Читать книгу Durch Sturm und Eis - Arved Fuchs - Страница 7
DAS SCHIFF
ОглавлениеSchiffe, insbesondere wenn sie in die Jahre gekommen sind, Patina angesetzt und zahllose Seemeilen hinter sich gebracht, Stürme abgewettert und unzählige Crews erlebt haben, stellen mehr dar als ein Transportmittel. Sie haben eine Geschichte, und sie sind Individualisten. Keine seelenlosen Maschinen und Massenware, sondern eigene Charaktere. Sie haben ihre Eigenarten, ihre Stärken und Schwächen – und sie nehmen Einfluss. Der Werdegang eines Schiffes ist eng mit der Biografie des Eigners verknüpft und beeinflusst seinen Lebensweg.
»Schiffe haben ihre Schicksale, sie greifen auch in andere Schicksale ein. Es laufen feine Zauberfäden zwischen der Beschaffenheit eines Schiffes und der menschlichen Seele.«
Niels Bach, Voreigner
der DAGMAR AAEN
Macht es Sinn, sich ein altes Schiff zu kaufen, Unsummen an Geld und Freizeit zu opfern, um es in einen passablen Zustand zu versetzen, um dann endlich nach Jahren harter Arbeit segeln zu können? Wobei auch dann natürlich nicht nur gesegelt wird, denn ständig muss irgendetwas getakelt, gemalt, kalfatert oder geteert werden – Traditionsschiffe sind Arbeitsschiffe im weitesten Sinne des Wortes. Ehen sind daran gescheitert, Existenzen zerbrochen, gestandene Männer zu hohlwangigen Alkoholikern geworden – und dann auch noch der spöttische Blick der segelnden Epigonen, die in makellos weißer Segelkleidung auf schnittigen Yachten hoch am Wind segeln und denen die Probleme und Ambitionen eines Traditionsschiffseigners so fremd sind wie einem Fünfsternekoch die Currywurst.
Am Anfang steht der Wunsch, ein derartiges Schiff zu erhalten. Danach beginnt die Suche nach den Möglichkeiten – sowohl in finanzieller wie organisatorischer Hinsicht. Altschiffseigner sind Idealisten, bisweilen Träumer, aber mit einer gehörigen Portion Realitätsbewusstsein, denn anders würden sie die Projekte nicht realisieren können. Sie alle sind Projektleiter, Eigner, Schiffer, Teamführer und Krisenmanager in Personalunion. Ein Schiff, egal, wie groß oder klein, kostet immer Geld, und wird mit zunehmender Größe zwangsläufig zu einem Wirtschaftsunternehmen.
Stille Schönheit. Ehrfurchtsvoll – fast andächtig fahren wir langsam durch ein Labyrinth von Eisbergen.
Unter Vollzeug passiert die DAGMAR AAEN vereinzelte Eisfelder vor der grönländischen Küste.
Dieses Buch soll keine nüchterne Betrachtung über Schiffbau, über die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Bootstypen sein oder gar eine Segelanweisung für unterschiedliche Reviere. Nein, dieses Buch soll vor allem zeigen, was aus einer Bindung von Mensch und Schiff entstehen kann. Die DAGMAR AAEN spielt seit über 30 Jahren eine gewichtige Rolle in meinem Leben. Vom Typ her ein sogenannter Haikutter, steht sie exemplarisch für zahlreiche Schiffe dieser Bauweise, die seit Jahrzehnten auf Nord- und Ostsee, aber auch im europäischen wie außereuropäischen Ausland anzutreffen sind. Ihr kommt eine Stellvertreterrolle zu. Die zahllosen Schiffe, die von ihren Eignern in jahrelanger und mühevoller Arbeit restauriert und in Fahrt gehalten werden, sind seelenverwandt. In diesem Jahr wird meine DAGMAR AAEN 90 Jahre alt. Es liegt im wahrsten Sinne des Wortes eine »bewegte« Zeit hinter – und sicher auch noch vor ihr.
Sie ist das erste Schiff, das aus eigener Kraft und ohne Eisbrecher den Nordpol umsegelt hat. Sie ist zugleich das erste Schiff, das den Doppelkontinent Nord- und Südamerika umrundet hat – um nur zwei Stationen ihres Lebenswegs zu nennen. Seit der Indienststellung der DAGMAR AAEN im Jahr 1931 begleitet sie das behördliche Tilsysnbog, das »Anschreibebuch«. Darin ist jeder Werftaufenthalt, sind sämtliche technische Neuerungen, Umbauten etc. lückenlos verzeichnet. Diese Hommage dokumentiert, wofür die DAGMAR AAEN steht: für ein Stückchen dänischer Kulturgeschichte sowie für ein abenteuerliches Leben in den entlegensten Gebieten dieser Erde.
Kein Zweifel: Die DAGMAR AAEN ist viel mehr als »nur« ein Transportmittel. Das gilt in ganz besonderem Maße für mich, aber auch für all die anderen Crewmitglieder, deren zeitweises Zuhause sie war. Und es gilt allgemein. Davon soll die Rede sein.