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Erster Teil
VI

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Was Frau Julie an ihrem Sohne erst rührte, dann nachdenklich stimmte und schließlich beängstigte, war die Weichheit und Schwere, mit der er an alle Dinge herantrat. Die Tiefgründigkeit, mit der er auch Belanglosigkeiten bis auf die letzten Zusammenhänge nachspürte, trug deutlich schon die Spuren von Schwermut an sich. Ganz im Gegensatz zu früher, wo sie ihn oft übereilter Entschlüsse und seiner gar zu schnellen Urteile wegen, die er über Menschen und Taten fällte, tadeln mußte, sagte sie ihm jetzt immer wieder:

»Nimm doch nur nicht alles so entsetzlich schwer.«

Peter seufzte dann nur und sagte:

»Ach, Mutter, wenn du wüßtest!«

Und wenn sie ihn dann fragte:

»Was denn, mein Sohn?« dann gab er zur Antwort:

»Wie die Menschen leiden müssen.«

»Du hast soviel durchgemacht, mein Junge, und mußt nun zunächst mal an dich denken.«

»Was gibt es da zu denken, Mutter? Ich bin doch da, mir fehlt nichts; es quält mich niemand und ich habe dich. Es ist fast zuviel für einen Menschen.«

»Gewiß, Peter, du hast es gut. Aber du mußt auch weiter denken. Jeder Mann in Deutschland zählt jetzt doppelt. In ein paar Wochen wirst du vermutlich wieder in der Heimat sein und eine deinem Berufe entsprechende Verwendung finden.«

»Soweit bin ich noch nicht, Mutter. Weißt du, am Tage, da geht es schon; obschon es mir auch da noch oft so ist, als wenn mein Körper und mein Geist nicht eins wären.«

»Wie meinst du das?« fragte Frau Julie.

»Ich weiß wohl und fühle es ja auch, daß ich hier bin; körperlich bestimmt. Das steht ja fest. Aber das bin nicht ich. Denn das, was den Menschen ausmacht, das Gefühl, das Geistige, das ist da unten bei ihnen.«

Frau Julie suchte es ihm auszureden. Aber er blieb dabei.

»Ich fühle es ja doch, wenn ich aus Not hier mit Freunden, Kameraden oder Fremden bin. Dann komme ich mir vor wie eine leblose Masse. Worüber die andern sich unterhalten, was sie wichtig nehmen und womit sie sich freuen, das empfinde ich überhaupt nicht. Selbst wenn ich Musik höre, auf die ich doch früher so stark reagierte – gewiß! es entgeht mir keine Note und ich merke auch jeden falschen Ton – aber es bleibt außen, es trifft mich nicht. Ach, Mutter, ich weiß ja nicht, ob du mich verstehst; mir ist, als wenn Seele und Körper sich in mir getrennt hätten. Und die Seele, die da unten blieb, sehnt sich nun den Körper herbei; genau wie der Körper unter der Trennung leidet und sich nach der Seele sehnt.«

Geisteskrank! hätten vermutlich die Psychiater erklärt. Frau Julie aber verstand ihren Sohn und wußte, daß er das nicht war. Sie war feinfühlig genug, um den Gedankengängen ihres Sohnes zu folgen. Zur Ergründung seines Zustandes bedurfte es keiner tiefgründigen Psychoanalyse. Die Synthese war ja doch sonnenklar. Ganz kraß gedacht, befand sich im Unterbewußtsein Peters aufgepeitschte Seele noch immer an dem Ort ihrer Leiden; nicht infolge krankhafter Vorstellung; vielmehr, wenn Unterbewußtsein Leben bedeutet, in Wirklichkeit. Genau wie die Hunderttausende, die man als unheilbar hinter verschlossenen Gittern hielt, weil sie die Schrecken der Schlachten nach Jahren erneut und verstärkt erlebten, nicht geisteskrank in dem bisher üblichen Sinne waren. Es galt nur, die in der Vorstellung der Schlachtengreuel befangen gebliebene Seele durch andere, möglichst noch stärkere Vorgänge zu befreien. Gewiß waren die schwer zu finden. Und es bedurfte für jeden einer besonderen Analyse, um zu ergründen, wodurch man die gefangene Seele aus ihrer Gebundenheit löste. Wege und Mittel waren bei jedem verschieden. Und man mußte, war man nicht Psychoanalytiker von Rang und Beruf – und auch dann noch konnte man irren! – die Menschen schon vor dem Eintritt innerer Konflikte gekannt haben.

Wie Satan starb

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