ilse und sah ihn an.

»Das geht doch nicht,« erklärte Hilde.

»Warum nicht?« fragte der Landrat.

»Erstens haben wir Margot Rosen herbestellt.«

»Ach du lieber Gott,« sagte Zobel, verzog das Gesicht und trat vor den Likörschrank.

»Und dann,« fuhr Ilse fort, »wir müssen doch wissen, was wird.«

»Gar nichts wird,« sagte Zobel und goß sich einen Likör ein. »Was soll denn werden?«

»Mir auch bitte.« sagte der Landrat, trat an seinen Schwager heran, goß erst einen, dann einen zweiten uralten Meukow herunter, wischte sich mit seinem Batisttuch den Mund, klemmte das Monokel fest, stemmte die Arme in die Hüften, beugte sich ein wenig nach vorn und sagte:

»Diese verfluchte Rührseligkeit! Machen wir uns doch klar, was ist denn eijentlich jeschehen?«

»Nun fang nur du nicht auch noch an!« wehrte Zobel ab und goß sich einen Chartreuse ein.

»Jott bewahre! Fällt mir nich ein. Mir steht’s bis da! Aber unter uns: Tatbestand? Tippmamsell – Regierungsassessor. Das landesübliche Verhältnis. Statt auf Schmuck und Sekt mehr auf Jefühl jestimmt. Schon faul. Die Sache vertieft sich. Familie jreift ein. Ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit. Jeder, der auf sich jibt, hält seinen Stall rein. Und ’n Stammbaum ist schließlich keine Hühnerleiter. Sondern eine verdammt ernst zu nehmende Sache. Die Karriere des Jungen stand auf dem Spiel. Bei seinen Verbindungen konnte er’s mal zum Staatssekretär oder Botschafter bringen. Wir haben’s in Jüte versucht, indem wir ’ne Abfindung boten. Wir waren wahrhaftig nich kleinlich. Aber nee! Nu jerade nich! – Was sollten wir tun? Sollten wir nachjeben und uns mit der Pedellstochter verschwägern? Mama war jlücklich so weit. Sie öffnete die Arme, die Mätresse verwandelte sich in eine Märtyrerin und flog ihr als Schwiejertochter in die Arme. Das reine Theater! Na, da mag se denn wohl selbst jefühlt haben, daß was nich stimmte. Als sie am Halse unserer lieben Schwiejermutter hing, jing ihr der Atem aus! Es is eben doch ’ne andere Luft als in der Pedellsstube. Jott sei Dank! – Wenn n’en Droschkenjaul sich plötzlich für’n Steepler hält und über Hürden jeht und sich dabei das Jenick bricht, so is das seine Sache.«

»Ausgezeichnet!« stimmte Zobel bei; und der Medizinalrat, der eben ins Zimmer trat und die letzten Worte mit angehört hatte, sagte:

»Gewiß! nur ist dir nicht ganz der Nachweis gelungen, lieber Neffe, daß du dich als Mensch so hoch über diese Aenne erhebst, wie der Steepler als Pferd über einem Droschkengaul steht.«

»Na, erlaub mal,« wehrte sich der Landrat gekränkt, »an Klasse doch nu mal sicher.«

»Was du unter Klasse verstehst, ist etwas rein Aeußerliches,« erwiderte der Medizinalrat. »Etwa: wenn ein reicher Viehhändler auf der Eisenbahn erster Klasse und ein gottbegnadeter Dichter dritter Klasse fährt, so bleibt der eine darob doch ein Vieh und der andere ein höheres Wesen.«

»Erlaub mal,« erwiderte der Landrat gereizt und trat fast drohend vor den Medizinalrat hin, »willst du damit etwa sagen . . .«

»I Gott bewahre,« fiel ihm der ins Wort. »Da du meines Wissens kein reicher Viehhändler bist und die arme Aenne kein gottbegnadeter Dichter, so trifft auch der Vergleich auf dich nicht zu.«

»Das wollte ich nur in aller Form festjestellt wissen,« sagte der Landrat mit starker Betonung und wandte sich von dem Medizinalrat ab. Aber der Rittergutsbesitzer Kurt Freiherr von Zobel, dessen Güter einen besonders reichen Viehbestand hatten, setzte das Glas, das er eben zum Munde führen wollte, ab, wandte den Kopf zu dem Medizinalrat und sagte:

»Ich muß dich ebenfalls um eine Erklärung ersuchen, Onkel.«

»Aber ich sagte ja schon,« erwiderte der Medizinalrat, »da die arme Aenne keine Dichterin war, so kannst du dich doch nur im Falle eines schlechten Gewissens betroffen fühlen.«

»Danke,« erwiderte Zobel, »das genügt mir,« setzte an und trank seinen dritten Likör.

Ilse, die schärfer sah, flüsterte dem Medizinalrat zu:

»Ich bitt’ dich, Onkel, laß das! Wir haben gerade Verdruß genug. Sag’ uns lieber, was nun werden soll.«

»Mir scheint, ihr werdet eure Mutter nicht zurückhalten können, zu Peter zu fahren.«

»Sie wird ihm doch nicht erzählen, daß Aenne Selbstmord beging?« fragte Hilde.

»Nein,« erwiderte der Medizinalrat, »ich habe ihr klar gemacht, wie das unter Umständen zeitlebens auf ihn wirken könnte. Sie sieht das ein und wird die Lüge, daß sie eines natürlichen Todes starb, aufrecht erhalten.«

»Gott sei Dank!« sagte Ilse und atmete auf.

»Trotzdem halte ich es für notwendig,« fuhr der Medizinalrat fort und wandte sich an die beiden Frauen, »daß eine von euch mit ihr fährt.«

»Ich bin bereit,« erklärte Hilde.

Zobel wandte sich an seine Frau und sagte:

»Dann fahr’ auch du mit!«

»Fräulein Margot Rosen!« meldete Johann.

Im selben Augenblick rauschte ein ungewöhnlich hübsches und geschmackvoll gekleidetes junges Mädchen ins Zimmer. Vielleicht, daß die ganze Art ihrer Haltung und Kleidung für ein Mädchen aus gutem Hause eine Nuance zu mondän und bewußt war. Daß sie zu unbefangen auftrat und jene reizvolle Schüchternheit vermissen ließ, hinter der sich sonst die Scheu und die Neugier erwachter Sinnlichkeit verbergen. Aber ihr Scharme milderte, was sonst vielleicht aufdringlich gewirkt hätte.

Sie begrüßte höflich die beiden Damen, indem sie ihnen die Hand reichte, und grüßte dann zu den Herren hinüber, die an sie herangetreten waren und sich vor ihr verbeugten. »Wir haben uns lange nicht gesehen,« begann sie unbefangen.

»An uns lag es nicht,« erwiderte Ilse, »Sie wissen, daß wir uns immer mit Ihnen freuen,« – Margot machte ein verschmitztes Gesicht – »oder glauben Sie das etwa nicht?«

»Doch, doch – das heißt – teils – teils.«

»Ja, was heißt das?« drängte Ilse. »Haben wir es Ihnen gegenüber jemals an der nötigen Achtung fehlen lassen? Bewußt jedenfalls nicht.«

»Aber nein, liebe Frau Baronin,« erwiderte Margot und setzte wieder ihr allerliebstes Lächeln auf, »wirklich nicht. Ich wollte damit nur sagen: eine Komtesse wär Ihnen als Schwägerin jedenfalls lieber als Margot Rosen.«

Alle waren verdutzt, nur Hilde raffte sich auf und sagte:

»Wie können Sie glauben!«

»Ich nehme Ihnen das durchaus nicht übel. Mama auch nicht. Sie sagt: das Leben besteht aus Kompromissen. Alles Gute findet sich selten beieinander – na ja, da hat sie doch recht. Ueberhaupt, ich finde es so komisch, daß Mama alles ausspricht, was sie denkt. Sie glauben gar nicht, in welche komischen Situationen sie sich und uns alle dadurch oft bringt. – Na, Sie werden sie ja nun wohl endlich kennen lernen. Es tut mir leid ihretwegen – aber es wird sich nicht umgehen lassen. Ich liebe Mama und finde, es spricht durchaus nicht gegen sie, daß sie in all den Jahren sich den sogenannten gesellschaftlichen Schliff noch immer nicht angeeignet hat.«

»Ja, ich bejreife ja nich,« sagte der Landrat, »warum Sie so aggressiv jejen uns vorjehn.«

Und Baron Zobel, der ganz in Margots Anblick vertieft war, und bald das hübsche Gesicht und die ebenmäßigen Glieder, bald die weißen Hände und den kleinen Fuß anstaunte, schnalzte mit der Zunge und sagte:

»Ich muß auch sagen, Sie finden durchaus unsern Beifall. Sie gefallen uns sehr. Wenigstens mir. Na, und mit dem übrigen, vor allem mit der Frau Mama, da werden wir uns schon abfinden.«

Margot, die längst fühlte, mit welchem Behagen Zobels Augen auf ihr ruhten, schlug die Beine übereinander, lächelte und sagte:

»Es wird Ihnen auch gar nichts anderes übrig bleiben.«

»Aber im Gegenteil,« parierte Ilse die Unart ihres Mannes, »wir hatten schon lange den Wunsch, Ihre Frau Mutter kennen zu lernen.«

»Na, der Wunsch hätte sich im Laufe der Jahre am Ende erfüllen lassen,« erwiderte Margot. »Mama hat von der Stunde an, wo ich durch Familienbeschluß Ihrem Bruder in Südwest verlobt, oder doch wenigstens zugesprochen wurde, täglich auf Ihren Besuch gewartet.«

»Wir hatten auch immer die Absicht,« brachte Hilde nicht eben geschickt hervor.

»Mama besitzt leider so wenig Menschenkenntnis. Ich habe ihr gleich gesagt: du wirst sehen – du wirst sehen, sie kommen nicht.«

»Pardon!« unterbrach sie der Landrat, »aber wieso dachten Sie das?«

Margot sah den Landrat, der gerade kein schlaues Gesicht machte, an und mußte lachen.

»Sie werden sich gesagt haben,« erwiderte sie, »wer weiß, ob wir Peter wiedersehen. Wozu uns also einen Verkehr aufladen, den wir doch nur der Not gehorchend, pflegen würden. Es genügt, wenn wir die Beziehungen zu dieser Margot lose aufrecht erhalten« – die verdutzten Gesichter, die alle machten, reizten sie – »so lose,« fuhr sie fort, »daß wir sie im Falle, daß Peter verschollen bleibt oder fällt, jederzeit, ohne ungezogen zu sein, abbrechen können.«

»Aber!« wehrten alle ab, weniger entsetzt darüber, daß dies junge Mädchen ihnen auf den Grund ihrer Herzen sah, als daß sie ohne Hemmung und Rücksicht aussprach, was sie dachte.

»Mama ist doch eine kluge Frau,« fuhr Margot fort, »aber glauben Sie, daß ihr jemals solche Gedanken kämen? Vielleicht ist es bei ihr auch Klugheit und sie will nicht sehen und belügt sich selbst. Möglich! Aber ich kann das nicht.« Der Landrat versuchte, dieser allen, außer Margot, peinlichen Szene ein Ende zu machen.

»Jedenfalls Jnädigste,« sagte er, »die Hauptsache is, daß Peter, wie Sie erfahren haben, lebt und bereits morjen Nacht in erreichbarer Nähe sein wird. Es sind vier Jahre vergangen, daß wir ihm nach Südwest unsern Heiratsplan und Ihre Bereitwilligkeit unter jenauer Klarlejung der Gründe . . .«

». . . und materiellen Verhältnisse,« ergänzte Margot.

». . . übermittelten.«

»Ich weiß! ich weiß!« erwiderte Margot, »und obgleich er damals noch unter dem Eindruck vom Tode seiner allerliebsten Aenne stand . . .«

»Aber, aber!« wehrten alle ab, und Zobel sagte:

»Wir wollen ihm diese kleine Verirrung doch nicht nachtragen.«

»Wieso Verirrung? Ich weiß nicht, ob Sie erfahren haben, daß ich bei ihr war. Ich wollte sie sehen.«

»Leider,« sagte Ilse.

»Ich fand sie reizend. Zwar etwas spießig und so gar nicht das, was ich mir immer unter einer Geliebten vorgestellt habe. So gar nicht – ja, wie soll ich nur sagen: nichts Leichtes, nichts Prickelndes, was man so mit Wohlbehagen wie einen schönen seidenen Stoff durch die Finger gleiten läßt; sie aber glitt nicht, hatte im Gegenteil etwas Starkes, Festes, Bestimmtes; mit einem Worte: sie roch förmlich nach Charakter. Ja, ich bitt’ Sie, so was nennt man doch nicht Geliebte! So was heiratet man, aber so was liebt man nicht.«

»Ja, wollen wir denn nicht lieber von den Lebenden sprechen?« sagte der Medizinalrat, und Zobel, der sich endlich sattgesehen hatte, flüsterte seiner Frau zu:

»Sie ist zwar reizend, aber sie ist furchtbar.«

»Katastrophal!« ergänzte der Landrat leise, während der Medizinalrat sagte:

»Ich finde sie gar nicht so übel.«

»Tuscheln Sie nicht!« rief Margot übermütig. »Ich weiß doch, es geht gegen mich.«

»Aber nein!« wehrten sie ab.

»Doch, doch, ich habe gute Ohren und weiß auch so, wie Sie über mich denken.« – Sie sah sich um: »Uebrigens, das merk’ ich erst jetzt, wo ist denn die Frau Geheimrat, meine präsumptive Schwiegermutt . . .«

». . . in Aussicht genommene,« verbesserte der Landrat.

»Wie? wie? Das ist doch dasselbe.«

»Nein,« widersprach der Landrat, »das heißt: ja. Natürlich ist es dasselbe! Eben darum soll man das Fremdwort vermeiden und den deutschen Ausdruck gebrauchen, der sich damit deckt.«

»Richtig, richtig,« erwiderte Margot, »Sie sind ja auch einer von den Sprachreinigungsfatzken! – Pardon! Verzeihung!« verbesserte sie schnell. »Das platzte mir so heraus. Das Wort stammt von Mama. Sie werden begreifen, was für ’ne Wut die auf diese Sprachfa . . .«– sie beherrschte sich, lächelte dem Landrat zu und sagte breit: »Reiniger hat.«

»Wieso Wut?« fragte der Landrat.

»Jahrelang quält sich Mama damit ab, die letzten Spuren ihrer Kinderstube zu verwischen. Am meisten Schwierigkeiten machte ihr die Erlernung der Fremdwörter. Kaum hat sie es mit Mühe dahin gebracht, sie einigermaßen richtig anzuwenden, da kommt der Krieg und mit ihm neben anderen sogenannten kulturellen Fortschritten als einer für den Sieg wichtigsten, dieser Sprachreinigungsfimmel! Na, ich kann Ihnen sagen, ich war mal in so einer Sitzung und hab’ mir die Brüder angesehen. Die sollten sich lieber ihre Haare und Zähne reinigen, ehe sie an die Reinigung unserer Sprache gehen. Jedenfalls: Mama hat sie im Magen, was man ihr schließlich auch nicht verdenken kann.«

»Wenn ich nicht irre,« lenkte Zobel ab, »so waren Sie so freundlich, nach Frau von Reinhart, meiner Schwiegermutter . . .«

». . . unserer Schwiegermutter,« verbesserte Margot schelmisch, und mit süßsaurem Gesicht beendete Zobel seinen Satz und sagte:

». . . zu fragen.«

»Gewiß,« erwiderte Margot »Mir wurde telephoniert, es sei Nachricht vom jungen Herrn da, er lebe, sei gesund und werde als Internierter morgen in der Schweiz anlangen. Frau Geheimrat von Reinhart habe den Wunsch, es mir persönlich mitzuteilen, und zwar noch heute abend. Ich war gerade beim Anziehen, da ich mit meiner Freundin für das Berliner Theater verabredet war. Aber, um nicht ungezogen zu sein, verzichtete ich auf die Premiere, die mir übrigens schon bis da hinaus stehn. Ich sage immer: Ein Publikum, das den Quatsch goutiert« – der Landrat verzog den Mund, hütete sich aber, zu verdeutschen – »sollte vom allgemeinen gleichen Wahlrecht ausgeschlossen werden.«

»Bravo!« rief der Landrat. »Das allgemeine gleiche und geheime Wahlrecht ist überhaupt das blödeste . . .«

». . . ich bitt’ dich,« unterbrach ihn seine Frau, »du wirst doch hier nicht deine Propagandarede gegen das Wahlrecht halten wollen.«

»Du hast recht,« erwiderte er, »das jehört nicht hierher.«

»Na also, wo ist Mama?« fragte Margot und sah deutlich, wie alle, außer dem Medizinalrat, bei dem Worte in ihrem Munde zusammenzuckten.

»Leider«, erwiderte Ilse, »hat sie sich zurückziehen müssen. Die Freudennachricht, die sie völlig unerwartet traf, hat sie derart erregt, daß sie sich legen mußte.

»Sie hat uns aber warm ans Herz gelegt,« log Hilde, »Ihnen zu sagen, wie sehr sie es bedauere, daß sie Sie nicht sehen kann.«

Ilse ging darauf ein und sagte:

»Auch hat sie mehrmals nach Ihnen gefragt. Schade, daß Sie nicht früher gekommen sind.«

»Ich sagte Ihnen ja schon: ich war beim Anziehen. Und wenn es am Telephon auch hieß: er ist gesund, so dachte ich mir doch, wer weiß, vielleicht will man mir nicht die Wahrheit sagen. Und denken Sie, ich wäre« – und dabei fuhr sie mit der hübschen Hand über ihre Brüste – »bis dahin dekolletiert gekommen« – Ilse und Hilde fuhren zurück und schlossen die Augen – »nun ja, schön ist das nicht, aber so geht man doch jetzt, und schließlich, wenn es vielleicht auch nicht jedem steht, jedenfalls ich kann mich sehen lassen – also denken Sie, ich wäre in großer Abendtoilette gekommen und Sie hätten am Ende hier in Tränen aufgelöst gesessen. Wie peinlich wäre das für uns alle gewesen.«

»Nun, Sie können beruhigt sein,« erwiderte Zobel, »er lebt und ist wirklich gesund.«

»Um so besser,« erwiderte Margot. »Und wie denken Sie sich nun die weitere Entwicklung?«

»Das hängt zum großen Teil natürlich von Ihnen ab,« sagte Ilse.

»Von mir?«

»Nun ja. Vor allem müssen wir wissen, ob Sie auch heute noch wie vor vier Jahren entschlossen sind, Peters Frau zu werden.«

»Ja, warum denn nicht?« fragte Hilde, und Zobel wandte sich nicht gerade freundlich an seine Frau und sagte:

»Ich verstehe deine Frage gar nicht.«

Aber der Landrat mischte sich ein:

»Ich wüßte auch wirklich nich,« sagte er, »was sich inzwischen jeändert haben sollte.«

»Na, geändert hat sich in den vier Jahren ja so manches,« erwiderte Margot, »und an sich ist die Frage auch nicht unberechtigt.«

»Ja, erlauben Sie mal, Verehrteste,« erwiderte der Landrat, »ich verstehe Sie jar nich . . .«

»Na, wenn ich nicht so taktvoll wäre, könnte ich Ihnen das sehr schnell verständlich machen.«

»Ich bitte ergebenst darum,« forderte er. »Wir sind nicht empfindlich.«

»Na, vor vier Jahren lagen die Dinge doch wohl wesentlich anders.«

»Inwiefern?« fragte Zobel, und Ilse meinte:

»Ihre Ehe hat doch mit dem Krieg nichts zu tun.«

»Indirekt schon,« erwiderte Margot. »Wie lagen denn die Verhältnisse, als Sie vor vier Jahren zu meinem ahnungslosen Vater kamen, um ihm klar zu machen, daß eine Ehe zwischen Peter und mir für beide Teile – na, wie soll ich sagen – also auf gut deutsch, Herr Landrat: eine aufgelegte Sache wäre.«

»Wie, Sie wissen?« fragte Ilse erstaunt.

»Alles weiß ich. Bei uns gibt es – das heißt gab es – denn jetzt, wo unsere Einverleibung in die Gesellschaft sozusagen beendet ist, hat sich auch bei uns manches gegen früher geändert – jedenfalls vor vier Jahren sagten wir uns noch alles. Na, und da weiß ich denn, was mir auch sonst wohl nicht eingegangen wäre, denn ich bin nicht auf den Kopf gefallen, daß auf Ihrer Seite der tadellose, gutaussehende junge Mann im Staatsdienst, mit der Aussicht auf eine große Karriere, aus alter, vornehmer Familie, die damals wenigstens noch keinen Schönheitsfehler aufwies, der ebenfalls gut aussehenden Tochter eines reich gewordenen Fabrikanten ohne Stammbaum und mit unverkennbar jüdischem Einschlag gegenüber steht.«

»Das sind Nebenerscheinungen rein zufälliger Art,« log der Landrat.

»Nein, nein, das sind die wesentlichen Voraussetzungen,« widersprach Margot. »Hier der gesellschaftliche Fundus, bei uns der materielle. Das ist ein ganz einfaches Exempel und geht von selbst auf. Und ist vor allem ein sichererer Wechsel auf die eheliche Glückseligkeit, als die himmelstürmende Liebe.«

»Na, also,« sagte der Landrat. »Dann stimmt’s ja.«

»Stimmte,« erwiderte Margot. »Durch diese Ehe wäre ich, und durch mich meine Familie, mit einem Schlage auf eine gesellschaftliche Stufe gerückt, auf die wir sonst vielleicht nie, im besten Falle aber in ein paar Jahrzehnten gerückt wären. Nun aber hat der Krieg mit seinem rasenden Tempo eine sogenannte neue Gesellschaft geschaffen, durch die wir mit einem Schlage aufgehört haben, Parvenüs zu sein. Neben denen bilden wir heute, da wir schon vor dem Kriege unser Haus, unsere Diener, unser Auto und unsere seidene Bettwäsche hatten – lachen Sie nicht! es ist so! – die sogenannte gute Gesellschaft.«

»Na, na, na,« widersprach der Landrat ironisch. »Die jesellschaftliche Distanz zwischen Ihnen und uns, die bleibt doch wohl auf alle Fälle bestehen.«

»Arg vermindert,« erwiderte Margot, »denn der Unterschied zwischen guter – das sind wir!« betonte sie übermütig, »und bester Gesellschaft, das sind Sie! ist allemal geringer, als der Unterschied zwischen Gesellschaft ganz allgemein und Parvenütum.«

»Das trifft doch nur sehr bedingt zu,« sagte der Landrat, da ihm nichts Besseres einfiel.

»Bedingt oder unbedingt,« erwiderte Margot. »Ich für meine Person pfeife auf den Kram. Mir genügt’s, wenn ich in großem Stile leben und mich gut kleiden kann. Schließlich läuft doch alles auf denselben Stumpfsinn hinaus. Aber für meine Eltern, das geben Sie zu, hat diese Ehe ein Teil ihres ursprünglichen Reizes eingebüßt.«

»Ich wiederhole,« sagte der Landrat, der sich inzwischen angestrengt hatte, scharf zu denken, »das ist nicht logisch. Für jeden, der sehen kann, bleibt Klasse Klasse und Minderwertiges minderwertig.«

»Es kommt nur darauf an, wie es äußerlich in die Erscheinung tritt,« erwiderte Margot, »und da hat sich das Bild eben verändert, wenn nicht gar ins Gegenteil gekehrt. Wenn Mama und Papa früher im Theater saßen, dann kamen sie vor Aerger, daß rings um sie überall Leute saßen, die ihnen gesellschaftlich unerreichbar blieben, überhaupt nie zu einem Genuß. Heute fühlen sie sich! Denn heute sind sie wer! Weil die meisten andern, die heute auf den teuren Plätzen sitzen, ganz einfach noch weniger sind als sie.«

»Das ist doch dann aber sozusagen Selbstbetrug,« meinte Ilse.

Margot sah den Landrat an und mußte lachen.

»Worüber lachen Sie?« fragte der Landrat.

»Mir kam nur so der Gedanke, ob am Ende nicht alles Selbstbetrug ist.«

Der Landrat bekam einen roten Kopf und sagte:

»Das soll doch nicht etwa heißen, daß jede jesellschaftliche Distanz, womöglich also auch die zwischen uns und dieser sojenannten neuen Jesellschaft – pfui Deibel! – jar nich vorhanden is und nur auf Selbstbetrug beruht? wo se doch nachweisbar existiert. Zum Fassen deutlich. Einfach da is, für jeden, der Augen hat und sehen will.«

»Hat Ihr sogenannter gesellschaftlicher Aufstieg denn auch eine Wandlung Ihrer Gefühle zur Folge gehabt?« fragte Zobel.

»Meine Gefühle?« wiederholte Margot. »Was für Gefühle?«

»Nun, zu Peter natürlich.«

»Zu Peter?« fragte sie erstaunt, »den ich kaum kenne?«

»Ja, wenn Sie ihn doch aber heiraten wollen?« sagte Ilse.

Margot lachte.

»An zuviel Gefühl wird die Ehe jedenfalls nicht scheitern.

Und daß eine Ehe je an zuviel Vernunft gescheitert wäre, ist mir jedenfalls noch nicht zu Ohren gekommen.«

»Sie für Ihre Person haben demnach Ihre Stellung zu dem Projekte nicht geändert?« fragte Zobel.

»Nein! Mir sagt es zu. Und wenn Peter äußerlich geblieben ist, wie er war, so gefällt er mir. Na, und wie er innerlich aussieht, erfahre ich ja doch erst in der Ehe.«

»Dann ist ja alles gut,« sagte Zobel.

»Ja! Aber Mama! Die ist nicht halb mehr so verrückt nach dieser Ehe wie vor vier Jahren.«

»Sie sagten doch vorhin, Ihre Frau Mutter warte ungeduldig darauf, mit uns in Verkehr zu treten,« warf Hilde ein.

»Ja, glauben Sie, daß das jahrelange vergebliche Warten sie grade günstig für das Projekt gestimmt hat?«

»Hätten wir das doch gewußt,« sagte Ilse.

»Mama gefällt sich augenblicklich nämlich in einer neuen Rolle.«

»Darf man wissen, welche das ist?« fragte Ilse.

»Gewiß! Es ist dieselbe, die Sie uns gegenüber spielen. Sie können sich vorstellen, was für ein Vergnügen ihr das bereitet.«

»Janz unbejreiflich,« meinte der Landrat gekränkt. »Ihre Frau Mutter sollte dieselbe Rolle spielen wie wir?«

»Ja, ja, Herr Landrat! Die Welt ist rund und dreht sich. – Wissen Sie, was Leder ist?«

»Leder?« wiederholte der Landrat. »Was für ’n Leder?«

»Einfach Leder! Ich kann Ihnen verraten, Herr Landrat, daß das heute keine schlechte Sache ist.«

»Ich denke,« erwiderte der Landrat, »daß Ihr Vater sein Vermöjen in Terrains jemacht hat?«

»Gewiß. Aber vielleicht kennen Sie Herrn Priester?«

»Priester?« wiederholte der Landrat. »Ne, wer soll’n das sein?«

»In Firma A. W. Priester, bis zum Jahre 1914 Schuhmachermeister.«

»Ich verstehe jar nich, wie ich zu so ’ner Bekanntschaft kommen sollte.«

»Es wäre doch möglich, zumal er nur Schuhe nach Maß anfertigte,« sagte sie und sah auf seine Schuhe – »aber nein, Sie tragen ja fertige Stiefel. Wie unschick! Ich hoffe, daß Peter das nicht auch tut. Sonst gewöhne ich’s ihm ab. Ich bin in solchen Dingen sehr peinlich. Und ein Mann mit schlechtem Schuhwerk ist für mich schon erledigt.«

»Ich kann Sie beruhigen,« sagte Ilse, während der Landrat seine Füße unter den Sessel schob, »mein Bruder gibt sehr viel auf gutes Aeußere.«

»Eben!« erwiderte Margot. »So hatte ich ihn denn auch in der Erinnerung. Ich hätte mich sonst nie auf diese Ehe eingelassen. Aber, um auf besagten Schuster zurückzukommen – du lieber Gott, es kann ja nicht jeder Landrat sein! – Also dieser Priester hat sich gleich bei Beginn des Krieges ein großes Lederlager angelegt und das ständig erweitert. Kurz und gut, der Mann soll heute seine vierzig Millionen haben. Denken Sie, Landrätchen!«

»Ja, was jeht das denn uns an?« fragte der Landrat.

»Unter Umständen viel,« erwiderte Margot. »Der Mann hat außer einer Frau nämlich auch einen erwachsenen Sohn.«

»Wa . .« stieß der Landrat hervor, »und der soll am Ende« – er wies auf Margot – »wie? am Ende jar an Stelle von Peter treten? Pfui Deibel!« – Dann lachte er laut auf und sagte: »Ergebensten Diener!« und wandte sich zur Tür.

»Hallo!« rief Margot. »Einen Augenblick, Herr Landrat, so lassen Sie mich doch ausreden. Dieser junge Mann hat studiert und ist Dr. med.«

»Die Laufbahn eines Schustersohnes interessiert mich nicht.«

»Aber meine Mama. Passen Sie auf, wie komisch. Dieser Schuster . . .«

»Scheußlich!« sagte der Landrat und wandte sich wieder um. »Da dieser . . . Mensch durch Sie in Beziehung zu meinem Schwager, dem königlich preußischen Regierungsassessor Dr. von Reinhart jebracht wird, so haben Sie jefälligst die Jüte und nennen ihn nicht immer Schuster.«

»Ja, aber wie soll ich ihn denn nennen?«

»Sie sagten doch, er handelt mit Leder. Dann sagen Sie wenigstens Lederfritze.«

»Gut, den Gefallen tu’ ich Ihnen gern, obschon er als einfacher Schuster tausendmal eher nach meinem Geschmack war als jetzt, wo er Millionär ist. Also denken Sie, wie entsetzlich komisch! Dieser Lederfritze ist plötzlich von einer krankhaften Sucht nach gesellschaftlichem Aufstieg besessen und hat den brennenden Ehrgeiz, in unsere Familie zu kommen! Mama, denken Sie doch, meine Mama, die gerade gelernt hat, sich auf dem Parkett zu bewegen ohne auszurutschen, die soll ihn zu sich emporziehen und gesellschaftlich lancieren.«

»Und Sie? Was haben Sie damit zu tun?« fragte Zobel.

»Ich soll seinen Sohn, dem er das großartigste Sanatorium der Welt erbauen will, heiraten! Nicht, himmlisch!«

»Ich finde es degoutant,« sagte Hilde und führte die Hand vor den Mund, »wenn man denkt, mit wem man da konkurriert.«

»Sieht man daran nicht besser als an allem andern, wie die Welt sich verkitscht hat?« fragte Margot, »wenn es so weit gekommen ist, daß meine Mama die Menschen gesellschaftlich zu sich emporzieht.«

»Und wieweit ist die Sache gediehen?« fragte Zobel.

»Ich wußte ja nicht, was hier wird,« sagte Margot. »Infolgedessen habe ich durch Launen und Ausflüchte die Entscheidung hingezogen. Lange wäre es nicht mehr gegangen.«

»Sie hätten es, falls Peter ausgeschieden wäre, wirklich über sich gebracht . . .?« fragte Zobel.

»Warum nicht? Ich denke mir so’n Leben im Sanatorium ganz amüsant. Denken Sie, mit wieviel Menschen man da in Berührung kommt. Wirklich Kranke dürften natürlich nicht aufgenommen werden. Das wäre für mich Bedingung. Aber leicht Nervöse. Gott, wer ist heute nicht nervös!«

»Ich!« sagte der Landrat.

»Das trifft natürlich nur auf die feiner Besaiteten zu,« erwiderte Margot, und der Landrat, der aus dem Ton die Ironie heraushörte, fragte:

»Was?«

»Ich meinte das nur ganz allgemein,« erwiderte Margot. »Und als Ort hatten wir Baden-Baden in Aussicht genommen. Da gibt’s zwar schon unzählige so’ner Nepplokale, aber das unsrige sollte alle andern in den Schatten stellen.«

»Und der Mensch?« fragte der Medizinalrat.

»Was für ’n Mensch?« erwiderte Margot.

»Der dazu gehört! den Sie heiraten sollen?«

»Ein allerliebster Kerl! Und verliebt, sage ich Ihnen. Also davon können Sie sich gar keinen Begriff machen, was der alles aufstellt, um aus mir das Jawort herauszubringen. – Aber er hat einen Fehler. Er hält sich nicht gut und hat einen schlechten Gang. Das kann ich auf den Tod nicht leiden. Und dann seine Hände! Nicht, daß er etwa einen Schusterdaumen hätte – Sie wissen doch: so!« – und dabei machte sie die entsprechende Bewegung, schüttelte sich und sagte: »Brr! – Das natürlich nicht. Aber die Hand gefällt mir nicht. Schade! Er ist sonst wirklich ein lieber Kerl! Na, und das Geld ist schließlich auch nicht zu verachten. Aber wie gesagt: alles in allem gefällt mir Peter doch besser! Wenigstens so, wie ich ihn in der Erinnerung habe. Auch alles Drum und Dran sagt mir mehr zu. Und da ich nun weiß: er lebt, ist da und ist gesund, so dränge ich Herrn Dr. med. Paul Priester morgen zu einer Erklärung und sage: Nein! – Auf das Gesicht bin ich gespannt. Er rechnet nämlich ganz bestimmt drauf, daß ich ja sage. Aber er wird sich damit eben abfinden, daß ich, wenn ich später von Peter mal ein paar Wochen getrennt sein will, sein Sanatorium nicht als seine Frau, sondern als sogenannte Patientin aufsuche. Das aber tue ich bestimmt! Das bin ich ihm sozusagen moralisch schuldig. Oder finden Sie nicht?« wandte sie sich an Ilse.

»Ich kann das schwer beurteilen,« sagte sie. »Auf alle Fälle sind Sie also entschlossen . . .«

»Peter zu heiraten,« beendete Margot den Satz und stand auf. »Ja! das bin ich!« wiederholte sie, streifte ihre weißen Schweden auf und trat vor Ilse und Hilde hin. »Ich verlasse mich nun also fest darauf.«

»Das dürfen Sie!« sagte der Landrat.

»Und was hätte nun zunächst zu geschehen?« fragte Margot.

»Meine Mama fährt morgen nach Luzern und nimmt Peter in Empfang.«

»Kann ich da nicht mit?« fragte sie lebhaft. »Himmlisch jetzt in Luzern. Im Hotel National! Das heißt, im des Alpes ist die Verpflegung besser. Aber da kann man nicht hin, weil es zu billig ist.«

»Meine Mama hat den Wunsch,« erwiderte Ilse, »erst mal ein paar Tage mit ihrem Sohne allein zu sein.«

»Das paßt mir ganz gut. Da habe ich ein paar Tage Zeit, meine Garderobe in Ordnung zu bringen. Und wie erfahre ich, wenn ich fahren soll?«

»Das werden wir Sie natürlich, sobald Mama ihn gesprochen hat, wissen lassen,« erwiderte Ilse. – »Und wenn es Ihnen recht ist, machen wir morgen vormittag Ihren Eltern unsere Aufwartung.«

»Natürlich! Das paßt sogar ganz gut und wird Mama über Dr. Priester hinwegtrösten.« Sie reichte allen die Hand, nickte ihnen noch einmal zu und sagte: »Also bis morgen.«

Die Herren verbeugten sich. Zobel begleitete sie bis zur Tür. Ilse und Hilde sagten:

»Auf Wiedersehen!«

An der Tür drehte sich Margot noch einmal um und rief:

»Und viele Grüße und eine glückliche Reise für Mama!«

Im ersten Augenblick stutzten alle. Dann sagten sie wie aus einem Munde:

»Danke!«

Als sie draußen war, herrschte zunächst wieder tiefes Schweigen. Alle saßen unbeweglich und starrten vor sich hin. Der Landrat lehnte sich in den Sessel zurück, ließ das Monokel aus dem Auge fallen, zündete sich eine Zigarette an und sagte halblaut:

»Na, ich danke!«

Nach einer Weile sagte Ilse:

»Ob das die richtige Frau für Peter ist?«

»Kaum,« erwiderte Hilde.

Der Medizinalrat machte ein nachdenkliches Gesicht und sagte:

»Mir mißfällt sie nicht.«

Als Johann eine Viertelstunde später die Familie auf den Flur hinausbegleitete, sagte er:

»Recht leise, wenn ich bitten darf, die Frau Geheimrat schläft.«

Ohne ein Wort zu sprechen, zogen sie sich an und gingen auf den Zehen über die Terrasse die Treppe hinunter bis in den Hausflur, wo ihnen ein Diener leise die Haustür öffnete.

Johann irrte.

Wohl war das Licht gelöscht und die Zofe entlassen.

Aber Frau Julie von Reinhart schlief nicht. Verklärt und mit offenen Augen lag sie da und genoß das Glück, das, wenn auch von stiller Wehmut überschattet, doch stärker und innerlicher war als in jener Nacht, da sie ihrem Manne nach zwei Töchtern Peter, den Knaben, schenkte.

Wie Satan starb

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